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K A P I T E L 7

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An Hekates Haus in Dortmund, Anno Domini 1561

Wie die Klinge eines frisch geschärften Messers schnitt das Gebrüll ihr durch alle Glieder. Am liebsten hätte Axara sich die Ohren zugehalten. Wie eine Sirene schwoll das Geschrei noch weiter an. Trotz dieser Qual fühlte sich die Hexe so klar in ihren Gedanken wie schon lange nicht mehr. Sie schloss die Augen und spürte den zuckenden Leib in ihren Händen. Es war ihr bewusst, dass sie das Kind viel zu fest drückte. Das Schreien des Babys war lediglich die logische Konsequenz auf ihr Handeln.

Lass sie los und du bist wieder frei! Es war nur ein Gedanke, aber dieser gewann, ob sie es wollte oder nicht, immer mehr an Kraft. Einzig die Stimme ihres Verstandes sprach sanft, aber dennoch eindringlich auf sie ein: »Nein, halt sie fest. Du darfst dich nicht versündigen, ganz egal was sie auch getan hat. Sie ist eine Hexe der Familie Rose und dein Fleisch und Blut.«

Axara schüttelte den Kopf, um beide Stimmen, die sie jetzt nicht hören wollte, zu vertreiben. Was hat das Kind getan? Die Frage war genauso schnell in ihrem Kopf und brachte sie zum Wanken. Warum will ich mein Kind töten?

Was war geschehen? Was oder wer hatte diese Reaktion bei ihr ausgelöst? Die Hexe schloss die Augen und konzentrierte sich. Aber statt einer Antwort waberte unaufhaltsam dichter Nebel auf sie zu, um ihre Gedanken zu verschlingen.

Panisch riss sie die Augen auf. »Was ist das für eine Gefahr? Es muss doch einen Grund dafür geben«, keuchte sie durch zusammengepresste Lippen. Das Geschrei des Kindes war nicht auszuhalten.

»Große Mutter, hilf mir. Schenk mir Ruhe und Frieden«, flehte sie und kniete sich auf den Boden. Das Baby, welches immer noch aus Leibeskräften schrie, sodass das kleine Gesicht mittlerweile puterrot angelaufen war, legte sie ebenfalls auf der Wiese ab.

Ihre komplette Aufmerksamkeit galt jetzt nur ihrer Bitte, und die Göttin schien es gut mit ihr zu meinen, denn langsam lichtete sich der Nebel und sie hörte in der Erinnerung, wie Hekates Worte sie geweckt hatten. »Wir müssen zu den Dryaden.«

Wie immer war sie, wie eine Marionette an Fäden, aufgestanden, und wie nach jeder Nacht hatte sie sich wie gerädert gefühlt. Trotzdem hatte sie ihre Mutterpflichten nicht vernachlässigt und das Baby gestillt, ihr frische Windeln gebunden und sie dann nach draußen in ein Körbchen gelegt. Es war fühlbar kälter geworden, und so hatte Axara ein warmes Fell über sie ausgebreitet.

Sie hatte einen leichten Hunger verspürt und wollte sich etwas zu essen machen. Sie erinnerte sich an den Geruch von gebratenen Eiern und an die Vorfreude auf das Mahl. Dann aber hatte etwas in ihr alle Alarmglocken zum Klingen gebracht. Es war ein eindeutiger Todesschrei von draußen, der ihr das Blut in den Adern gefrieren ließ. Der Film ihrer Erinnerungen schnitt ab und blinkte erst wieder auf, als wäre der Film zurückgespult worden. Sie befand sich nun in einer anderen Perspektive als zuvor im Haus. Nun stand sie draußen und betrachtete mit Entsetzen, was geschah und wer den gequälten Schrei ausgestoßen hatte.

»Nein«, keuchte sie und wäre vor den Bildern lieber geflohen. »Das ist doch …«

Ein greller Blitz war aus den Augen des Babys geschossen und war in Hekates Katze gefahren, die unweit von dem Körbchen gestanden hatte. Das Tier schrie, als würde man es bei lebendigem Leib grillen. Dann zerfiel es zu Staub. Die Erinnerungen rissen wieder ab, und sie löste sich ganz von der meditativen Reise in die Vergangenheit.

Langsam öffnete sie die Augen und nahm sofort wieder das Geschrei des Babys wahr. Sie wusste nun, was zu ihrem Hass geführt hatte und unterdrückte Tränen, die sich ihren Weg bahnen wollten.

»Ganz gleich, was sie auch getan hat?«, wiederholte Axara die Stimme der Vernunft laut und anklagend.

Bleib ruhig, mahnte sie sich selbst. Am liebsten hätte sie das Grauen einfach abgeschüttelt. Aber sie wusste, dass sie dieses unangenehme Gefühl erst einmal aushalten musste. Alle Gefühle wollten gelebt werden, auch die negativen.

Wundert es mich wirklich, dass dieses Kind zu derartig grausamen Taten fähig ist? Ihre Gedanken glitten unweigerlich zu Zeratostus und an die Zeit ihrer Entführung. Ekel überkam sie, und sie musste gegen einen Würgereiz ankämpfen. Sofort fühlte sie sich dreckig und benutzt. Verdammter Mistkerl! Die Wut, die in ihr aufflammte, war eine Art Feuerfontäne. Ihre Hände hatten sich zu Fäusten geschlossen, und am liebsten hätte sie in die süffisant grinsende Visage des Dämons geschlagen. Immer wieder, bis von seiner Fratze nur noch Brei übrig war.

Das ist nicht der richtige Weg, belehrte sie die Stimme der Vernunft. Sie atmete tief ein und auch wieder aus. Ich muss diese Wut besiegen. Die Bilder von Freyjas Auftauchen im Zirkus, die Freude, die sie dabei empfand, halfen ihr, die negativen Gefühle wieder in Gewahrsam zu nehmen.

Ich bin eine weiße Hexe der Familie Rose. Diese starke Energie, die so viel Gutes enthält, steckt auch in dem Baby. Aber wann zeigt sich diese Energie endlich? Ich weiß nicht, wo das alles noch hinführen soll.

»Du bist erst sechs Monate alt, und von Tag zu Tag wirst du bösartiger.«

Das Schreien hatte aufgehört, und stattdessen gluckste das Baby zufrieden.

»Du scheinst auf einmal so zufrieden und froh zu sein. Ich würde zu gerne wissen, ob dich meine Traurigkeit lachen lässt. Oder ist es deine Freude an deiner schandhaften Tat, dem Mord an der Katze?«

Es fühlte sich an, als würde ein bleischweres Gewicht auf ihren Herzen lasten. Ein tiefer Seufzer entfloh ihrer Brust. Hatte jemand die Tat beobachtet? Langsam drehte sie sich nach allen Seiten um. Sie waren allein, es gab keine Zeugen.

Sie fühlte sich wie ein Dieb, als sie Hekates Haus betrat und in die Kammer verschwand, die sie mit dem Baby nutzte. Bestimmt, aber nicht zu forsch, legte sie das Kind in die Wiege und ließ sich frustriert auf dem Bett nieder. Tränen suchten sich ihren Weg und rannen ihre Wangen hinab.

»Mama«, seufzte sie leise. »In allen Lebenslagen konnte ich mich bisher auf dich verlassen. Du hast immer einen Weg gefunden, mir zu helfen. Wo bist du nur?« Doch wo sollte sie schon großartig sein? Ihre eigene Mutter war in dieser Zeit selbst noch ein Baby. Sie würde ihr dieses Mal nicht beistehen können.

Ihre Gedanken wanderten zu Freyja. Mein Mädchen ist so erwachsen geworden. Es schmerzte, wenn sie an den Augenblick zurückdachte, als sie Freyja ihrem Schicksal in der Werwolfsfestung überlassen musste. Es war schrecklich für sie gewesen, und immer, wenn sie den weisen Drachen, ihre Mutter, oder die beiden Zaubervögel nach Freyja befragte, hatte sie die gleiche Antwort erhalten: »Axara, das gehört nicht in diese Dimension!« Auch wenn sie fragte, wann sie endlich zu ihrer Tochter könnte, erhielt sie immer nur die Antwort: »Bald.«

Sie spürte erneut, wie Tränen in ihr aufstiegen. Was konnte sie tun, um das Baby zu retten? Eine Mutter darf so nicht über ihr eigenes Kind denken, tadelte sie sich selbst. Sie wollte das Baby doch so gerne lieben, aber die Erinnerungen an den Dämon und die Qualen, die er ihr beschert hatte, übermannten sie fortwährend. Und wenn sie sich dennoch Mühe mit dem Baby gab, zeigte das Mädchen seine grausame Ader.

Heute ist es die arme Katze gewesen. Es war das erste Mal, dass die Kleine ein fremdes Wesen und nicht sie selbst angegriffen hatte. Sie kannte es bereits. Fast fortwährend attackierte das Baby sie mental, mit durchdringendem Blick und pechschwarzen Augen, die überhaupt nicht ins liebliche Erscheinungsbild einer Rosenhexe passen wollten.

»Mutter«, rief sie in die Stille hinein und wünschte sich aus vollem Herzen, ihre Ängste und Befürchtungen mit jemanden teilen zu können, der sie verstand. »Bitte, hilf mir!« Mit aller Kraft stellte sie sich den Drachen vor. Der violette Drachenkopf mit den marmorierten Augen, die an bunte Glasmurmeln erinnerten, entstand vor ihrem dritten Auge.

Ihr Hoffen war nicht umsonst, denn das Drachenkind materialisierte sich tatsächlich vor ihr auf dem Fußboden. Erstaunen spiegelte sich in den kugelrunden Augen und feiner Dampf stieg, wie bei einer Lokomotive, stetig aus den Nüstern nach oben.

»Oh Gaia, hab Dank«, flüsterte sie.

Sie hatte nicht damit gerechnet und suchte überrascht nach den richtigen Worten: »Schön, dass du es einrichten konntest.« Der Satz hörte sich selbst in ihren eigenen Ohren sarkastisch an, und sie verfluchte sich dafür. Ich freue mich doch so sehr, dass sie aufgetaucht ist. Warum zeige ich es ihr denn nicht und gifte sie an?

Der Drache wirkte träge, als hätte Axara ihn soeben aus einem sehr tiefen Schlaf geweckt. Kurz öffnete sich das Maul, als wollte Katharina etwas sagen, dann aber schloss sie es sofort wieder und blickte die Hexe an. Diese spürte die Ohnmacht, die sich im Hinblick ihrer verzweifelten Situation immer mehr in ihr ausbreitete.

»Es ist … es ist…« Sie bekam die Worte nicht über ihre Lippen und auch diese Tatsache ließ sie nun noch weiter verzweifeln.

Der Blick des Drachens wanderte zu dem nun schlafenden Baby. »Hast du dir endlich einen Namen für das Rosenbaby überlegt?«

»Was?« Die Frage ihrer Mutter hatte sie unvermittelt getroffen. Verneinend schüttelte sie den Kopf, um sich anschließend die langen Haare nach hinten zu streichen. »Sie ist nicht das, was sie scheint«, kam es endlich aus ihr und sie ärgerte sich, dass es so sinnlos in ihren eigenen Ohren klang.

Der Drache blicke sie wieder direkt an. »Sie ist dein Kind und sie bedarf deines Schutzes und du solltest ihr endlich einen Namen geben.«

Erneut schüttelte sie ablehnend den Kopf. Warum versteht sie mich nicht? Warum weiß sie nicht, was ich ihr sagen möchte und mich nicht wage laut auszusprechen? Ach, hätte ich sie doch nie gerufen.

Sie fühlte sich zerrissen und haltlos. In völliger Verzweiflung sank sie auf die Knie und war jetzt auf Augenhöhe mit dem Drachen.

»Ich brauche deine Hilfe Mutter.«

»Deshalb bin ich hier.«

»Sie tut bö…« mit Erschrecken stellte sie fest, dass sie nicht in der Lage war das Wort böse über die Lippen zu bringen. Wie kann das sein? Es fühlte sich an, als hätte jemand ihre Haut zugeschmiert und sie müsste ersticken. Ehe sie nach Luft rang, bemerkte sie, wo die Quelle ihrer Attacke war. Das Baby sah sie direkt an.

»Du bist ein Monster!«, platzte es aus ihr heraus.

Das Baby verzog seinen Mund zu einem Lächeln, dann aber schrie es, als bange es um sein junges Leben.

Die Mimik des Drachens veränderte sich schlagartig. Der Blick wurde anklagend.

Axara starrte den Boden an und verfluchte sich, den Drachen überhaupt gerufen zu haben. Warum kann ich mich nicht beherrschen? Sie würde ihr niemals helfen und stattdessen an ihr Herz appellieren, dass arme hilflose Wesen doch endlich anzunehmen. Niemals, hätte sie am liebsten geschrien, riss sich aber im letzten Augenblick zusammen. Stattdessen zwang sie sich zur Ruhe, innerlich sowie auch äußerlich und das Schreien verebbte, so wie ihre Wut verrauchte, bis das Baby endlich wieder schlief.

Endlich bin ich wieder frei! Die Ketten waren fort und nun sprudelten die Worte erlösend aus ihr heraus. Der weise Drache sagte die ganze Zeit kein Wort und lauschte aufmerksam ihren Worten.

Erst als sie geendet hatte, öffnete sich leicht das breite Maul. »Ich hatte es befürchtet, das Erbe ihres Vaters kann und darf auch nicht verleugnet werden. Du kannst dem Bösen nur mit bedingungsloser Liebe begegnen.«

»Was sagst du da, Mutter?« Soll das etwa die Antwort sein, die ich so dringend erbeten habe?

»Sie greift mich permanent an. Sie will mich auch töten.« Ärgerlicherweise klang ihre Stimme lahm.

»Du weißt, wie du dich schützen kannst«, belehrte sie der Drache. »Du besitzt die Kraft der Rose und kannst mit deiner Magie umgehen. Nur dieses arme Wesen, kann es noch nicht. In ihr toben zwei starke Mächte, die sie überfordern. Sie hat mit ganz anderen Problemen zu kämpfen. Sie hat Hunger, Bauchschmerzen und vor allen Dingen leidet sie unter einer Mutter, die sie ablehnt. Das fühlt sie und es wird ihr nicht helfen, die Kräfte, die in ihrem kleinen Körper toben, zu kontrollieren. Sei nicht so töricht, Axara. Du gibst mit deinem Verhalten der bösen Seite in ihr Nahrung, sodass die helle und gute Seite in ihr fast verhungert und immer schwächer wird.«

Axara ließ die Worte ihrer weisen Mutter einen Augenblick sacken. Sie ergaben Sinn, auch wenn es ihr schwerfiel sich diese Tatsache einzugestehen.

»Aber ich kann doch nicht gegen meine Gefühle an …« Ihre Stimme war nur ein Flüstern, aber diese Worte brannten auf ihrer Seele und sie würde Katharina nicht eher gehen lassen, bis sie ihr sagen würde, was sie machen könnte.

Eine dicke Rauchwolke schwebte vom Drachen nach oben und formte sich zu einem Herz.

»Gib ihr einen Namen und nimm sie an.« Mit diesen Worten löste sich der Drache, ohne ein weiteres Abschiedswort, in Luft auf.

Fassungslos starrte Axara auf die Stelle, an der der Drache gerade noch gesessen hatte. Dann wanderte ihr Blick zu dem Herz, das immer noch in der Luft schwebte, als bestünde es aus einer festen Materie. Als sie danach greifen wollte, zerstob der Rauch und das Herz löste sich nach und nach auf.

Das hatte ich mir alles anders vorgestellt. Sie war am selben Punkt, wie vor dem Ruf nach ihrer Mutter. Unwillkürlich fiel ihr Blick auf das schlafende Baby. Sein Schnarchen untermalte die regelmäßigen Atemzüge. Wenn sie so dalag, wirkte sie so unschuldig, so dass sie spürte, wie sie sich selbst entspannte und sich sogar ein Lächeln über ihre Lippen stahl.

»Ich werde dich Helena nennen.« Den Namen fand sie schon immer schön. Er war ihr auf einmal wieder in den Sinn gekommen. Eigentlich sollte Freyja schon so heißen, aber damals hatte ihre Mutter davon abgeraten und so bekam Freyja den Namen der Feldgöttin.

Sie betete zur großen Mutter allen Seins und bat sie ihr und dem Kind beizustehen. Erst nach einer langen Fürbitte, legte sie sich ebenfalls erschöpft schlafen.

Die Gilde der Rose -Engelsmagie-

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