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K A P I T E L 2

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Dortmund, Anno Domini 1561

Ich zitterte und meine Gedanken wirbelten wild in meinem Kopf, fanden überhaupt keinen Halt. Die Worte der Schlange, die unvermittelt aus dem Hexenkessel aufgetaucht war, prasselten unerbittlich auf mich ein. »Meine Herrin ist schon auf dem Weg zu dir!«.

Ich kannte nur eine Person, die Schlangen über alles liebte und die sogar ein Teil von ihr waren, nämlich ihre Haare, die sie immer unter der blonden Perücke verbarg. Natalja, die Medusa. Sie wollte sich an mir rächen, weil sich Michel, als wir uns auf meiner Flucht vor dem Scheiterhaufen im 21 Jahrhundert kennen und lieben lernten, für mich und nicht für sie entschieden hatte. Trotzdem hatte sie uns damals, ach ich meine in der Zukunft. Äh entschuldigt bitte, diese Zeitreisen sind wirklich kompliziert. Sie hatte mir geholfen, meine Mutter zu befreien. Dann kam alles anders, als Natalja sich vorgestellt hatte. Damit begann diese Misere, in der ich mich jetzt befand. Dass sie mich so hasste, dass sie mir sogar zurück ins Jahr 1561 folgte, um sich am mir zu rächen, konnte ich nicht begreifen. Als ihre Schlange urplötzlich, nach meiner Weihe, auftauchte und Natalja ankündigte, hatte ich von Panik getrieben, meine Urgroßmutter Hekate gewarnt. Sie fand zum Glück ohne mich mit Fragen zu Löchern, den Weg vor mir durch den Wald. Ihre Tochter, also meine Großmutter Katharina, hielt sie dabei sicher im Arm. Ich wusste auch ohne sie zu fragen, was unser Ziel sein würde.

Es war die alte Eiche, in der die Ammen meiner Großmutter lebten. An dem Baum angekommen, kam ich das erste Mal dazu, mich nach allen Seiten umzublicken. Wurden wir verfolgt?

»Ohne Eile bin ich hier, bitte öffne mir die Tür.« Die gemurmelten Worte kamen von meiner Ahnin, die, während sie den Spruch aufsagte, an der Rinde des Baumes rieb und so um Einlass für uns bat. Hoffentlich nehmen es die Waldgeister mit der Wahrheit nicht so genau, sonst müssen wir draußen stehen bleiben, unkten meine eigenen sarkastischen Gedanken. Am liebsten hätte ich gebrüllt, sie sollten endlich die Tür aufmachen. Aber ich wusste aus meiner Erfahrung, dass es kontraproduktiv war, unkontrolliert zu reagieren und andere dadurch eher zu verärgern, als sie zu Gehilfen zu gewinnen.

Ich brauchte nicht länger rumgrübeln, denn zum Glück öffnete sich der knorrige Baum einen Spalt, und eine der Dryaden streckte ihren Kopf zu uns heraus. Zuerst erkannte ich nur ihre aufgetürmte Haarpracht, die mit feinen Ästen und Moosen kunstvoll drapiert war.

»Gefahr«, hörte ich Hekate, und ehe ich mich fragen konnte, wie wir denn überhaupt alle in den Baum passen sollten, zerrte Hekate mich durch den schmalen Spalt.

Ich warf einen Blick über meine Schulter und beobachtete, wie sich der Baum hinter uns wie von Geisterhand schloss.

»Kommt«, hörte ich die singende Stimme der Dryade.

Weiter, trieb ich mich selbst an, und zu meiner Verwunderung stellte ich fest, dass wir uns am Eingang einer großen Höhle befanden.

»Aber das kann doch gar nicht …«

Wie war das möglich? Die alte Eiche, in der wir uns aufhielten, die den Dryaden als Heim diente, stand frei im Wald. Von einer sichtbaren Höhle fehlte draußen jede Spur. Deshalb gab es für mich nur eine logische Erklärung: Es muss sich um Magie handeln.

Ich ließ meinen Blick durch die vor mir liegende Höhle schweifen und war überwältigt von dieser Pracht. Überall schimmerten zigtausende kleine Kristalle in allen erdenklichen Farben des Regenbogens. Die Höhle war im oberen Teil in einen satten Grünton getaucht. Der untere Bereich, in dem wir uns aufhielten, schimmerte in einem hellen Rosaton. Hier funkelten die Kristalle größer als im oberen Areal. Ich konnte einen angenehmen Geruch von Moos und frischen Waldblaubeeren wahrnehmen.

»Freyja, kommst du? «, riss Hekate mich aus meinem Verzücken.

Ich lenkte meine Konzentration wieder auf unser aktuelles Problem. Wir waren in großer Gefahr, wenn die Medusa, wie es mir die Schlange versichert hatte, hier war, um sich an mir zu rächen. Natalja und ich waren noch nie Freundinnen gewesen, aber ich wusste, dass sie mich hasste, weil Michel sich für mich und nicht für sie entschieden hatte. Das würde sie mir wahrscheinlich nie verzeihen. Aber dass sie mir selbst ins Jahr 1561 folgte, war trotzdem eine Tatsache, die ich kaum begreifen konnte. Sie musste mich unvorstellbar hassen, wenn sie so etwas tat, das konnte ich mir nicht schönreden.

Ich lief hinter meiner Urgroßmutter und der Dryade her und hielt an, als diese in einer noch größeren Halle stoppten. Hier sah es ähnlich wie in der ersten Höhle aus, aber es verliefen Wurzeln, die in einem metallischen Grünton schimmerten, quer durch den Raum. Erst beim zweiten Blick erkannte ich, was dieses Wurzelgeflecht, das mit dickem Moos bewachsen war, darstellen sollte. Betten, es waren Betten. Mit der Erkenntnis trat mit einem Schlag eine bleierne Müdigkeit in meine Knochen, und ich sehnte mich nach Schlaf.

Die Dryade lächelte mich an, als wüsste sie, was in mir vorging, und deutete auf eine der Wurzeln, die mir als Nächstes waren. »Bette dich ruhig«, lud sie mich in dem typischen Singsang ein, den die Dryaden beim Sprechen nutzten. Ich dankte ihr mit einem Lächeln, dass ich so gerade eben noch über die Lippen bekam, und ließ mich auf dem Lager nieder. Es war noch weicher als in meiner Vorstellung. Ich zog die Beine an, warf einen Blick zu Hekate, die es sich ebenfalls mit Katharina auf einer anderen Baumwurzel, nicht weit von mir entfernt, gemütlich gemacht hatte, dann fiel ich auch schon in einen tiefen Schlaf.

Ich stand an dem Waldrand, den ich nicht nur aus der Form des Wachzustandes, sondern auch aus meinen Träumen kannte. An dieser Stelle hatte ich Michel und Tesfrail, den Engel, der für mich bestimmt war, bereits einige Male getroffen. Beide Männer waren spurlos aus meinem Leben verschwunden. Wo mochten sie nur stecken? Ich hoffte, ihnen endlich in diesem Traum zu begegnen. Aber wie auch in den vergangenen Träumen war ich allein an diesem Ort. Ein feiner Wind wehte, und er kitzelte meine Haut, die durch mein kurzes Nachthemd, welches ich trug, nur spärlich bedeckt war. Ich sah mich um. Vor mir war der dunkle Wald, jedenfalls wirkte er dunkel und bedrohlich auf mich. Wahrscheinlich lag es daran, weil ich nicht hineinschauen konnte. Bereits am Anfang der Baumreihe lauerte die Finsternis, sodass man seine Hand nicht vor Augen erkennen konnte. Es schauderte mich, und ich rieb mir fröstelnd über meine nackten Arme. Vor dem Wald lag ein umgefallener Baumstamm, der mich zum Sitzen einlud. Etwas in mir hielt mich davon ab, mich auf den Stamm zu setzen. Vielleicht war es der Wald, der mir Angst bereitete. Auf keinen Fall wollte ich ihm den Rücken zukehren. Ich stellte mich seitlich, sodass ich den Wald im Blick hatte, mich aber auch in die andere Richtung orientieren konnte. Warum bin ich hier? Das muss doch einen Sinn haben. Dann spürte ich es. Die Angst, die wie eine kalte Schlange an mir heraufkroch und eine Lähmung meiner Gliedmaßen verursachte. Was ist das? Am liebsten wäre ich losgerannt, hätte alles hinter mir gelassen und wäre geflüchtet. Aber meine Beine versagten mir den Dienst. Ich konnte mir noch so sehr wünschen, dass ich fortlief, dennoch blieb ich wie angewurzelt auf der Stelle stehen und schaute ängstlich Richtung Wald, aus dem ich die große Gefahr vermutete.

Da war nichts, absolut nichts, was meine Angst rechtfertigte. Was soll ich machen? Am liebsten wäre ich der Gefahr entgegengelaufen, aber meine Beine schienen mit dem Erdboden verwachsen zu sein. Ich hatte keine Wahl und musste abwarten, ob es mir gefiel oder nicht. Ein Knacken im Geäst entlockte mir einen spitzen Aufschrei. Mich befiel ein Gefühl, als würden tausende kleiner Eisstückchen meinen Körper von innen her fluten. Mein Herz schlug mir bis zum Hals.

»Michel?«, rief ich Richtung Unterholz. Meine Stimme hörte sich kratzig und kraftlos an.

Mit einem Mal erzitterten die Bäume. Sie bogen sich auseinander, als hätte ein Riese eine Schneise hineingeschlagen. Kalter Schweiß rann mir den Rücken hinab. Ich will fort!

Es donnerte und ich kniff verzweifelt die Augen zu, um den Feind auszublenden und so zu hoffen, dass er keine Macht über mich haben würde.

»Freyja, Freyja!«

»Nein! Ich will nicht …«

Mit Händen und Füßen würde ich mich gegen das Etwas verteidigen, dass gleich aus dem Dickicht hervorbrechen würde.

»Freyja!« Die Stimme, die so vehement meinen Namen rief, wurde lauter.

Jemand rüttelte an meiner Schulter, und ich schlug um mich, um das Böse von mir fernzuhalten.

»Freyja, wach endlich auf!«

Es war Hekates Stimme, die nicht nur hörbar im Raum erklang, sondern auch in meinem Kopf so präsent war, dass ich gar nicht anders konnte, als die Augen zu öffnen und so in das erschrockene Gesicht meiner Ahnin zu sehen.

»Du hast nur schlecht geträumt«, sprach sie mit beruhigend klingender Stimme auf mich ein.

Sie hat recht, es war nur ein Traum.

»Hekate, es war so schrecklich. Da kam Etwas aus dem Wald, das pure Böse. Ich weiß nicht, wer oder was es war, aber es war …«

»Ihr könnt hier nicht einfach umherfliegen!« Da ich die Stimme noch nie zuvor gehört hatte, sie aber so lieblich klang wie die der anderen Dryaden, vermutete ich, dass sie einem der Waldgeister gehörte.

Zu meiner großen Verwunderung flatterten Blitz und Donner zu uns und ließen sich auf meiner Schulter nieder, nachdem ich mich aufgerichtet hatte. Blitz rechts und Donner links, so wie ich es schon immer von ihnen gewohnt war.

Eine Dryade eilte herbei und ich erkannte, dass eine steile Zornesfalte ihre Stirn zierte. Ihre Augen waren verengt, als sie auf mich und die beiden Vögel zeigte.

»Das darf nicht sein!«, donnerte sie, und ich war mehr als erstaunt, dass diese lieblichen Geistwesen so aggressiv werden konnten, wie in diesem Augenblick.

Mein Blick flog bittend zu Hekate. Ich schickte ihr meine Gedanken, die sich wie kleine unsichtbare Noten ihren Weg in den Kopf meiner Vorfahrin bahnten. »Sag ihnen, dass es sicherlich sehr wichtig ist, was Blitz und Donner uns mitteilen wollen.«

Hekate räusperte sich, und ich hoffte, sie würde nun die ganze Sache aufklären, damit wir uns auf die Nachricht von den Zaubervögeln konzentrieren konnten. Denn das diese uns etwas Wichtiges mitteilen wollten, dass stand für mich außer Frage. Ich konnte es fühlen.

Hekate zerstörte meine ganzen Hoffnungen mit nur einem einzigen Wort. »Nein!«

Fassungslos starrte ich meine Ahnin an. Dummerweise erntete ich nur ihren ernsten Gesichtsausdruck, der das Nein unmissverständlich unterstrich.

»Aber warum denn nicht …« Ich konnte es nicht fassen.

»Sie müssen sofort raus«, kreischte die Dryade, und ich erkannte deutlich, dass ihr ausgestreckter Finger, um den sich feine Ästchen mit Moos gewebt hatten, zitterte.

Hekate wurde mit einem Mal sehr geschäftig. Sie schritt auf die Dryade zu und legte ihr sanft den Arm auf die Schulter. Zu meiner großen Verwunderung schüttelte der Waldgeist ihre Hand ab und funkelte meine Ahnin grimmig an.

»Verlasse mit deinen Freunden«, dabei zeigte sie auf meine Zaubervögel und mich, » … sofort unser Heim. Sofort!«

Ich schluckte. Am liebsten hätte ich mich in diesem Augenblick in Luft aufgelöst. Sie wirft uns hinaus. Draußen lauert die Gefahr. Die blutrünstige Medusa wartete doch nur auf uns. Eine nie gekannte Kälte schien sich in meinem Körper auszubreiten. Aber ich hatte keine Wahl, so erhob ich mich und glättete mein festliches Kleid, welches ich immer noch trug.

»Es tut mir leid, wenn wir Euch verärgert haben. Aber unsere Vögel sind nicht böse«, versuchte ich der Dryade zu erklären.

Als wäre ich unsichtbar, starrte der Waldgeist meine Urgroßmutter an und würdigte mich keines Blickes.

Hekate seufzte leise und machte den Versuch, ihr Baby hochzunehmen. Katharina schlief und schien von dem ganzen Theater, das um sie herum herrschte, nichts mitzubekommen.

Ehe meine Ahnin sie hochnehmen konnte, trat die Dryade vor und zog Hekate zurück. »Das ist zu gefährlich. Lass sie bei uns.« Ihre Stimme klang wieder sanfter, als wäre der Wutausbruch zuvor überhaupt nicht geschehen.

Hekates Blick huschte zu ihrem Baby, das nun wach war. Ihre Augen spiegelten ihre Traurigkeit. Meine Ahnin schüttelte den Kopf. Sie öffnete den Mund, als wollte sie laut protestieren. Aber kein Laut kam über ihre Lippen. Stattdessen nickte sie der Dryade zu. »Ihr habt recht. Ich danke Euch und bitte verzeiht unseren Ungehorsam.«

Was sagt sie da? Warum ist sie denn so demütig? Wir konnten doch nichts dafür, dass Blitz und Donner kamen, vor allen Dingen musste sie doch wissen, dass es immer einen Grund gab, wenn die beiden Zaubervögel urplötzlich auftauchten. Sie hatten immer eine wichtige Nachricht, die man nicht ignorieren durfte. All das musste meine Urgroßmutter doch wissen. Aber sie buckelte vor dem Waldgeist, und ich hätte sie dafür am liebsten geschüttelt.

Hekate hauchte Großmutter Katharina einen Kuss auf die Stirn, die nun wieder zu schlafen schien, und wandte sich seufzend zum Gehen. Ich kämpfte mit meiner Wut, tat es ihr aber gleich und erschrak, als ich mich zu Katharina beugte und das Baby mich mit weitaufgerissenen Augen ansah.

»Du bist hier in Sicherheit«, hauchte ich ihr zu und küsste sie ebenfalls auf die Stirn. Ein zufriedenes Glucksen war die Antwort, und ich musste automatisch lächeln.

»Freyja, komm!«, forderte mich meine Ahnin auf, und ich eilte mit den beiden Zaubervögeln auf meinen Schultern hinter ihr her. Sie steuerte den Ausgang an, durch den wir in das magische Heim der Dryaden gelangt waren. Mir stand jetzt nicht der Sinn nach der funkelnden Höhle, Ich beeilte mich, durch den Riss, der in der rosafarbenen Kristallwand vor uns prangte, zu schlüpfen. Was würde draußen im Wald auf uns warten?

Die Gilde der Rose -Engelsmagie-

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