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Eigentlich hätte es nach guter Tradition noch einen Leichenschmaus geben müssen. Aber der Moni hat abgewunken und gesagt, er kann es nicht.

Auch die Aymée hat sich entschuldigt, sie hockt noch mit den Kollegen zusammen. Sie kennt den Schani nicht nur wie einen Onkel, der ein Freund von ihrem Vater war und im Eck ein und aus gegangen ist, früher jedenfalls. Sondern die Aymée kennt den Schani von der Arbeit, obwohl sie nicht direkt beim ihm angestellt gewesen ist, hat sie für ihn gearbeitet. Sie kennt seine Baustellen und vielleicht auch seine Geschäfte, fällt dem Smokey ein, er könnte einmal ein Gespräch führen mit der Aymée.

Nicht als Polizist versteht sich. Sondern weil sie sich nahestehen. Als die Monique gestorben ist, waren sie ein bisschen Papa zur Aymée, er und der Schani. Wenn er jetzt also seine Anteilnahme ausdrückt und ein wenig horcht, wie es für den Schani in der letzten Zeit gelaufen ist, ist doch nichts dabei.

Es weiß ja nur der Smokey, dass es ihm schwerfällt, die Füße stillzuhalten. Ein Freund in der Baugrube mit ungeklärter Todesursache, das lässt einen Mordermittler nicht gut schlafen, Frührente hin oder her.

Sowieso ist ein Gespräch mit der Aymée immer eine Bereicherung, Wissensdurst hin oder her.

Die Aymée ist eine ganz besondere junge Frau, und der Moni ist zu Recht überstolz auf seine Tochter. Sowieso und immer schon, aber als sie den Gesellenbrief als Zimmerin gemacht hat, ist er fast geplatzt. Den Meister will sie auch noch obendrauf satteln. Aber erst einmal auf die Walz.

Wenn die Monique das noch hätte erleben dürfen!

So ein schönes Mädel, sagen viele, denn die Aymée ist ihrer Mutter runtergerissen ähnlich. Groß ist sie und schlank, alles sieht bei ihr elegant aus, selbst wenn sie auf dem Dach sitzt, den Zimmermannshammer schwingt und arbeitet. Es sind die gleiche Anmut und Geschmeidigkeit, die auch bei der Monique in jeder Bewegung waren, ganz gleich, ob sie ein Bier gezapft oder getanzt hat.

Und den starken Willen hat die Aymée auch geerbt, nicht nur von der Monique, auch von ihrem Papa. Der Moni lässt sich niemals hereinreden oder von etwas abbringen, außer natürlich von seiner Frau und seiner Tochter.

Und so ist die Aymée. Auf dem Bau war sie die Einzige, die sich vom Schani nichts hat anschaffen lassen. Respekt ja, von Unterordnung keine Spur.

Der Schani hat versprochen, dass er ihr Geld für den Meister gibt, aber da ist gleich der Moni reingegrätscht! Nur über seine Leiche, hat er gesagt, seine Familie schafft das aus eigener Kraft. Das hat sie schon immer, auf die Almosen vom Herrn Immobilienhai ist man nicht angewiesen.

Die Aymée war viel charmanter. Schenken lassen wollte sie sich freilich nichts, aber sie hat sich beim Schani bedankt und gesagt, über ein Darlehen könnten sie schon reden.

Später, wenn sie von der Walz wieder daheim ist.

Nach drei Jahren und einem Tag.

Einverstanden, hat der Schani gesagt und hat ganz butterweich geschaut. Er hat ihr nichts abschlagen können. Er hat sogar immer gesagt, dass die Aymée einmal sein Imperium übernehmen soll. Immer wenn er davon angefangen hat, hat der Moni mit den Augen gerollt und den Kopf geschüttelt und sich weggedreht oder zum Bierfass unter der Theke gebückt, angeblich um zu schauen, ob’s noch genug Helles hat, aber tatsächlich weil jeder in seinem Gesicht lesen konnte, wie deppert er das findet.

Weil die heute nicht mehr so sind.

Die jungen Frauen.

Die scheißen auf ein Imperium.

Vor allem ein geerbtes.

Die jungen Frauen heute können das selbst, Imperium.

Das sollte der letzte Depp kapiert haben, aber beim Schani sind die neuen Zeiten halt nicht angekommen.

Du bist so Achtz’ger, hat der Moni immer zu ihm gesagt.

Dabei ist Moni’s Eck ein Museum aus den Achtzigern. Mit der Discokugel und Tina Turner in Endlosschleife.

Da die Aymée sich jetzt beim Smokey und ihrem Papa verabschiedet, weil sie mit den Kollegen von der Zimmerei woanders eins auf den Schani hebt, und der Moni gar so unlustig ist, bleibt dem Smokey nichts anderes übrig, als nach Hause zu gehen.

In der Herzogstandstraße öffnet er die schwere Hauseingangstür, geht an den Briefkästen vorbei zu der breiten, mit Ochsenblut gestrichenen Treppe, deren Holzstufen so nah beieinander sind, dass auch die älteren Menschen im Haus es noch ohne viel Füßeheben nach ganz oben schaffen. Der Handlauf ist glatt poliert, so glatt, dass der Smokey sich wünscht, er könnte noch einmal mit dem Hosenboden vom Vierten ins Erdgeschoss rutschen, so wie früher als kleiner Bub.

Über dem Kinderwagen, den die junge Familie aus dem Dritten im Eingang parkt, ohne dass sich gleich jemand beschwert, hängt sein Zettel.

Liebe Mitbewohner. Wenn es nach Gras riecht, wundern Sie sich nicht, das kommt aus meiner Wohnung. Ich habe Morbus Bechterew und rauche medizinisches Cannabis, das mir zur Schmerztherapie verschrieben wurde. Bitte rufen Sie nicht die Polizei, ich bin selbst die Polizei. Vielen Dank, Josef Frey (4. OG)

Freak hat jemand daraufgekritzelt, schon vor einigen Wochen. Aber der Smokey hat es stehenlassen. Weil er glaubt, dass es nichts bringt, den Zettel neu zu schreiben, am nächsten Tag würde wieder Freak draufstehen. Und weil es ihn daran erinnert, dass er noch herausfinden möchte, wer das war, der das geschrieben hat. Oder die. Denn eigentlich passt der Kommentar zu niemandem im Haus.

Und drittens lässt er es auch da stehen, weil er findet, dass der Schreiberling recht hat. Er ist sogar insgeheim ein bisschen stolz drauf.

Smokey Frey, der Freak.

Es dauert, bis er oben im Vierten angekommen ist, das Stockwerk mit den niedrigsten Decken, aber der schönsten Aussicht.

Von seinem Balkon aus fliegt der Blick über die Häuserdächer, segelt durch die Isarauen und lässt sich geradewegs auf dem Gipfel vom Herzogstand nieder.

Er holt sich das Glas mit den grünen Blüten und ein Wasser, dann setzt er sich auf den Balkon an seinen Tisch. Zwei Stühle stehen da, aber seit die Gabi ausgezogen ist, fünfzehn Jahre ist es her, hat sich keiner mehr auf den zweiten Stuhl gesetzt, nicht einmal die Füße kann der Smokey darauf ablegen, der Bechterew verbietet es.

Er dreht sich eine schmale Zigarette, mehr braucht er nicht, um die Schmerzen so lange in Schach zu halten, bis er einschlafen kann. Die Heizdecke ist schon eingeschaltet, sobald er seine Cannabiszigarette geraucht hat, schält er sich aus dem schwarzen Anzug und legt sich in sein warmes Bett. Für eine oder zwei Stunden findet er so in den Schlaf. Kann die Schmerzen vergessen und steht die nächsten Stunden durch, bevor er noch einmal eine schmale Zigarette raucht.

Während er den süßen Kräuterrauch tief inhaliert, denkt er an den Schani und was der in seinem Leben schon alles gerissen hat. Ein Hund war er schon, und während der Dampf durch seine Nase hinaus in die Münchner Septemberluft zieht, weiß der Smokey in seinem zunehmend benebelten Gehirn eines ganz genau: Der Schani war noch nicht am Ende, der hat bestimmt noch etwas vorgehabt, er hat immer einen neuen und noch größeren Plan entwickelt.

Und wenn einer weiß, ob da noch ein Plan war, dann ist es der Pollner.

Betongold

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