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Wie alles begann

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Die Idee zu diesem Buch kam mir »im Bauch« einer sehr alten Eiche. Bis dahin hatte ich mich intensiv mit den Kräutern und ihrer Heilkraft beschäftigt; in der geräumigen Höhlung des Baumriesen sitzend, wurde mir bewusst, wie wenig ich eigentlich über diese mythischen Gestalten unserer Landschaft wusste. Ich begann sie zu beobachten und zu studieren. Und ich bemerkte, dass ich erhobenen Hauptes durch die Landschaft streifte, denn um die Bäume erkennen zu können, muss man aufschauen.

Ich reiste durch ganz Deutschland, um die sagenumwobenen Baumriesen zu bestaunen, wie jemand, der auf einer Kunstreise oder einer Pilgerfahrt eine Kathedrale nach der anderen besucht. Die Tassilo-Linde in Wessobrunn, die Donar-Eichen bei Kassel, einsame Wetterfichten im Gebirge und verwunschene Eiben waren nur einige der vielen Baumwerke, die ich bewunderte. Im Schatten der Großen fand ich auch einige Sträucher, die ihnen an Persönlichkeit und Heilkraft nicht nachstehen. Diese Bäume haben einst für die Menschen, die sie pflanzten, viel bedeutet. Sie waren der Mittelpunkt des Dorfes, der Sitz der verstorbenen Seelen, Gerichtsplatz und Festsaal. Sie waren Heiligtümer.

Es gibt nur noch wenige Menschen, die etwas von dem alten Wissen um diese Bäume vermitteln können, und ich begann, sie zu befragen: Kräuterweiblein, Förster, Jäger, Holzschnitzer, Wanderer. Ich trieb mich auf der Suche nach alten Quellen in Bibliotheken, Archiven und Museen herum. Was ich fand, stammt vorwiegend aus germanischer und keltischer Zeit und aus dem deutschen Mittelalter. All dies klingt in Bräuchen, Sagen und Liedern noch bis in unsere Zeit herüber. Draußen in der Natur versuchte ich dann selbst herauszufinden, was diese Bräuche und Rituale um die Bäume wohl für die Menschen früherer Zeiten bedeutet haben.

Ich warf auch einen Blick in andere Kulturen und zu anderen Völkern, wie etwa zu den Indianern Nordamerikas, die teilweise noch ein ungebrochenes Verhältnis zur Natur haben. Wir haben heute unsere Natur entzaubert. Das Wissen um die sichtbaren und unsichtbaren Fäden zwischen Mensch und Natur ist bei uns fast verloren gegangen. Damit können wir, wenn die Natur erst einmal aus dem Gleichgewicht geraten ist, unvorstellbare Katastrophen auslösen. Ich stieß auf meiner Suche nach den Bäumen auf viel Abgestorbenes und Zerstörtes. Alte, majestätische Alleen, von denen mir die Dorfbewohner erzählten, waren inzwischen abgeholzt, und durch die letzten geschlossenen Areale der Wälder fressen sich Autobahnen und Siedlungen. Und welcher Gartenbesitzer ist heute noch Optimist genug, in seinem Garten einen großen Baum zu pflanzen? Stattdessen vegetieren in den Vorgärten als kleine Ausgaben einstiger Baumpracht die Zwergkoniferen, die ihrem Besitzer wohl nie über den Kopf wachsen können und in deren ausladenden Kronen kein Wind rauschen wird.

Um die Osterzeit fand ich in der lokalen Zeitung eine kleine Notiz: Ein Mann wollte einen Strauß Palmkätzchen pflücken. Die Weide war jedoch zu hoch, er konnte die Zweige nicht erreichen. So besorgte er sich kurzerhand eine Axt und fällte den Baum, um sie bequem pflücken zu können. Wahrscheinlich hätte diese Begebenheit allein für eine Meldung in der Zeitung nicht ausgereicht, doch der Baum hatte beim Umfallen eine Stromleitung beschädigt, es gab einen Stromausfall und der Palmkätzchenstrauß kam den Mann schließlich teuer zu stehen. Für mich steht sein Verhalten jedoch für die Beziehung, die heute viele zu den Bäumen, zur Natur insgesamt haben: Was uns im Weg steht, wird umgehackt.

Die Bäume sind in unserer Landschaft noch immer Mittelpunkte. Ich habe auf meiner Entdeckungsreise viele alte und junge Bäume gefunden, die es wert sind, sie aufzusuchen. Dabei mag man an das treffende Wort von Günther Eich denken: »Wer könnte leben ohne den Trost der Bäume.«

Danken möchte ich von Herzen all meinen Lehrerinnen und Lehrern, die ihr Wissen mit mir geteilt und mich auf meinen Weg geführt haben. Mein besonderer Dank gilt auch meinen Schülerinnen und Schülern, die mich in den drei Jahrzehnten meiner bisherigen Lehrtätigkeit mit ihrem Wissensdurst und ihrem liebevollen Dabeisein getragen, gefördert und begleitet haben.

Moosmühle im Allgäu, Sommersonnwende 1980

Sulzberg im Allgäu, Lichtmess 2007

Blätter von Bäumen

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