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David

Magenza, 24. Mai 1096

Graf Emicho soll ein Engel erschienen sein und ihm als Zeichen seiner Berufung ein Kreuz auf die Brust gemalt haben. Er hat ihm versprochen, Kaiser zu werden, wenn er alle Juden im gesamten Abendland zur Taufe zwingt«, wusste Marcus zu berichten. »Bleib lieber bei mir, ihr bekommt bestimmt Ärger.«

»Ein Engel?«, wollte David wissen. »Wie kann ein heiliger Engel so einem gemeinen Kerl erscheinen, der nicht einmal den Erzbischof respektiert?«

»Das ist noch gar nichts«, fuhr Marcus halb staunend, halb belustigt fort. »Andere sind einer heiligen Gans gefolgt!«

»Einer Gans?«, fragte David nun ungläubig.

»Ja, einer Gans, die sie in Richtung des Kreuzzugheeres geführt haben soll.«

»Die ist sicher einfach nur vor den Strauchdieben davongelaufen!« Die beiden Jungen lachten.

»Vielleicht braten sie den Vogel ja gerade«, meinte David übermütig und zeigte auf die Kochfeuer, die zu Füßen der Mauer brannten. Trotz der gefährlichen Lage fühlten sie sich innerhalb oder derzeit auf der dicken Stadtmauer von Magenza, auf die sie einmal mehr unerlaubt hinaufgeklettert waren, sicher. Draußen vor der Porta Hrahhada brannten die Kochfeuer von Emichos Heer. Bischof Ruthard hatte Wort gehalten, die Tore verschlossen und die Stadtmauern mit seinen Mannen besetzt. »Ich gehe jetzt lieber nach Hause«, erklärte David schließlich. »In diesen unruhigen Zeiten macht sich Onkel Ruben sonst noch Sorgen um mich.«

»Ja«, bestätigte sein christlicher Freund. »So eine Belagerung ist schon unheimlich. Und das mitten im Frankenreich!«

Doch der Morgen brachte eine böse Überraschung. »Die Kreuzfahrer sind in der Stadt«, rief Johanna. David hörte ihre atemlose Stimme vom Hof heraufschallen.

»Wie kann das sein?«, hörte er seine Tante Rebecca fragen. Sie stand sonntags ebenfalls früh auf, um der Familie die Morgensuppe zu bereiten. Am Feiertag der Christen hatte ihre Magd Johanna frei, um die Messe in St. Quintin zu besuchen. Von dort musste sie gerade gekommen sein. Im Nu war auch David auf den Beinen und lief hinab, während er den Kittel noch im Rennen zuknöpfte.

»Wie kann das sein?«, wiederholte Rebecca ängstlich ihre Frage. Die kleine Judith, die die Angst ihrer Mutter spürte, versteckte sich hinter ihrem Rockzipfel.

Johanna holte nochmals tief Luft. »Verräter aus der Stadt haben ihnen das Tor geöffnet«, schnaufte sie.

Inzwischen war auch Ruben auf den Hof getreten. Er war leichenblass, zögerte aber keinen Augenblick: »Wir müssen zum Bischofspalast. Sofort«, entschied er. Dann blickte er sich um und entdeckte David. »Lauf los und warne ben Levi, den Goldschmied, Jehuda und die anderen. Die wohnen so weit weg, dass sie vielleicht noch gar nichts mitbekommen haben. Wir treffen uns alle im Bischofspalast am Dom!« David nickte. Onkel Ruben wusste immer, was zu tun war. In jeder Lebenslage. Mit diesen Gedanken drückte sich David hinaus auf die Straße. Es war ungewöhnlich ruhig, fast gespenstisch. Der Goldschmied wohnte jenseits des Domplatzes und er rannte so schnell ihn die Füße trugen. Doch als er den Domplatz erreichte, sah er haufenweise Volk. Das mussten die Eindringlinge sein! Er umging den offenen Platz durch die schmalen Gassen, welche sich jenseits des Arkadenhofs und der Liebfrauenkirche zum Rhein hin erstreckten. Schließlich erreichte er das Haus ben Levis. Doch Fenster und Türen waren bereits verrammelt. »Wer ist da?«, antwortete schließlich nach langem Klopfen eine tiefe Stimme.

»Ich bin es, David!« rief er. »Onkel Ruben schickt mich.« Die Tür öffnete sich einen Spalt und David schaute erschrocken über einen Armbrustbolzen hinweg in das Gesicht des Goldschmieds. »Du bist es wirklich«, stellte er fest und senkte die schussbereite Armbrust. »Komm herein, schnell.«

Schon war David im Inneren des Hofes. Er zählte fünf Männer, alle mit Messern, Armbrüsten oder Jagdspießen bewaffnet. »Onkel Ruben sagt, wir sollten zum Bischofspalast. Dort sollen wir uns alle treffen«, berichtete er atemlos.

Doch ben Levi lachte nur trocken. »Da sind wir auch nicht sicherer als hier. Und ich will meinen Laden nicht dem plündernden Pöbel überlassen! Ich wette, auch die lieben Nachbarn lecken sich bereits die Finger nach meinem Gold. Wenn du willst, kannst du bei uns bleiben.« Er blickte in die Runde der fünf Männer. »Wir können jede Hand gebrauchen.«

Doch David schüttelte den Kopf. »Ich muss weiter zu Jehuda«, erklärte er.

»Sein Segen gehe mit dir«, beschied ben Levi und machte mit der rechten Hand ein Segenszeichen über David. Dann zog er die Tür einen Spalt auf und spähte hinaus. »Die Luft ist rein, wir sehen uns nächstes Jahr in Jerusalem!«

Schon stand David wieder auf der Straße. »Nächstes Jahr in Jerusalem«, antwortete er noch halblaut. Die Abschiedsfloskel wirkte in ihm nach. Fürchtete der Goldschmied tatsächlich, dass sie sich längere Zeit nicht mehr sehen würden? Und Jerusalem? Er glaubte nicht, dass er die Heilige Stadt jemals betreten würde. Dann straffte er die Schultern. Peters Kreuzfahrer waren doch auch nach wenigen Tagen weitergezogen, so schlimm würde es schon nicht werden. Gedankenvoll lief er weiter zum Friesenviertel. Jehuda hatte tatsächlich noch nichts von dem drohenden Unheil erfahren. Geschockt versprach er, sich mit seiner Familie auf den Weg zu machen, und schon lief David weiter. Er überbrachte seine Nachricht noch an fünf Familien, dann entschied er, dass seine Pflicht nun erfüllt sei. Zügig machte er sich selbst auf den Weg zum Bischofspalast. Der lag im Süden des Willigis-Doms, der zusammen mit dem alten Dom im Westen und der Liebfrauenkirche im Osten das Herz des Erzbistums bildete. Beim Anblick des prächtigen Bauwerks durchströmte ihn Zuversicht. Mainz war neben Rom der einzige Ort, der sich ­»Heiliger Stuhl« nennen durfte, und Erzbischof Ruthard war einer der wichtigsten Männer des Reiches, der Vertreter des Papstes nördlich der Alpen. Wie könnte sich ein einfacher Graf dem Willen eines solchen Kirchenfürsten widersetzen? Doch noch bevor er den Kreuzgang des Doms, der ihn mit dem Bischofpalast verband, erreichte, schwand seine Hoffnung. Die Straßen waren voller Kreuzfahrer in ihren abgerissenen, vor Schmutz starrenden Kleidern. Er schauderte, als er erkannte, dass es sich bei manchem Dreck um Blut handelte. Klebte dort das Blut der Brüder und Schwestern aus Uarmaisa? Der Weg zum Bischofssitz war ihm abgeschnitten. Wohin sollte er sich wenden? Da fiel ihm Marcus ein. Er würde bei dem Freund unterkommen, bis sich alles beruhigte! Tatsächlich fand David Marcus bei seinen Eltern in der Fleischergasse. Es dauerte auch hier, bis sich die fest verrammelte Tür des Hauses öffnete.

»Bist du verrückt, draußen rumzulaufen? Emichos Männer gieren nach dem Leben von euch Juden!«, empfing ihn der Freund erschrocken. Seine Eltern standen schweigend hinter ihm. Ihre Blicke sagten, dass sie sich nicht wohl in ihrer Haut fühlten und wohl lieber keinen Juden aufgenommen hätten, aber der Anstand und das Wissen um die langjährige Freundschaft der beiden Jungen ließ sie schweigen.

»Man sieht mir doch nicht an, dass ich zur Gemeinde gehöre«, wehrte sich David lahm.

»Und wenn dich einer erkennt?«, brauste Marcus auf. »Hast du überhaupt schon gehört, wer den Kerlen das Tor geöffnet hat? Das war Gerold, der, soweit ich weiß, bei deinem Onkel in der Kreide steht! Was meinst du, wie der sich ins Fäustchen lacht, wenn er gerade dich erwischt.«

Davids Mund wurde trocken. »Gerold war das?«, fragte er erschüttert. »Dieser, dieser …« Er brach ab. »Noch ist nicht alles zu spät. Mein Onkel hat seine Familie zum Bischofspalast gebracht, und ich hoffe, auch etliche andere sind sicher dort angekommen. Nur als ich nachkommen wollte, war der ganze Domplatz und auch die Gassen vor dem Palast mit Kreuzfahrern verstopft«, erklärte David resigniert.

Da legte Marcus’ Mutter ihm die Hand auf die Schulter. »Nun setz dich erst einmal hin, ich mache dir etwas zu essen.« Offensichtlich hatte ihr Gewissen gesiegt. Auch ihr Mann setzte sich in Bewegung. »Du bleibst einfach hier bei uns, bis die ganze Sache vorbei ist. Hat dich denn jemand hereinkommen sehen?«

David wurde es flau im Magen, doch er schüttelte den Kopf. »Ich habe niemanden bemerkt. In diesem Teil der Stadt ist es sehr ruhig.«

Das Spital zu Jerusalem

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