Читать книгу Nichts zu verlieren / In aller Stille - Sue Grafton - Страница 20

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Das Telefon läutete alarmierend schrill, und ich erwachte mit einem Schlag. Das Zimmer war dunkel. Ich hatte keine Ahnung, wie spät es war, keine Ahnung, in welchem Bett ich lag. Ich tastete nach dem Hörer, fühlte mich erhitzt und rot und schob die Decken von mir, als ich mich auf die Ellenbogen stützte. Ich knipste das Lieht an, schirmte meine Augen gegen den plötzlichen, grellen Glanz ab.

»Hallo?«

»Kinsey, hier ist Sharon. Haben Sie mich vergessen?«

Ich sah auf meine Uhr. Es war halb neun. Mist. »Gott, das tut mir leid«, sagte ich. »Ich bin eingeschlafen. Sind Sie noch eine Weile dort? Ich kann gleich kommen.«

»Na schön«, antwortete sie kühl, als hätte sie eigentlich etwas Besseres vor. »Oh, bleiben Sie dran. Da ist jemand an meiner Tür.«

Sie legte mit einem Klappern den Hörer hin, und ich stellte mir vor, wie er jetzt auf dem harten Formica der Tischplatte lag. Ich lauschte beiläufig, während ich darauf wartete, daß sie wiederkäme. Ich konnte es nicht fassen, daß ich verschlafen hatte, und ich ohrfeigte mich wegen meiner Blödheit. Ich hörte die Tür aufgehen und Sharons gedämpften Ausruf der Überraschung. Und dann hörte ich einen kurzen, beinah hohlen Knall.

Ich blinzelte, setzte mich jäh auf. Ich preßte das Ohr an die Muschel, drückte die Hand auf den Hörer. Was ging da vor sich? Der Hörer an ihrem Ende wurde aufgenommen. Ich erwartete ihre Stimme zu hören und hätte fast auch ihren Namen ausgesprochen, aber auf irgendeine Regung hin hielt ich den Mund. Atemgeräusche drangen an mein Ohr, die leisen, geschlechtslosen Laute von jemand leicht Abgehetztem. Es folgte ein geflüstertes »Hallo«, das mich erschauern ließ. Ich schloß die Augen, zwang mich zu schweigen; in meinem Körper hatte sich eine plötzliche Angst ausgebreitet, so daß mir das Herz bis zu den Ohren schlug. Ein leises, gehauchtes Lachen ertönte, und dann brach die Verbindung ab. Ich knallte den Hörer auf und griff nach meinen Schuhen, schnappte mir meine Jacke im Hinausgehen.

Der Adrenalinstoß hatte alle Schmerzen aus meinem Körper vertrieben. Meine Hände zitterten, aber zumindest war ich in Bewegung. Ich schloß die Tür ab und ging rüber zum Wagen; meine Schlüssel klirrten, als ich versuchte, das Zündschloß zu finden. Ich ließ den Motor an, setzte rasch zurück und nahm Kurs auf Sharons Wohnung. Ich griff nach der Taschenlampe im Handschuhfach und prüfte sie. Das Licht war gut. Ich fuhr mit zunehmender Sorge. Sie trieb entweder Spielchen, oder sie war tot, und ich glaubte die Antwort zu kennen. Ich hielt auf der anderen Straßenseite. An dem Gebäude waren keine besonderen Anzeichen von Aktivität zu erkennen. Niemand lief herum. Keine Menschenmengen waren versammelt, keine Polizeiwagen an der Straße geparkt, keine heulenden Sirenen im Anzug. Zahlreiche Autos standen in der Parkreihe, und fast in jeder Wohnung des Gebäudes, die ich sehen konnte, brannte Licht. Ich langte auf den Rücksitz und holte ein Paar Gummihandschuhe aus meiner verschlossenen Aktentasche. Meine Hände berührten den kurzen Lauf meiner kleinen Automatic, und ich sehnte mich heftig danach, sie in meiner Windjacke zu verstauen. Ich war nicht sicher, was ich in ihrer Wohnung finden würde, war nicht sicher, wer auf mich warten mochte, aber der Gedanke, dort im Besitz einer geladenen Waffe entdeckt zu werden, falls sie tot war, war das allerletzte. Ich ließ die Pistole, wo sie war, und stieg aus, schloß mein Auto ab und steckte die Schlüssel in meine Jeans.

Ich ging auf den Vorhof. Er war dunkel, aber mehrere Punktscheinwerfer waren strategisch entlang dem Gehsteig plaziert, sechs weitere, grüne und gelbe Scheinwerferkegel schossen entlang den Kakteen empor. Die Wirkung war eher bunt als lichtspendend. Sharons Appartement war dunkel, und die Lücke in den Vorhängen war zugezogen worden. Ich klopfte an die Tür. »Sharon?« Ich rief mit leiser Stimme, suchte zu erkennen, ob irgendwo in der Wohnung Licht anging. Ich zog die Gummihandschuhe an und probierte den Türknauf. Verschlossen. Ich klopfte nochmals, wiederholte ihren Namen. Von drinnen kam kein Laut. Was sollte ich machen, wenn jemand da drin war?

Ich ging über den kurzen Fußweg, der um das Gebäude herum auf die Rückseite führte. Irgendwo im ersten Stock konnte ich eine Stereo-Anlage hören. Mein Kreuz tat weh und meine Wangen fühlten sich so heiß an, als käme ich gerade von einem Lauf, aber ob es von Grippe oder von Angst herrührte, wußte ich nicht. Ich ging schnell und leise über den hinteren Fußweg. Sharons Küche war die einzige von den fünf, die im Dunkeln lag. Eine Kugelleuchte brannte über jeder Hintertür und warf ein schwaches, aber klares Licht auf die kleinen Patios. Ich probierte die Hintertür. Verschlossen. Ich klopfte an das Glas.

»Sharon?« Ich horchte auf Geräusche aus dem Inneren der Wohnung. Alles war still. Ich schaute mich am Eingang um. Wenn sie Ersatzschlüssel draußen hatte, mußten sie irgendwo in der Nähe versteckt sein. Ich blickte zurück auf die kleinen Glasscheiben an ihrer Hintertür. Sollte es gar nicht anders gehen, konnte ich eine herausbrechen. Ich ließ meine Finger über die Oberkante des Türrahmens gleiten. Zu schmal für Schlüssel. Die Blumentöpfe sahen alle unschuldig aus, und eine rasche Prüfung zeigte, daß nichts im Erdreich versteckt war. Eine Fußmatte gab es nicht. Ich hob den Packen alter Zeitungen hoch und schüttelte sie kurz, aber Schlüssel fielen keine heraus. Die Schlackensteinmauer um den Patio bestand aus durchbrochenen »Schmuckziegeln«

von einem Fuß im Quadrat; ihre Muster waren vertrackt genug, um ein geräumiges, wenn auch nicht originelles Versteck für einen Schlüssel zu bieten. Ich hoffte, nicht jeden einzelnen absuchen zu müssen. Wieder schaute ich auf die kleinen Glasscheiben und fragte mich, ob es nicht angebracht wäre, mit geschützter Faust eine herauszuhauen. Ich sah nach unten. Eine Plastik-Gießkanne und ein Hohlspatel standen direkt vorn in der Ecke der Mauer. Ich hockte mich hin und ließ die rechte Hand in die einzelnen Schnörkel des Ecksteins gleiten. In einem war ein Schlüssel.

Ich langte hoch und gab der Kugelleuchte über ihrer Hintertür eine kurze Drehung nach links. Der Patio war in Dunkel getaucht. Ich steckte den Schlüssel ins Schloß und öffnete die Tür einen Spaltweit. »Sharon!« flüsterte ich belegt. Ich war versucht, das Appartement im Dunkeln zu lassen, aber ich mußte wissen, ob ich allein war. Ich hielt die Taschenlampe wie eine Keule und tastete nach links, bis ich einen Schalter fand. Das zurückgesetzte Licht über der Spüle ging an. Den Schalter für die Deckenbeleuchtung der Küche sah ich an der Wand gegenüber. Ich durchquerte das Zimmer und knipste ihn an, duckte mich und ging in Deckung. Mit dem Rücken zum Kühlschrank kauerte ich da und hielt die Luft an. Ich lauschte angestrengt. Nichts. Ich hoffte bloß, daß ich mich nicht total lächerlich machte. Soweit ich wußte, konnte das Geräusch, daß ich gehört hatte, der Knall eines Champagnerkorkens gewesen sein, und Sharon war vielleicht in dem verdunkelten Schlafzimmer und vollzog unerlaubte Sexualakte mit einem kleinen Zirkushund und einer Peitsche.

Ich spähte ins Wohnzimmer. Sharon lag in einem smaragdgrünen Verlours-Morgenrock ausgestreckt auf dem Wohnzimmerboden. Sie war entweder tot oder fest am Schlafen, und ich wußte immer noch nicht, wer sonst noch mit mir in dieser Wohnung sein mochte. Ich ging in zwei Schritten zum Wohnzimmer hinüber, drückte mich flach an die Wand und wartete einen Moment, ehe ich wieder in den dunklen Flur hinausschaute. Ich sah keinen Fitzel. Ich fand einen Lichtschalter direkt links von mir und knipste ihn an. Der Flur wurde von Licht überflutet, und der Teil des Schlafzimmers, den ich sehen konnte, schien leer zu sein. Ich tastete nach dem Schlafzimmerschalter, knipste ihn an und sah mich rasch um. Die offene Tür nach rechts mußte das Bad sein. Es gab keinen Hinweis darauf, daß die Wohnung geplündert worden wäre. Die Schiebetüren des Wandschranks waren zu, und das gefiel mir gar nicht. Aus dem Badezimmer kam ein leises metallisches Geräusch. Ich erstarrte. Mein Herz tat einen Satz und einen halben, und ich tauchte weg. Ich und meine Taschenlampe. Ich wünschte wie der Teufel, ich hätte die Pistole mitgenommen. Das kleine metallische Quietschen setzte wieder ein und nahm einen Rhythmus an, der mir plötzlich bekannt vorkam. Ich schlich zu der Tür hinüber und leuchtete hinein. Da lief eine gottverdammte kleine Maus auf ihrem Tretrad rund. Der Käfig stand auf der Badezimmerkommode. Ich knipste das Licht an. Das Bad war leer.

Ich ging zu den Türen des Wandschranks hinüber und schob eine auf, halb darauf gefaßt, den Schädel eingeschlagen zu bekommen. Beide Seiten des Schranks waren leer bis auf Kleidungsstücke. Ich stieß den lange angehaltenen Atem aus und nahm dann eine zweite rasche Durchsuchung der Wohnung vor. Ich vergewisserte mich, daß die Hintertür abgeschlossen war, zog die Küchenvorhänge vor das Fenster über der Spüle. Dann kehrte ich zurück zu Sharon. Sie hatte ein Einschußloch am Ansatz ihrer Kehle; es sah aus wie ein kleines Medaillon mit rohem Fleisch darin statt einem Foto. Blut war unter ihrem Kopf in den Teppich gesickert und hatte ihn zu der Farbe ungekochter Hühnerleber dunkeln lassen. Kleine Knochensplitter steckten in ihrem Haar. Ich vermutete, daß beim Einschlag der Kugel ihre Halswirbel zerschmettert worden waren. Noch Glück für sie. Kein Schmerz. Sie war anscheinend glatt zurückgeworfen worden, die Arme zu beiden Seiten des Körpers ausgebreitet, die Hüften leicht gedreht. Ihre Augen standen halb offen, das leuchtende Grün erschien jetzt trüb. Ihre blonden Haare sahen grau aus im Tod. Wäre ich wie vorgesehen dorthin gekommen, wäre sie vielleicht nicht tot, und ich wollte mich für meine schlechten Manieren entschuldigen, für die Verzögerung, für meine Übelkeit, für das Zuspätkommen. Ich wollte ihre Hand halten und sie ganz sachte wieder ins Leben zurückrufen, aber es ging ja nicht, und schlagartig wurde mir klar, daß ich, wenn ich rechtzeitig dort gewesen wäre, selbst auch tot sein könnte.

Ich ließ meinen Blick aufmerksam durch das Zimmer gleiten. Der Reliefteppichboden war ausgetreten und verfilzt, so daß es keine Fußabdrücke gab. Ich ging zum Vorderfenster und zog die Vorhänge nach, um sicherzugehen, daß kein Spalt von außen Einblick gewährte, nachdem nun das Licht eingeschaltet war. Ich unternahm erneut einen kurzen Rundgang, und diesmal achtete ich mehr auf Einzelheiten. Das Bett war ungemacht. Das Bad war übersät mit feuchten Handtüchern. Schmutzige Wäsche quoll aus dem Korb. Auf dem Wannenrand stand ein Aschenbecher mit mehreren Zigarettenkippen, umgeknickt und plattgequetscht in der Art, wie ich sie es hatte tun sehen. Das Apartment bestand im Grunde nur aus diesen drei Räumen – Wohnzimmer mit Eßtisch bei den Vorderfenstern, Küche und Schlafzimmer. Das Mobiliar sah aus, als wäre es waggonweise bestellt worden, und ich nahm an, daß wenig davon ihr gehörte. Die Unordnung am Platz schien allein ihr Werk zu sein – Geschirr im Ausguß, nicht entleerter Abfall. Ich sah nieder auf die Papiere unter dem Telefon, eine Sammlung von Mahnungen und Rechnungen. Anscheinend hatte sich an ihrem Hang zu finanziellem Chaos seit den Tagen in Santa Teresa nichts geändert. Ich nahm den ganzen Stoß und stopfte ihn in meine Jackentasche.

Wieder konnte ich das leise, metallische Quietschen hören, und ich ging zurück ins Bad und starrte auf das dumme kleine Tier hinunter. Es war braun und schmächtig, mit großen, roten Augen und schob geduldig seine Runden, die es nirgendwo hinbrachten. »Tut mir leid«, flüsterte ich, und Tränen brannten kurz auf meinen Lippen. Ich schüttelte den Kopf. Das war falsche Sentimentalität, und ich wußte es. Sein Wasserbehälter war voll, aber der Plastikfreßnapf war leer. Ich füllte ihn mit kleinen grünen Körnern, dann kehrte ich zum Telefon zurück, wählte das Amt und verlangte die Polizei von Las Vegas. Con Dolans Warnung klang mir dumpf in den Ohren. Es hätte gerade noch gefehlt, daß die Kripo von Las Vegas mich zur Vernehmung bat. Eine von diesen grimmigen Behördenstimmen kam nach dem zweiten Klingeln in die Leitung.

»Ja, hallo«, sagte ich. In meiner Stimme war ein Zittern, und ich räusperte mich schnellstens. »Ich, ehm, vor ’ner Weile hab ich’s in der Wohnung meiner Nachbarin krachen gehört, und jetzt antwortet sie nicht auf mein Klopfen. Ich mache mir Sorgen, daß sie sich verletzt hat. Könnten Sie da vielleicht mal nachsehen?«

Er klang gereizt und gelangweilt, aber er notierte Sharons Adresse und sagte, er würde jemand hinschicken.

Ich sah auf meine Uhr. Ich war noch keine dreißig Minuten in dem Appartement, aber es war Zeit zu verschwinden. Ich wollte nicht, daß das Telefon klingelte. Ich wollte nicht, daß jemand unerwartet an die Tür klopfte. Ich verzog mich nach hinten, drehte unterwegs die Lichter aus und horchte unbewußt auf näher kommende Geräusche. Viel Zeit verlieren durfte ich nicht mehr.

Ich warf noch einen Blick auf Sharon. Ich ließ sie nicht gern so zurück, aber abzuwarten schien mir sinnlos. Ich wollte nicht mit ihrem Tod in Verbindung gebracht werden, und ich wollte mich nicht bis zur gerichtlichen Untersuchung in Las Vegas rumdrücken. Und keinesfalls wollte ich, daß Con Dolan dahinterkam, daß ich hier gewesen war. Vielleicht hatte die Mafia sie umgebracht oder irgendein Zuhälter, vielleicht auch der Mann im Kasino, der sie mit so hungrigen Augen betrachtet hatte, als sie ihm seine zweihundertfünfzig Piepen hinblätterte. Vielleicht aber wußte sie auch etwas über den Tod von Laurence Fife, das sie nicht erzählen sollte.

Ich ging an ihr vorbei. Ihre Finger waren im Tod entspannt, sahen anmutig aus, jeder mit einem langen, rosarot lackierten Nagel. Ich hielt die Luft an. Sie hatte doch den Zettel, auf dem mein Name und das Motel notiert waren, in ihre Zigarettenpackung gesteckt. Aber wo war die? Auf der Formica-Tischplatte sah ich sie nicht, wenn da auch eine Zigarette lag, die, offenbar ungeraucht, zu einer vollkommenen Aschensäule heruntergebrannt war. Weder auf der Couchlehne noch auf dem Schrank war eine Zigarettenpackung. Ich schaute noch mal ins Bad, während ich intensiv auf Geräusche von Polizeiwagen horchte. Ich hätte schwören können, daß ich in einiger Entfernung eine Sirene hörte, und Furcht beschlich mich. Mist. Ich mußte diesen Zettel finden. Der Mülleimer im Bad war voll mit Kleenex, einer Seifenschachtel, alten Zigarettenstummeln. Keine Zigarettenpackung auf dem Nachttisch. Keine auf der Kommode. Ich kehrte ins Wohnzimmer zurück und sah mit Widerwillen auf sie runter. Da waren zwei geräumige Seitentaschen in dem grünen Velours-Morgenrock. Ich biß die Zähne zusammen, tastete vorsichtig. Die Packung war auf der rechten Seite, mit vielleicht noch sechs Zigaretten, der scharf gefaltete Zettel mit meinem Namen noch sichtbar unter dem Zellophan. Ich verstaute sie hastig in meiner Jacke.

Ich knipste die restlichen Lichter aus, glitt zur Tür zurück und öffnete sie einen Spalt. Ich konnte Stimmen hören, auffallend nah. Ein Mülleimerdeckel klapperte vor dem Appartement zu meiner Rechten.

»Man sollte dem Verwalter sagen, daß ihre Leuchte durchgebrannt ist«, bemerkte eine Frau. Es hörte sich an, als stände sie gleich neben mir.

»Warum sagst du’s ihr denn nicht?« kam die etwas ärgerliche Antwort.

»Ich glaub nicht, daß sie daheim ist. Sie hat kein Licht an.«

»Doch, sie ist da. Ich hab eben noch Licht brennen sehen.«

»Sherman, es brennt nicht. Da ist doch alles dunkel. Sie muß vorne rausgegangen sein«, sagte die Frau. Das Heulen der Sirene war sehr laut, wie ein Grammophon spulte sie den Ton ab.

Mein Herz schlug so heftig, daß mir der Brustkorb brannte. Ich schob mich hinaus auf den dunklen Patio, hielt an, um die Schlüssel wieder in den kleinen Spalt hinter der Plastik-Gießkanne zu legen. Ich hoffte bloß, daß es nicht meine Autoschlüssel waren, die ich versteckte. Ich glitt aus dem Patio, bog nach links, näherte mich wieder der Straße. Ich mußte mich zwingen, locker an dem Streifenwagen vorbeizugehen, der jetzt auf der Vorderseite parkte. Ich schloß meinen Wagen auf, stieg ein und drückte schnell den Knopf runter, als wäre jemand hinter mir her. Ich streifte die Gummihandschuhe ab. Mein Kopf schmerzte wild, und ich spürte, wie mir der kalte Schweiß ausbrach und Galle in die Kehle stieg. Ich mußte weg hier. Ich schluckte krampfhaft. Die Übelkeit nahm zu, ich kämpfte gegen einen fast unwiderstehlichen Drang, mich zu übergeben. Meine Hände zitterten so stark, daß es mir kaum gelang, den Wagen anzulassen, aber schließlich schaffte ich es und lenkte vorsichtig vom Bordstein weg.

Als ich an der Einfahrt vorbeifuhr, konnte ich einen Streifenpolizisten sehen, der unterwegs zur Rückseite von Sharons Appartement war, die Hand auf dem Revolver an seiner Hüfte. Das schien mir etwas theatralisch für eine schlichte Unfallmeldung, und ich fragte mich schaudernd, ob da noch jemand anders angerufen hatte, der deutlicher geworden war als ich. Eine halbe Minute länger, und ich hätte in dieser Wohnung festgesessen und eine Menge erklären müssen. Die Vorstellung gefiel mir überhaupt nicht.

Ich fuhr zurück zum Bagdad und packte – und beseitigte alle Fingerabdrücke im Zimmer. Ich fühlte mich, als hätte ich leichtes Fieber. Eigentlich wollte ich mich nur noch in eine Decke rollen und wieder schlafen. Mit klopfenden Kopfschmerzen ging ich zur Rezeption. Diesmal war die Frau des Managers dort, herausgeputzt wie ein türkisches Haremsmädchen – falls das Wort »Mädchen« paßte. Sie war vermutlich fünfundsechzig, mit einem fein gerunzelten Gesicht wie etwas, das zu lange im Trockner geblieben war. Sie trug eine helle Satinkappe auf den grauen Haaren, die Schleier aufreizend über die Ohren drapiert.

»Ich bin morgen früh um fünf schon weg, deshalb möchte ich meine Rechnung heute abend erledigen«, sagte ich.

Ich nannte ihr meine Zimmernummer, und sie ging die Kartei durch, bis sie zu meiner Rechnungskarte kam. Ich fühlte mich rastlos, unruhig und krank, und ich wollte weiter. Statt dessen mußte ich mich zwingen, leicht und locker mit dieser Frau umzugehen, die ein Zeitlupentempo an den Tag legte.

»Wohin wollen Sie?« fragte sie beiläufig, während sie die Posten in die Rechenmaschine tippte. Sie machte einen Fehler und mußte noch mal von vorn anfangen.

»Reno«, sagte ich, mechanisch lügend.

»Glückssträhne?«

»Bitte?«

»Haben Sie viel gewonnen?«

»O ja, ich steh ganz gut da«, sagte ich. »Hätte ich mir gar nicht zugetraut.«

»Besser als die meisten«, bemerkte sie. »Sie führen doch keine Ferngespräche mehr, bevor sie abreisen?« Sie warf mir einen scharfen Blick zu.

Ich schüttelte den Kopf. »Ich werd mich hinhauen.«

»Sie sehen aus, als ob Sie etwas Schlaf gebrauchen könnten«, meinte sie. Sie füllte die Rechnung aus, ich unterschrieb und nahm meinen Durchschlag entgegen.

»Die Gutscheine für fünfzig Dollar hab ich nicht benutzt«, sagte ich. »Die können Sie ruhig wiederhaben.«

Sie packte die unbenutzten Coupons ohne ein Wort in die Schublade.

Innerhalb von Minuten war ich wunderbarerweise auf dem Highway 93, in südöstlicher Richtung unterwegs nach Boulder City, wo ich den 95 nach Süden nahm. Ich kam bis Needles, und dann war die Entspannung fällig. Ich fand ein billiges Motel und meldete mich an, kroch wieder unter die Bettdecken und schlief zehn Stunden durch. Selbst in diesem tiefen Zustand des Verges-sens empfand ich eine schreckliche Furcht vor dem, was da in Gang gebracht worden war, und ein sinnloses, schmerzliches Bedürfnis, mich bei Sharon Napier zu entschuldigen, welches auch immer die Rolle war, die ich bei ihrem Tod gespielt hatte.

Nichts zu verlieren / In aller Stille

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