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Prolog DERBYSHIRE, ENGLAND IM FRÜHLING 1919

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Im Arbeitszimmer des Earls von Brentwood wartete Quinten Aspinall auf das Eintreffen seines Arbeitgebers. Mit etwas Glück war dieser nach seinem vormittäglichen Ausritt über das Anwesen frohen Mutes und empfänglich für Quinns Anliegen.

Quinns feuchte Hände zeugten von der Aufregung, die er nur schwer unterdrücken konnte. Er sehnte sich nach Ruhe. Nach einer inneren Ruhe, die sich in letzter Zeit nicht mehr einstellen wollte. Hätte Lord Brentwood Verständnis für sein Vorhaben und würde er Quinns Bitte nachkommen? Oder hielt er es unter diesen Umständen für notwendig, Quinns Anstellung in Brentwood Manor aufzuheben?

Quinn holte tief Luft und bemühte sich, sich die segensreichen Seiten des Lebens ins Gedächtnis zu rufen, nicht die herausfordernden. Der Krieg war vorüber. Und er hatte ihn überlebt – das war viel wert! Doch dieser Segen verblasste neben dem Schicksal seiner Familie.

Wieder dachte Quinn an Becky, Cecil und den kleinen Harry. Herr, bitte bewahre sie – wo auch immer sie gerade stecken.

Das simple Gebet untermauerte seine Hingabe, mit der er sich dem Vorhaben verschrieb. Er würde tun, was immer notwendig wäre, um seine Familie zu finden und wieder nach Hause zu bringen.

Quinn hatte sich gerade erst von einigen Kriegsverletzungen erholt; niemals hätte er gedacht, dass er so bald um eine Freistellung für eine Reise nach Übersee bitten würde. Aber er hätte auch nie gedacht, dass Mutter die drei jüngeren Geschwister in ein Kinderheim geben würde oder dass dieses Kinderheim sie in ein anderes Land verschiffen würde.

Mit einem Knarzen öffnete sich die Tür und Lord Brentwood betrat das Zimmer.

Sogleich straffte Quinn die Schultern und verschränkte, wie es sich für einen Diener gehörte, die Hände hinter dem Rücken.

„Mr Aspinall! Davis hat mich darüber informiert, dass Sie hier sind. Endlich sind Sie aus diesem verfluchten Krieg zurückgekehrt, wie ich sehe.“ Die Ausgelassenheit, die Lord Brentwoods gerötetes Gesicht bezeugte, spiegelte sich auch in seinem Tonfall wider. Schwungvoll legte er die Reithandschuhe auf dem Schreibtisch ab. „Es ist gut, Sie wiederzusehen. Wie geht es Ihnen?“

Quinn schüttelte die Hand seines Arbeitgebers und spürte wieder die alte Zuneigung für ihn. Ehrlich gesagt hatte Quinn diesen Ort und seinen Posten als Kammerdiener des Earls vermisst. „Mit großer Freude darf ich Ihnen berichten, dass ich wieder vollkommen genesen bin.“

„Hervorragend“, entgegnete seine Lordschaft und ging zur Anrichte, wo er seinen Lieblingsalkohol aufbewahrte. „Heißt das, Sie sind gekommen, um Ihren alten Posten zurückzuerbitten?“

Nun zögerte Quinn, da er wusste, dass seine Antwort die fröhliche Stimmung kippen würde. „Ja und nein, mein Lord.“

Die Hand des Earls hielt am kristallenen Dekanter inne. „Das klingt mysteriös. Würden Sie das bitte ausführen?“, bat der Earl und füllte sich einen großen Schluck Brandy in einen Weinbrandschwenker. Den trug er zu dem opulenten Schreibtisch aus Kirschholz, wo er für gewöhnlich die Nachmittage verbrachte und der Verwaltung des Anwesens nachging.

„Es ist durchaus mein Wunsch, meinen alten Posten wieder einzunehmen, jedoch nicht sofort“, sagte Quinn und schluckte. „Zuerst würde ich Sie gern um eine kurze Freistellung vom Dienst bitten.“

Der Earl runzelte die Stirn. „Hat Ihre Bitte etwas mit Ihrer Familie zu tun?“

„Ganz recht.“ Natürlich dachte seine Lordschaft sich das bereits, da Quinn ihm deutlich gemacht hatte, wie viel seine Familie ihm bedeutete. „Ich muss nach Kanada reisen.“

Auf halbem Weg zum Mund blieb das Glas noch einmal stehen und ein neugieriges Leuchten erfüllte die Augen des Earls. „Nach Kanada? Wozu?“

Erinnerungen an seinen Besuch in Dr.-Barnardo-Kinderheim kamen in Quinn hoch und drohten ihn zu überwältigen. „Nach meiner Rückkehr nach London habe ich meine Mutter besucht“, begann er und schluckte. „Sie lebt nun in einem Armenhaus und meine Geschwister sollten in einem Kinderheim sein.“

„Das tut mir leid“, erwiderte der Earl mit gefurchter Stirn.

„Anschließend habe ich das Kinderheim aufgesucht, nur um zu erfahren, dass man meine Geschwister als vertraglich verpflichtete Arbeiter nach Kanada geschickt hat. Ohne das Einverständnis meiner Mutter.“ Je unruhiger er wurde, desto mehr wünschte sich Quinn, dass er neben den Flammen im Feuer stünde, um sich an ihnen zu wärmen. Seit der Zeit im Schützengraben kam er nicht umhin, sich von einem Gefühl von Klammheit geplagt zu fühlen. „Unglücklicherweise geht es meiner Mutter gesundheitlich sehr schlecht. Ich fürchte, sie wird den Sommer nicht überleben.“

Das Bild seiner ausgezehrten Mutter hatte ihn die gesamten vier Jahre im Krieg verfolgt. Doch niemals hatte er sich vorgestellt, dass er sie noch abgemagerter vorfinden könnte als bei seinem Abschied. Als er sie jedoch bettlägerig im Krankenzimmer eines Armenhauses wiederfand, wusste er, dass es an der Zeit war zu handeln. Quinn nahm an, dass ein großer Teil ihrer Trägheit auf Schuldgefühle zurückging. Als verdiente sie es zu sterben, dafür, dass sie ihre Kinder verlassen hatte. Wenn Quinn aber Becky, Cecil und Harry wiederfinden und zu ihr nach Hause bringen würde, hätte sie wieder einen Grund, zu Kräften zu kommen. Unmöglich konnte der zu frühe Tod ihres Mannes sie zu so einem erbärmlichen Leben verdammen.

Der Himmel wusste, wie sehr Quinn sich über die Jahre bemüht hatte, seine Mutter zu unterstützen. Beinahe jeden Schilling seines Lohns hatte er nach Hause geschickt, um für seine Familie zu sorgen. Herauszufinden, dass alles umsonst gewesen war, war entsetzlich qualvoll gewesen.

„Also bitten Sie nun um eine Freistellung, um sich auf die Suche nach Ihren Geschwistern zu machen?“

„Genau, mein Lord.“

„Und was, wenn ich Ihre Bitte verweigere?“

Mit Mühe widerstand Quinn dem Drang, dem Blick des Earls auszuweichen. „Dann muss ich mich respektvoll von meiner Position bei Ihnen verabschieden. Auch wenn ich diesen Schritt nur ungern gehen würde.“

„Das würde auch ich nur ungern sehen“, sagte Lord Brentwood, der sich auf dem Stuhl wandte und sich dann zu Quinn vorbeugte. „Wo nach Kanada werden Sie reisen?“

„Den genauen Ort kenne ich leider nicht. Das Schiff fährt nach Halifax, Nova Scotia. Von dort aus werde ich dahin weiterreisen, wohin man meine Geschwister geschickt hat. Doch diese Informationen habe ich noch nicht.“ Um gegen die zunehmende Wut anzukämpfen, ballte Quinn seine Hände zu Fäusten. Noch immer konnte er es nicht fassen, dass das Kinderheim ihm nichts weiter mitgeteilt hatte als den Namen des Schiffs, mit dem seine Geschwister nach Kanada übergesetzt waren – und ihr erstes Ziel: Halifax.

Dann steckte Quinn eine Hand in die Hosentasche, bis die Finger den vertrauten Eisenschlüssel berührten, den er überallhin mitführte. Es war das Letzte, was sein Vater ihm vor seinem Tod gegeben hatte – der Schlüssel zu ihrem Haus in London. Und indem sein Vater ihm diesen überreicht hatte, hatte er ihn faktisch zum Mann des Hauses ernannt. Das kühle Metall erinnerte Quinn an das Versprechen, das er seinem Vater daraufhin gegeben hatte, und verlieh ihm den Mut fortzufahren. „Wenn ich Sie damit um zu viel bitte, werde ich Ihre Entscheidung natürlich respektieren, Sir. Aber die Reise muss ich unternehmen. Ich werde nicht zur Ruhe kommen, bis ich meine Familie wieder vereint habe.“

Der Earl nickte. „Das ist ein Gefühl, das ich gut nachvollziehen kann.“ Ein Schatten glitt über die Gesichtszüge des Mannes und einen Moment lang schien sein Blick eingenommen von Pein.

Zu Quinns Schande fiel ihm in diesem Moment auf, dass er sich noch gar nicht nach der Familie des Earls erkundigt hatte und wie es ihnen ergangen war, seit Quinn in den Krieg gezogen war. „Ich hoffe, Lady Brentwood und Lady Amelia sind wohlauf?“

„Das sind sie. Vielen Dank der Nachfrage.“ Kurz hielt er inne. „Was meine Nichte anbetrifft, sieht es allerdings anders aus.“

„Miss Julia?“, fragte Quinn nach und bei der Erinnerung an das lebhafte Mädchen sog er stark die Luft ein. Mit dreizehn Jahren war sie nach dem plötzlichen Tod ihrer Eltern zum Earl und seiner Familie gezogen. Nach einer angemessenen Zeit der Trauer und der Umgewöhnung an das neue Zuhause hatte Julia schließlich Halt in der Freundschaft zu ihrer Cousine Amelia gefunden. Oftmals war in Brentwood Manor das laute mädchenhafte Gelächter zu hören gewesen. „Ich hoffe sehr, dass ihr nichts Schlimmes zugestoßen ist.“

„Es ist nicht, was Sie vielleicht denken. Aber es ist schlimm genug“, sagte der Earl und stand auf. „Julia hat darauf bestanden, sich während des Krieges nützlich zu machen – gegen meinen Wunsch, möchte ich hinzufügen. Also hat sie Brentwood verlassen, um die Ärzte bei den verwundeten Soldaten zu unterstützen. Keine Aufgabe, der eine junge Dame nachkommen sollte.“

„Da ich selbst ein verwundeter Soldat war, halte ich es für einen sehr noblen Dienst. Jede Hilfe, die mir zuteilwurde, habe ich sehr geschätzt.“

Der Earl warf ihm einen ungehaltenen Blick zu.

Und Quinn hätte sich am liebsten auf die Zunge gebissen. Er musste sich wieder daran gewöhnen, seine Meinung für sich zu behalten, wenn nicht explizit danach gefragt wurde.

„Ich hatte es schon im Gefühl, dass das nicht gut ausgehen würde“, fuhr der Earl fort und hob das Kinn auf eine Weise nach vorn, die nur eines bedeuten konnte: Missfallen. „Kurz vor Kriegsende ist sie mit einem kanadischen Soldaten durchgebrannt.“

„Oh. Wie … bedauernswert.“ Weshalb überkam Quinn nun eine Welle der Enttäuschung? Es war nicht so, als hätte er jemals die Zuneigung dieses Mädchens erlangen können. Niemals hätte sie sich auch nur nach einem Bediensteten umgesehen, es sei denn, sie hatte einen Wunsch.

„Ich glaube, Ihre Reise nach Kanada kommt mir gerade gelegen“, fuhr der Earl fort und legte mit einem nachdenklichen Blick einen Arm auf die Stuhllehne. „Während Sie dort sind, könnten Sie Julia ausfindig machen und sie nach Hause bringen.“

Mit einem Mal nahm Quinn Haltung an. „Wie bitte?“

„Julias Verschwinden hat meine Frau und Tochter sehr betrübt. Ich räume ein, dass ich dem Mädchen gegenüber sehr streng war, und leider sind wir nicht im Guten auseinandergegangen. Etwas, das ich sehr bedauere.“ Er seufzte. „Ich würde ja selbst nach ihr auf die Suche gehen, doch im Moment kann ich es mir nicht erlauben, so lange von Brentwood wegzubleiben. Infolge des Kriegs habe ich drei Pachtbauern verloren – zwei auf dem Schlachtfeld und einen an den Folgen einer Krankheit. Das muss ich schnellstmöglich in Ordnung bringen, sonst könnte die Zukunft von Brentwood in Gefahr sein.“ Seine Lordschaft trat auf das Feuer zu und die Flammen untermalten sein kräftiges Profil. „Und da Sie ohnehin nach Übersee reisen wollen, möchte ich von unserer Bekanntschaft profitieren und Sie um Ihre Hilfe bitten.“ Nach diesen Worten setzte sich der Earl wieder an den Schreibtisch und holte ein samtenes Säckchen aus einer der Schubladen hervor. „Natürlich werde ich für alle Ausgaben aufkommen, die Sie meinetwegen auf sich nehmen müssen.“

Quinns Gedanken rasten. Eigentlich konnte er es sich nicht erlauben, sich von seinem Hauptziel ablenken zu lassen, und doch wollte er seinen Arbeitgeber nicht vor den Kopf stoßen – nicht ohne guten Grund. „Wissen Sie, wo Miss Julia in Kanada lebt?“

„Der Mann, mit dem sie aufgebrochen ist, Private Samuel McIntyre, kommt aus Toronto. So viel konnte ich herausfinden. Das wäre also der beste Ort, um die Suche zu beginnen.“

Selbst mit Quinns begrenztem Wissen über Kanadas Geografie war ihm klar, dass Toronto ein ganzes Stück von Halifax entfernt lag. Andererseits war nicht auszuschließen, dass man seine Geschwister womöglich von dort aus in die Nähe von Toronto geschickt hatte. Denn das Dr.-Barnardo-Kinderheim führte auch Häuser in Toronto und viele der Kinder arbeiteten letztlich auf Farmen in der Provinz Ontario. Dennoch würde es ihn Zeit kosten und ihn von der Suche nach seinen Geschwistern abhalten, wenn er zudem nach der eigensinnigen Nichte des Earls Ausschau halten musste.

Dann kam Quinn ein unangenehmer Gedanke in den Sinn. „Wäre es möglich, dass Miss Julia den Mann inzwischen geheiratet hat? Ich kann sie wohl kaum ihrem Ehemann wegnehmen.“

„Ich glaube nicht, dass das der Fall ist“, sagte der Earl und seine Schultern sanken herab. „Amelia hat vor einigen Tagen zugegeben, dass sie einen Brief von Julia erhalten hat – mit einem Poststempel aus Toronto. Sie sagte, ihre Cousine klinge verzweifelt. Dass sie nach einem neuen Ort Ausschau halten müsse, wo sie leben könne, dass das Geld knapp sei und sie nicht wisse, was sie tun solle. Wenngleich Amelia es nicht wollte, habe ich mir den Brief dann selbst angesehen.“ Nun sanken auch die Augenbrauen des Earls nach unten. „Ich hasse den Gedanken, dass meine Nichte in Schwierigkeiten steckt. Sie soll wissen, dass sie jederzeit wieder nach Hause kommen kann – auch wenn sie zurzeit wahrscheinlich nicht diesen Eindruck hat.“ Er streckte den Rücken durch und glättete die Ärmel seiner Reitjacke. „Julia zu finden wird sicher keine einfache Aufgabe. Doch ich bin gewillt, Sie gebührlich dafür zu entlohnen, sollten Sie erfolgreich sein.“

Unverwandt sah Quinn seinen Arbeitgeber an. Seine imponierende Haltung und der berechnende Blick bezeugten, dass er durch und durch ein Mann von Ehre war. Damals, als Quinn in einer sehr verzweifelten Lage gesteckt hatte, hatte der Earl ihm eine Anstellung in seinem Haus gegeben und ihn über die Jahre vom einfachen Diener zum persönlichen Kammerdiener ernannt. Ehrlich gesagt verdankte Quinn dem Earl sehr viel. Wie sollte er da seine Bitte ablehnen? Abgesehen davon – wenn Julia tatsächlich in Bedrängnis war und Quinn ihr helfen konnte, dann musste er es zumindest versuchen. „Also gut, Ihre Lordschaft. Ich werde mein Bestes geben. Doch, selbst wenn ich Miss Julia ausfindig mache, kann es sein, dass sie nicht nach England zurückkehren möchte. Ich werde sie nicht gegen ihren Willen auf ein Schiff zwingen.“

„Ich verstehe“, erwiderte der Earl und schürzte die Lippen. „Vielleicht mag ein zusätzlicher Anreiz Sie anspornen, sich wirklich die größte Mühe zu geben, Julia zu überzeugen.“ Mit einem Leuchten in den Augen ging er ein paar Schritte auf Quinn zu. „Sollten Sie erfolgreich von diesem Unterfangen zurückkommen, belohne ich Sie mit einer meiner Pachtfarmen. Sie wird Ihnen gehören, voll und ganz.“

Ein heißes Kribbeln lief Quinn über die Wirbelsäule. Sein eigenes Stück Land? Ein Ort, an dem er seine Familie zusammenbringen und mit dem er das Versprechen erfüllen konnte, das er seinem Vater vor neun Jahren gegeben hatte? Wie sollte er so eine Chance – ganz gleich, wie gering sie war – ablehnen? Es war die Möglichkeit, sich und seiner Familie ein Heim zu schaffen.

Also straffte Quinn die Schultern und nickte. „Sie haben mein Wort, Sir. Ich werde alles in meiner Macht Stehende tun, um Ihre Nichte zurückzubringen.“

Ein neuer Anfang für die Liebe

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