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Das dritte Kind

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Denniz war inzwischen 16 geworden, Beni schon fast 17. Während eines Urlaubs, die Band gönnte sich einige Wochen Ruhe, um zuhause mit der Familie zusammen zu sein und etwas Schulbildung nachzuholen, sass Beni in seinem kleinen Zimmer in der Dreizimmerwohnung seiner Eltern in einem Hochhaus und spielte auf seiner Gitarre. Er hatte sie vor gut zwei Jahren von Denniz auf den vierzehnten Geburtstag bekommen. Zuvor hatte er auf einer alten Gitarre seiner Grossmutter gespielt. Ein Erbstück, emotional wertvoll, aber doch schon etwas in die Jahre gekommen. Denniz, bzw. seine Familie konnte sich das leisten, deswegen sass er jetzt mit einer Neuen da. Unzählige Songs konnte er blind spielen, er übte und übte immer wieder Neues.

An jenem Abend war er wohl etwas zu laut. Sein Vater störte es beim Fernsehen. Er hatte bereits eine Flasche Jack Daniels getrunken und lallte wirres Zeug auf dem Sofa. Seine Frau, Benis Mutter, sass neben ihm, zusammengekrümmt wie ein Häufchen Elend. Sie hatte blaue Flecken im Gesicht und zitterte. Beni‘s Vater war Alkoholiker und schlug seine Frau regelmässig grün und blau. Doch sie war körperlich sowie emotional zu schwach um sich dagegen zu wehren oder ihn anzuzeigen.

Denniz hatte dies schon früh mitgekommen und zuhause erzählt. Auch Beni machte schon als kleiner Junge öfter Bemerkungen diesbezüglich und meinte manchmal beiläufig, wie schön und harmonisch es bei Denniz zuhause sei. Denniz‘s Mutter hatte mehrmals versucht mit ihr zu reden und sie zur Vernunft zu bringen. Sie solle in ein Frauenhaus gehen, wenigstens ihrem Sohn zuliebe. Doch aus Angst und Scham machte sie das nicht.

So war Beni schon von klein an oft bei Denniz, ass und übernachtete mehr hier als bei sich zuhause. Ab und an rief der Vater angetrunken an und wollte wissen wo sein Sohn sei, sie sollen ihn nach Hause schicken. Er hatte aber nichts weiter unternommen, wenn Denniz Eltern das darauf hin nicht machten. Auch hatte er seine Hand noch nie gegen Beni erhoben.

Bis an diesem Abend. Sein Vater stand urplötzlich auf, schlug die Hände um sich und schrie: „Das ist ja nicht zum Aushalten dieser Krach!“

Benis Mutter krümmte sich noch weiter in die Sofaecke, während ihr Mann im Gesicht rot anlief. Dann stürmte er in Beni‘s Zimmer und fauchte ihn an: „Was soll denn dieser Krach, was erlaubst du blöder Bengel dir, mich zu stören?“

Beni wollte etwas sagen, doch dazu hatte er keine Gelegenheit mehr. Sein Vater riss ihm die Gitarre aus den Händen, holte aus und schmetterte sie auf Beni’s Kopf herunter. Es ging so schnell, er sass nur da und wusste nicht wie ihm geschieht. Ungläubig sah er seinem Vater dabei zu, er konnte nicht einmal mehr seine Arme über den Kopf legen, um sich zu schützen.

Hinter dem Vater stand plötzlich auch Beni’s Mutter, weinend und flehend: „Bitte hör auf, das ist doch unser Junge!“

Nach dem Schlag wurde auch dem Vater bewusst, was er getan hatte. Sein Blick wurde starr: „Das habe ich nicht gewollt!“ stotterte er, verliess fluchtartig das Zimmer und schloss sich im Badezimmer ein.

Denniz und seine kleine Schwester Melanie sassen auf dem Sofa und spielten ihr Lieblingsgame. Sie freute sich sehr, dass Denniz ein paar Wochen zu Hause war. Seine Eltern sassen im Wintergarten, als das Telefon klingelte. Ayleen hob den Hörer ab und begrüsste Beni’s Mutter. Schnell hörte sie an ihrer Stimme, dass etwas nicht stimmte und ihr Blick wurde besorgt. Denniz hatte ebenfalls gehört wer es ist und beobachtete den Gesichtsausdruck seiner Mutter. Gespannt hörte er zu, als Ayleen schockiert fragte, ob das ihr Ernst sei. Beni’s Mutter wusste nicht, wen sie sonst anrufen sollte, um zu erzählen was passiert war und Hilfe zu holen. Die Polizei oder einen Krankenwagen zu rufen, war sie aus Angst vor ihrem Mann nicht fähig. Ayleen sagte, sie seien gleich da, sie solle runterkommen und legte auf.

„Was ist los?“ wollte Denniz wissen.

Sie schnappte sich die Autoschlüssel: „Wir müssen zu Beni nach Hause und ihn ins Krankenhaus fahren.“ Sie erzählte was passiert war und wollte losfahren.

„Ich komme mit!“ Denniz stand auf.

Ich lasse euch beide nicht allein zu diesem Psychopathen fahren, ich komme ebenfalls mit!“ meinte Jonathan bestimmt und zog sich ebenfalls seine Jacke an.

„Ich will aber nicht alleine zuhause bleiben!“ Die kleine Melanie sah ihre Eltern mit grossen, erwartungsvollen Augen an.

Ayleen und Jonathan warfen sich nur einen kurzen Blick zu und stimmten dann etwas wiederwillig zu. Also fuhr sie ebenfalls mit. Ayleen fand das eigentlich keine so gute Idee, zumal am nächsten Tag Schule war, aber zum Diskutieren war jetzt keine Zeit.

Als sie vor dem Block, in dem Beni wohnte, vorfuhren, standen Beni und seine Mutter schon auf dem Parkplatz. Sie kamen offensichtlich unbemerkt am Vater vorbei nach draussen. Vielleicht wollte er auch nichts hören. Beni hatte ein Frottiertuch um den Kopf gewickelt und hielt es mit schmerzverzerrtem Gesicht fest. Seine Mutter weinte immer noch, umarmte ihren Jungen und presste das bereits blutgetränkte Tuch gegen seine Wunde.

Die beiden stiegen ein, Melanie musste auf den Schoss von Denniz, damit alle Platz hatten und sie fuhren ins Krankenhaus. Beni hatte eine grosse Platzwunde am Kopf und verlor viel Blut. Umgehend wurde er in der Notaufnahme aufgenommen und die Wunde wurde genäht, während die anderen geduldig im Wartezimmer Däumchen drehten. Melanie war inzwischen auf dem Schoss ihrer Mutter eingenickt.

„Er muss zur Beobachtung über Nacht im Krankenhaus bleiben, aber morgen kann er wieder nach Hause!“ meinte später die Krankenschwester, als sie ihn auf sein Zimmer brachte. Die anderen standen nun auch um sein Bett herum. Denniz setzte sich zu seinem Freund aufs Bett, stiess ihn leicht in die Seite: „Das wird schon wieder, Alter!“

Beni sah in die Runde und sagte dann traurig: „Ich möchte aber gar nicht wieder nach Hause.“ er senkte den Kopf.

Ayleen versuchte ihn zu beruhigen: „Niemand wird dich unter diesen Umständen wieder nach Hause zu deinem Vater schicken. Du kannst auf jeden Fall zu uns kommen und bleiben solange du willst.“

Schockiert sah Beni’s Mutter sie an. Ayleen packte sie daraufhin am Arm, zog sie etwas vom Bett weg und redete leise aber wütend auf sie ein: „Wenn du so lange nicht fähig gewesen bist, die Konsequenzen aus dem Handeln deines Mannes zu ziehen, müssen wir das wohl jetzt tun! Ich mag dich, ich hätte dir auch geholfen, wenn du mich gelassen hättest. Aber du bist eine erwachsene Frau. Dass du das nicht annehmen wolltest, ist deine Sache. Wenn du dir selbst nicht genug wert bist, deinen gewalttätigen Mann zu verlassen, na schön. Aber jetzt geht es um Beni, deinen Sohn. Und er ist der Beste Freund meines Sohnes. Ich werde nicht zulassen, dass er darunter leidet. Wir werden Anzeige gegen ihn erstatten und dafür sorgen, dass sein Vater ihn so schnell nicht wieder sieht!“

„Bitte tut das nicht. Ihr wisst ja nicht, wie er reagieren wird. Er ist zu allem fähig! Ich flehe euch an!“ Beni’s Mutter winselte mit Tränen in den Augen.

Da ergriff Beni das Wort und schrie seine Mutter wutentbrannt an. Er war ausser sich: „Hör auf mit diesem jämmerlichen Gewinsel! Wie konntest du zulassen, dass es soweit kommt? Dass er mir das antut? Und nicht einmal jetzt willst du etwas dagegen unternehmen? Bin ich dir denn so wenig wert?“ Eine Träne lief über sein Gesicht: „Ich will euch beide nicht mehr sehen!“

Beni’s Mutter sah ihren Sohn einen Augenblick lang hilflos und verloren an. Dann schüttelte sie den Kopf und verliess wortlos das Krankenzimmer, die Türe fiel mit einem lauten Knall wieder zu. Das war wohl ihre Art mit der Situation umzugehen.

Beni begann ungehemmt zu weinen und legte den Kopf in beide Hände.

Betroffen aber dennoch entschlossen riefen Denniz’s Eltern daraufhin die Polizei an und erstatten gegen Beni’s Vater Anzeige wegen Körperverletzung.

Einige Tage später, Beni wohnte in der Zwischenzeit bei Denniz, standen zwei Polizeibeamte vor der Tür. Ayleen und Jonathan begrüssten sie, liessen sie herein und baten sie sich zu setzen.

Einer der Beamten begann zu sprechen: „Sie haben ja mitbekommen was passiert ist. Wir sind ihnen auch sehr dankbar, dass Sie dem Jungen eine Bleibe gewähren. Der Vater von Benjamin Fischer sitzt zur Zeit in Untersuchungshaft, seine Mutter ist in psychologier Betreuung. Das Sorgerecht wird den beiden nach diesem handgreiflichen Vorfall des Vaters und der offensichtlichen psychologischen Problemen der Mutter entzogen und Beni wird wohl bis zur Volljährigkeit in ein Heim kommen.“

„Muss das denn sein? Ich meine, dann ist er ja komplett aus seinem Freundeskreis gerissen, die Jungs sind ja sowieso mehr unterwegs als zuhause. Er könnte ja auch bei uns bleiben? Es dauert ja auch nicht mehr allzu lange bis er volljährig ist.“ Ayleen schüttelte über die Aussage bezüglich Heim verständnislos den Kopf!“

„Nun ja, wenn Sie, also die Familie Walkes, sich bereit erklären würde, das Sorgerecht zu übernehmen für die nächsten knapp zwei Jahre, dann könnte er auch bei ihnen bleiben. Vorausgesetzt natürlich der Junge möchte das ebenfalls. Es wäre etwas Papierkram, aber ich kann mir gut vorstellen, wenn wir das dem Richter so vorlegen, dass Ihnen das Aufenthaltsbestimmungsrecht bis zur Volljährigkeit zugesprochen würde.“

Ayleen sah Jonathan kurz fragend an und dieser nickte.

„Selbstverständlich!“ meinte sie dann: „Ich werde alles daran setzen, dass Beni nicht in ein Heim muss. Er war ja ohnehin schon immer mehr bei uns als bei ihm zuhause gewesen. Unser Haus ist auf jeden Fall gross genug und wie erwähnt, sie sind im Moment sowieso oft mit der Band auf Reisen.

„Nun, da kann ich mich nur bedanken! Wir werden dies gerne der Staatsanwalt und der Vormundschaftsbehörde so weiterleiten. Ich bin auf jeden Fall zuversichtlich, dass das unter diesen Umständen klappt!“

Der Polizist räusperte sich: „Einige Informationen zu den Familienverhältnissen benötigen wir aber noch, reine Formalität für die Formulare und falls jemand nachfragt. Aus den Unterlagen haben wir entnommen, dass der Nachname von Denniz Adamson ist, der Rest der Familie aber Walkes heisst.

Ayleen nickte und rollte leicht die Augen. Es war wohl an ihr, das zu erklären: „Nun es ist so, mein Mann Jonathan Walkes ist nicht der leibliche Vater von Denniz. Er hatte ihn adoptierte, als er drei Jahre alt war. Ich wollte seinen Nachnamen aber zu Ehren von seinem richtigen Vater nicht ändern. Als wir zwei Jahre später heirateten und ich zusammen mit Jonathan ein zweites gemeinsames Kind erwartete, habe ich mich nach langem Überlegen dazu entschlossen seinen Nachnamen anzunehmen. Daher heisse ich wie Melanie und ihr Vater. Denniz wollte ich zu einem späteren Zeitpunkt auf jeden Fall erklären, dass Jonathan nicht sein richtiger Vater ist, da spielt der Nachname keine grosse Rolle.“

Die Polizeibeamten nickten und notierten die Informationen von Ayleen in ihren Unterlagen.

„Dann möchten wir gerne wissen, was es mit der Anzeige wegen Drogenbesitzes auf sich hat, die es kurz nach der Geburt von Denniz gegen Sie gab.“ wieder schauten die uniformierten Männer Ayleen an. Die Sache sei zwar verjährt, aber sowas haftet einem ein Leben lang an. Also erläuterte sie auch diese Angelegenheit. Denniz Grossmutter väterlicherseits hatte damals diese Anzeige gegen sie gemacht und das Sorgerecht für den neugeborenen Jungen eingefordert. Bei einer Hausdurchsuchung wurde bei Ayleen Marihuana sichergestellt und die Sache landete vor dem Richter. Die Verhandlung fand zu Ayleen’s Glück in der Schweiz statt. Obwohl die Drogenpolitik weltweit vereinheitlicht wurde und Marihuana eigentlich inzwischen legal war, war es in den Köpfen vieler Menschen, vor allem in Ländern, in welchen es zuvor nicht weit verbreitet war, immer noch eine schwerwiegende Droge. In Finnland oder den USA hätte man ihr womöglich das Sorgerecht unter diesen Umständen entzogen. In der Schweiz war man sich aber schon länger daran gewöhnt und die Legalisation war schon lange vor der neuen Welt ein Thema. Deswegen sah der Richter dies damals relativ locker und die Anklage wurde fallengelassen.

„Mehr kann ich dazu nicht sagen!“ meinte Ayleen: „Es ist so gewesen und ich habe auch nach wie vor Marihuana im Haus, aber das ist ja heutzutage kein Verbrechen mehr.

Die Polizisten nickten, notierten wie zuvor und standen dann auf: „Dann ist ja alles klar, wir melden uns sobald die Formalitäten geklärt sind. Richten Sie Beni die besten Wünsche aus. Wir hoffen, dass er sich bei Ihnen gut einlebt.“ Sie schüttelten den Walkes die Hand und verabschiedeten sich.

So wurde aus dem guten Freund Beni so etwas wie ein Bruder für Denniz und die Familie wuchs um ein Mitglied. Seine Eltern haben kurz darauf ohne grosse Umstände das Sorgerecht zugesprochen erhalten und Beni war überglücklich darüber.

Die meiste Zeit waren sie im Moment zwar tatsächlich auf Tournee unterwegs, aber er freute sich, dass er nun offiziell hier zuhause war. Mit seinen Eltern hatte er den Kontakt komplett abgebrochen.

Einige Wochen später, Beni kam gerade nach Hause, Ayleen war alleine da, klingelte das Telefon. Ayleen ging ran und hatte schnell wieder einen betrübten Blick, den sie auf Beni richtete: „Es ist für dich, die Polizei.“ Erstaunt sah er sie an und ging zum Telefon.

Nun beobachtete Ayleen Beni, dessen Gesichtsausdruck immer dunkler wurde. Seine Augen glänzten durch die Tränen, die ihm in die Augen schossen. Er bedankte sich nur für die Information und legte den Hörer auf, dann setzte er sich wortlos auf einen der Barhocker in der offenen Küche und starrte kalt in eine Ecke.

Ayleen packte ihn an der Schulter: „Was ist los, was haben sie gesagt?“

Er sah sie an, die Tränen fingen an, herunter zu kullern. Dann begann er zu sprechen: „Die Beamtin am Telefon hat mir gerade erzählt, dass mein Vater gestern nacht sturzbetrunken meine Mutter zu Tode geprügelt hat und danach selbst aus dem 5 Stock gesprungen ist.“ Er legte den Kopf in seine Hände und weinte.

Ayleen schaute ihn einen Moment lang schockiert an. Dazu konnte man nicht viel sagen, so nahm sie ihn einfach in den Arm, küsste ihn zärtlich auf die Haare und sass einfach nur kopfschüttelnd neben ihm.

Auch Denniz und der Rest der Familie waren geschockt, als sie kurz darauf nach Hause kamen und erfuhren was passiert war. Betroffen sassen sie um Beni, als er aufstand und auf sein Zimmer ging: „Entschuldigt bitte, aber ich möchte etwas alleine sein!“

Der Verlust seiner Eltern, vor allem die Art und Weise auf die er sie verlor, hatten Beni im ersten Moment natürlich ziemlich zugesetzt. Doch es dauerte nicht lange, bis er es einigermassen verarbeitet hatte. Da es, wenn man es sich recht überlegte, eigentlich absehbar war, dass etwas in dieser Art passieren würde, versuchte er nicht allzu oft daran zu denken und war froh, dass er Menschen um sich hatte, die es besser mit ihm zu meinen schienen, als seine eigenen Eltern. Obwohl er selbst auch gerne mal einen über den Durst trank, konnte er nicht nachvollziehen, weshalb sein Vater derart aggressiv wurde, wenn er getrunken hatte und schwor sich und seinen Freunden, nie auch nur annähernd so zu werden, ansonsten sollen sie ihn in eine Klinik einweisen. Es war wie ein schwarzer Fleck in seiner Vergangenheit, eine Narbe, die nicht mehr wehtut, aber dennoch da war. So konnte er damit leben und versuchte sich an der Zukunft zu erfreuen. Dies klappte soweit sehr gut. Alles schien nun endlich wieder in geregelten Bahnen zu verlaufen und die Zeit der dramatischen Ereignisse war vorüber. So schien es zumindest kurzzeitig.



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