Читать книгу Die Gilde der Rose -Engelsmagie- - Talira Tal - Страница 8

K A P I T E L 3

Оглавление

Zwischen den Welten

Der Flügelschlag von Pegasos war kräftig und gleichmäßig. Immer höher verschwanden sie in den Weiten des endlosen Wolkenmeeres. Michael fühlte sich wie erstarrt. Er war unfähig, das eben gesprochene Urteil zu begreifen. Sie haben mich in die Hölle verbannt. Ich bin böse und bin es nicht wert, im Himmel zu bleiben. »Aber das stimmt doch so gar nicht!« Seine Stimme war nur mehr als ein Flüstern und wurde vom Wind mitgerissen. Am liebsten hätte er seine Wut hinausgebrüllt, diesem Engegefühl, dass in ihm herrschte, Platz gemacht. Aber Michael brachte keinen Laut über seine Lippen. Es war, als würde die Enge alles in ihm beherrschen. Ich bin böse! Es war ein unheilvolles Mantra, das nicht enden wollte. Er bekam nicht mit, dass Pegasos in den Sinkflug wechselte und seine starken Hufe nach wenigen Minuten, vielleicht waren es aber auch Stunden, Tage, Wochen oder Jahre, Michael hatte kein Zeitgefühl mehr, auf hartem Boden aufsetzten.

Erst als das geflügelte Pferd anhielt, sah sich Michael um und entdeckte um sich herum nur Einöde und Steine in unterschiedlicher Größe. Entsetzt musste er mit ansehen, dass Pegasos und der Wagen, auf dem er stand, ihre Farben wechselten. Aus dem unschuldigen Weiß wurde ein unheilvolles Schwarz. Passend zu der Location, dachte Michael.

»Wo bin ich hier gelandet?« Seine Stimme klang genauso verloren, wie er sich fühlte.

Eine Art Höhleneingang zog seinen Blick auf sich. Er zögerte. Ich will den Wagen nicht verlassen. Ich will fort! Alles in ihm schrie vor Panik. Was erwartet mich in dieser Einöde?

Pegasos schnaubte und wieherte, um ihm unmissverständlich klarzumachen, dass die Reise an diesem Ort zu Ende war. Als er ungeduldig mit dem Huf scharrte, nahm sich Michael ein Herz und verließ den Wagen.

Mit einem beklommenen Gefühl trat er zu dem geflügelten Pferd. Er war froh, dass er nicht ganz allein war. Sanft strich er über die Nüstern des Gefährten und flüsterte: »Wo hast du mich hingebracht, mein Guter? Sind wir am Ende der Welt?«

»Nicht ganz«, erhielt er die Antwort einer rauchigen Frauenstimme.

Michael drehte sich instinktiv zu der wohltuenden Stimme um und erkannte eine junge Frau, die in seinem Alter zu sein schien. Sie war einen Kopf kleiner als er. In dem luftigen bunten Sommerkleidchen und den roten Highheels, die sie trug, wirkte sie, genau wie er in seiner hellen Tunika, deplatziert. Das lange blonde Haar, das ihr weich über die Schultern fiel und die großen Augen, die in allen erdenklichen Farben schillerten, verliehen ihr einen lieblichen Ausdruck.

Wow, das ist ja mal eine Erscheinung. Er räusperte sich verlegen, als er selbst bemerkte, dass er die fremde Frau zu lange angestarrt hatte.

Sie grinste verschmitzt und trat mit einer eleganten Bewegung auf ihn zu. »Michael Graf, nehme ich an.« Lächelnd kam sie noch näher, und dann tat sie etwas, womit Michael überhaupt nicht gerechnet hatte.

Ehe er sich versah, stellte sie sich auf die Zehen und hauchte ihm rechts und links ein Küsschen auf die Wangen, als wären sie alte Freunde. Ihr intensiver Duft nach Engelstrompete zog in seine Nase und ließ ihn schmunzeln. Für einen Bruchteil erinnerte er sich an die hochgiftigen Pflanzen, die nachts im Garten seiner Eltern blühten. Mit ihrem betörenden Duft, der nach Vanille roch, und ihrem faszinierenden Aussehen vermochten sie es, Menschen in ihren Bann zu ziehen. Zufall?

Und er hatte noch etwas wahrgenommen. Ihre langen Haare hatten ihn bei der innigen Begrüßung gekitzelt, und er fühlte sich nicht in der Lage, vor ihr zurückzuweichen.

»Mein Junge, endlich, endlich bist du da.«

Es war eine fremde, tiefe Stimme, die ihn aus seinen Gedanken gerissen hatte. Mein Junge? Wer erwartet mich denn so sehnsüchtig?, fragte er sich irritiert und neugierig zugleich.

Ein gedrungener Mann trat ebenfalls aus der Höhle. Er trug die Kleidung eines englischen Golfers. Seine kurzen Beine steckten in knallroten Knickerbocker. Über einem kurzärmeligen weißen T-Shirt trug er einen Wollpullunder, der aus schwarz-weißen Rauten bestand. Seine übermäßig großen Füße zierten rote Lederschuhe, deren Art Michael noch nie zuvor gesehen hatte. Auf dem kugeligen Kopf trug er eine Golfkappe in dem gleichen Ton wie die Hose und die Schuhe. Der Mann, der kleiner als Michael war, kam mit weit ausgebreiteten Armen auf ihn zu. Dabei bemerkte Michael, dass er humpelte.

»Lass dich umarmen. Es ist so schön, dass du endlich da bist«, sagte der Fremde, und ehe Michael sich versah, drückte ihn der Golfer an sich und küsste ihn genauso, wie es die attraktive Blondine vorher getan hatte. Wieder schlug ihm ein süßlicher Duft entgegen, den er aber nicht zuordnen konnte.

»Justine hast du ja schon kennengelernt«, sprach der Mann weiter.

Michaels Blick glitt automatisch zu der Blonden, die ihm verschwörerisch mit einem Auge zuzwinkerte. Er lächelte zurück und konzentrierte sich wieder auf den Mann, der so tat, als würden sie sich schon ewig kennen. Erneut fiel Michaels Blick auf die roten Schuhe.

Der Golfer lachte und streckte einen Fuß von sich. »Gefallen sie dir? Es ist bei der Elite der allerletzte Schrei. Alle tragen sie. Milliardäre, Stars, hochrangige Politiker, sogar der Papst trägt sie.«

Erneut erklang sein überlautes Lachen, dann räusperte er sich und klopfte Michael kameradschaftlich gegen die Brust. »Mein Junge, du weißt doch, wo du hier bist, oder?«

Automatisch schüttelte Michael den Kopf, was dem Mann einen tiefen Seufzer entlockte. Er zog seine Kappe vom Kopf und rieb sich mit der freien Hand über seine polierte Glatze, als würde er über etwas Schwieriges nachdenken. Dann seufzte er erneut laut. »Sie haben es dir nicht gesagt? Typisch!«

Michael spürte einen ziehenden Schmerz in seinen Eingeweiden. Seine Erinnerungen glitten in den Himmel und zu den Engeln, die Gericht über ihn gehalten hatten. Ich bin aus dem Himmelreich verbannt worden, weil ich angeblich in die Hölle gehöre. Automatisch fiel sein Blick auf den Eingang im Felsen, durch den die beiden kamen. Ist das die Pforte zur Unterwelt? Und das … Er sah zu dem Mann und der bildhübschen jungen Frau. Das soll der Teufel sein? Das kann doch gar nicht …

Der Golfer grunzte vor Vergnügen. Er schien Michaels Gedanken erraten zu haben.

»Was hattest du dir vorgestellt, mein Junge? Etwa, dass du in einem Flammenmeer landest und ich dich dann an einem Spieß braten werde? Stellst du dir mein Reich wirklich so vor?«

Seine Begleitung, die er Justine genannt hatte, fiel in sein Lachen mit ein.

Die ganze Situation war für Michael surreal. Wer war die Blondine, dass sie so engen Kontakt mit dem Teufel pflegte? Seine Geliebte?

»Papa, du solltest Michael nicht so überrennen.«

»Papa?«, rutschte es ungläubig über Michaels Lippen. Er hatte mit allem gerechnet. Nicht aber, dass der Teufel eine Tochter hatte, noch dazu eine so attraktive. Aber warum eigentlich nicht? Wie hatte er sich denn den Herrscher der Hölle immer vorgestellt? Ein rotes Männlein mit zwei Hörnern, einem Schwanz und einem Pferdehuf? Unwillkürlich glitt sein Blick zu dem humpelnden Fuß, der in dem merkwürdig aussehenden Schuh steckte. Deshalb humpelt er. Der Fuß ist nicht nur ein Mythos.

Justine hakte sich lachend bei ihm unter, und sofort hüllte ihn der Duft von Engelstrompeten ein.

»Mein guter Paps ist manchmal etwas rumpelig. Wie die Axt im Walde.« Dabei lachte sie hell auf und schenkte ihm ein breites Strahlen.

Sie ist niedlich!, stellte er unverhohlen fest und spürte, wie es ihm leicht fiel, in ihr Lachen mit einzufallen. Sofort merkte er, dass die Anspannung und die Enge, die ihn die ganze Zeit während des Fluges gefangen hielten, augenblicklich von ihm abfielen.

»Sollen wir nicht lieber reingehen?«, fragte sie und zog ihn zu dem Höhleneingang.

Sofort war die Angst zurück. Ich will nicht in die Hölle! Am liebsten hätte er diese Worte dem Teufel und seiner Tochter entgegen geschleudert. Seine Muskeln waren angespannt, er war bereit für die Flucht.

Justine schien seine Zweifel zu spüren, denn sie hielt an, umfasste seine Hand stärker und schenkte ihm einen aufmunternden Blick: »Du glaubst ihm doch wohl nicht wirklich?« Ihre vollen Lippen verzogen sich zu einem Schmollmund, dann erklärte sie: »Michael, das sind Gruselgeschichten, die man sich über uns erzählt. Nichts davon ist wahr.«

Ihre Lippen schienen ihn einzufangen. Sie wirkten wie ein Magnet, und er musste sich zügeln, sie nicht zu küssen. Was passiert hier gerade?

»Ihr könnt drinnen weiter flirten. Ich will endlich rein«, maulte Luzifer und verschwand durch den Höhleneingang.

Justine sah ihm nach, und als der Blickkontakt zwischen ihnen abbrach, fühlte sich Michael freier. Was tut dieses Satansweib mit mir? Sie übte eine enorme Anziehungskraft auf ihn aus, und darüber schien sie sich vollends bewusst zu sein.

Justine löste sich von ihm und trat zu Pegasos. Sie flüsterte ihm etwas ins Ohr. Anschließend gab sie ihm einen Klaps auf das Hinterteil. Laut wiehernd galoppierte er aus dem Stand los und erhob sich nach wenigen Metern mit kräftigen Flügelschlägen in die Lüfte.

»Jetzt wird es aber Zeit, dass ich dir dein neues Zuhause zeige. Ich bin so froh, dass du da bist. Sicherlich wirst du begeistert sein«, plapperte die Blondine vergnügt und ergriff erneut seine Hand.

Ich habe sowieso keine Wahl, dachte er seufzend und ergab sich seinem Schicksal. Missmutig passierte er neben Justine den Höhleneingang.

Krass! Mehr fiel ihm zu dem Ambiente nicht ein. Seine Schritte und die seiner Begleiter hallten auf einem hellen glattpolierten Marmorboden wider. Die Wände bestanden aus großen quaderförmigen Steinen, die mit einer feinen Glitzerschicht überzogen waren. Alles wirkte hell und freundlich, nicht düster, wie er es vermutet hatte. Michael ließ seine Blicke über die geschmackvolle Halle, die sie betreten hatten, wandern. An den Seiten standen mehrere Palmen in großen Blumenkübeln, die aus Schilf geflochten waren. Die Luft war frisch, und er nahm auf seiner Zunge den Geschmack von Salz und Meer wahr. Es war eine angenehme Atmosphäre, die Michael entspannte. Ein feiner warmer Wind wehte, und er hatte das Gefühl, als würde der Wind seine Ängste und Befürchtungen geradewegs verwehen.

Der Herrscher der Unterwelt steuerte mit festem Schritt auf einen geräumigen gläsernen Fahrstuhl zu. Justine ging neben ihrem Vater, und als sie sich urplötzlich zu Michael umdrehte und ihn anlächelte, fühlte er sich ertappt, lächelte aber so freundlich zurück wie er konnte. Sie zwinkerte ihm zu, betrat hinter ihrem Vater den Aufzug und ließ seine Hand dabei los.

Augenblicklich verharrte Michael auf der Stelle. Ich will diesen Lift, der mich mit Sicherheit geradewegs in die Hölle befördern wird, nicht betreten. Egal wie nett Justine zu ihm war. Ich will nicht in die Hölle! Ich gehöre da nicht hin! Das kann doch alles nur ein großer Fehler sein. Wer hat denn da so gepennt, sodass ich mich zwangsläufig an diesem Punkt befinde? Er konnte es immer noch nicht fassen.

Überdeutlich spürte er den fragenden Blick des Teufels auf sich. Aber ehe er etwas sagen konnte, wie »Hey, das war ja ganz nett, dass wir uns mal kennenlernen durften, aber ich habe noch ein Date und muss los«, schnellte Justine vor.

Sie ist wie eine Schlange, raste der Gedanke durch Michaels Kopf. Er spürte sogar einen Schmerz an seinem Arm, der Bruchteile aufflammte. Ich habe keine Chance! Und als wäre er ein Fliegengewicht, zog sie ihn mit festem Griff in die gläserne Kabine. Was für eine Kampfmaschine. Er hatte jetzt einen kleinen Vorgeschmack von den Kräften, die in der zierlichen Frau schlummerten, erhalten. Noch ehe eine Flucht möglich gewesen wäre, schloss sich die Aufzugstür, und der Fahrstuhl setzte sich in Bewegung.

Die Gilde der Rose -Engelsmagie-

Подняться наверх