Читать книгу Nichts zu verlieren / In aller Stille - Sue Grafton - Страница 17

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Ich saß auf einem Hocker in der Küche und sah zu, wie Grace Thunfischsalat zu Mittag machte. Sie hatte sich gleichsam geschüttelt, als wäre sie aus einem kurzen, aber sehr notwendigen Nickerchen erwacht, und dann hatte sie ihre Schürze umgebunden und den Rest ihrer Nähutensilien von dem Tisch im Eßzimmer geräumt. Sie war eine sorgfältig arbeitende Frau, ruhig in ihren Bewegungen, als sie die Sets und Servietten hervorholte. Ich deckte den Tisch für sie und kam mir wieder ganz als artiges Kind vor, während sie Kopfsalat wusch, ihn trockenklopfte und auf jeden Teller ein Salatblatt legte wie ein Deckchen. Sie schälte säuberlich dünne Streifen von mehreren Tomaten ab und rollte sie wie Rosen auf. Für jeden Teller rüffelte sie einen Pilz und gab zwei dünne Spargelspitzen hinzu, so daß das Ganze aussah wie ein Blumenarrangement. Sie lächelte mir schüchtern zu, freute sich an dem Bild, das sie gestaltet hatte. »Kochen Sie?«

Ich schüttelte den Kopf.

»Ich habe auch selten Anlaß dazu, außer wenn Lyle hier ist. Raymond würde es nicht mitkriegen, und ich gäbe mich wohl kaum damit ab, wenn es nur für mich wäre.« Sie hob den Kopf. »Da.«

Ich hatte den Kleinlaster nicht in die Einfahrt kommen hören, aber sie mußte auf Lyles Ankunft eingestimmt sein. Ihre Hand wanderte unbewußt zu einer Haarsträhne, die sie zurückstrich. Er trat durch einen Abstellraum links herein und hielt an der Ecke inne, offenbar um seine Stiefel auszuziehen. Ich hörte zwei Aufschläge. »Hey, Baby, was gibt’s zu futtern?«

Er trat mit einem Grinsen in das Eßzimmer und gab ihr einen geräuschvollen Schmatz auf die Wange, bevor er mich erblickte. Er zögerte, sein munterer Gesichtsausdruck geriet ins Wanken und verschwand. Abwartend schaute er Grace an.

»Das ist Miss Millhone«, sagte sie zu ihm.

»Kinsey«, ergänzte ich und streckte die Hand aus. Er ergriff sie und schüttelte sie automatisch, aber die zentrale Frage war nach wie vor nicht beantwortet. Ich vermutete, daß ich bei einem Anlaß störte, der normalerweise keine Abwandlung zuließ. »Ich bin Privatdetektiv, aus Santa Teresa«, sagte ich.

Lyle ging zu Raymond hinüber, ohne mich noch eines Blickes zu würdigen.

»Hey, Paps, wie geht’s uns heute? Alles in Ordnung?«

Das Gesicht des alten Mannes reagierte nicht, aber seine Augen richteten sich auf ihn. Lyle nahm ihm die Kopfhörer herunter und schaltete auch den Fernseher aus. Die Veränderung bei Lyle war unmittelbar erfolgt, und es kam mir vor, als hätte ich gerade Momentaufnahmen von zwei verschiedenen Persönlichkeiten in ein und demselben Körper gesehen, die eine fröhlich, die andere auf der Hut. Er war nicht viel größer als ich und körperlich fit, mit breiten Schultern. Er trug ein offenes Hemd über der Hose. Seine Brustmuskulatur war nicht besonders stark, aber gut geformt wie bei einem Mann, der mit Gewichten trainiert. Ich schätzte ihn auf etwa mein Alter. Seine Haare waren blond, lang und leicht getönt vom Grün eines gechlorten Schwimmbads und von heißer Sonne. Seine Augen waren verwaschen blau, zu hell für seine Hautfarbe, seine Wimpern gebleicht, sein Kinn zu schmal gegen die Breite seiner Wangen. Der Gesamteindruck war der eines seltsam schiefen Gesichts – gutaussehend, aber kaum merklich entgleist, als wäre unter der Oberfläche ein Haarriß. Irgendein unterirdisches Beben hatte eine minimale Verschiebung der Knochen bewirkt, und die beiden Hälften seines Gesichts schienen nicht ganz zueinander zu passen. Er trug abgewetzte Jeans tief in den Hüften, und ich konnte die seidige Linie ziemlich dunkler Haare sehen, die wie ein Pfeil auf seinen Schritt zulief.

Er ging an seine Arbeit, ignorierte mich vollkommen, sprach aber, während er zugange war, mit Grace. Sie reichte ihm ein Handtuch, das er unter Raymonds Kinn klemmte, und dann begann er ihn einzuseifen und mit einer Sicherheitsklinge zu rasieren, die er in einer Edelstahlschüssel abspülte. Grace holte unterdessen Flaschenbier heraus, entfernte die Kronen und goß das Bier in Tulpengläser, die sie an unsere Plätze stellte. Für Raymond war nicht mitgedeckt. Als die Rasur beendet war, bürstete Lyle Raymonds schütteres weißes Haar und fütterte ihn anschließend aus einem Glas mit Babynahrung. Grace warf mir einen zufriedenen Blick zu: Sehen Sie, was für ein Schatz er ist? Lyle erinnerte mich an einen älteren Bruder, der sich um einen kleinen Taps kümmert, damit Mama ihn brav findet. Das tat sie. Sie beobachtete voller Wohlwollen, wie Lyle mit dem Löffelrand über das Kinn von Raymond schabte und den verschlabberten Gemüsebrei wieder in Raymonds schlaffen Mund einführte. Noch während ich zusah, breitete sich ein Fleck vorne auf Raymonds Hose aus.

»Nimm’s nicht schwer, Paps«, säuselte Lyle. »Nach dem Essen machen wir dich sauber. Was hältst du davon?«

Ich spürte, daß mein Gesicht vor Widerwillen starr wurde.

Am Mittagstisch beeilte Lyle sich mit dem Essen, sagte keinen Ton zu mir und sehr wenig zu Grace.

»Was tun Sie, Lyle?« fragte ich.

»Mauern.«

Ich sah auf seine Hände. Seine Finger waren lang und staubig von grauem Mörtel, der in die Ritzen seiner Haut gedrungen war. Bis zu mir hin konnte ich Schweiß riechen, überlagert von einem leichten Marihuanageruch. Ich fragte mich, ob Grace das überhaupt bemerkte oder ob sie womöglich dachte, es sei irgendein exotisches Rasierwasser.

»Ich muß sehen, daß ich schnell nach Vegas komme«, sagte ich zu Grace, »aber ich schaue gerne auf dem Rückweg nach Santa Teresa noch mal vorbei. Haben Sie noch Sachen von Libby?« Ich war mir da verhältnismäßig sicher.

Grace befragte Lyle mit einem raschen Blick, aber seine Augen waren auf den Teller gerichtet. »Ich glaube schon. Da sind doch einige Kisten im Keller, nicht wahr, Lyle? Elizabeths Bücher und Papiere?«

Der alte Mann stieß bei der Erwähnung ihres Namens einen Laut aus, und Lyle wischte sich den Mund und schmiß die Serviette hin, als er aufstand. Er rollte Raymond den Flur hinunter.

»Entschuldigen Sie. Ich hätte Libby nicht erwähnen sollen«, sagte ich.

»Das ist schon in Ordnung«, erwiderte sie. »Wenn Sie sich noch mal melden oder auf der Rücktour über Los Angeles vorbeikommen wollen, können Sie sich Elizabeths Habseligkeiten ruhig einmal ansehen. Viel ist es nicht.«

»Lyle scheint nicht sehr guter Laune zu sein«, bemerkte ich. »Ich hoffe, er hält mich nicht für aufdringlich.«

»Aber nein. Er tut sich schwer mit Leuten, die er nicht kennt«, sagte sie. »Ich weiß nicht, was ich ohne ihn machen sollte. Für mich ist Raymond ja zu schwer. Ich habe eine Nachbarin, die jeden Tag zweimal vorbeikommt und mir hilft, ihn aus dem Stuhl zu holen und wieder reinzusetzen. Sein Rückgrat ist bei dem Unfall zerschmettert worden.«

Ihr Plauderton machte mich verrückt. »Darf ich mal das Bad benutzen?« sagte ich.

»Es ist den Flur hinunter. Die zweite Tür rechts.«

Als ich am Schlafzimmer vorbeiging, konnte ich sehen, daß Lyle Raymond bereits ins Bett gehoben hatte. Zwei Holzstühle waren gegen die Seite des Doppelbetts gerückt, um zu verhindern, daß er herausfiel. Lyle stand zwischen den beiden Stühlen und wischte Raymonds nackten Hintern ab. Ich ging ins Bad und schloß die Tür.

Ich half Grace den Tisch abräumen und verabschiedete mich dann, wartete aber auf der anderen Straßenseite in meinem Wagen. Ich versteckte mich nicht und traf keine Anstalten, davonzufahren. Lyles Kleinlaster stand noch in der Einfahrt. Ich blickte auf meine Uhr. Es war jetzt zehn vor eins, und ich schätzte, daß er begrenzte Mittagszeiten hatte. Tatsächlich, die Seitentür ging auf und Lyle trat auf die schmale Schwelle, wo er eine Pause einlegte, um seine Stiefel zu schnüren. Er warf einen Blick zur Straße, entdeckte mein Auto und schien vor sich hinzulächeln. Arsch, dachte ich. Er stieg in den Kleinlaster und setzte rückwärts mit hohem Tempo aus der Einfahrt. Einen Augenblick fragte ich mich, ob er beabsichtigte, schnurstracks über die Straße zu setzen, um mir in die Seite zu knallen und mich zu zerquetschen. Er schwenkte aber in letzter Sekunde herum, schaltete und machte sich mit quietschenden Reifen davon. Ich dachte, wir würden vielleicht eine kleine Verfolgungsjagd improvisieren, aber so einen weiten Weg hatte er gar nicht. Er fuhr acht Blocks weiter und bog dann in die Auffahrt eines mittelgroßen Hauses in Sherman Oaks, das mit roten Ziegeln renoviert wurde. Ich nahm an, das war eine Art Statussymbol, denn Ziegelstein ist an der Westküste sehr teuer. Es gibt wahrscheinlich keine sechs Backsteinhäuser in ganz L. A.

Er stieg aus dem Transporter und schlenderte nach hinten, wobei er sich lässig das Hemd reinsteckte. Ich parkte an der Straße, schloß meinen Wagen ab und folgte ihm. Beiläufig fragte ich mich, ob er imstande wäre, mir den Kopf mit einem Ziegel einzuschlagen und mich dann einzumauern. Er war über mein Erscheinen auf der Bildfläche nicht erfreut und machte keinen Hehl daraus. Als ich um die Ecke kam, konnte ich sehen, daß der Besitzer des Hauses dabei war, seine kleine Hütte komplett mit einer neuen Fassade zu verkleiden. Statt wie ein bescheidener kalifornischer Bungalow würde sie aussehen wie gewisse Tierkliniken im Mittelwesten, die wirklich hohe Mieten bringen. Lyle war auf der Rückseite bereits damit beschäftigt, Mörtel in einer Schubkarre zu mischen. Ich suchte mir einen Weg zwischen dünnen Balken, aus denen krumme, rostige Nägel herausragten. Ein Kind würde eine Menge Tetanusspritzen brauchen, wenn es da drauf fiele.

»Fangen wir noch mal von vorn an, Lyle«, sagte ich im Plauderton.

Er schnaubte und holte eine Zigarette hervor, die er sich in den Mundwinkel steckte. Er zündete sie an, indem er die verkrusteten Hände über dem Streichholz wölbte, und stieß den ersten Mundvoll Rauch aus. Seine Augen waren klein, und das eine zwinkerte jetzt, als der Rauch in Ringeln über sein Gesicht hochstieg. Er erinnerte mich an frühe Fotos von James Dean – dieselbe abwehrende, krumme Haltung, das schräge Lächeln, das spitze Kinn. Ich fragte mich, ob er ein heimlicher Bewunderer von Jenseits von Eden war und bis spät abends aufblieb, um sich die neuesten Wiederholungen anzusehen, die auf obskuren Kanälen aus Bakersfield gesendet wurden.

»Hey, kommen Sie. Warum reden Sie nicht mit mir?« faßte ich nach.

»Ich habe Ihnen nix zu sagen. Wozu die ganze Scheiße noch mal aufrühren?«

»Interessiert es Sie nicht, wer Libby umgebracht hat?«

Er ließ sich Zeit mit der Antwort. Er hob einen Ziegelstein auf und hielt ihn senkrecht, während er mit der Kelle eine dicke Lage Mörtel auf das eine Ende auftrug und den weichen Zement verstrich, als wäre es ein sandiger grauer Käse. Er legte den Ziegelstein auf die brusthohe Ziegelreihe, die er in Arbeit hatte, gab ihm ein paar leichte Schläge mit dem Hammer und bückte sich auch schon, um den nächsten Ziegel aufzuheben.

Ich wölbte die rechte Hand hinter meinem Ohr. »Hallo?« rief ich, als wäre ich vorübergehend schwerhörig geworden.

Er grinste affektiert, die Zigarette wippte in seinem Mund. »Sie halten sich für affenscharf, was?«

Ich lächelte. »Hören Sie, Lyle. Das hat doch keinen Zweck. Sie brauchen mir überhaupt nichts zu sagen, und wissen Sie, was dann passiert? Ich nehme mir ungefähr anderthalb Stunden heute nachmittag, dann habe ich alles raus, was ich über Sie wissen will. Das schaffe ich mit sechs Telefongesprächen von meinem Motelzimmer in West Los Angeles aus, mich juckt es also gar nicht. Es macht Spaß, wenn Sie’s genau wissen wollen. Ich bekomme Auskunft über Ihren Wehrdienst, Ihre Kreditwürdigkeit. Ich kann feststellen, ob Sie schon mal verhaftet wurden, welche Jobs Sie hatten, ob Sie mit Leihbüchern im Verzug sind...«

»Nur zu. Ich hab nix zu verbergen.«

»Weshalb sollen wir es so komplizieren?« sagte ich. »Ich meine, ich kann Sie überprüfen, aber dann komme ich morgen ja doch wieder her, und wenn Sie mich jetzt nicht mögen, gefalle ich Ihnen morgen auch nicht besser. Ich könnte schlecht gelaunt sein. Warum lockern Sie sich nicht einfach?«

»Ah, ich bin ganz locker«, sagte er.

»Was ist aus Ihren Juraplänen geworden?«

»Ich bin ausgestiegen«, meinte er mürrisch.

»Vielleicht gefiel Ihnen das Doperauchen zu gut«, deutete ich an.

»Vielleicht können Sie mich mal«, schnappte er. »Seh ich Ihnen wie ein Anwalt aus. Ich verlor das Interesse, klar? Ist schließlich kein Verbrechen.«

»Ich werfe Ihnen ja nichts vor. Ich will nur rauskriegen, was mit Libby passiert ist.«

Er schnickte die Asche von der Zigarette, warf sie hin und trat sie mit der Spitze seines Stiefels in den Boden. Ich setzte mich auf einen Stapel Backsteine, die mit einer Plane abgedeckt waren. Lyle blickte durch gesenkte Lider zu mir herüber.

»Wie kommen sie überhaupt darauf, daß ich Dope rauche?« fragte er unvermittelt.

Ich tippte mir an die Nase, um ihm zu verstehen zu geben, daß ich es bei ihm gerochen hatte. »Außerdem scheint Mauern nicht so interessant zu sein«, sagte ich. »Ich schätze, wenn Sie gescheit sind, müssen Sie irgendwas tun, damit Sie nicht durchdrehn.«

Er sah mich an, sein Körper entspannte sich ein kleines bißchen. »Wie kommen Sie darauf, daß ich gescheit bin?«

Ich zuckte die Achseln. »Sie sind zehn Jahre mit Libby Glass gegangen.«

Darüber dachte er erst mal nach.

»Ich weiß überhaupt nichts«, sagte er schroff.

»Sie wissen mehr als ich an diesem Punkt.«

So allmählich wurde er weich, wenn auch seine Schultern noch verspannt waren. Er schüttelte den Kopf, ging wieder an seine Arbeit. Er nahm die Kelle und rührte die feuchte Mörtelmasse um wie klumpig gewordenen Kuchenguß. »Sie ließ mich fallen, nachdem sie diesen Typ aus dem Norden kennengelernt hatte. Diesen Rechtsanwalt...«

»Laurence Fife?«

»Klar, das nehme ich an. Sie wollte mir nichts über ihn erzählen. Anfangs war es geschäftlich – ging um irgendwelche Bücher. Seine Kanzlei hatte sich gerade an die Firma gehängt, bei der sie tätig war, und sie mußte das ganze Zeugs in den Computer bringen, verstehen Sie? So daß es von Monat zu Monat glatt durchläuft. War echt kompliziert, die haben ständig telefoniert, so in dem Stil. Ein paarmal kam er runter, und wenn sie fertig waren, ging sie ein Glas mit ihm trinken, manchmal auch zu Abend essen. Sie verliebte sich in ihn. Das ist alles, was ich weiß.«

Er holte eine schmale Metallklammer heraus, die er im rechten Winkel in die Holzwandung des Hauses schlug, dann legte er einen mörtelbeschichteten Ziegel darauf.

»Wofür ist das?« fragte ich aus Neugierde.

»Bitte? Ach so. Damit wird verhindert, daß die Backsteinmauer von dem Rest herunterfällt.«

Ich nickte, war fast geneigt, mich auch einmal als Maurer zu versuchen.

»Und danach hat sie mit Ihnen gebrochen?« kam ich wieder zur Sache.

»So ziemlich. Ab und zu besuchte ich sie noch, aber es war vorbei, und ich wußte es.«

Die Anspannung in seinem Ton ließ nach, so daß er eher resigniert als zornig klang. Lyle bestrich einen weiteren Backstein mit weichem Mörtel und setzte ihn auf. Die Sonne tat mir gut im Rücken, und ich stützte mich auf die Ellbogen und lehnte mich auf der Plane zurück.

»Was ist Ihre Theorie?« fragte ich.

Er sah mich verschlagen an. »Vielleicht hat sie sich umgebracht.«

»Selbstmord?« Auf den Gedanken wäre ich nie gekommen.

»Sie haben gefragt. Ich sage Ihnen nur, was ich damals dachte. Sie war wirklich auf ihn abgefahren.«

»Ja, aber so sehr, daß sie sich nach seinem Tod umbringt?«

»Wer weiß?« Er hob eine Schulter und ließ sie wieder sinken.

»Wie hat sie von seinem Tod erfahren?«

»Jemand rief an und sagte es ihr.«

»Woher wissen Sie das?«

»Weil sie mit mir telefoniert hat. Sie wußte zuerst nicht, was sie davon halten sollte.«

»Hat sie um ihn getrauert? Tränen? Schock?«

Er schien zurückzudenken. »Sie war einfach total verwirrt und durcheinander. Ich bin zu ihr. Sie hatte mich darum gebeten, zu kommen, aber dann überlegte sie sich’s anders und sagte, sie wollte nicht darüber reden. Sie war fertig, konnte keinen klaren Gedanken fassen. Mir ging es etwas auf den Keks, daß sie mich herumstupste, darum bin ich wieder weg. Das nächste, was ich weiß, ist, daß sie tot war.«

»Wer hat sie gefunden?«

»Der Verwalter in dem Haus, wo sie wohnte. Sie erschien zwei Tage nicht zur Arbeit und rief nicht an, da machte ihr Chef sich Gedanken und fuhr bei ihr vorbei. Der Verwalter versuchte durchs Fenster zu sehen, aber die Vorhänge waren zu. Sie klopften ’ne Weile, erst vorne, dann hinten, und sind schließlich mit einem Nachschlüssel rein. Sie lag im Morgenrock auf dem Fußboden im Badezimmer. Sie war seit drei Tagen tot.«

»Was ist mit ihrem Bett? Hatte sie drin geschlafen?«

»Ich weiß nicht. Davon erwähnte die Polizei nichts.«

Ich dachte einen Augenblick darüber nach. Es hörte sich an, als könnte sie abends eine Kapsel eingenommen haben, genau wie Laurence Fife. Mir schien immer noch, daß es die gleiche Medizin gewesen sein könnte – irgendeine Antihistaminkapsel, in die jemand Oleander getan hatte.

»War sie allergisch, Lyle? Klagte sie über Schnupfen oder etwas Ähnliches, als Sie sie zuletzt gesehen haben?«

Er zuckte die Achseln. »Könnte schon sein. Ich erinnere mich nicht an so was. Ich sah sie am Donnerstag abend. Am Mittwoch oder Donnerstag der Woche, in der sie von dem Tod des Anwalts erfuhr. Sie starb am späten Samstag abend, hieß es. So stand es nachher in der Zeitung.«

»Was ist mit dem Anwalt, mit dem sie liiert war? Wissen Sie, ob er etwas in ihrer Wohnung hatte? Zahnbürste? Rasierapparat? Dergleichen Dinge? Vielleicht hat sie Medizin eingenommen, die für ihn bestimmt war.«

»Woher, bitte, soll ich das wissen?« sagte er gereizt. »Ich stecke meine Nase nicht in Angelegenheiten, die mich nichts angehen.«

»Hatte sie eine Freundin? Jemanden, dem sie sich anvertraut haben könnte?«

»Vielleicht auf der Arbeit. Ich erinnere mich an niemand Bestimmten. Sie hatte keine ›Freundinnen‹.«

Ich holte mein Notizbuch hervor und schrieb kurz die Telefonnummer meines Motels auf. »Hier bin ich zu erreichen. Klingeln Sie mich an, falls Ihnen noch was einfällt?«

Er nahm den Zettel und steckte ihn achtlos in die Gesäßtasche seiner Jeans. »Was ist denn in Las Vegas?« fragte er. »Wie paßt das da rein?«

»Ich weiß noch nicht. Da ist vielleicht eine Frau, die ein paar Lücken schließen kann. Ich komme gegen Ende der Woche über Los Angeles zurück. Vielleicht besuche ich Sie dann noch mal.«

Lyle hatte mich bereits ausgeblendet, klopfte den nächsten Stein fest, strich den überschüssigen Mörtel ab, der zwischen den Ritzen herausgesickert war. Ich warf einen Blick auf die Uhr. Mir blieb noch Zeit, die Firma abzuklopfen, in der Libby Glass gearbeitet hatte. Ich glaubte zwar nicht, daß Lyle die ganze Wahrheit sagte, aber sicher sein konnte ich auch nicht. Also ließ ich es hingehen – vorläufig jedenfalls.

Nichts zu verlieren / In aller Stille

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