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Ein Teil der Herde werden -
Die Methode der aktiven Beobachtung

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Die zweite Methode, sein Pferd zu beobachten, ist die aktive Beobachtung. Das heißt, dass wir nun mehr in die Lebenssituation involviert sind und nicht mehr nur als betrachtender und wahrnehmender Gast am Zaun oder an der Box stehen. Um aktiv zu beobachten, können Sie sich gut und gerne mal eine Zeit auf den Platz gesellen, an dem Ihr Pferd sich heute befindet, mit ein paar Metern Abstand. Erleben Sie mit, was es alles zu erleben gibt – und reagieren sie mit. Werden Sie ein Teil der Herde und fühlen Sie sich hinein, wie es ist, genauso zu leben und seine Zeit zu verbringen. Sie werden staunen, wie viel Ihr Pferd zu tun hat! Beobachten Sie, wie intensiv die Beziehungen zwischen den Pferden sind. Jedes von ihnen hat seinen persönlichen Raum und reagiert ganz unterschiedlich, wenn sich ein Pferd seinem Dunstkreis nähert oder es wagt, ohne zu fragen dort einzudringen. Körpersprache wird schon über viele Meter wahr- und vor allem ernst genommen. Als Pferd ist man ständig auf Obacht!


Voll und ganz in die Lebenssituation und Stimmung des Pferdes einzutauchen ermöglicht eine noch direktere Wahrnehmung, wie es ihm heute geht und wovon es beeinflusst wird. Es ist der ehrliche Kontakt von Wesen zu Wesen.

Zwischen den Pferden können Sie wahrnehmen, ob es sich um eine bloß zusammengewürfelte Gruppe von Einzeltieren handelt oder ob Sie sich in einer echten Herdensituation befinden. Haben die einzelnen Pferde miteinander zu tun? Gibt es Aufgabenteilung und Freundschaften? Oder werden Sie als neues Herdenmitglied auf dem Platz plötzlich von allen belagert? Werden Sie angerempelt oder werden Ihre Taschen auf Leckerlis und Mitbringsel untersucht? Steht Ihnen plötzlich jemand auf dem Fuß oder schubst Sie um, weil es einem höheren Pferd im Rang Platz machen musste und so schnell nicht wusste, wohin? Würde es auf Ihrem Fuß landen, wenn SIE hier eine Position im oberen Rang hätten? Oder wenn es eine soziale Hemmung Ihnen gegenüber gäbe, weil Sie sich ein anderes Mal so eindrücklich bewiesen haben? So können Sie leicht feststellen, wie die allgemeine Meinung dieser Pferde über Menschen ist, wer in der Herde welche Aufgaben übernommen hat und wo Sie automatisch eingeordnet werden, wenn Sie sich so verhalten, wie Sie sich gerade verhalten.

Eine gute Methode, in der Herde Fuß zu fassen, ist das Spiegeln der Pferde. Nehmen Sie sich Zeit zu beobachten, womit die Pferde beschäftigt sind, und machen Sie mit. Sie können sich hinhocken und Gras rupfen, Sie können an der Heuraufe beschäftigt sein, Sie können der Herde folgen, wenn sie ein paar Meter geht. Spiegeln Sie das Verhalten und die Beschäftigung, die Ihnen auffallen, dann gehören Sie schnell dazu und werden ein Teil des Ganzen.


Die ebenbürtige Begegnung mit dem Pferd hat die größte Chance, wenn wir frei, offen und ehrlich zugeben, wer wir sind – und wer wir nicht sind. Irrtümer und Missverständnisse können so leicht vermieden werden.

Ich wähle diese Methode oft, um Pferde kennenzulernen und mir von Ihnen eine Art Alltagsanleitung geben zu lassen. Das schafft Verbundenheit und Vertrauen. Außerdem lerne ich viel über die Vorlieben und die heutige Stimmung meines Pferdes. Ich gehe mit ihnen gemeinsame Wege, ich ruhe mit ihnen in der Sonne, scharre im Sand, gähne ungeniert von Herzen zur Entspannung, nehme das Fellkraulangebot an und schaue mit meinem Pferd in die Ferne. Alles, was mein Pferd tut, mache ich mit. Alle Pferde, mit denen ich das in dieser Art praktiziert habe, reagierten darauf durchweg positiv. Sogar ein wild lebender Hengst auf einem Plateau auf Sardinien gestattete mir durch diese Art der Annäherung einen stundenlangen Aufenthalt in seiner Pferdeherde und schützte selbst mich als Herdenmitglied vor jungen Stutenräubern.

Wenn ich Pferde oder Pferdeherden besuche und etwas über die Harmonie der Gruppe, eines einzelnen Pferdes oder die interne Lebensqualität der Pferde herausfinden möchte, verbringe ich eine Zeit lang am Rande der Herde – wie ein Gast in der Natur unter Wildpferden. Ich bin achtsam, wach und höflich – und niemand darf ungefragt in meinen circa einen Meter weiten Bereich um mich herum eindringen. Um diesen deutlich zu machen, kann ich mit meinen Armen locker, rhythmisch einen Radius schwingen. Wohin meine Arme schwingen können, ist MEIN Bereich! Oder ich nehme mir anstelle eines Schweifes ein Seil mit, das in etwa so lang reicht wie meine Arme. Ich nutze das Seil als eine Art Schweifersatz. Bei meinem Vorgehen halte ich mich zurück, bewege mich langsam und harmonisch und nur dort, wo ich keinem anderen Pferd in seinem privaten Bereich zu nahe komme. Ich bin höflich und will nichts. Das ist die erste Höflichkeitsformel. Ein guter Chef wird so sehr schnell auf mich aufmerksam werden. Es macht Chefs in aller Regel naturgemäß neugierig, wer sich so selbstbewusst, in sich ruhend und klar äußern kann. Wenn ich dann das große Glück habe, dass der Chef sich für mich interessiert, kann ich mit ihm ins Gespräch kommen – ebenso gerne wie mit jedem anderen.

Den Pferden zuhören

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