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Ansaldo

Genua, April 1096

Es ist wie ein Wunder«, staunte Ansaldo und blickte über die acht schlanken Rümpfe, die am Strand von Genua langsam die schlanke Gestalt von Galeras annahmen. Die Planken der Schiffe wurden in einer Art Sandloch zusammengefügt, dass die Form des Rumpfes vorgab. Wenn die Hülle stand, wurde sie, wo es nötig schien, durch Spanten verstärkt. So waren die Galeras wesentlich leichter als die großen Caracen, bei denen man andersherum arbeitete, nämlich zunächst das Spantengerüst über den Kiel aufbaute und es im Nachhinein mit auf Stoß gesetzten Planken bedeckte.

»Seit der Gründung unserer Compagnia gab es keine Straßenkämpfe, ja kaum ein böses Wort mehr zwischen den Familien. Unsere Unternehmung ist wirklich von Gott begünstigt!« Antonio nickte bedächtig. »Ich habe sogar mein Pesto mit einem Malaspina geteilt. Nicht nur das Brot!« Ansaldo lachte. »Ja für Fleisch reicht die Liebe noch nicht.« Dann wurde er schlagartig wieder ernst. Fleisch ließ ihn an Fleischliches denken und da stand ihm das Bild Giuliettas vor Augen. Er hatte sie wiedergesehen und über ihre Wangen war eine zarte Röte geflogen. Zumindest hatte er sich das eingebildet. »Es ist nicht immer einfach, diesen Haufen zu lenken«, wandte er ein. »Aber ich glaube, wir Consuln machen unsere Arbeit ganz gut.« Noch immer erfüllte es ihn mit Stolz, dass man ihn unter die Kosuln der Compagnia gewählt hatte. Sie alle sechs entstammten, wie sollte es in Genua anders sein, den großen Familien: Den Doria, Malaspina, Embriachi, Spinola, Negrone und Fieschi. Ihre Aufgabe war es, den Bau und die Ausrüstung der Kreuzzugsflotte zu überwachen. »Heute Abend treffen wir uns. Adalberto hat uns geladen, um den Fortschritt unserer ­Rüstung zu besprechen. Ich hätte nie gedacht, dass ich den Palazzo Malaspina einmal betreten würde, ohne zuvor die Tür einschlagen zu müssen.«

Als Ansaldo am Abend an der Piazza Santa Brigida eintraf, wurde der Eingang des Palazzo Malaspina von Fackeln festlich erleuchtet. Diener der Familie halfen ihm am Eingang aus dem schweren Wintermantel.

»Geradlo befindet sich bereits mit den anderen Gästen in der großen Halle. Bitte entschuldige, dass er dich nicht selbst dorthin geleiten kann. Wenn du erlaubst, übernehme ich das.« Ehrerbietig verbeugte sich der junge Mann, dessen bunte Kleidung keine Zweifel an seiner hohen Stellung aufkommen ließ. In der Tat hatte Ansaldo den jungen Patrizier bereits gesehen, konnte sich aber nicht an den Namen erinnern, denn damals hatte Giulietta seine ganze Aufmerksamkeit gefesselt. Er spähte unauffällig zur Treppe hinüber, ob sie nicht irgendwo zu sehen sei, wurde aber enttäuscht. Dadurch leicht verstimmt, folgte er dem jungen Mann ins Innere des Gebäudes. Wie bei allen Kaufmannsfamilien Genuas befand sich die Halle der Familie weiter hinten im Gebäude. Vorne waren die Geschäfts- und Lagerräume. Wachsam glitten Ansaldos Blicke über die Ballen flämischen Tuchs, die Säcke mit sardischem Getreide, immer eine Mangelware in Genua, das, eingepresst zwischen Meer und Alpen, kein eigenes Hinterland besaß. Auf dem Gebiet der Stadt wuchsen lediglich Basilikum und Pinien, woraus man die Würze herstellte, mit der alle Genuesen ihr Brot bekömmlicher und schmackhafter zu machen suchten: das Pesto.

Sein Führer schlug einen Vorhang zurück und Ansaldo blickte in den großen Saal. Adalberto hatte sich erhoben und stand vor einem prächtigen Wandteppich mit einem klassischen Motiv: Aneas und Dido in Karthago. Sicherlich eine versteckte Anspielung auf die bis nach Afrika reichenden Macht- und Handels­ambitionen der Malaspinas.

»Es wird spät, meine Herren«, eröffnete Adalberto gerade seinen Zuhörern. Ansaldo fragte sich, ob er damit gemeint sei oder die Rüstungsvorbereitungen im Allgemeinen. Doch die nächsten Worte des Familienoberhauptes der Malaspina wischten seine Zweifel davon. »Wir verfügen lediglich über vier fertige Galeras, die uns einige Familien dankenswerterweise zur Verfügung gestellt haben.« Nickte er dabei freundlich in Ansaldos Richtung? Sein Bruder Genaldo hatte tatsächlich verfügt, dass die San Matteo am Kreuzzug teilnehmen sollte. Doch Adalberto ließ ihm keine Zeit, sich weiter in dem Lob zu sonnen. »Der Bau der Schiffe ist im Winter nur langsam vorangekommen. Ich bin mir nicht sicher, ob wir es schaffen werden, vor Mare clausumin See zu gehen.« Mare clausum, das geschlossene Meer, bezog sich im Gegensatz zu Mare apertum, dem offenen Meer, auf die Zeit von Oktober bis Mai, in der die Schifffahrt wegen der schweren Stürme normalerweise ruhte. Insbesondere bei den schlanken Kriegsgaleras ging die Leichtigkeit auf Kosten der Stabilität und es war ratsam, bei schwerem Wetter im sicheren Hafen zu bleiben.

»Zwölf Galeras werden wir bemannen. Das heißt, wir können zwölfhundert Männer Besatzung und Bewaffnete einschiffen«, fuhr Adalberto fort. »Ich brauche euch nicht zu erklären, dass das fast die Hälfte der waffenfähigen Einwohner Genuas ist. Eine solche Flotte dürfen wir nicht leichtfertig auf See in Gefahr bringen. Ein einziger Sturm könnte den Untergang unserer Stadt bedeuten.«

»Ich habe über einen Amalfitaner Geschäftspartner sichere Nachricht erhalten, dass das Ritterheer bereits vollständig in Konstantinopel eingetroffen ist«, warf Guglielmo ein, der ältere der Embriachi-Brüder und Consul seiner Familie. »Die werden nicht ewig warten, und wenn wir nicht schnell sind, kommen uns die Pisaner oder Amalfitaner zuvor!«

»Alle Ritter sind versammelt?«, fragte ein Ansaldo unbekannter Spinola zurück. »Wie viele sind es denn und wer soll sie führen?«

»Ich habe von Normannen und fränkischen Rittern aus dem Norden des Reiches gehört. Sie werden von Robert von der Normandie und Hugo de Vermandois geführt. Dann sind da Flamen unter Robert von Flandern und einem Herzog Gottfried von Bouillon. Aus der Languedoc kommt Graf Raimund von Toulouse mit seinen Männern. Bohemund von Tarent führt die sizilianischen Normannen und Balduin von Boulogne seine Franken. Alles in allem sollen sich an die siebentausend Ritter und über zwanzigtausend Fußsoldaten versammelt haben.« Betretenes Schweigen breitete sich aus. »Und was sollen wir mit unseren zwölfhundert Mann da ausrichten?«, fragte der Spinola schließlich.

»So eine Armee benötigt Nachschub«, erklärte Adalberto. »Proviant, Holz für Belagerungsmaschinen, Pferde, Heu, Waffen und Wein. Und wir beherrschen die See.« Daraufhin erhob sich lautes Gemurmel und Adalberto musste seine ganze Autorität einsetzen, um die Männer wieder zum Schweigen zu bringen. Doch der Rest der Versammlung verlief sich in zahlreichen technischen Details. Am Ende wurde lediglich festgelegt, dass man so schnell wie möglich weiterarbeiten müsse. Die Entscheidung, wann die Flotte in See stechen könnte, wurde vertagt. Bald verließen die ersten Männer die Versammlung, und auch Ansaldo, der nicht gerne als Letzter im Hause der Malaspinas zurückbleiben wollte, erhob sich. Er grüßte kurz in Richtung Adalbertos, murmelte eine Entschuldigung und drückte sich durch den Teppich in den Lagerraum. Zu seiner Überraschung fand er sich hier alleine. Der junge Patrizier, der ihn hineingeführt hatte, nahm inzwischen an der Versammlung teil. Zögernd lenkte er seine Schritte in Richtung der Eingangstür. Doch plötzlich hörte er schräg hinter sich ein Rascheln. Eine Maus im Lager?, dachte er und fuhr instinktiv herum. Doch es war nicht sein Lagerraum, nein, sogar der einer verfeindeten Familie, fiel ihm ein und er wollte sich gerade wieder umwenden, als ihm hinter einem der Ballen eine Bewegung auffiel. Zielte da etwa ein Malaspina mit der Armbrust auf ihn? War er in eine Falle getappt? Reflexartig fuhr seine Hand zum Schwert, doch sie griff ins Leere. Er hatte seine Waffe vor dem Besuch abgelegt, um die Malaspinas nicht zu provozieren. Während er hinter einem Kornsack in Deckung sprang, bereute er seine Gutgläubigkeit. Vorsichtig lugte er um den Stapel Säcke herum. Da war sie wieder. Ganz sicher eine hochgewachsene schlanke Gestalt. Ansaldo nahm allen Mut zusammen und sprang hinter seinen Säcken hervor, direkt vor den Fremden, um ihn zu stellen. Doch im nächsten Augenblick stand er wie angewurzelt. Die Gestalt vor ihm hatte langes dunkles Haar, und es war überhaupt kein Mann. »Giulietta«, stieß er heraus, obwohl seine Kehle mit einem Mal knochentrocken schien. Sie lächelte.

»Ansaldo.« Sie kannte also seinen Namen! Sein Herz tat einen Sprung. »Was tust du hier in unserem Warenlager?«, fragte sie stirnrunzelnd.

»Ich habe eine Bewegung gesehen und …« Er brach ab. Sollte er gestehen, dass er einen Anschlag ihrer Verwandten gefürchtet hatte? Wohl kaum. Doch da kam ihm die rettende Idee. »Ich dachte, es wären Mäuse eingedrungen, die eure Vorräte verderben. Die wollte ich fangen.«

Sie blickte erstaunt. »Obwohl unsere Familien doch verfeindet sind?«

Wieder tat sein Herz einen Sprung. Sie hatte nicht »Obwohl wir verfeindet sind«, sondern »unsere Familien verfeindet sind« gesagt. Das gab ihm Hoffnung, obwohl es eigentlich auf das Gleiche hinauslief. »Aber nein«, widersprach er rasch. »Wir haben zusammen die Compagnia gegründet. Dein Bruder Adalberto ist auch einer ihrer Consuln. Wie ich!« Das war ihm so rausgerutscht. Er spürte, wie ihm die Hitze ins Gesicht schoss.

Doch sie nahm ihm die offensichtliche Angeberei nicht krumm. Im Gegenteil. Rasch vergewisserte sie sich, dass sie weiterhin allein im Lagerraum standen. Dann beugte sie sich vor und hauchte ihm einen Kuss auf die Wange. »Nimm das als Zeichen meiner Hochachtung vor der neuen Compagnia und meiner Hoffnung auf Frieden mit deinem ehrwürdigen Geschlecht!«

Ansaldo stand mit offenem Mund da, doch schon drehte sie sich um. »Das muss dir erst einmal reichen. Man darf uns hier auf keinen Fall zusammen sehen!«

Ansaldo hob die Hand, um sie aufzuhalten, doch schon war sie entschwunden. »Habe ich das gerade geträumt?«, murmelte er und fasste sich an die Wange. Benommen suchte er sich zwischen den Ballen den Weg zur Tür. Einen Augenblick später stand er vor dem Palazzo Malaspina und atmete die kühle Nachtluft. »Habe ich geträumt?«, fragte er noch einmal lauter, während trotz der Kühle der nahen Alpen eine Welle heißer Gefühle über ihm zusammenschlug. Erst viel später fiel ihm wieder ein, dass er Giulietta gar nicht gefragt hatte, was sie im Lagerraum gewollt hatte.

Das Spital zu Jerusalem

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