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Kapitel 6

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Am nächsten Nachmittag wanderte Quinn ungeduldig den Bürgersteig vor dem Militärkrankenhaus auf und ab und wartete auf Julias Schichtende. Er hoffte, sie würde nicht versuchen, ihm aus dem Weg zu gehen und das Krankenhaus bewusst über einen Hinter- oder Mitarbeiterausgang verlassen. Er konnte sich gut vorstellen, dass sie sich womöglich schämte und vielleicht sogar ein wenig verärgert war über ihn und die Art, wie er die Situation mit ihrem alten Vermieter gehändelt hatte.

Nichtsdestotrotz bereute Quinn seine Handlung nicht. Genauso wenig wie er seine kleine Schwester in solch einer Situation hätte alleinlassen können, konnte er auch Julia nicht der Willkür dieses Mannes überlassen. Seine Ehre hatte ihn dazu verpflichtet, die Nichte des Earls aus diesen Umständen zu retten. Denn es war offensichtlich, dass sie schwere Zeiten durchgemacht hatte.

Da Julia als Sams persönliche Pflegekraft nach Kanada gekommen war, nahm er an, dass ihre Stelle mit ihm gestorben war. Und da Julia auch keine ausgebildete Krankenschwester war, sondern lediglich ihre Erfahrungen aus der Kriegszeit hatte vorweisen können, bezweifelte Quinn, dass dies genug gewesen war, um in dem Bereich angestellt zu werden.

Aber Böden schrubben? Sicher gab es irgendeine andere Arbeit, die eher ihren Fähigkeiten entsprach. Und sie weniger beanspruchte. Auf dieses Thema musste Quinn jedoch mit äußerster Vorsicht zu sprechen kommen! Am besten zeigte er ihr dabei auf, dass die Rückkehr nach England die beste Option darstellte.

Jetzt öffnete sich eine Tür und Julia trat heraus. Als sie Quinn entdeckte, zögerte sie kurz, doch dann lächelte sie zaghaft. „Guten Tag, Mr Aspinall.“

„Guten Tag. Aber bitte, bleiben wir bei Quinn“, sagte er und bot ihr den Arm an. „Gleich auf der nächsten Straße habe ich ein hübsches Café entdeckt. Ich bezweifle zwar, dass wir dort guten englischen Tee bekommen, aber ich wäre dennoch bereit, es zu wagen, wenn Sie möchten.“

Sein Angebot entlockte Julia ein kurzes Lachen, das Quinn mitten ins Herz traf. Gemeinsam machten sie sich auf den Weg und Quinns Anspannung löste sich etwas. „Eine wahrlich gute Tasse Tee habe ich hier bisher noch nicht bekommen“, erwiderte Julia. „Obwohl der von Mrs Chamberlain schon nahe dran war.“

„Das finde ich auch“, erwiderte er. „Hatten Sie eine gute Nacht?“

„O ja. Mrs C war sogar so freundlich, mir ein kleines Mittagessen zu bereiten und mitzugeben. Ich weiß nicht, wie ich ihr jemals dafür danken soll. Oder Ihnen, wenn wir schon dabei sind.“

„Darüber machen Sie sich mal keine Sorgen. Das Geld hat Ihr Onkel mir gegeben, um die Kosten zu begleichen, die ich auf der Suche nach Ihnen haben sollte. Es schien mir daher nur recht, einen Teil davon für die Auszahlung der Schulden bei Ihrem Vermieter zu gebrauchen. Außerdem konnte ich den Gedanken nicht ertragen, dass Sie solch einem Menschen etwas schuldig sind.“

An der nächsten Straßenecke bogen sie ab und Quinn zeigte zu dem Café, das er im Sinn hatte. Als Julia nickte, führte er sie hinein. Es war gut besucht und von Gesprächen erfüllt. Die meisten der kleinen Tischgruppen sowie beinahe alle Barhocker an der Theke waren von heiteren Kunden besetzt. Lächelnd führte die Inhaberin die beiden zu einem kleinen Tisch am Fenster, von wo aus sie Passanten vorbeigehen sahen.

Nachdem die Bedienung ihre Bestellung von Tee und Gebäck aufgenommen hatte, faltete Julia die Hände über dem Schoß zusammen. „Mein Onkel hat Sie also bezahlt, um mich ausfindig zu machen“, sagte sie und die ruhigen Worte beinhalteten eine Spur von Verletzlichkeit. „Deshalb sind Sie nach Kanada gekommen?“

„Nicht ganz“, erwiderte Quinn in neutralem Ton. „Ich bin eigentlich hier, weil ich nach meinen drei Geschwistern suche. Als ich dem Earl vor meiner Reise von meinen Plänen erzählt habe, bat er mich, auch nach Ihnen Ausschau zu halten.“ Bestimmt lehnte Quinn sich vor – Julia musste verstehen, worum es hier ging. „Julia, Ihr Onkel liebt Sie sehr und zudem bereut er es, Ihnen ein Ultimatum gestellt zu haben. Er wünscht sich, dass Sie wieder zurück nach Hause kommen. Das Geld hat er mir nur gegeben, um damit zusätzliche Kosten zu begleichen, die ich eventuell dabei auf mich nehmen muss“, erklärte er. Den großzügigen Vorschuss, den der Earl ihm gewährt hatte, oder die Möglichkeit auf eine Farm brauchte er nicht zu erwähnen. Schließlich beeinflussten sie nicht die Wahrheit seiner Aussage.

„Ich verstehe“, sagte Julia und senkte ihre langen Wimpern. Ihre Wangen hatten eine rosige Farbe angenommen und sie spielte nervös mit der Serviette.

Was sie wohl gerade dachte? Würde sie ihrem Onkel sein barsches Benehmen vergeben und mit nach England kommen? Vielleicht hätte Quinn seine Lordschaft besser um einen Brief gebeten, in dem er Julia selbst um ihre Rückkehr bat. Womöglich wäre sie dann eher dazu geneigt gewesen, seinen Worten zu glauben.

In der anhaltenden Stille nahm Quinn sich einen Moment, um Julia etwas genauer zu betrachten. Wenigstens sah sie heute ein wenig erholter aus und die dunklen Augenringe waren ein bisschen unauffälliger geworden. Sie hatte das Kopftuch abgelegt und ihre blonden Locken, an die Quinn sich noch so gut erinnerte, zu einem strengen Dutt oberhalb des Nackens zusammengebunden.

Nun hob Julia den Blick wieder und legte die Stirn in Falten. „Hatten Sie schon Glück auf der Suche nach Ihren Geschwistern?“

„Noch nicht“, erwiderte er und griff nach dem Wasserglas vor sich. „Das Ganze hat sich als komplizierter herausgestellt, als ich dachte.“

„Wie kommt es, dass sie so weit weg sind von ihrem Zuhause?“

„Das ist eine lange, sehr traurige Geschichte. Eine, mit der ich Sie nicht belästigen möchte“, sagte er und versuchte, ein Lächeln aufzusetzen.

Sie erwiderte es allerdings nicht, ihr Blick blieb ernst.

Quinn war froh, dass in diesem Moment die Bedienung mit zwei metallenen Teekannen und einem Teller Gebäck an ihren Tisch trat. Zuerst goss sich Julia einen Schluck Milch in die Tasse und dann den heißen Tee.

Quinn gab einen Löffel Zucker in seine Tasse und suchte nach einer Möglichkeit, die Unterhaltung wieder zurück nach England zu bringen. Nur wie?

Während Julia einen Schluck trank, beobachtete sie ihn über den Rand ihrer Tasse hinweg. „Ehrlich gesagt würde ich die Geschichte sehr gern hören, wenn es Ihnen nichts ausmacht.“

Er zögerte. Eigentlich hatte er ein größeres Interesse daran, zu erfahren, was sie in eine derlei elende Situation geführt hatte. Aber vielleicht gewann er ihr Vertrauen, indem er ihr von sich erzählte.

„Als ich fünfzehn war, ist mein Vater gestorben“, begann er schließlich. „Und da ich der älteste Sohn war, habe ich den Gedanken an die Universität aufgegeben und mir eine Stelle gesucht, um meine Familie zu unterstützen. In der ersten Zeit habe ich viele Gelegenheitsarbeiten angenommen, bis ich das Glück hatte, im Stadthaus Ihres Onkels als Diener angestellt zu werden.“

„Das war noch, bevor ich nach Brentwood kam, nehme ich an“, erwiderte sie und nahm sich einen der Kekse.

„Genau. Als Sie kamen, habe ich bereits über ein Jahr dort gearbeitet und wir sind auf sein Anwesen in Derbyshire gezogen. Etwa zu dieser Zeit hat der Earl mich zu seinem Kammerdiener gemacht, was ich als eine Ehre und ein großes Privileg erachte. Ich bewundere Lord Brentwood, wissen Sie? Er war immer sehr zuvorkommend mir gegenüber.“

Julias Blick blieb auf den Tisch vor ihr gerichtet und sie spielte mit dem Löffel in ihrer Hand. „Ja, auch wenn er manchmal recht hochnäsig sein kann, ist er letztlich ein guter Mann“, stimmte sie ihm zu, wenn auch ein wenig widerwillig. „Ich wünschte nur, er … Ich wünschte nur, wir wären nicht im Streit auseinandergegangen“, sagte sie und sah zu Quinn auf. „Aber zurück zu Ihrer Geschichte. Wo haben Ihre Mutter und Geschwister gelebt, während Sie für meinen Onkel gearbeitet haben?“

„In einer kleinen Wohnung in London. Meine Mutter erledigte Näharbeiten und putzte, doch der größte Teil ihres Geldes kam von mir“, sagte er und holte tief Luft. „Bevor wir nach Brentwood Manor gezogen sind, habe ich sie an meinen freien Tagen immer besucht. Aber dann wurde der Weg zu weit, um nur einen Nachmittag pro Monat dort zu verbringen.“

Mit einem lauten Klirren stellte Julia die Tasse ab. „Nur so selten haben Sie freibekommen?“

Quinn zuckte mit den Schultern. „Es hat mir nichts ausgemacht. Bis auf die Tatsache, dass ich meine Familie nicht sehen konnte. Aber dann begann der Krieg und es kam ohnehin alles anders.“

Julias Gesicht verdunkelte sich. „Haben Sie sich gleich zu Beginn freiwillig gemeldet?“

„So ziemlich, genau wie alle jungen Männer. Und der Earl war so großzügig, meiner Mutter jeden Monat einen kleinen Betrag zu senden, zusätzlich zu dem beschränkten Lohn, den ich als Soldat bekommen habe.“

„Das war nett von ihm“, stimmte sie mit einem Nicken zu. „Ich nehme an, Sie waren bereits an die Front aufgebrochen, als ich Brentwood verlassen habe, um mich nützlich zu machen – ganz zum Groll meines Onkels. Er hat nichts davon gehalten, dass ich mich um die verwundeten Männer gekümmert habe. Es ist ihm niemals in den Sinn gekommen, dass ich mich dadurch endlich gebraucht gefühlt habe.“

„Ja, ich glaube mich zu erinnern. Als ich während eines Heimaturlaubs dort war, hat seine Lordschaft seine Meinung dazu kundgetan“, erwiderte er und biss in eins der Gebäckstücke.

„Ah, ja. Ich nehme an, als sein Kammerdiener haben Sie so manche Beschwerde über mein Verhalten gehört“, sagte Julia und zog dabei die Augenbrauen arrogant in die Höhe, was Quinn sogleich an ihre temperamentvolle Art als Mädchen erinnerte.

„Ein guter Kammerdiener offenbart niemals die privaten Gespräche seines Masters.“

Julia hob wieder ihre Tasse an die Lippen, als wollte sie damit ein Lächeln verbergen. „Ich bin sicher, ohne die Tiraden meines Onkels wäre Ihnen meine Abwesenheit niemals aufgefallen.“

„Ganz im Gegenteil! Ich habe Ihre Abwesenheit durchaus bemerkt.“ Kaum hatte er die Worte ausgesprochen, wurde es Quinn ganz heiß zumute. Warum hatte er das nur gesagt?

Julias Brauen hoben sich erstaunt. „Das haben Sie?“

„Nun, ja. Ohne Sie war es in Brentwood Manor längst nicht mehr so heiter.“

„Wie nett von Ihnen“, erwiderte sie und ihre Gesichtszüge wurden weicher. „Als ich Sie das erste Mal im Krankenhaus wiedergesehen habe, konnte ich Sie nicht direkt einordnen, aber Ihre Stimme habe ich wiedererkannt“, sagte Julia. „Ich erinnere mich an Sie in Brentwood. Ich weiß noch, wie oft ich meinen Onkel glücklich geschätzt habe, in Ihnen solch einen loyalen Bediensteten zu haben. Sie waren immer so unerschütterlich … Sie haben sich von nichts aus der Ruhe bringen lassen.“

Julias Worte entlockten Quinn ein leises Lachen. „Unerschütterlich. Nun, ich nehme an, es gibt schlechtere Eigenschaften, mit denen man assoziiert werden kann.“

Auch Julia kicherte nun und ihre Wangen überzog erneut ein zartes Rosa.

Einen Moment lang sah Quinn in ihre warmen braunen Augen, bis sie den Blick von ihm abwandte. Er rief sich innerlich zur Ordnung. Hatte er etwa den Verstand verloren, auf diese Weise mit Julia zu kokettieren? Er hatte kein Recht, sich so vor der Nichte von Lord Brentwood zu verhalten.

Während die Bedienung neues heißes Wasser für den Tee brachte und Julia sich noch eine Tasse einschenkte, bemühte sich Quinn, seine Gefühle in den Griff zu bekommen. Er musste einen klaren Kopf bewahren, die Kontrolle behalten. Und vor allem musste er die Konversation wieder auf sie lenken.

„Was ist mit Ihrer Familie geschehen, als Sie im Krieg waren?“, fragte Julia, bevor Quinn etwas sagen konnte.

Zögernd schob er seinen Teller von sich, der Appetit war ihm vergangen. Allein über diese Zeit nachzudenken, drehte ihm schon den Magen um. „Als ich vom Kriegsdienst zurückgekehrt bin, musste ich leider feststellen, dass ihre alte Wohnung inzwischen an jemand anderen vermietet wurde. Und meine Mutter habe ich in einem Armenhaus in London wiedergefunden.“ Kurz hielt er inne und trank einen Schluck, um die Bitterkeit von seiner Zunge herunterzuspülen.

„Wie schrecklich. Und die Kinder, waren sie auch bei ihr?“

„Nein. Wie sich herausgestellt hat, hat meine Mutter sie in ein Waisenhaus gegeben, um ihnen dieses Schicksal zu ersparen. Es sollte nur vorübergehend sein, bis sie eine Arbeit und ein angemessenes Zuhause gefunden hat, doch so weit ist es nie gekommen.“ Frustriert atmete Quinn aus. „Wenn sie mir bloß mitgeteilt hätte, wie schlecht es um sie stand, dann hätte ich irgendwie dafür gesorgt, dass sie genug Geld gehabt hätten.“

Einfühlsam legte Julia eine Hand auf seinen Arm. „Sie haben alles getan, was Sie tun konnten.“

Während Quinn ihr ernstes Gesicht betrachtete, sehnte er sich danach, ihr glauben zu können. Doch der Tee, gepaart mit dem ständigen Gefühl von Schuld, rumorte in seinem Magen.

„Und wie sind Ihre Geschwister nach Kanada gekommen?“

„Das Dr.-Barnardo-Waisenheim ist bekannt dafür, eine große Zahl Waisen nach Kanada zu schicken – angeblich, um ihnen die Chance auf ein besseres Leben zu ermöglichen, bei einer anderen Familie, wo sie als Arbeiter auf einer Farm mithelfen. Theoretisch klingt das nach einem noblen Gedanken, doch ich bin mir sicher, dass meine Mutter nichts davon gewusst hat.“

„Das ist ja fürchterlich. Kein Wunder, dass Sie so bemüht sind, Ihre Geschwister wiederzufinden.“

„Genau“, stimmte Quinn zu und versuchte, das Unbehagen, das diese Erinnerungen stets in ihm wachriefen, beiseitezuschieben. „Aber was ist mit Ihnen? Ich nehme an, dass Sie nach dem Tod von Private McIntyre plötzlich ohne Arbeit dastanden.“

Sie nickte, aber nun verhärteten sich auch Julias Gesichtszüge. „Ohne Arbeit und ohne Unterkunft“, sagte sie und stellte die Teetasse ab. „Vor dem Krieg hatte Sam das Haus seiner Eltern geerbt. Aber nach seinem Tod ging der Besitz an einen Cousin von ihm über, der nur einen kleinen Teil der Bediensteten übernahm.“ Ihre Augen zuckten. „Leider hat er mir sehr deutlich gemacht, dass er keinen Bedarf für mich hat, und mich aufgefordert, das Haus sofort zu verlassen.“

Nur mit großer Mühe gelang es Quinn, seine Wut zu verbergen. Wie gefühllos konnte ein Mann sein, um eine alleinstehende Frau ohne eine andere Unterkunft einfach auf die Straße zu setzen?

„Natürlich war ich zunächst sehr verzweifelt. Aber Dr. Clayborne war so freundlich, mir die Arbeit im Krankenhaus zu vermitteln. Allerdings nur halbtags. Deshalb sind die meisten Vermieter nicht gewillt, mir ein Zimmer anzubieten – mein Einkommen ist zu unsicher“, sagte sie und senkte den Blick. „Und so bin ich in diesem gruseligen Loch gelandet.“

Quinn gab ein mitfühlendes Seufzen von sich und legte sich sorgfältig die nächsten Worte zurecht. „Haben Sie jemals darüber nachgedacht, zurück nach England zu gehen?“

Als sie den Blick wieder hob, standen ihr die Tränen in den Augen. „Selbst wenn ich das Geld für eine Passage hätte, weiß ich, dass ich bei meinem Onkel nicht willkommen wäre.“

„Ich weiß, dass Sie im Streit auseinandergegangen sind. Und doch bin ich mir sicher, dass Ihr Onkel Ihnen aus allen Schwierigkeiten herausgeholfen hätte – ganz gleich, wie wütend er einmal auf Sie war.“

„Vielleicht. Aber selbst wenn – ich war zu stolz, um mir einzugestehen, dass er recht hatte“, sagte sie mit einem Seufzen. „Den Gedanken, als Versagerin zurückzukommen, habe ich nicht ertragen. Und ganz sicher hätte ich ihn nicht angebettelt. Also habe ich entschieden zu arbeiten, um mir eine bessere Unterkunft oder eine Rückfahrt leisten zu können.“

Da hob Quinn eine Augenbraue. „Und, wie läuft Ihr Plan?“

„Eher schlecht“, sagte sie und ihre Lippen zuckten. „Wie es scheint, bin ich nicht gut darin, mein Geld zu verwalten. Obwohl es natürlich auch schwer ist, etwas zu verwalten, das man gar nicht hat.“

Noch ein Grund mehr für sie, das Angebot des Earls anzunehmen.

Wild und aufgeregt pochte Quinns Herz. Dann lehnte er sich vor. „Julia. Ihr Onkel hat mir genug Geld mitgegeben, um für die Kosten für Ihre Rückfahrt aufzukommen. Würden Sie bitte darüber nachdenken, mit mir nach England zurückzufahren? Bis ich meine Geschwister gefunden habe, könnten Sie weiterhin bei Mrs Chamberlain wohnen. Und dann könnten wir alle gemeinsam zurückreisen.“ Nur zu gut konnte er es sich vor seinem inneren Auge vorstellen. Wie sie als kleine Reisegruppe auf dem Deck des Schiffs saßen, gemeinsam lachten und sich Geschichten erzählten. Er käme als Held nach England zurück und brächte die verlorene Tochter nach Hause zu ihrer liebenden Familie. Julia wäre in Sicherheit und Quinn bekäme seine Belohnung.

Mit der Serviette tupfte sich Julia die Lippen und legte sie wieder ab. „Ich weiß, dass Sie es nur gut meinen, Quinn, aber das muss ich aus eigener Kraft schaffen. Als Onkel Howard mich enterbt hat, hat er mich damit sehr verletzt. Und ich weiß nicht, ob ich ihm das so einfach vergeben kann“, erklärte sie und blickte zu ihm hoch. „Falls und wenn ja, liegt die Entscheidung, wann ich zurückreise, allein bei mir. Das ist eine Frage von Unabhängigkeit und Stolz. Aber das verstehen Sie sicher.“

Mit diesen Worten nahm sie Quinn schlagartig den Wind aus den Segeln und sein Traum löste sich in Luft auf. Ahnungslos blinzelte er sie an. Ihm fiel nichts mehr ein, womit er Julia hätte umstimmen können.

„Falls es mir aber gelingen sollte, genug Geld zusammenzusparen, bis Sie Kanada verlassen, fahre ich gern mit Ihnen zurück“, schob sie nach und schenkte Quinn ein strahlendes Lächeln, dass es ihm schier die Sprache verschlug.

Wärme breitete sich in seiner Brust aus und ihm wurde plötzlich klar, dass er jeden Drachen besiegen und jedes Hindernis aus dem Weg räumen würde, um Julia in Sicherheit zu wissen, bevor er Kanada verließ. Denn trotz allem konnte Quinn nicht anders, als Julia für den Mut und die Entschlossenheit zu bewundern, mit der sie versuchte, ihren Weg zu gehen. Natürlich verstand er sie, denn schon seit Jahren versuchte er genau das Gleiche.

Er nickte. „Also gut, abgemacht. Ich nehme Sie beim Wort.“

Hitze stieg in ihre Wangen, doch sie lachte. „Gut, so machen wir’s.“


Mit etwas Geld aus seiner Geldbörse zahlte Quinn für die beiden. „Darf ich Sie noch bis zur Pension begleiten?“

Seine Frage ließ Julias gute Stimmung augenblicklich dahinschwinden. Sie war von der Konversation mit Quinn so gebannt gewesen, dass sie ihr Hauptproblem völlig aus den Augen verloren hatte: sich nach einer anderen Pension umzusehen! „Ich muss unbedingt einen anderen Ort finden, an dem ich unterkommen kann. Die Miete in Mrs Chamberlains Pension kann ich mir auf keinen Fall leisten“, sagte sie entschieden, nahm die Handtasche vom Stuhl und stand auf.

„Und was, wenn ich Ihnen nun erzählen würde“, begann Quinn vorsichtig und ein bisschen zögerlich, „dass die Miete für den nächsten Monat bereits bezahlt ist?“

Ungläubig blieb Julia stehen und starrte ihn an. „Was meinen Sie damit?“

Mit einem verschämten Lächeln zuckte er die Achseln.

Als sie schließlich verstand, stieg Ärger in ihr auf, doch sie kam nicht dazu, ihm eine Standpauke zu halten. Sanft berührte Quinn sie am Ellbogen und beugte sich zu ihr hinunter. „Am besten wir reden auf dem Weg darüber, in Ordnung?“ Damit öffnete er die Tür des Cafés und wartete, dass sie hinaustrat.

Da Julia keine Szene machen wollte, schritt sie wortlos hinaus auf den Bürgersteig. Insgeheim war sie sich aber sicher, dass vor lauter Wut kleine Rauchwolken aus ihren Ohren aufstiegen. „Quinten Aspinall – Sie hatten absolut kein Recht, sich so in mein Leben einzumischen. Entweder ich komme selbst für meinen Unterhalt auf oder ich schlafe eben auf der Straße.“

Ihre Empörung verstärkte sich, als sie sich zu ihm umblickte und den Anflug eines Lächelns auf seinen Lippen sah. „Lachen Sie mich etwa aus?“

„Niemals“, erwiderte er eilig, doch sein Grinsen war so breit, dass es im Widerspruch zu seinen Worten stand. „Es tut mir leid. Es ist nur … Sie sehen hinreißend aus, wenn Sie sich ärgern.“

„Hmpf.“ Julia hob den Kopf und ging weiter. Dabei musste sie sich aber bemühen, nicht auch selbst zu lächeln.

Gleich darauf schloss Quinn wieder zu ihr auf. „Bitte, sagen Sie mir, dass Sie nicht ernsthaft darüber nachdenken, auf der Straße zu schlafen. Alles wäre besser als das.“

„Nicht alles. Glauben Sie mir“, erwiderte sie, als vor ihrem inneren Auge Bilder des lüsternen Mr Ketchum aufstiegen, und sie erschauderte. Lieber nahm sie in Kauf, dass im Schlaf Ratten über sie hinwegkrochen, als in seine Art von Bezahlung einzuwilligen.

„Stimmt. Aber betrachten wir das Ganze doch einmal aus einer anderen Perspektive. Welcher Art von Arbeit würden Sie gerne nachgehen, Julia?“

Sie dachte kurz nach und blieb dann an der nächsten Ecke stehen. „Ich würde gern in der Krankenpflege arbeiten. Oder etwas anderes, das Menschen in Not hilft.“

Das laute Klingeln einer vorbeifahrenden Straßenbahn warnte sie, aus dem Weg zu bleiben. Sobald die Straße wieder frei war, überquerten sie sie. Quinn hielt Julia dabei am Unterarm – eine sehr galante Geste, die Julia nicht nur fürsorglich fand, sondern ihr sogar recht gut gefiel.

„Nachdem ich gesehen habe, wie Sam gelitten hat“, erklärte sie, „wollte ich eine Möglichkeit finden, anderen Männern wie ihm zu helfen. Dr. Clayborne sagt, dass die Selbstmordrate unter Soldaten ausgesprochen hoch ist – ihre körperlichen Wunden können gut behandelt werden, aber für die meisten ihrer seelischen Verletzungen gibt es nur wenig bis gar keine Behandlungsmöglichkeiten.“

„Das ist eine sehr ehrenwerte, wenn auch herausfordernde Lebensaufgabe. Aber ich nehme an, dafür bedarf es einer besonderen Ausbildung?“

„Ja. Und sowohl für die Arbeit als Krankenpflegerin als auch für die als Sozialarbeiterin müsste ich Kurse am College belegen. Und das ist auch schon das nächste Problem, da ich auch dafür kein Geld habe.“ Die Ausweglosigkeit ihrer Situation begann an Julia zu nagen. Ganz gleich, in welche Richtung sie ging, alle Wege endeten in einer Sackgasse.

„Sprechen wir mit Mrs C darüber. Vielleicht hat ja jemand aus der Gruppe für Neuankömmlinge eine Lösung für Sie. Oder zumindest eine Idee für eine besser bezahlte Arbeitsstelle.“

Als sie erneut vor einer Kreuzung stehen blieben und warteten, bis die Straße frei war, betrachtete Julia Quinns Profil. Sein Kinn und Unterkiefer sahen vornehm aus und seine Stirn war hoch, beinahe aristokratisch. Ehrlich gesagt wirkte Quinn weitaus mehr wie jemand von hohem Stand als sie selbst. „Darf ich fragen, warum Sie so besorgt um mich sind, wo Sie doch eigentlich genug eigene Schwierigkeiten haben mit der Suche nach Ihren Geschwistern?“

Quinn wandte sich ihr zu und sein durchdringender Blick ließ Julias Puls plötzlich in ungewohnte Höhen schnellen.

„Was für ein Mann wäre ich, wenn ich Sie der Gnade dieses schrecklichen Vermieters überlassen hätte? Sobald Sie bei Mrs Chamberlain in Sicherheit sind und ich weiß, dass Pastor Burke Sie bei der Suche nach Arbeit unterstützen wird, kann ich mich wieder auf meine eigenen Angelegenheiten konzentrieren.“

Julia bemühte sich, den Kloß in ihrer Kehle hinunterzuschlucken.

In der Tat, was für ein Mann?

„Ich denke, dass Sie ein echter Gentleman sind. Und ich danke Ihnen für Ihre Hilfe.“

Ihre Worte waren sanft und sie sah, dass sich nun auch Quinns Wangen rötlich färbten. „Es freut mich, Ihnen behilflich sein zu können.“

„Ihre Freundlichkeit werde ich niemals vergessen – und ich verspreche Ihnen, den Gefallen eines Tages zu erwidern!“, sagte Julia mit zittriger Stimme. Abgesehen von Dr. Clayborne hatte sich seit Sams Tod niemand um sie gesorgt. Außer vielleicht Richard Hawkins, der Hausarzt von Sams Familie … Der Gedanke an ihn ließ sie jedoch erzittern und schnell schob sie die Erinnerung wieder von sich. Es brachte nichts, sich erneut dafür zu schämen, wie leicht es ihm gelungen war, Julia hinters Licht zu führen.

Ihr Instinkt sagte ihr außerdem, dass Quinn nichts mit dem trügerischen Dr. Hawkins gemein hatte. Quinn war ein demütiger Mensch, ein Bediensteter ihres Onkels, der Julia mit mehr Respekt und Rücksicht behandelte als jeder andere in der letzten Zeit.

Er lächelte sie erneut an und zwinkerte. „Vorsicht, auch hier werde ich Sie gern beim Wort nehmen, Miss Holloway!“

Ein neuer Anfang für die Liebe

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