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K A P I T E L 6

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Dortmund, Anno Domini 1561

»Du bist Zeratostus‘ Tochter, oder korrekter gesagt: Du bist die Tochter des Dämons Elat.«

-Bam- Die Worte trafen mich wie eine Kanonenkugel. Um mich herum drehte sich alles. Der Zustand erinnerte mich an meine erste Zeitreise, damals, als ich auf dem Scheiterhaufen gestanden hatte und meinem Tod geradewegs ins Gesicht geblickt hatte. Schlagartig wurde mir übel. Ich presste mich noch dichter an die Eiche. »Nein, ihr müsst euch irren«, keuchte ich. Mein Atem ging stoßweise, und meine Gedanken überschlugen sich. Am liebsten hätte ich mich an Ort und Stelle in Luft aufgelöst und nichts mehr von alledem gehört. »Nein! Nein! Das kann nicht wahr sein! Mein Vater ist ein Engel. Ich bin mir da tausendprozentig sicher. Er war es gewesen, der mir im Wald beim Pilze sammeln geholfen hat, als ich den Abhang hinunterfiel. Ihr müsst euch dieses Mal irren!« Mit Wucht hatte ich mich von dem Baum abgestoßen und brüllte meine Worte geradewegs hinaus.

»Freyja, so beruhige dich doch«, zwitscherten die beiden Vögel wie aus einem Schnabel.

»Nein, ich will mich nicht beruhigen!« Sekündlich steigerte sich mein Zorn. »Warum erzählt ihr mir diese Lügen? Ihr könnt nicht Blitz und Donner sein. Genau, so wird es nämlich sein und deshalb habt ihr auch Hekate angegriffen. Ihr seid Boten der Dämonen.« Es gab nur diese eine Erklärung für mich, und diese schleuderte ich den beiden Vögeln gnadenlos entgegen.

Sie saßen stumm und betreten vor mir, wechselten untereinander Blicke und erklärten dann: »Wenn du uns nicht glaubst, solltest du mit Katharina sprechen.«

»Haha, der Witz war gut. Aber ihr wart auch schon einmal besser.« Ich konnte mich nicht beherrschen und sprach geradewegs das heraus, was mir auf der Seele brannte. Mein Sarkasmus schäumte regelrecht über. »Pff, ich soll ein Baby befragen? Sonst habt ihr keine Wünsche, was?«, fuhr ich sie weiter an und überlegte, was ich ihnen noch an die Köpfe werfen konnte.

»Nein, sie meinen mich.« Die Stimme war unverkennbar, die da direkt hinter mir erklang.

Ungläubig fuhr ich herum und stand einem riesigen Drachen gegenüber. Ich taumelte zurück, hörte das wilde Flattern der Vögel, als ich gegen den Baum knallte, auf dem sie gerade noch in Ruhe gesessen hatten. Aber wäre der Baum nicht gewesen, wäre ich wohl hingefallen.

Völlig erstaunt starrte ich den gigantischen Riesen an, den ich etwa auf zehn Meter schätzte. Die Bäume um den Drachen herum bogen sich zu den Seiten. Das war nie im Leben Großmutter Katharina, obwohl das Wesen sich ihrer Stimme bediente. Dieser Drache war grau und schimmerte in violetten Tönen.

»Freyja, erkennst du mich wirklich nicht?« Die Stimme war gütig und sanft und passte so gar nicht zu der imposanten Statur des Drachen. Dampf strömte unaufhörlich aus seinen Nüstern.

Sicherlich träume ich das alles nur. Ich zwang mich, in die großen Augen zu blicken. Dann entdeckte ich etwas, das mein Herz tief berührte. In den Seelenspiegeln des Drachen konnte ich meine Großmutter, die ich so sehr liebte und verehrte, erkennen. Der Drache sprach die Wahrheit.

»Wieso bist du so schnell gewachsen?«, fragte ich, immer noch verwirrt.

»Ich komme aus der Zukunft«, antwortete sie mir und knickte die massigen Vorderbeine ein, bei dem einer so dick wie zwei Eichen nebeneinander war.

Meine Gedanken schlugen immer noch Purzelbäume. Ich konnte nur noch an eine Sache denken. Ich will die Wahrheit über mich erfahren!

»Blitz und Donner …«, stotterte es aus mir heraus.

»Ja«, brummte sie.

»Sie erzählten mir gerade, dass ich …« Meine Stimme versagte, und so sehr ich mich auch bemühte, wollten diese Lügen nicht über meine Lippen.

»Sie klärten dich darüber auf, wer dein wahrer Vater ist«, ergänzte stattdessen der Drache, und ich konnte nur stumm nicken. Tränen rannen über meine Wangen. Sie darf es nicht bestätigen. Oh, bitte, große Göttin, lass es nicht geschehen, betete ich inständig.

Der Drache schwieg. Ich suchte seinen Blick und sah so der unheilvollen Wahrheit geradewegs entgegen.

»Sie haben recht«, brach sie endlich das Schweigen und zerstörte damit jegliche Hoffnungen, einem Irrtum aufgesessen zu sein. »Elat ist dein Vater. Schon damals war es ihm gelungen, sein Blut mit unserem zu mischen. Es war ein großes Unglück in unserer Familiengeschichte. Alles drohte unterzugehen, und das Böse hätte die Oberhand beinahe gewonnen. Mir blieb keine Wahl, ich musste handeln.«

Geistesgegenwärtig schüttelte ich den Kopf und strich mir die Haare nach hinten. Nein, nein! Das träume ich doch alles nur! Meine Gedanken fuhren regelrecht Achterbahn. Er kann nicht mein Vater sein. Es sprach doch so vieles dagegen. Meine Beine zitterten so heftig, dass ich den Halt verlor und mich mehr fallend als freiwillig auf dem Waldboden niederließ. Ich war unfähig, ihr weitere Fragen zu stellen. Aber das brauchte ich auch nicht, denn der Drache sprach weiter: »Es war grausam. Damals betete ich zu der großen Göttin, so wie ich es dich gelehrt hatte. Gaia kam tatsächlich zu mir, und ich flehte sie um Hilfe an. Sie gab mir eine Antwort, die alles andere als ein Happy End versprach.«

Wovon in aller Welt spricht sie? Das kann doch nicht meine Geschichte sein. Meine Gedanken schienen ein einziger Chaosstrudel zu sein. »Aber ich verstehe das alles nicht. Wann und wie ist es passiert? Warum spüre ich nichts von meinem dunklen Erbe? Mama hat es nie erwähnt, weiß sie es überhaupt?«, fragte ich ungläubig.

Der Drache schüttelte den massiven Kopf. »Sie und auch Elat haben es nicht mitbekommen. Es war nicht leicht gewesen. Ich musste ihn austricksen. Er weiß nicht, dass er dein Vater ist. Ich lenkte ihn mit allerlei Zauber ab. So konnte ich verhindern, dass sich das Böse in dir ausbreitete. Mir gelang es sogar, dass es vollends aus deinen Adern verschwand.«

Eisige Kälte hatte mich gepackt, und ich konnte ein wildes Zittern nicht unterdrücken. Fröstelnd schlang ich die Arme um mich.

»Die Göttin erklärte mir damals, dass es sehr schwer werden würde, die Mischung des Blutes rückgängig zu machen.«

»Stop!«, unterbrach ich sie. »Die Informationen sind zu viel. Sie wollen einfach nicht in meinen Kopf. Vielleicht bin ich auch zu dumm. Bitte erkläre mir, wie es passiert sein soll. Ich habe geglaubt, Mama wäre mit mir vor ihm aus Dortmund geflüchtet. Wie und wann sollte er sie denn geschwängert haben?«

Ein lautes Seufzen kam von dem Drachen, und mit einem Gurgeln hüllte mich ein Schwall dichter Rauch vollkommen ein. Ich hustete und hoffte, dass die Sicht sich bald wieder klären würde.

»Er hat ihr Gewalt angetan. Ich löschte dieses Trauma in ihr und pflanzte ihr stattdessen eine Erinnerung mit einem Engel ein. Sie fiel aus allen Wolken, als sich die Dunkelheit in dir offenbarte. Ich hatte keine Wahl, das war mir ziemlich schnell klar. Ich tat das einzig richtige, was die Mutter allen Seins mir erklärt hatte. Ich opferte mich für dich.«

Der Rauch hatte sich verzogen, und ich konnte den Drachen jetzt wieder klar und deutlich vor mir sehen. »Geopfert? Du hast dich für mich geopfert?«

Sie seufzte, und erneut strömte mir ihr Rauch entgegen. »Ich konnte meine Tochter, die du bereits, so ähnlich wie deine Schwester es auch tut, malträtiert hast, retten, indem ich einen Pakt einging.«

Die Sache wurde immer verworrener. »Von was für einem Pakt sprichst du?«

»Ich versuche dir die Lösung klar und deutlich zu benennen. Was du daraus machst, bleibt dir überlassen. Also, höre jetzt meine absolut ehrlichen Worte, die nur für dich sein werden: Du kannst die Fesseln im Kopf deiner Mutter nur lösen, wenn du versprichst, für deine Mutter zu sterben. Nur durch dieses Opfer kannst du beide, deine Mutter und auch deine Schwester retten.«

Ich hatte das Gefühl, ins Bodenlose zu stürzen. »Ich soll sterben? Wer hat sich denn so einen grausamen Plan ausgedacht?« Meine Stimme war nur mehr ein Wispern. Der Horror hatte sich gnadenlos in mir ausgebreitet und alle meine Zellen, so fühlte es sich jedenfalls an, befallen.

Der Drache schnaubte und schenkte mir einen Blick, den ich von meiner Großmutter her kannte.

»In der Natur findet alles seinen Ausgleich, kleine Freyja. Aber du hast recht. Dass du für die beiden sterben musst, war nicht Gaias Idee. Sie leidet selbst unter dieser Bürde. Es gibt immer auch die andere Seite, deshalb heißt es ja auch Pakt.« Der Drache seufzte abermals, und eine Träne tropfte auf Mutter Erde.

Mit dem nächsten Wimpernschlag erkannte ich, wem ich mein Schicksal zu verdanken hatte. Mir war mit einem Mal brüllend heiß. Mein Leib zitterte, als hätte ich mir eine schwere Grippe eingefangen.

»Du bist eine Rosenhexe, und in dir liegt die Hoffnung der gesamten Menschheit. Nur eine Rosenhexe kann sich diesem Schicksal stellen und das Böse so empfindlich treffen.«

Ihre letzten Worte waren wie durch Watte an mein Ohr gehallt, und dennoch verstand ich eindeutig die Botschaft, die in ihnen lag, und Hoffnung keimte schlagartig in mir auf. »Ich kann das Böse vernichten?«

»Ja! Du hast, wenn du dich entschieden hast, nicht mehr viel Zeit. Aber es gibt tatsächlich eine Möglichkeit, dein Schicksal abzuwenden.«

»Wirklich? Was muss ich machen? Wirst du mir helfen, Großmutter?« Ich war außer mir und wollte endlich alles erfahren.

»Ach Kind, niemand weiß, wann seine eigene Lebenszeit abgelaufen ist. Meine endete mit meiner Hinrichtung. Du weißt nur, dass du früher als gewöhnlich sterben musst, wenn es dir nicht gelingt, den Pakt aufzuheben. Ich werde dich nun über deine einzige Chance aufklären. Merke es dir gut!«

Ich zitterte noch stärker und spürte, wie ich gespannt den Atem anhielt.

Sie war wieder verstummt, und am liebsten hätte ich sie angeschrien, dass sie es mir endlich sagen sollte, und dann, nach Minuten, die mir wie Ewigkeiten vorkamen, sagte sie endlich die erlösenden Worte: »Du musst Elat töten. Das ist deine Chance, den Pakt für alle Zeiten auflösen.«

Ich muss mich verhört haben. Hörte denn dieser Wahnsinn überhaupt nicht mehr auf?

»Der Dämon wurde von uns gebannt«, schleuderte ich ihr meine Worte regelrecht entgegen. Ich glaubte immer mehr, mich in einem falschen Film zu befinden. Die Realitäten waren vertauscht.

Der Drache schüttelte abermals das wuchtige Haupt. »Nein! Er ist seinem Gefängnis entkommen. Die Medusa hat ihn befreit. Sie sind zusammen in diese Zeit gereist. Töte ihn, Freyja, um diesen Pakt ein für alle Mal zu beenden.«

Die Worte hingen bleischwer zwischen uns. Die Gesichter der Medusa und des Dämons geisterten vor meinem inneren Auge. Sie hatte recht, Natalja war hier, und somit war auch Zeratostus ganz in der Nähe. Uns standen jetzt zwei Todfeinde gegenüber. Ich muss Mama und Hekate beschützen. Meine Schwester auch, meldete sich eine leise Stimme in mir. Am liebsten wäre ich davongelaufen, aber ich durfte sie nicht im Stich lassen. Ich hatte eine Chance, wahrscheinlich meine einzige, um zu überleben und um meine Familie zu retten.

»Hast du noch weitere Fragen?«, riss mich der Drache aus meinem Gedankenwirrwarr.

»Nein … ja … doch. Was ist, wenn ich es nicht mache? Gibt es keine andere Lösung?« Es gab doch immer mehrere Lösungen. Es konnte doch nicht alles an mir liegen. Ich war doch nur ich, Freyja. Eine junge Frau, die noch nicht lange wusste, dass sie eine Hexe war.

»Nein! Wenn du dich dagegen entscheidest, wird Axara von dem Baby getötet werden, und deine Schwester ist dann für ewig verloren. Die Gilde der Rose wird aufhören, eine Linie von weißen Hexen zu sein. Elat hätte ein für alle Mal gewonnen.«

Ich hatte ihre Worte gehört, und doch wollte ich sie einfach nicht akzeptieren. Alles in mir sträubte sich gegen diese Tatsache. »Ich kann das nicht. Ich habe ganz große Angst und bin überhaupt nicht mutig genug.«

Ich schmeckte das Salz meiner Tränen, die mir unaufhaltsam die Wangen hinabliefen.

»Freyja, wie kommst du darauf? Du bist eine mutige Frau. Denk doch mal daran, was du schon alles gewagt hast. Erinnere dich an die Befreiung deiner Mutter, an die Gefahren der NWO und an vieles mehr.«

Ehe ich weiter protestieren konnte, sagte sie etwas, das sich mir für alle Zeit ins Herz brennen sollte. »Mut heißt nicht, keine Angst zu haben. Mut heißt, es trotzdem zu wagen, egal was kommen mag.« Ich öffnete den Mund, um ihr zu sagen, dass ich es nicht schaffen würde, aber sie sprach bereits weiter: »Vergiss nie, dass du nicht alleine bist. Ich glaube fest an dich. Du bist eine starke und weise Hexe. Eine echte Rose.« Mit den letzten Worten löste sie sich mitsamt den beiden Zaubervögeln in Luft auf.

Fassungslos blickte ich auf die Stelle, an der der große Drache eben noch gestanden hatte. Ich konnte die Abdrücke der Füße noch deutlich erkennen. An der Stelle war das Gras plattgetreten. Wenn es nicht gewesen wäre, hätte ich sicherlich an einen bösen Traum gedacht. Aber es war wahr! Ich musste das ganze erst einmal verdauen und konnte mit niemanden darüber reden. Auch nicht mit Hekate. Und weil ich wusste, wie neugierig meine Ahnin war, wandte ich den Zauber an, um sie aus meinem Kopf fernzuhalten. Für mich stand felsenfest, dass ich überhaupt keine Wahl hatte. Ich musste diese schwere Bürde tragen, ob ich es wollte oder nicht. Niemals würde ich es mir verzeihen, wenn Mama meinetwegen starb und meine Schwester die Person war, die das Erbe der Rose ins Verderben stürzte. Ich nahm meine Athame in die Hand, hielt das Messer hoch und blickte dabei gen Himmel, der lediglich in Fetzen zwischen den meterhohen Bäumen hervorlugte.

»Gaia«, rief ich so laut es meine immer noch zitternde Stimme zuließ. »Ich brauche deine Hilfe.«

Ich kann nicht, ich bin viel zu geschafft und schwach. Ich sollte es abbrechen. Aber in diesem Moment beseelte mich ein wundervolles Gefühl. Wärme, wie von gleißenden Sonnenstrahlen breitete sich in meinem Inneren aus. Geborgenheit, schoss mir die Beschreibung in den Kopf. Mein Blick wanderte zu allen Seiten, und ich wusste in diesem Augenblick, dass die Göttin nicht nur im Himmel war. Nein, sie war überall um mich herum. In jeder Blume, in jedem Baum, in jedem Tier. Großmutter Katharina hatte wie immer recht, ich war nie allein. Das beruhigte mich ungemein, und eine Energiewelle durchströmte mich, schenkte mir Kraft und Zuversicht, mit allem Kommenden fertig zu werden.

Meinen Zauberspruch beginnend, verneigte ich mich gen Osten und widmete den Spruch dem Element Luft.


»Bei wildem Sturm und sanfter Bö, bei Lufthauch und meinem Odem, bei Blätterrascheln und Wellen auf dem See, rufe ich dich, die Kraft der Luft!«


Ein starker Windhauch schlug mir entgegen und peitschte meine langen Haare. Ein Zeichen des Elements, dass es mich erhört hatte. Ich fuhr fort:


»Keiner darf in meine Gedanken, verriegle sie mit heißer Luft, zwing sie in ihre Schranken. Mit Liebe wehre ich Hekate und alle anderen ab, das verdanke ich deiner Macht. Ein Hauch vergeht, wirst immer sein. Ich weiß, du lässt mich nie allein!«

Während ich mich aufrichtete, führte ich die Athame durch die Luft, als würde ich etwas zerschneiden. Damit hatte ich meine Grenze gezogen. Jetzt war ich sicher vor Hekates Neugierde.

Ich straffte meine Schultern und blickte zum Himmel. »Ich stehe vor einer sehr schweren Aufgabe. Ich brauche deine Hilfe.«

»Freyja!« Hekates Ruf riss mich aus meiner Bitte.

Ich atmete tief durch, um mich nach meiner Ahnin umzublicken. Ihre Miene spiegelte Sorge und Ärger zugleich. Sie kam geradewegs auf mich zugelaufen. »Wo warst du denn die ganze Zeit, und wo sind Blitz und Donner?«

»Sie sind fort. Wo ist meine Mutter?«, fragte ich und unterdrückte die Angst, die sich schon wieder ihren Weg in mir suchen wollte. Wir dürfen Mama nicht mehr einen Moment aus den Augen lassen. Sie ist in großer Gefahr.

»Fort? Ich wollte mit ihnen reden. Axara ist im Haus, sie stillt das Baby. Was haben dir die beiden mitgeteilt?« Ihr Blick war durchdringend.

Ich atmete tief ein und zuckte mit den Schultern. »Lass uns auch ins Haus gehen«, sagte ich, statt ihr eine Antwort zu geben. Ich hoffte, sie würde mein Schweigen widerstandslos akzeptieren. Doch da hatte ich mich getäuscht, denn bereits im nächsten Augenblick geschah etwas, das ich nicht verhindern konnte. Ein ohrenbetäubender Knall fuhr mir durch Mark und Bein. Was war das? Ich sah zu meiner Ahnin, die, als hätte sie eine unsichtbare Kraft gestoßen, von mir fort taumelte, sodass sie den Halt verlor und hinfiel. Es war genau an der Stelle, an der der Drache sich materialisiert hatte. Sie saß praktisch in einem der Fußabdrücke. Ich sah Hekates zerknirschten Gesichtsausdruck und wusste mit einem Mal, was das für ein Knall war. Meine Urgroßmutter hatte wieder einmal versucht, unerlaubterweise meinen Kopf zu betreten. Zum Glück hatte mein starker Zauber sie daran gehindert.

»Danke«, hauchte ich gen Himmel. Ohne es zu wollen, musste ich über die Lektion, die Hekate gerade eben erfahren hatte, grinsen. Ich half ihr auf die Beine und verbiss mir jeglichen Kommentar. Hekates Wangen glühten. Sie senkte den Blick gen Boden und befreite ihren Rock von Dreck und Laub.

Schweigend gingen wir zum Haus. Erst als wir es betreten hatten und ich feststellte, dass Axara mit meiner Schwester nicht in der Kammer war, sprach ich wieder mit meiner Ahnin. »Du sagtest doch, dass wir uns nicht lange im Haus aufhalten können. Wie sieht dein Plan aus?« Müde und erledigt ließ ich mich auf einem der Küchenstühle nieder. Sofort fühlten sich meine Beine noch schwerer an.

Hekate wirkte gedankenverloren und lehnte sich an eine Anrichte. »Ich weiß es nicht, Freyja. Axaras Auftauchen hat alles durchkreuzt. Sollte die Medusa wirklich hier herfinden, sind wir ihr ausgeliefert.«

Und nicht nur die Medusa. Ich biss mir auf die Lippen, um meine Gedanken nicht laut auszusprechen. Ein kalter Schauder überzog mich, und ich holte mir eine Decke, unter die ich mich kuschelte. An meine Feinde wollte ich nicht denken. Es war schon tragisch genug, dass nebenan das Böse in meiner Schwester wütete, auf die ich aus diesem Grund überhaupt keine Lust hatte.

Als hätte Mama meine Gedanken erraten, öffnete sich die Tür zur kleinen Kammer und sie trat mit dem Baby heraus. Sofort fiel mir ihr glasiger Blick auf. Auch wirkten ihre Bewegungen hölzern, wie von einer Marionette. Sie wurde von dem Baby kontrolliert, das wusste ich nun. Blödes Blag!

Sofort schüttelte ich über mich selbst den Kopf, als ich bemerkte, dass ich das Kind zum Teufel wünschte. Die Kleine konnte am allerwenigsten dazu. Zeratostus war der Übeltäter, schalt ich mich. Und meine Selbstkritik ging noch weiter. Ausgerechnet ich maßte mir an, so über sie zu richten. Ich war schließlich einmal in der gleichen Situation gewesen, und damals hatte sich meine Großmutter für mich geopfert, sonst wäre ich es gewesen, die das Blut der Familie Rose verraten hätte. Ein hässlicher Gedanke, der Übelkeit in mir auslöste. Ich erhob mich, um an die frische Luft zu gehen, da trat mir Mama in den Weg. Meine Schwester blickte mich neugierig an. So ein niedliches Gesicht und diese Augen. Sie hatte außergewöhnliche Augen. Das eine war braun und das andere grün. Untypisch für eine Rosenhexe, aber es verlieh ihr auch etwas Besonderes. Ansonsten sah das Baby normal aus. Ich sollte ihr etwas sagen, so etwas wie „Willkommen in unserer Familie“, aber ich brachte keinen Laut über die Lippen. Wir sahen uns beide nur schweigend eine ganze Weile lang an, und ich fragte mich, ob sie ahnte, dass ich über ihr Schicksal entscheiden musste.

»Wir sollten zu Bett gehen«, schlug Hekate vor. »Morgen können wir besprechen, was wir machen sollen.«

Ich nickte ihr zu. Einen genauen Plan hatte ich noch nicht, und es war der einzige Vorschlag. Außerdem würde ein bisschen Schlaf mir sicherlich guttun.

Ich sah Axara hinterher, die sich ohne sich zu verabschieden, wieder umdrehte und erneut in der Kammer verschwand. Ich muss den beiden helfen, etwas anderes kam für mich nicht in Frage.

»Wir müssen einen Schutzzauber sprechen«, riss mich Hekate aus meinen Gedanken. Sie hat recht. Auch wenn ich total erledigt war, wusste ich, wie lebenswichtig es in dieser Nacht sein würde.

»Du siehst sehr erschöpft aus«, stellte sie fest. Ich hatte dem nichts entgegenzusetzen.

Sie lächelte milde. »Ich bin auch sehr müde, Freyja, aber unsere Kraft muss wenigstens für eine Nacht reichen. Das sollten wir doch wohl hinbekommen.« Sie zwinkerte mir aufmunternd zu, und ich nickte lächelnd. »Geh und hole ein paar Rosen, ich bereite den Rest vor«, forderte sie mich auf.

Mit letzter Kraft machte ich mich daran, draußen sechs Blumen, die sich am Haus hochrankten, zu schneiden. Ihr aromatischer Duft strömte in meine Nase und unwillkürlich erinnerte ich mich an mein eigenes Zuhause. Das Häuschen, in dem ich aufwuchs und dass die Schergen von Schappner in Schutt und Asche gelegt hatten. Und das alles in der Zukunft, nicht in der Vergangenheit. Mir wurde schwindelig bei diesen Überlegungen, und ich schimpfte mit mir selbst: »Reiß dich zusammen! Du hast jetzt einen wichtigen Zauber vor dir. Wenn du den versemmelst, bringst du deine ganze Familie in Gefahr!« Ich nickte, als würde ich mir selbst zustimmen. Dann ging ich wieder ins Haus und betrat den magischen Kreis, den Hekate in der Mitte der Wohnstube mit Salz bereits gezogen hatte. Als ich neben ihr stand, verschloss sie die Lücke, die sie mir extra gelassen hatte. In jeder Himmelsrichtung standen vier weiße Kerzen.

»Lass uns beginnen, die große Mutter allen Seins anzurufen.«

Ich nickte, übergab meiner Ahnin eine Rose, behielt eine in der Hand, und legte den Rest zu unseren Füßen ab, dann hob ich, genau wie Hekate, die Blume über meinen Kopf.

Hekate rief die Göttin an:

»Bei unserem Ruf, laut unserer Sitte,

bringen wir dir Rosen, mit unserer Bitte:

Dem Haus deinen Schutz zu leihen,

damit das Gute kann gedeihen.

Das Wohl uns hier am Herzen liegt,

auf dass dein Segen jetzt geschieht.«


Ein Windhauch verwirbelte unsere Haare. Gaia hatte unsere Bitte empfangen. Hekate und ich nickten uns zu und legten die beiden Rosen in der Mitte zwischen uns ab.

Ich wollte gerade den Kreis verlassen, als meine Urgroßmutter mich mit festem Griff zurückzog. Es tat richtig weh, und ich unterdrückte einen Aufschrei. Sie lockerte den Griff, und ich rieb über meinen Arm. Hatte ich etwas vergessen? Ich wollte sie fragen, folgte aber automatisch ihrem Blick, der zu den vier Kerzen und den Rosen wanderte. Ihr Blick war vorwurfsvoll, als hätte ich einen Fehler gemacht, und dann fiel es mir siedend heiß ein. Wie konnte mir nur so ein Fehler unterlaufen? Ich hatte tatsächlich vergessen, dass wir die vier Elemente auch noch bitten mussten. Verlegen strich ich meine Haare nach hinten und spürte, wie meine Wangen heiß anliefen.

Ich nahm eine Rose, wandte mich mit ihr gen Osten und konzentrierte mich dabei auf den Docht der Kerze. Ich stellte mir vor, wie eine leuchtend gelbe Flamme ihn umringte und zu meinem großen Glück funktionierte es. Hekate und ich verbeugten uns tief. Die Rose legte ich vor der Kerze ab. Anschließend fuhr ich mit dem Ritual fort, indem ich die gleiche Ehrerbietung dem Element Feuer im Süden zollte, dem Wasser im Westen und auch der Erde im Norden. Am Ende trat ich in die Mitte und hob meine Hände mit den folgenden Worten:


»Bei Feuer, Wasser, Luft und Erde,

auf dass die Kraft so mächtig werde,

zu bannen jede böse Kraft von außen im Nu,

auf dass wir hier im Hause haben unsere Ruh.«


Ich hatte kaum das „Ruh“ ausgesprochen, da spürte ich, wie mich auch noch meine letzte Energie verließ und ich nun nur noch ins Bett, bzw. auf meine Holzbank wollte. Meiner Urgroßmutter schien es genauso zu gehen. Ohne ein weiteres Wort beendeten wir das Schutzritual und gingen beide schlafen. Ich war so unendlich müde. Morgen würden wir uns weiter Gedanken machen, wie wir meiner Mutter und Schwester helfen konnten. Du weißt es doch schon längst, wisperte mir eine Stimme im Kopf zu, und ehe ich mir selbst antworten konnte, schlief ich ein.

Als ich erwachte, traf mich sofort das ungute Gefühl, dass ich eine Aufgabe zu erfüllen hatte, und dass ich mit dieser meinen Tod besiegeln würde. Ein schrecklicher Gedanke, der mich wünschen ließ, sofort wieder einzuschlafen und nicht wieder wach zu werden. Aber es half alles nichts. »Ich muss Zeratostus finden und ihn zur Strecke bringen. Es ist meine einzige Chance. Wenn es mir nicht gelingt, den Dämon zu vernichten, werde ich sterben. Das darf und wird auch nicht geschehen«, sprach ich mir selbst Mut zu. Unwillkürlich geisterte Michels Gesicht durch meine Gedanken. Zeitgleich traf mich ein scharfer Schmerz im Herzen. Ich zuckte zusammen. Die Sehnsucht tat so weh. Er ist auch tot und vielleicht können wir, wenn ich auch sterbe, wieder zusammen sein.

Waren das wirklich meine Gedanken?

»Freyja!«, riss mich der Ruf meiner Ahnin aus meiner plötzlichen Todessehnsucht.

Ich seufzte, das Sterben muss warten! Rasch schwang ich meine Beine über die Kante der Holzbank und richtete mich auf. Ein Blick nach draußen verriet mir, dass die Sonne sich hinter dunklen Wolken versteckte. »Auch das noch.« Das Wetter passte ausgezeichnet zu meiner Stimmung.

»Freyja, mach dich bitte fertig. Ich möchte gleich los.« Auch wenn sie »Bitte« sagte, klangen ihre Worte eindeutig wie ein Befehl. Ich trat zu ihr in die Kammer und sah mich nervös nach meiner Mutter um. »Wo ist Mama?«

»Sie schläft, und die Zeit sollten wir nutzen.«

»Aber wo willst du denn hin?« Konnte sie mir nicht einmal reinen Wein einschenken? Warum tat sie immer so geheimnisvoll?

»Wir müssen zu den Dryaden«, antwortete sie knapp, dafür aber in doppelter Lautstärke.

Ich schüttelte - über sie erbost - den Kopf. Trotzdem wusch ich mich und zog mich rasch an. Es schmeckte mir ganz und gar nicht, Mama allein im Haus zurückzulassen. Hekate war mir auf jeden Fall eine Erklärung schuldig. »Kannst du nicht allein gehen?«

Sie schüttelte verneinend den Kopf. »Die Dryaden wollen dich unverzüglich sehen und mit dir wegen des Vorfalls in ihrem Heim sprechen.«

Mir blieb aber auch nichts erspart. Auf Ärger mit den Waldgeistern hatte ich noch weniger Lust als auf Ärger mit meiner Urgroßmutter. Ich seufzte, fügte mich aber meinem Schicksal. Wir hatten einen starken Zauber ausgesprochen, und Mama war im Haus geschützt.

Dreißig Minuten später tauchten wir in den dichten Wald ein. Wir kamen nicht besonders weit, denn bereits nach ein paar hundert Metern bog meine Ahnin an einer Stelle falsch ab.

Ich blieb stehen und belehrte sie: »Das ist der falsche Weg. Zu den Dryaden geht es dort entlang.«

Die Gilde der Rose -Engelsmagie-

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