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III. Das 2. Betreuungsrechtsänderungsgesetz 2005

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Im Juni 2001 beschloss die 72. Konferenz der Justizministerinnen und Justizminister eine Bund-Länder-Arbeitsgruppe „Betreuungsrecht“ einzusetzen mit dem Auftrag, Vorschläge zur Änderung des Betreuungsrechts zu erarbeiten, die dazu beitragen, „fehlgeleitete Ressourcen im Interesse der eigentlichen Betreuungsarbeit zu bündeln und die Eingriffe in das Selbstbestimmungsrecht der Betroffenen auf das Notwendige zu beschränken.“[1] Die Arbeitsgruppe präsentierte ein Jahr später, im Juni 2002, einen Zwischenbericht und legte im Juni 2003 einen Abschlussbericht vor, der einhellig durch die Konferenz der Justizministerinnen und -minister gebilligt wurde. Die Arbeitsgruppe unterbreitete u.a. Vorschläge und Handlungsempfehlungen zu folgenden Punkten:

Stärkung der Vorsorgevollmacht,
Pauschalierung der Vergütung und des Aufwendungsersatzes,
Einführung einer gesetzlichen Vertretungsmacht von Angehörigen,
Stärkung des Rehabilitationsprinzips,
Stärkung der Aufsicht im Betreuungsrecht,
Übertragung richterlicher Aufgaben auf den Rechtspfleger,
Änderungen des Verfahrensrechts.

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Auf der Grundlage des Abschlussberichtes der Arbeitsgruppe[2] beschloss der Bundesrat am 19.12.2003 den Entwurf eines 2. Gesetzes zur Änderung des Betreuungsrechts.[3] Dort wird ausgeführt, die an das am 1.1.1992 in Kraft getretene Betreuungsgesetz geknüpften Erwartungen hätten sich nicht erfüllt. Folgende Kritikpunkte wurden formuliert:

Überproportionaler Anstieg von Betreuungszahlen,
Zentrierung auf justizielle Verfahren,
Explosionsartiger Anstieg von Kosten.

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Der Entwurf des Bundesrates wurde vom Deutschen Bundestag nach erster Lesung am 4.3.2004 u.a. dem Rechtsausschuss überwiesen. Dort fanden am 26.5. und 16.6.2004 Sachverständigenanhörungen statt. Der Bundestag diskutierte in seiner Sitzung vom 18.2.2005 in zweiter und dritter Lesung den vom Bundesrat eingebrachten Gesetzentwurf und die Beschlussempfehlungen des Rechtsausschusses. Der Gesetzesentwurf wurde dann in der Fassung der Empfehlung des Rechtsausschusses angenommen. Am 18.3.2005 passierte das Gesetz den Bundesrat und trat am 1.7.2005 in Kraft.

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Vorab war (seit 2004) durch die Errichtung eines zentralen Vorsorgeregisters bei der Bundesnotarkammer in den §§ 78 ff. BNotO die Rechtsgrundlage für eine zentrale Registrierung solcher Vollmachten geschaffen worden (Ende 2015 werden dort rund 3 Mio. Vollmachten registriert sein).

Quelle: Zentrales Vorsorgeregister der Bundesnotarkammer; Grafik: Deinert


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Durch das 2. BtÄndG wurden die nachstehenden Änderungen herbeigeführt:

1. Stärkung der Vorsorgevollmacht durch a) Neufassung des § 4 BtBG. Der Betreuungsbehörde oblag zunächst nur die Beratung und Unterstützung der Betreuer. Nunmehr ist der Behörde als Pflichtaufgabe auch die Beratung und Unterstützung der Bevollmächtigten zugewiesen. b) Beglaubigungskompetenz der Betreuungsbehörde, § 6 Abs. 2 BtBG. Um Bürgern, die aus Kostengründen einen Gang zum Notar scheuen, entgegenzukommen, wurde die Betreuungsbehörde autorisiert, Unterschriften oder Handzeichen auf Vorsorgevollmachten und Betreuungsverfügungen zu beglaubigen. Dies gilt allerdings nicht für Unterschriften oder Handzeichen ohne einen Text. c) Beratung von Bevollmächtigten durch Betreuungsvereine als Pflichtaufgabe, § 1908f Abs. 1 Nr. 2 BGB. d) Beratung im Einzelfall von Personen bei der Errichtung einer Vorsorgevollmacht durch Betreuungsvereine als freiwillige Aufgabe, § 1908f Abs. 4 BGB. e) Änderung des Melderechtsrahmengesetzes. Durch Landesrecht kann die Befugnis von Bevollmächtigten bestimmt werden zur Vertretung von melde- und auskunftspflichtigen Personen. Die Bevollmächtigung muss allerdings in der Form einer öffentlichen Vollmacht oder durch eine von der Betreuungsbehörde beglaubigten Vollmacht nachgewiesen sein. f) Neufassung des § 51 ZPO. Damit wird einem Vorsorgebevollmächtigten die Möglichkeit eröffnet, seinen Vollmachtgeber gerichtlich zu vertreten. g) Neuregelung des § 1901a S. 2 BGB. Einführung einer Unterrichtungspflicht gegenüber dem Vormundschaftsgericht bezüglich aller Schriftstücke, in denen der Betroffene eine andere Person mit der Wahrnehmung seiner Angelegenheiten bevollmächtigte. Die Unterrichtungspflicht trifft den Besitzer der Dokumente.

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2. Verfahrensrecht a) Erleichterung der Abgabemöglichkeit an ein anderes Betreuungsgericht, § 65a FGG (jetzt § 273 FamFG). b) Abgabemöglichkeit von Unterbringungsmaßnahmen nach Anhörung des gesetzlichen Vertreters und des Betroffenen an das Gericht des Vollzugs, § 70 Abs. 3 FGG (jetzt § 314 FamFG). c) Verbot des Einsatzes von Proberichtern in Betreuungssachen im ersten Jahr ihrer Ernennung, § 65 Abs. 6 FGG (jetzt § 23c Abs. 1 GVG). d) Öffnungsklausel, § 19 RPflG. Die Landesregierungen werden ermächtigt, weitere Aufgaben in Betreuungssachen, insbesondere die Auswahl und die Bestellung des Betreuers, in die Zuständigkeit der Rechtspfleger zu legen (von Bayern und Rheinland-Pfalz inzwischen umgesetzt). In der Richterzuständigkeit verbleiben müssen Grundentscheidung über die Anordnung der Betreuung einschließlich der Festsetzung und Erweiterung des Aufgabenkreises und die Aufhebung der Betreuung, ebenso wie der Verlängerung. Ferner unterliegen die Maßnahmen der freiheitsentziehenden Unterbringung mit Hinblick auf Art. 104 Abs. 2 GG sowie Aufgaben nach §§ 1903–1905 BGB dem Richtervorbehalt. Damit wird das Prinzip der Einheitsentscheidung zur Disposition gestellt, d.h., die Anordnung der Betreuung und die Auswahl des Betreuers erfolgen in einer Entscheidung. Der Gesetzgeber des Betreuungsrechts bezeichnete die Einführung der Einheitsentscheidung als ein Kernpunkt der Reform des „alten“ Vormundschaftsrechts.[4] Das Auseinanderfallen des Ausspruchs der Entmündigung oder der Anordnung einer Pflegschaft durch den Richter und die Auswahl des Vormunds oder Pflegers durch den Rechtspfleger wurde seinerzeit als ein wesentlicher Mangel des Entmündigungs- und Gebrechlichkeitspflegschaftsrechts gebrandmarkt. e) Vorrang der Bestellung eines ehrenamtlichen Verfahrenspflegers, § 67 Abs. 1 Nr. 2 S. 5 FGG (jetzt § 276 Abs. 3 FamFG), der auch bei Unterbringungsmaßnahmen gilt, § 70b Abs. 1 FGG (jetzt § 317 Abs. 3 FamFG). Gerade diese Neuregelung begegnet massiven Bedenken. Das Amt des Verfahrenspflegers bedarf großer Kenntnisse sowohl im Verfahrensrecht als auch im materiellen Recht, um die Interessen des Betroffenen in dem anhängigen Betreuungs- bzw. Unterbringungsverfahren zu wahren und nicht zu einem bloßen Feigenblatt zu verkommen. Eigentlich ist der Einsatz eines Ehrenamtlers nur bei einfach gelagerten Betreuungsfällen, bei denen das Erfordernis einer juristischen Qualifikation keine Rolle spielt, möglich. Die Verfahrenspflegschaft dient in erster Linie der verfassungsrechtlich gebotenen Sicherung des rechtlichen Gehörs des Betroffenen. Der regelmäßig in seiner geistigen und körperlichen Leistungsfähigkeit stark eingeschränkte und hilfsbedürftige Betroffene soll – damit das Gefühl der Ausgeliefertheit gegenüber Richtern und Ärzten kompensiert wird – durch einen qualifizierten Vertreter gegen den drohenden Eingriff in seine persönliche Freiheit vertreten werden.[5] f) Heranziehung eines ärztlichen Gutachtens des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung, das zur Beurteilung des Pflegebedarfs im Rahmen der Pflegeversicherung, § 18 SGB XI, eingeholt wurde. Hält das Gericht das MDK-Gutachten für geeignet, eine weitere vollständige oder teilweise Begutachtung im Betreuungsverfahren zu ersetzen, ist vorab obligat die Einwilligung des Betroffenen bzw. des Verfahrenspflegers einzuholen, § 68b Abs. 1a S. 5 und 6 FGG (jetzt § 282 FamFG). Die Neuregelung führte zu einer Anpassung von § 94 SGB XI und § 76 Abs. 2 Nr. 3 SGB X. g) Verlängerung der Überprüfungsfrist von fünf auf sieben Jahre, § 69 Abs. 1 Nr. 5 FGG (jetzt § 295 Abs. 2 FamFG). h) Keine Betreuerbestellung gegen den freien Willen des Betroffenen, § 1896 Abs. 1a BGB. Diese vermeintliche Stärkung des Selbstbestimmungsgrundsatzes kann zugleich als verdeckte Wiedereinführung der Prüfung der Geschäftsfähigkeit verstanden werden, zumal der Begriff des freien Willens in § 104 Nr. 2 BGB und in der obigen Bestimmung durch Rechtsprechung und Literatur als deckungsgleich angesehen wird.[6]

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3. Aufsicht und Eignung a) Prüfung der Eignung bei der erstmaligen Bestellung eines Berufsbetreuers durch die Betreuungsbehörde, § 1897 Abs. 7 BGB. Der Bewerber soll von der Betreuungsbehörde aufgefordert werden, ein Führungszeugnis und eine Auskunft aus dem Schuldnerverzeichnis vorzulegen. Hier wird etwas festgeschrieben, was ohnehin schon Praxis der Betreuungsbehörden in den zurückliegenden Jahren war. Ferner hat die avisierte Betreuungsperson sich über Zahl und Umfang der von ihr geführten Betreuungen zu erklären. Diese Regelung korrespondiert mit § 10 VBVG. Danach ist jeder Berufsbetreuer verpflichtet, der Betreuungsbehörde seines Wohnsitzes – die Zahl der von ihm im Kalenderjahr geführten Betreuungen aufgeschlüsselt nach Heimbewohnern und Nichtheimbewohnern und – die insgesamt aus Betreuungen erzielten Einkünfte mitzuteilen. b) Nichtbestellung mehrerer Berufsbetreuer, § 1899 Abs. 1 BGB. Ausnahmen: Sterilisation, § 1905 BGB sowie in den Fällen des § 1792 BGB (u.a. große Vermögensverwaltung, Interessenkollision). c) Entlassung des Betreuers bei vorsätzlicher Falschabrechnung, § 1908b Abs. 1 BGB. Wird eine Entlassung des Betreuers hierauf gestützt, ist über die Neuregelung des § 69g Abs. 1 FGG (jetzt § 58 FamFG) die Beschwerdemöglichkeit eröffnet. d) Anordnung zur Erstellung eines Betreuungsplans in geeigneten Fällen, § 1901 Abs. 4 S. 2 BGB.

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4. Vergütungsrecht

Die Vergütung der beruflichen Betreuer wurde pauschalisiert. Hierbei ging der Gesetzgeber von drei Prämissen aus:

Die Betreuung eines in einem Heim lebenden Betroffenen ist einfacher;
die Betreuung eines vermögenden Betreuten ist aufwändiger;
bei einer bestehenden Betreuung nimmt der Zeitaufwand ab.

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Dementsprechend verfuhr der Gesetzgeber bei der Bemessung der Pauschalen: Der dem Betreuer zu ersetzende Zeitaufwand ist abhängig davon, ob der Betreute ein Heimbewohner/Nichtheimbewohner bzw. mittellos/vermögend ist und weiterhin variiert die Vergütungshöhe nach der Dauer der Betreuung. Die Einzelheiten wurden in dem neu geschaffenen Vormünder- und Betreuervergütungsgesetz (VBVG) geregelt. Die Vergütungsstufen bzgl. der Qualifikation der Betreuer blieben erhalten.

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Zu den Regelungen im Einzelnen:

§ 1 VBVG: Feststellung der Berufsmäßigkeit und Vergütungsbewilligung bei Vormündern (und Betreuern);
§ 2 VBVG: Erlöschen der Ansprüche 15 Monate nach Entstehung;
§ 3 VBVG: Stundensätze bei Führen von Verfahrenspflegschaften, Ergänzungsbetreuungen, Vormundschaften (zwischen 19,50 und 33,50 €/Std zzgl. Umsatzsteuer)
§ 4 VBVG: Stundensätze bei der beruflichen Führung von Betreuungen (§ 1897 Abs. 6 BGB; zwischen 27,00 und 44,00 €/Std incl. damaliger Umsatzsteuer und Aufwendungsersatz);
§ 5 VBVG: Stundenansätze, differenziert danach, ob die betreute Person Heimbewohner/Nichtheimbewohner bzw. mittellos/vermögend ist (zwischen 2 und 8,5 Stunden monatlich);
§ 6 VBVG: Vergütung des Zweitbetreuers bei Sterilisation und des Verhinderungsbetreuers (§ 1899 BGB);
§ 7 VBVG: Vergütung von Vereinsbetreuern (§ 1897 Abs. 2 BGB);
§ 8 VBVG: Vergütung von Behördenbetreuern (§ 1897 Abs. 2 BGB);
§ 9 VBVG: Abrechnungszeitraum für die Betreuungsvergütung (quartalsweise);
§ 10 VBVG: Jährliche Mitteilungspflicht der Berufsbetreuer an Betreuungsbehörde;
§ 11 VBVG: Umschulung und Fortbildung von Berufsvormündern und Betreuern.

Zur Betreuervergütung hat sich seit Inkrafttreten des 2. BtÄndG eine intensive und inzwischen gefestigte Rechtsprechung, in den letzten Jahre, auch durch den BGH, ergeben. Es wird auf die Ausführungen im Kapitel III, Ziff. 10 (Rn. 1888) verwiesen.

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