Читать книгу Ein neuer Anfang für die Liebe - Susan Anne Mason - Страница 7

Kapitel 2

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Quinn stand vor einem Eisentor, das den Weg zu einem idyllischen Haus sicherte. Das Bauwerk war groß und schmal, hatte einen Erker auf einer Seite und eine Veranda, die um das Haus herum verlief. Ein sehr passendes Aussehen für eine Pension. Eine Freundin vom Schiff, Grace Abernathy, hatte Quinn diese Pension mit den Worten empfohlen, dass ihre Schwester sich hier sehr wohlgefühlt hatte und die Inhaberin eine freundliche alte Dame war. Quinn hoffte auf ein freies Zimmer bei Mrs Chamberlain, in dem er vorübergehend unterkommen konnte.

Für wie lange wusste er nicht. Ungewissheit war etwas, das ihn auf dieser Reise konstant begleitete. Niemals wusste er, was ihn hinter der nächsten Ecke erwartete. Wenigstens die Zugfahrt nach Toronto war ohne Zwischenfälle verlaufen und hatte ihm ermöglicht, die nächsten Schritte auf der Suche nach seinen Geschwistern zu planen, und auch wie er am besten vorging, um die vermisste Julia Holloway ausfindig zu machen.

Herr, du hast mich bereits hierhergebracht. Bitte hilf mir zu vertrauen, dass du mich auch weiterhin führen wirst.

Jetzt kam ein Mann um die Ecke des Hauses, Korb und Harke in der Hand. Die Mütze hatte er tief in die Stirn gezogen, deshalb war sein Gesicht nicht zu sehen, und doch kam er Quinn bekannt vor. Als der Mann schließlich den Kopf hob und Quinn sah, stellte er den Korb ab und grinste.

„Quinn, alter Junge. Du hier!“ Jonathan Rowe eilte zu ihm, öffnete das Tor und klopfte Quinn auf die Schulter. „Und ich dachte, du würdest noch etwas länger in Halifax bleiben.“

„Das dachte ich auch. Aber dann habe ich endlich herausgefunden, wo sich die Kinder aufhalten.“

Kinder. Eigentlich war das inzwischen nicht mehr das richtige Wort für seine Geschwister. Becky würde bald achtzehn, Cecil war sechzehn und Harry zwölf – aber für Quinn waren und blieben sie Kinder. Er musste schlucken, als er an den Tag zurückdachte, an dem er in das Herrenhaus des Earls gezogen war und er sie zuletzt gesehen hatte. Der Anblick ihrer Gesichter hatte seinem Herzen einen Stich versetzt. Das Geräusch ihres Weinens – er konnte sich nicht vorstellen, wie schrecklich ängstlich sie gewesen sein mussten, als man sie nur wenige Jahre später einfach auf einem Dampfschiff in ein anderes Land geschickt hatte. Auf sich allein gestellt, umgeben von Fremden!

Mit Mühe unterdrückte Quinn den Ärger, der nur knapp unter der Oberfläche brodelte und jedes Mal in ihm aufkam, wenn er darüber nachdachte. Aber weder Jonathan noch dessen heitere Begrüßung verdienten seinen Grimm oder seinen Unmut. Also setzte Quinn wieder ein Lächeln auf. „Es tut gut, dich wiederzusehen, Jon. Wie es scheint, sind du und Emmaline hier untergekommen. Ich hoffe nur, dass es auch noch ein Zimmer für mich gibt“, sagte Quinn und bemühte sich um einen möglichst unbeschwerten Ton.

Doch Jonathan erwiderte sein Lächeln nicht. Stattdessen erfüllte ein Ausdruck von Mitleid sein Gesicht. „Ich hasse es, der Überbringer schlechter Nachrichten zu sein, doch leider nimmt Mrs Chamberlain nur Frauen auf.“ Dann zeigte er mit dem Kopf in Richtung Hintergarten, woher er eben gekommen war. „Ich selbst habe eine Kammer oberhalb der Garage, aber auch nur, weil sie gerade übergangsweise auf der Suche nach einem Gärtner war.“

„Oh“, entgegnete Quinn, der seinen Optimismus so schnell verloren hatte, wie sich eine Wolke vor die Sonne schieben konnte. „Ich nehme auch nicht an, dass sie mir eine andere Pension empfehlen könnte?“

„Auf der College Street gibt es eine Herberge vom CVJM. Das wäre mein nächstes Ziel gewesen, wenn Mrs C mir nicht letztlich das Gärtnern angeboten hätte.“

„Und wie weit ist die College Street von hier entfernt?“, fragte Quinn, erschöpft bis auf die Knochen. Er fühlte sich, als wäre er ewig unterwegs gewesen. An das letzte warme Abendessen oder eine wirklich erholsame Nacht konnte er sich nicht mehr wirklich erinnern.

„Das weiß ich nicht. Aber komm hoch auf die Veranda, ich sehe mal nach, ob Mrs C hier irgendwo in der Nähe ist. Du siehst aus, als könntest du ein Glas kühle Limonade vertragen“, sagte Jonathan, während er das Tor weiter öffnete und Quinn auf das Anwesen winkte.

„Das wäre wirklich freundlich. Danke“, bedankte sich Quinn und folgte seinem Freund auf die wohnliche Veranda.

Jonathan zeigte auf einen der Korbstühle. „Setz dich doch. Ich bin gleich wieder zurück.“

Nur wenige Minuten später öffnete sich die Eingangstür des Hauses und eine mollige alte Dame eilte eifrig heraus, gefolgt von Jonathan, der ein Tablett mit Getränken trug.

„Guten Tag, junger Mann. Ich bin Harriet Chamberlain und Sie müssen Mr Aspinall sein. Jonathan und Emmaline haben in den höchsten Tönen von Ihnen gesprochen.“

Sogleich sprang Quinn auf. „Ja, Madam. Danke. Aber nennen Sie mich gern Quinten.“

Da funkelten ihre blassgrauen Augen. „Was für ein schöner englischer Name. Ich hatte mal einen Cousin, der so hieß.“

„Sie kommen auch aus England?“, erkundigte er sich, obwohl er es bei ihrem noch leicht vorhandenen Akzent auch hätte erahnen können.

„Ja. Als junges Mädchen bin ich nach Kanada gekommen, aber das ist schon einige Monde her.“ Kurz legte sich ein Schatten über ihr Gesicht, doch dann lächelte sie wieder. „Emmaline ist gerade außer Haus. Es wird ihr leidtun, Sie verpasst zu haben.“

Jonathan reichte Quinn ein Glas und die drei setzten sich.

„Wie ich gehört habe, nehmen Sie keine Männer auf“, sagte Quinn, nachdem er mit einem großen Schluck beinahe das halbe Getränk geleert hatte.

„Leider nein. Aber die CVJM-Herberge hat angemessene Preise. Und es ist ein Haus mit gutem Ruf. Es wird Ihnen dort gut gehen.“

„Danke. Ich müsste nur noch wissen, wie ich dorthin komme. Toronto ist wirklich eine große Stadt.“

„Die gefühlt täglich größer wird“, ergänzte Mrs Chamberlain mit einem Lachen. „Wie lange werden Sie hierbleiben?“

„Das kommt ganz darauf an, wie schnell ich meine Geschwister finde“, erwiderte Quinn und legte die Stirn in Falten, während sein Blick die von Bäumen gesäumte Straße entlangwanderte. „Ich muss eines von Dr.-Barnardos Kinderheimen ausfindig machen. Das auf der Peter Street.“ Natürlich kannte er die Adressen von dem kleinen Stück Papier inzwischen auswendig.

Mrs Chamberlain horchte auf, ihr Gesicht verlor an Farbe und auf ihrer Stirn erschienen Sorgenfalten. „Das ist ein Name, den ich schon sehr lange nicht mehr gehört habe.“

„Sie kennen den Ort?“

„O ja, durchaus.“ Ihr Mund formte eine schmale Linie, die Quinns leise Hoffnungen sogleich im Keim erstickte. „Die meisten Kinder werden dorthin geschickt, wenn sie vom Schiff kommen.“

Ein Unheil verkündendes Schaudern erfüllte Quinn. „Warum klingt das, als bedeutet es nichts Gutes?“

Da sah Mrs Chamberlain zu Quinn. „Das Haus an sich ist nicht das Problem. Den Kindern geht es dort gut. Problematisch wird es meist erst da, wo man sie als Nächstes hinvermittelt.“

„Warum?“, hakte Quinn nach und stellte sein nun leeres Glas auf dem Korbtisch neben sich ab.

„Die meisten Kinder werden an Farmen aus der Gegend vermittelt, um dort zu arbeiten. Das ist kein einfaches Leben. Und leider werden viele von ihnen noch schlechter behandelt als das Vieh in den Ställen.“

„Woher wissen Sie das alles?“

Mit starrem Blick sah sie nach vorn und einen Augenblick lang dachte Quinn, sie hätte seine Frage gar nicht wahrgenommen. Aber dann wandte sie sich wieder an ihn. „Vor vielen Jahren sind meine Schwester und ich mit ebenso einem Schiff zusammen mit vielen anderen Kindern nach Kanada gekommen. Uns zwei hat man in das Mädchenheim in Peterborough gebracht.“

Sogleich erstarrte Quinn auf dem Stuhl. „Dort wurde auch meine Schwester hingeschickt.“

Sanft legte Mrs Chamberlain eine Hand auf die von Quinn. „Ich bete, dass Ihre Schwester bessere Erfahrungen macht als Annie und ich“, sagte sie und Tränen traten in ihre Augen. „Ich habe es lebend herausgeschafft. Meine Schwester traurigerweise nicht.“ Dann presste sie die Lippen zusammen und suchte in ihrer Schürzentasche nach einem Taschentuch.

„Das tut mir sehr leid“, bekundete Quinn und sein Hals schnürte sich zu. „Wie alt waren Sie damals, wenn ich fragen darf?“

„Ich war neun. Meine Schwester zwölf. Wir haben gekämpft, um nicht voneinander getrennt zu werden, aber niemand wollte zwei Mädchen auf einmal aufnehmen. Also haben sie uns auf unterschiedliche Farmen vermittelt, Hunderte Meilen voneinander entfernt.“ Sie knüllte das Taschentuch in den schwieligen Händen zusammen. „Es war schrecklich hart. Noch vor der Dämmerung mussten wir aufstehen und alle Morgenarbeit erledigen – Kühe melken, Eier einsammeln, Holz klein hacken, um damit das Feuer für den Herd anzuzünden. Aber immerhin waren die Farmer, die mich aufgenommen haben, einigermaßen anständig. Nicht wie bei Annie.“

„Man hat sie nicht gut behandelt?“ So ungern er nachfragte, so sehr fürchtete er die Antwort.

Mrs Chamberlain schüttelte den Kopf. „Zweimal ist Annie abgehauen, aber jedes Mal hat die Polizei sie wieder zurückgebracht. Es schien sie nicht zu kümmern, woher all die blauen Flecken an ihrem Körper stammten. Der Farmer hat den Polizisten erklärt, sie wäre ungehorsam gewesen und hätte die Strafe verdient. Und sein Wort hat ihnen genügt.“ Die alte Dame tupfte sich die Augen ab. „Wenn das doch bloß der schlimmste Teil gewesen wäre …“

Quinn warf Jonathan einen Blick zu, da er bisher nichts gesagt hatte. Der Ausdruck von Abscheu auf dessen Gesicht spiegelte Quinns eigene Gefühle wider. „Ist sie unter der Hand des Farmers gestorben?“, fragte Quinn leise.

„Nicht direkt, aber es ist dennoch seine Schuld. Er hat sie nicht nur schlecht behandelt, er hat sie auch geschwängert.“ Sie hielt inne. „Und dann hat Annie sich erhängt. Sie war erst fünfzehn – das war einfach alles zu viel für sie“, erklärte Mrs Chamberlain, während eine Träne ihre Wange hinunterlief. „Ich weiß, dass ich nicht viel für sie hätte tun können. Aber ich wünschte, sie hätte sich wenigstens nicht so allein gefühlt. Ohne eine andere Wahl.“

Quinn schüttelte den Kopf und die Limonade begann ihm sauer im Magen zu liegen. „Ihr Verlust tut mir schrecklich leid. Ich hoffe und bete, dass es meiner Schwester besser ergeht.“

„Das tue ich auch“, erwiderte sie und sammelte sich wieder. „Vielleicht haben sich die Bedingungen über die Jahre hinweg zum Besseren gewendet. Nichtsdestotrotz schadet es nicht, auf das Schlimmste gefasst zu sein.“

Mit einem Nicken stand Quinn auf. „Nun, ich habe bereits genug Ihrer Zeit in Anspruch genommen. Am besten mache ich mich jetzt auf die Suche nach dem CVJM, bevor es zu spät wird. Haben Sie vielen Dank für die Limonade – und den Rat.“

„Gern geschehen! Oh, Sie brauchen noch die Adresse“, sagte Mrs Chamberlain, stand ebenfalls auf und holte ein Stück Papier aus der Schürze hervor. „Die habe ich Ihnen eben schon aufgeschrieben. Genau wie die vom Red Triangle Club, der gehört auch zum CVJM, beherbergt aber vermehrt Soldaten. Er ist etwas weiter weg und war in letzter Zeit oft ausgebucht. Ich denke, die Herberge auf der College Street ist die bessere Wahl“, erklärte sie und gab ihm das Papier. „Wenn Sie dort kein Zimmer finden, lassen Sie es mich wissen. Dann werde ich Pastor Burke fragen, einen Freund, ob er nicht ein Gemeindemitglied kennt, das Sie vorübergehend bei sich aufnehmen kann. Und ich lade Sie herzlich zu unserem Gottesdienst am Sonntag in der Holy Trinity Church ein. Sehr viele aus der Gemeinde kommen ursprünglich aus England, Sie werden sich also wie zu Hause fühlen.“

„Vielen Dank, Madam. Ich behalte es im Hinterkopf.“ Mit einem Lächeln steckte er das Papier ein und spürte, wie ein wenig Anspannung von ihm abfiel, zum ersten Mal, seit er England verlassen hatte. Vielleicht war er doch nicht ganz auf sich allein gestellt auf dieser Reise.


Den ganzen Abend über nahmen Quinten und seine Geschwister Harriets Gedanken ein. Während des Abendessens mit ihren Mieterinnen gelang es ihr nur mäßig, die Unterhaltungen am Tisch mitzuverfolgen. Und nun, nachdem in der Küche und im Speisezimmer alles aufgeräumt und erledigt war, saß Harriet in ihrem Lieblingssessel, schlug ihre Bibel auf und versuchte so, die Kontrolle über ihre Gefühle zurückzugewinnen.

Und doch kehrten ihre Gedanken immer wieder zurück zu Quinten und der Suche nach seiner Familie. Umso fester umklammerte sie die Bibel mit Lederumschlag. Die Geschichte dieses jungen Mannes hatte in ihr all die Sorge und Verzweiflung ihrer Kindheit wieder aufgeweckt – Gefühle, die sie längst hinter sich gelassen zu haben glaubte. Die Angst und Einsamkeit, die damit einhergingen, die Eltern verloren zu haben und weggeschickt worden zu sein, die Trauer, von ihrer lieben Schwester getrennt worden zu sein, und schließlich der tragische Verlust von Annie.

Es war offensichtlich, dass sie sich nur vorgemacht hatte, all dies bereits verarbeitet zu haben. Sehr lange hatte sie mit Annies Selbstmord gehadert. Erst die vielen Gespräche mit unterschiedlichen Pastoren hatten über die Jahre hinweg geholfen, Verständnis für Annies Tat zu erlangen und Frieden damit zu schließen. Und obgleich sich eine Kruste über der Wunde gebildet hatte, hatte es nicht viel Kratzen gebraucht, bis sie erneut blutete.

„Ist alles in Ordnung, Harriet?“ Pastor Burkes tiefer Bariton rüttelte sie aus ihren Gedanken auf.

„Geoffrey. Ich habe dich gar nicht Klopfen gehört.“

Mit einem Lächeln betrat er die Stube. „Offensichtlich nicht. Deshalb habe ich mich selbst hereingelassen. Ich hoffe, das macht dir nichts aus.“

„Überhaupt nicht. Du weißt doch, du bist hier immer willkommen“, begrüßte sie ihn, legte die Bibel beiseite und stand auf. „Ich setze uns eine Kanne Tee auf.“

Doch Pastor Burke kam auf sie zu und legte eine Hand auf Harriets Schulter. „Der Tee kann warten. Wieso erzählst du mir nicht zuerst, was dir so schwer auf der Seele liegt?“, fragte er mit einem aufrichtig besorgten Blick.

„Ach, es ist nichts. Wirklich. Ich bin nur gerade eine törichte alte Frau, die sich in Erinnerungen verliert, die besser in der Vergangenheit bleiben sollten.“

Dann musterte er sie. „Und was ist geschehen, dass du so melancholisch gestimmt bist?“

Daraufhin gab Harriet ein Seufzen von sich. „Ein Freund von Jonathan und Emma kam heute hier vorbei. Geradewegs vom Schiff aus England“, sagte sie und spielte mit der Perlenkette um den Hals. „Der junge Mann ist auf der Suche nach seinen Geschwistern, die durch die Dr.-Barnardo-Organisation hierhergeschickt wurden – genau wie Annie und ich vor vielen Jahren.“

„Aha, jetzt verstehe ich“, erwiderte er und führte sie sanft in Richtung Sofa. „Und das hat natürlich all die qualvollen Erinnerungen wieder wachgerufen.“

„Ganz genau.“

„Harriet, was kann ich tun, um dir zu helfen?“

Erneut seufzte sie. „Es gibt nichts, das irgendjemand tun könnte. Es wird schon wieder vorübergehen. So wie immer.“

Geoffrey setzte sich und legte seine Hände auf die ihren. „Kannst du dir denn etwas vorstellen, das dir helfen würde, diese Tragödie ein für alle Mal hinter dir zu lassen? Etwas, das dir hilft, mit dem Thema abzuschließen?“

Getroffen zog Harriet ihre Hand weg. „Das Thema einfach hinter mir lassen? Geoffrey, niemals werde ich vergessen, was meiner Schwester geschehen ist. Und ich werde niemals aufhören, über ihren Verlust zu trauern – ganz gleich, wie sehr ich mir wünsche, mit dem Thema abzuschließen.“ Sie stand auf und ging zu dem Kamin, wo das einzige Foto von ihrer Schwester den Kaminsims zierte. Ein zartes Mädchen mit blondem Haar und großen Augen. Augen, die einst vor Freude gestrahlt hatten, bis schließlich nur noch Verzweiflung darin lag.

Auch Geoffrey hatte sich nun erhoben und trat hinter sie. „Es tut mir leid, Harriet. Ich wollte dich nicht verletzen.“

Über die unerwarteten Tränen auf ihrer Wange errötete sie, doch dann wandte sie sich zu ihrem Freund um. Er verdiente ihre scharfe Zunge nicht. „Du möchtest nur helfen, ich weiß. Wie immer“, erwiderte sie mit einem Lächeln. „Zudem ist das, was du sagst, auch nichts Neues. Ich habe in den letzten Jahren viel darüber nachgedacht, warum es mich so verfolgt, Annie auf diese Weise verloren zu haben.“ Harriet schüttelte den Kopf und spürte, wie Schuld und Scham sich erneut in ihr breitmachten. „Ich weiß nicht einmal, wo sie begraben liegt oder ob sie einen Grabstein hat. Sollte ich nicht wenigstens das von ihr wissen?“ Doch bei den Worten erschauderte sie unfreiwillig, denn das bedeutete, nach Hazelbrae zurückkehren zu müssen. Und das war etwas, was sie sich geschworen hatte, niemals zu tun.

„Du könntest versuchen, es herauszufinden“, sagte er und musterte sie genau, als wollte er abschätzen, ob er noch etwas sagen sollte oder nicht. „Etwas, das ich trauernden Gemeindemitgliedern häufig mit auf den Weg gebe, ist, sich etwas zu suchen, womit sie ihren Geliebten Tribut zollen können. Etwas, das sowohl dem Verstorbenen als auch dem Überlebenden bedeutsam erscheint.“ Dann hielt er inne und strich sich über das Kinn. „Was, wenn du etwas in Annies Namen tun würdest? Zum Beispiel einen Baum pflanzen oder ein Stipendium in ihrem Namen ausschreiben. Es sollte etwas sein, das dir auch etwas bedeutet.“

Harriets Hals schnürte sich zu, sodass sie nur nicken konnte. „Schon oft habe ich über eine Art Denkmal nachgedacht. Aber mir fiel nichts Passendes ein“, erklärte sie und tätschelte ihm dann den Arm. „Aber danke, Geoffrey. Genau das ist es, was ich jetzt brauche. Aufhören, an das Negative zu denken, und mich auf etwas Positives konzentrieren. Ich werde das Ganze noch einmal überdenken.“

Geoffrey sah sie lächelnd an, sodass sich kleine Fältchen um seine Augen bildeten. „Gern geschehen, meine Liebe. Das ist schließlich meine Aufgabe als Pastor.“

Ein neuer Anfang für die Liebe

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