Читать книгу Das Spital zu Jerusalem - Sven R. Kantelhardt - Страница 18
ОглавлениеAuria
Goldenes Horn, Juni 1096
Langsam glitt die Sant’Andrea in den breiten Meeresarm, der sich bis zuletzt hinter den mächtigen Mauern von Konstantinopel verborgen hatte. »Gehen wir gleich an Land?«, quengelte Auria. Die lange Seereise hatte ihre Geduld noch bedeutend mehr strapaziert als die Warterei auf der Reede von Amalfi, aber wenigstens war ihr im Gegensatz zu ihrer Zofe die Seekrankheit erspart geblieben.
»Gott gebe es«, schloss sich Laura denn auch ihrem Wunsch an und bekreuzigte sich.
»Ich platze vor Spannung auf den Kaiserpalast!«, rief Auria aufgeregt. Hinter ihr ertönte ein Lachen. Pantaleone war unbemerkt zu ihnen an die Reling getreten. Auria fuhr herum und blickte ihn mit großen Augen an.
»In den Palast wirst du wohl nicht gleich kommen«, erklärte er begütigend. »Unser Ziel und das Haus meiner Familie liegen im Norden in der Händlerstadt. Aber ich kann dir versichern, dass du es bis zu deiner Weiterreise auch dort gut aushalten wirst!«
Auria spürte einen Stich in der Brust. »Aber ich will gar nicht weiterreisen, ich will hier in Konstantinopel den Hof sehen.«
Wieder lachte der Handelsherr. »Du möchtest doch sicher so rasch wie möglich zu deinem Vater nach Jerusalem? So hat er es immerhin bestimmt.«
»In ein Kloster!« Auria gab sich keine große Mühe, ihren Abscheu zu verbergen.
»Nicht in ein Kloster, ein Hospitium pauperi, wo er zum Ruhme Gottes die Armen, Kranken und Pilger versorgt«, erklärte Pantaleone geduldig.
»Bah«, machte Auria trotzig.
Doch langsam wurde es dem Patrizier zu bunt. »Du weißt sicherlich, dass mein ehrenwerter Vater die beiden Spitäler in Jerusalem und in Antiochia gestiftet hat«, erklärte er streng. Eigentlich stimmte das nicht ganz. Auria kannte die Geschichte natürlich längst auswendig. In Wahrheit hatte bereits Karl der Große das Spital gegründet und Mauro hatte es lediglich mit seinem Geld erneuern lassen, zumindest das in Jerusalem, doch sie hielt wohlweislich den Mund. Wenn Pantaleone so blickte, war mit ihm nicht zu spassen.
»Und werde ich Vater Johannes kennenlernen?«, fragte sie einlenkend. Sie wusste, wie viel Pantaleone auf den Mönch hielt, der bereits für seinen Vater Mauro griechische Bücher übersetzt hatte. Wie erhofft, blitzten Pantaleones Augen auf.
»Ja, ich bete darum, dass Gott die Gesundheit seines Heiligen bewahrt! Ich erwarte, dass wir ihn in unserem Hause treffen.«
Mit dem letzten Wind des Abends glitt die Sant’Andrea in den Hafen. Eine Reihe großer Schiffe lag im tiefen Wasser, während eine unübersehbare Zahl von kleinen Booten und Leichtern zwischen ihnen und dem Land hin und her pendelte.
»Ist das nicht die Hagia Ana dort drüben?«, rief auf einmal Pantaleone. »Steuermann, halt ein bisschen mehr nach Backbord, ich will sehen, ob ich recht habe.« Die Sant’Andrea schwenkte schwerfällig auf den neuen Kurs ein und gespannt blickte ihr Eigner zu dem breiten Schiff hinüber. »Das ist sie, wahrhaftig!«, rief er aus. »Vielleicht hast du Glück und kannst sogar deinen Onkel Giuseppe treffen«, wandte er sich wieder an Auria.
Die »Hagia Ana«, gehörte den Mönchen des Amalfitanerklosters, dem auch Aurias Onkel Giuseppe angehörte. Es handelte sich einen Hort des lateinischen Glaubens, den bereits vor über hundert Jahren Leo, der Bruder Landulfs, des Herzogs von Benevento, mit sechs gleichgesinnten Glaubensbrüdern auf dem Hagios Oros, dem heiligen Berg der Griechen, gegründet hatte. Es lag neben Iviron, einem Kloster, von dem es hieß, dass dort mehr armenische Gelehrte lebten als am Hofe des Fürsten Konstantin. Ein Kaiserliches Dekret hatte den Lateinern erlaubt, ein eigenes Schiff zu bauen, um sich in Konstantinopel mit allem zu versorgen, was man nicht auf dem Berg selbst herstellen konnte, und gleichzeitig die Erzeugnisse umzuschlagen, die sie in frommer Arbeit dem Boden des Athos abrangen. Wie nicht anders zu erwarten, war es wieder die Familie Pantaleone, die diesen Handel für die meist aus Amalfi stammenden Brüder abwickelte. Währenddessen rollten die Matrosen der Sant’Andrea das große Lateinersegel zusammen. Das Schiff glitt noch von dem Schwung des Segels getrieben weiter und zerteilte das inzwischen fast stille Wasser des Goldenen Horns. Auria warf einen letzten sehnsüchtigen Blick zur Stadt an der Südseite des Hafens, wo die mächtige Kuppel der Hagia Sophia in der warmen roten Sonne glühte. Das würde sich noch zeigen, wo ihr Platz war, dachte sie bei sich.
»Es ist tatsächlich die Hagia Ana!«, riss Pantaleone sie aus ihren Gedanken. »Welch eine glückliche Fügung.«
Wenige Augenblicke später fiel der Buganker der Sant’Andrea mit lautem Platschen ins dunkle Hafenwasser. Und schon kam das Boot des Hafenmeisters herbei. Pantaleone verhandelte kurz mit einem Griechen im Boot und bekam gegen einige Silbermünzen eine kleine Bronzeplakette. Er gab sie einem der Matrosen, der sofort diensteifrig herbeieilte. »Nagel sie an den Bug«, befahl er. »Das ist das Zeichen, dass wir die Hafengebühren bezahlt haben«, wandte er sich erklärend an Auria.
»Mehr Zoll müssen wir nicht zahlen?« Auria machte große Augen. In Amalfi wurden alle Waren am Ufer aufgestapelt und sorgfältig verzollt.
Pantaleone lachte. »Nein, unsere Ladung müssen wir beim Anlanden direkt ins Zollhaus bringen, wo sie geschätzt und verzollt wird.« Sie blickten einen Moment dem Boot des Hafenmeisters hinterher.
»Und wenn man nicht aufpasst wie ein Fuchs, dann verschwinden die besten Stücke«, ergänzte der erfahrene Händler bitter. Doch dann schüttelte er den Kopf. »Das ist zum Glück kein Problem für dich. Wir können direkt an Land und die Nacht auf festem Boden in meinem Haus verbringen.«
Laura atmete erleichtert auf und auch Auria war es recht. Das Leben auf dem Schiff war extrem eintönig. »Dort kommt bereits ein Boot«, rief sie und zeigte zum Ufer.
Eine knappe Stunde später stiegen sie endlich aus dem Mietboot an Land. Vor ihnen erhob sich die Seemauer und Pantaleone steuerte gleich auf ein Tor zu ihrer Linken zu.
»Willkommen in Galata, der Händlerstadt«, erklärte er stolz.
»Ist es noch weit zu eurem Haus?«, wollte Laura wissen. Sie schien sich bereits besser zu fühlen, kaum dass ihre Füße wieder auf festem Boden standen.
»Nein, gleich dort hinter der Mauer. Am besten Platz in unserem Kontor«, beschied der Händler stolz.
Zu Aurias Überraschung war die Niederlassung der Amalfitaner Stadt hinter der Seemauer durch eine eigene Stadtmauer vom Rest der Händlerstadt abgetrennt.
»Was befindet sich hier hinter der Mauer?«, fragte sie neugierig.
Pantaleones runzelte die Brauen. »Dort liegt das Kontor der Venezianer. Und glaub mir, es ist besser, dass jedes Heimatland seine eigene Niederlassung hat. Bereits die Amalfitaner streiten sich ständig. Davon weiß ich als Hypatos ein Lied zu singen! Aber mit den Venezianern gibt es nichts als Ärger. Das sind allesamt gewissenlose Gierschlünde, die sich nicht um ihre Mitmenschen noch um Gott scheren.«
In dem Augenblick erreichten sie das Anwesen der Pantaleones. Haus war eine ziemlich ungenaue Beschreibung. Es war ein Palazzo. Pantaleone bemerkte ihre Überraschung. »Da siehst du es«, erklärte er selbstzufrieden. »Der Kaiser ist nicht der Einzige, der hier in einem prächtigen Haus wohnt. In diesem Gemäuer hat mein Großvater bereits Gisulf, den Herzog von Salerno, Bischof Bernard von Palestrina und Alfanus, den Erzbischof von Salerno, bewirtet!« Das war eine Geschichte, die in Amalfi jedes Kind kannte. Gisulf wollte damals die Kleriker dazu zwingen, ihm zu helfen, eine Allianz von Konstantinopel, Kaiser Heinrich dem IV. und dem Gegenpapst Honorius II. gegen die Normannen und Papst Alexander II. zu schmieden. Dafür hielt er die beiden Bischöfe in Konstantinopel als Geiseln zurück. Die Reise war inzwischen eine Legende und wurde immer weiter ausgeschmückt.
»Aber zumindest Gisulf ist hier nicht mehr willkommen?«, warf sie schnippisch ein. Pantaleones Vater Mauro hatte sich später mit ihm überworfen und unterstützte den Reformpapst, wofür sich der Herzog von Salerno rächte, indem er seinen Sohn Mauro entführte und die unglaubliche Summe von dreißigtausend Bezanten als Lösegeld forderte. Auch das wusste in Amalfi jedes Kind. Da der junge Pantaleone dem Papst ein weiteres Paar Bronzetüren gestiftet hatte, schloss Auria, dass auch er es mit den Reformern auf dem Papstthron hielt.
Pantaleones Miene verfinsterte sich denn auch. Doch dann musste er lachen. »Du steckst deine hübsche Nase tiefer in die Geschäfte der Republik, als es für eine junge Dame gut ist. Ich glaube, dein Vater hat ganz recht, wenn er wünscht, dass du dich einem gottgefälligeren Leben hingibst.« Er grinste. »Aber dafür ist später noch genügend Zeit. Erst einmal wollen wir unsere gute Ankunft in Galata feiern!«