Читать книгу Wenn Sie kein Feigling sind, Herr Pfarrer - Suzann-Viola Renninger - Страница 15
Freiheit zum Tode
ОглавлениеSelbstmord, Suizid, Hand an sich legen, sich umbringen, sich selbst töten. Wenn ein Mensch mit Absicht sein Leben beendet, gibt es viele Weisen, dies auszudrücken. Herr Kriesi, Sie sprechen vom Suizid, doch fast ebenso oft vom Freitod.
Den Begriff Suizid versuche ich eigentlich zu vermeiden, ich spreche lieber vom Freitod. Den Begriff Selbstmord verwende ich nie. Denn der Selbstmord wurde von der Kirche verteufelt. Allen voran Augustinus. Schreiben Sie etwas zu ihm?
Ja, mach’ ich. Doch zuvor noch eine Bemerkung. In der Philosophie unterscheiden wir zwischen sogenannten dichten und dünnen Begriffen. Dichte Begriffe sind die, die gleichzeitig beschreiben und bewerten. Der Begriff für etwas, was wir tun, ist dann mit moralischen Wertungen aufgeladen oder eingekleidet.
Wenn wir uns die lateinischen Sprachwurzeln ansehen, heißt ja der gewissermaßen nackte Begriff Suizid nur: sich selbst töten. Es ist ein dünner Begriff. Beim deutschen Selbstmord geht der Mord auf das indogermanische Verb mer zurück, das Sterben bedeutet. Etwas umständlich, rein von den Sprachwurzeln her gesehen, lässt sich Selbstmord wohl ausdrücken als sich selbst die Mittel zum Sterben geben. So gesehen ist also auch er ein dünner Begriff.
Doch so verstehen wir ihn nicht. Wertungen sind hinzugekommen. «Selbstmord» ist, in Ihren Worten, zu einem dichten Begriff geworden.
In der Schweiz lässt sich über die letzten dreißig Jahre eine Veränderung beobachten. Es wird, geht es um Freitodhilfe von Organisationen wie von Exit, oft vom begleiteten Suizid oder assistierten Freitod gesprochen. Die Schweizer Gesellschaft bejaht diese Möglichkeit zunehmend, sieht sie also nicht mehr als moralisch anstößigen Mord, sondern als Hilfe zur Selbsttötung. Mord grenzt sich ja von allen anderen Tötungsdelikten durch die verwerfliche Gesinnung ab.
Sie sehen die Entwicklung rosiger als ich. Nicht nur der Begriff Selbstmord, auch der Begriff Suizid ist so von moralischer Verwerflichkeit aufgeladen, dass er sich kaum ohne diese denken lässt. Nochmals in Ihren Worten: Auch er ist zu einem dichten Begriff geworden. Und so ist auch der Begriff begleiteter oder assistierter Suizid in ein falsches Licht geraten, der viel häufiger als der Begriff Freitod verwendet wird. Eine Belastung für die Betroffenen. Für Andelka, über die wir gerade sprachen. Für ihren Mann. Für mich. Für alle, die ihr halfen. Daher ziehe ich den Begriff Freitod vor, wenn ich von der Sterbehilfe spreche. Wir helfen beim Freitod. Es ist ein assistierter Freitod, für den ich eintrete und dem sich Exit verschrieben hat.
Umgekehrt ließe sich Ihnen vorwerfen, dass Freitod ebenfalls ein suggestiv aufgeladener und somit auch manipulativer Begriff ist. Mit Freiheit verbinden wir Positives, Erstrebenswertes, Gutes. Freiheit ist ein Ideal. Und dies färbt in der Kombination auf den Begriff Freitod ab, der so gesehen profitiert. Gegner der Sterbehilfe sagen ja deswegen auch, es sei der schöngeredete Selbstmord, den Sie propagieren und zu dem die Sterbehilfeorganisationen Unterstützung anbieten. Sie würden mit dem Begriff Freitod verschleiern, um was es eigentlich gehe, nämlich den Mord, das Verbrechen an sich selbst. Das Bundesamt für Justiz übrigens verwendet in seinen Definitionen zu den verschiedenen Formen der Sterbehilfe den Begriff Selbstmord und setzt in Klammern dahinter «auch Suizidhilfe genannt». Den Begriff Freitod gebraucht es nicht.5 Eine weitere kritische Frage ist: Welche Art von Freiheit ist hier gemeint?
Es ist schwierig, zu verallgemeinern. Ein Tetraplegiker etwa, der sein behindertes Leben im Rollstuhl nicht aushält, dessen Entscheid ist nicht zu vergleichen mit dem eines Menschen, der terminal an Krebs erkrankt ist und bald sterben wird. Denn der Tetraplegiker könnte weiterleben. Er kürzt mit dem Freitod sein Leben ab. Dem terminal Krebskranken hingegen ist die Zukunft verwehrt, seine Krankheit führt bald zum Tod. Er kürzt mit seinem Freitod das bereits eingetretene Sterbeleiden ab.
Und dennoch, ungeachtet dieser Unterschiede, ist bei beiden die Freiheit eingeschränkt. Man könnte Ihnen leicht Zynismus vorwerfen, da diesen Menschen vergleichsweise weniger Möglichkeiten, weniger Freiheiten zur Verfügung stehen als gesunden und nicht behinderten Menschen.
«Niemand kann dem Menschen die Freiheit nehmen, sich zu seinem Schicksal so oder so einzustellen.» Dies ist ein Zitat von Viktor Frankl, dem Begründer der Logotherapie. Ich las es vor langer Zeit und kann es selbst nicht besser ausdrücken.
Auch die Zeilen eines Gebets gehen mir nicht mehr aus dem Sinn. Meist wird es dem amerikanischen Theologen Reinhold Niebuhr zugeschrieben, sein Ursprung geht aber wohl weit zurück ins Mittelalter:
«Gott, gib mir die Gelassenheit,Dinge hinzunehmen, die ich nicht ändern kann,
den Mut, Dinge zu ändern, die ich ändern kann,
und die Weisheit, das eine vom anderen zu unterscheiden.»
Sie meinen, auch wenn wir nicht ändern können, was mit uns geschieht, so können wir doch ändern, wie wir damit umgehen?
Ja, denn wenn ich gelähmt oder krebskrank bin, dann kann ich das nicht ändern. Das ist mein Schicksal. Doch ich habe die Freiheit zu entscheiden, wie ich damit umgehe, also ob ich mein Leben mit der Behinderung oder der Krankheit bis zum Schluss leben will – oder ob ich es durch ein selbstbestimmtes Sterben abkürze.
Das erinnert mich an die Stoa, an das, was Seneca oder auch Epiktet vor bald zweitausend Jahren lehrten. Lassen Sie uns später darauf zurückkommen. Nun erst mal Augustinus.