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c) Checkliste Grundrechtsprüfung

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Die Prüfung, ob eine Maßnahme auf dem Gebiet des Gefahrenabwehrrechts (etwa ein Platzverweis oder eine Wohnungsdurchsuchung) mit Grundrechten vereinbar ist, ist Gegenstand der Verhältnismäßigkeitsprüfung in dem praxisrelevanten Rechtmäßigkeitsschema (s. u. B. I.4.b.bb.). Insofern sind die Einzelheiten einer Grundrechtsprüfung zum Verständnis des allgemeinen Rechtmäßigkeitsschemas essenziell. Darüber hinaus sind in Studienarbeiten auch Fragestellungen möglich, die isoliert die Frage der Grundrechtskonformität einer Maßnahme zum Gegenstand haben. Im Rahmen einer solchen Grundrechtsprüfung werden im Übrigen auch weitere Aspekte der Verfassung berücksichtigt, weshalb es sich zugleich immer auch um eine allgemeine Prüfung der Verfassungskonformität handelt.

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Die Prüfung, ob ein staatlicher Akt der Gesetzgebung, der Verwaltung oder der Rechtsprechung mit einem Grundrecht vereinbar ist, erfolgt grob gesprochen in drei Stufen. Während in Schritt 1 die Eröffnung des Schutzbereiches des jeweiligen Grundrechts untersucht wird, also die Frage, ob das Grundrecht sachlich-thematisch auf den Sachverhalt und persönlich auf den Beschwerdeführer anwendbar ist, erfolgt in Schritt 2 die Eingriffsfrage, mithin ob der staatliche Akt als Belastung des Grundrechtsträgers oder lediglich als Bagatelle zu qualifizieren ist. Liegt ein Eingriff vor, ist die Frage zu beantworten, ob dieser Eingriff gerechtfertigt werden kann. Dieser Schritt 3 mit der Rechtfertigungsprüfung ist der komplexe Part in der Gesamtprüfung. Hier ist letztlich der Frage nachzugehen, ob der Eingriff – etwa eine einzelne Polizeimaßnahme – auf ein Parlamentsgesetz zurückzuführen ist, welches die Schrankenbestimmungen des GG einhält, ob dieses Gesetz formellen und materiell-inhaltlichen Anforderungen (z. B. Verhältnismäßigkeit) genügt und ob die Entscheidung im Einzelfall ihrerseits verhältnismäßig ist.

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Im Wesentlichen sind bei allen Fragen rund um die Grundrechtskonformität zwei Prüfungskonstellationen auseinanderzuhalten, und zwar, ob lediglich ein Gesetz als solches überprüft wird (z. B. eine bestimmte gesetzliche Regelungen zur automatischen Kennzeichenerfassung zwecks Abgleich mit dem Fahndungsbestand), oder ob eine konkrete Einzelfallentscheidung der Verwaltung oder eines Gerichts mit Grundrechten vereinbar ist.

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Im Falle einer Prüfung eines Gesetzes auf Grundrechtskonformität kann wie folgt vorgegangen werden:183

A. [Grundrecht XX, Art. YY]

Das zu prüfende Gesetz verstößt gegen das Grundrecht XX gem. Art. YY, wenn der Schutzbereich des Grundrechts eröffnet ist (I.), ein Eingriff vorliegt (II.) und der Eingriff nicht gerechtfertigt werden kann (III.).

I. Eröffnung des Schutzbereichs

1. Sachlicher Schutzbereich

Fällt eine gewünschte Verhaltensweise (Tun oder Unterlassen) unter den Schutz des Grundrechts?

2. Persönlicher Schutzbereich

Kann sich der Beschwerdeführer persönlich auf das Grundrecht berufen (Ausländerfragen, juristische Personen, etc.)?

II. Eingriff

Moderner Eingriffsbegriff: Liegt eine Handlung eines Grundrechtsverpflichteten (hier: eine gesetzliche Regelung) vor, die in zurechenbarer Weise zu einer nicht absolut unerheblichen Belastung des Grundrechtsträgers führt?184

III. Verfassungsrechtliche Rechtfertigung des Eingriffs

1. Grundrechtsschranke: Parlamentsgesetz nötig

Es ist im Fall von Grundrechtseingriffen ein Gesetz nötig, entweder wegen ausdrücklichen einfachen Gesetzesvorbehaltes wie in Art. 2 Abs. 2 Satz 3 GG oder wegen qualifizierten Gesetzesvorbehaltes, bei dem das GG an das Gesetz bestimmte zusätzliche Anforderungen stellt, z. B. in Art. 11 Abs. 2 GG. In denjenigen Fällen, in denen das GG keine Einschränkbarkeit anspricht (Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG), kann eingeschränkt werden aufgrund des Vorbehaltes des Gesetzes gem. Art. 20 Abs. 3 GG (verfassungsimmanente Schranke).185 Im Fall dieser verfassungsimmanenten Schranken wird in aller Regel argumentiert, es könnten nur kollidierende Grundrechte Dritter oder andere mit Verfassungsrang ausgestattete Rechtswerte zur Rechtfertigung herangezogen werden. Es handelt sich indes um eine „Scheineingrenzung“, denn schon die Allgemeine Handlungsfreiheit, Art. 2 Abs. 1 GG, oder das Rechtsstaatsprinzip, Art. 20 Abs. 3 GG, sind so breit angelegt, dass allein hieraus Vieles argumentierbar ist (funktionstüchtige Rechtspflege etc.).186 In den seltenen Fällen der verfassungsunmittelbaren Schranken (z. B. Art. 9 Abs. 2 GG, Art. 13 Abs. 7 HS 1 GG) ist auch ein Gesetz nötig.187

Dass letztlich in allen o. g. Fällen ein Gesetz des Parlamentes erforderlich ist, ergibt sich auch aus der Wesentlichkeitsgarantie (s. o. A.III.2.), nach der in wesentlichen Bereichen – so gerade im grundrechtsrelevanten Bereich – das Parlament zu entscheiden hat. Dies schließt nicht aus, dass der Gesetzgeber die Exekutive ermächtigt, in Rechtsverordnungen Grundrechtseingriffe zu bestimmen. Die Ermächtigungsgrundlage des Gesetzgebers muss dann aber den Anforderungen des Art. 80 Abs. 1 GG genügen.

2. Formelle Anforderungen an das Gesetz

a) Gesetzgebungszuständigkeit

Es sind die Kompetenzvorschriften der Art. 30, 70 ff. GG einzuhalten.

b) Gesetzgebungsverfahren

Hier gelten Art. 76 ff. GG.

c) Zitiergebot

Es gilt die Anforderung des Art. 19 Abs. 1 Satz 2 GG.

3. Materielle Anforderungen an das Gesetz

a) Grundsatz der Verhältnismäßigkeit

Vgl. dazu die Ausführungen unter B. I.4.b.bb.

b) Weitere Anforderungen

Andere Anforderungen der Verfassung – z. B. das Bestimmtheitsgebot des Rechtsstaatsprinzips oder das Einzelfallgesetzverbot (Art. 19 Abs. 1 Satz 1 GG) – sind nur anlassbezogen zu problematisieren. An dieser Stelle wird die Grundrechtsprüfung auch zu einer allgemeinen Prüfung der Verfassungskonformität.

c) Wesensgehaltsgarantie

Aufgrund ihrer Bedeutung als „Rettungsanker“ der Rechtsstaatlichkeit, sollte die Frage, ob der Grundrechtseingriff das Grundrecht unzulässig in seinem Wesensgehalt antastet (Art. 19 Abs. 2 GG), angesprochen werden. Allerdings dürfte dann bereits die Verhältnismäßigkeit zu verneinen sein.

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Im Falle einer Prüfung einer Einzelfallentscheidung der Verwaltung (z. B. einer polizeilichen Maßnahme) oder eines Gerichtes (z. B. ein bestimmtes Urteil mit einer festgesetzten Freiheitsstrafe), ist letztlich ebenso das oben genannte Schema anzuwenden. Bei dem „Eingriff“ ist dann jedenfalls nicht das Gesetz als Eingriff zu qualifizieren, sondern die Einzelfallentscheidung. In der Rechtfertigungsprüfung ist zunächst das Vorhandensein einer Rechtsgrundlage als Basis der Einzelfallentscheidung zu prüfen, ebenso die dazu gehörigen formellen und materiellen Anforderungen an das Gesetz. Zusätzlich zum ursprünglichen Schema ist anschließend die konkrete Einzelfallentscheidung unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls gesondert auf Verhältnismäßigkeit zu begutachten. Daraus ergibt sich:

A. [Grundrecht XX, Art. YY]

Die zu prüfende Maßnahme verstößt gegen das Grundrecht XX gem. Art. YY, wenn der Schutzbereich des Grundrechts eröffnet ist (I.), ein Eingriff vorliegt (II.) und der Eingriff nicht gerechtfertigt werden kann (III.).

I. Eröffnung des Schutzbereichs

1. Sachlicher Schutzbereich

2. Persönlicher Schutzbereich

II. Eingriff

III. Verfassungsrechtliche Rechtfertigung des Eingriffs

1. Grundrechtsschranke: Parlamentsgesetz nötig

2. Rechtsgrundlage (Parlamentsgesetz)

a) Formelle Anforderungen an das Gesetz (Einzelheiten s. o.)

b) Materielle Anforderungen an das Gesetz (Einzelheiten s. o.)

5. Verhältnismäßigkeit der konkreten Verwaltungs- oder Gerichtsentscheidung

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