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In diesem Kaffee bleibt der Löffel von selbst stehen.

Smokey kennt das Gebräu von der Frau Wiese, wenn er die halbe Tasse getrunken hat, steht er in der Nacht im Bett. Trotzdem mag er den Kaffee, der ihn an seine Mutter erinnert. Die die Bohnen noch mit der Hand gemahlen hat. Er denkt an den Melittafilter aus Keramik und wie seine Mutter das heiße Wasser langsam, ganz langsam und in Kreisbewegungen in den weißen Papierfilter gegossen hat. Schon als Bub hat er diesen Geruch gemocht. Als er später seine Ausbildung bei der Polizei angefangen hat und immer früh aufstehen musste, hat die Mutter ihn jeden Morgen in der Küche mit dem frisch aufgebrühten Kaffee begrüßt.

Mit dem kannst du Tote aufwecken. Den Satz hat sein Vater gesagt, jedes Mal, bei jeder Tasse, die die Mutter ihm hingestellt hat.

Bei dem Kaffee von der Frau Wiese fängt der ganze Ostfriedhof zu tanzen an.

Beim Smokey daheim steht noch eine alte Kaffeemaschine von Tchibo, die die Gabi angeschleppt hat. Als sie ausgezogen ist, hat sie dem Sepp die Maschine gelassen, weil daraus der Kaffee viel zu scheußlich schmeckt.

»Nichts habe ich gesehen.« Frau Wiese setzt sich zu ihm an den Tisch, ihre Finger streichen das Spitzendeckchen glatt, sie zittern. »Gar nichts. Es war nur so ein Gefühl. Ich bin wach gelegen und war unruhig. Dann bin ich aufgestanden und habe aus dem Fenster gesehen.«

»Und was haben’s gesehen?«

Die Frau Wiese schaut ihn an, als wäre er nicht ganz gescheit.

»Ja nichts. Das habe ich doch gerade gesagt.«

Damit er jetzt nicht aus der Haut fährt, nimmt der Smokey einen Schluck von dem fabelhaften Kaffee. Das hat er gelernt in den vielen Jahren beim Mord: immer schön wohltemperiert bleiben.

»Aber Sie haben mich doch aus dem Bett geholt«, versucht er es noch einmal und setzt die Tasse, eine dünnwandige Porzellantasse mit Goldrand, sehr behutsam ab. Auf die Untertasse auf dem Spitzendeckchen. »Wenn Sie gar nichts gesehen haben, liebe Frau Wiese, dann wären Sie doch nicht zu mir gekommen und hätten mich herausgeklingelt.«

»Ja schon.« Die Finger von der Frau Wiese zittern jetzt noch stärker, sie wirft einen Blick hinaus, durch die Vorhänge vor dem Wohnzimmerfenster.

Eigentlich ist es nicht mehr sein Job, eigentlich soll er sich gefälligst raushalten, aber wie er in der Nacht nicht schlafen konnte wegen der Schmerzen vom Bechterew, ist es dem Smokey wieder und wieder durch den Kopf gegangen.

Wie der Schani in der Baugrube liegt. Die er selbst gegraben hat. Dass es natürlich ein Unfall sein kann, er ist gestolpert, im Dunkeln mit seinen Cowboystiefeln ausgerutscht oder über einen Stein gefallen.

Kann schon sein.

Einerseits.

Andererseits ist der Schani in seinem Leben über tausend Baugruben gestolpert, auch in den Stiefeln und nicht immer ganz nüchtern, und nie ist etwas passiert.

Noch schwerer aber wiegt für den Smokey, dass der Schani tunlichst versucht hat, sich von der Baugrube fernzuhalten, wegen der er so viel Ärger bekommen hat.

Das Haus, das der Schani abgerissen hat, das sein Mutterhaus war, das war obendrein leider denkmalgeschützt. Gesehen hat man es nicht, es war ein winziges und feuchtes und dunkles Haus. Die Lizzy hat ja nie Geld verdient und hat sich keine schöne Wohnung leisten können. Aber zu der Zeit, als der Schani die Gerüstbaufirma von seinem Chef übernommen hat, weil er fleißig war und ehrgeizig, da hat das Häusl leer gestanden. Keiner wollte darin wohnen, es waren die späten Siebziger, da wollten alle in die schönen neuen Häuser von der Neuen Heimat einziehen und nicht in so eine kleine Hütte. Auch der Schani wollte nicht, dass seine arme Mama da reingeht, er hätte sie lieber in einer modernen Wohnung gesehen, aber sie hat nicht gewollt. Sie wollte das kleine Haus in der Gietlstraße. Mit dem Garten hintendran, wo sie Hühner gehabt hat und Gemüse.

Das war wie später mit der Seniorenresidenz und dem Sankt Alfonsheim. Der Schani wollte immer groß und hell und neu für seine Mama, aber die Lizzy mit ihrem Dickschädel hat sich durchgesetzt. Niemals höher hinaus und auch nicht das Geld von ihrem Sohn, als der einen Highfly nach dem anderen bekommen hat.

Jahrzehntelang hat die Lizzy in ihrem Häusl gewohnt, das geduckt zwischen den höheren Häusern stand, als wenn es sagen wollte: Schaut mich bloß nicht so genau an.

Aber irgendwann hat es jemand genauer angeschaut und festgestellt, das ist ein Baudenkmal, weil es typisch für die Bebauung vor hundertfünfzig Jahren war, und dann sollte der Schani die Modernisierungen, die er für seine Mama vorgenommen hat, wieder rückgängig machen. Das hat ihm gestunken, schon klar. Er hat geschimpft, ob er jetzt wieder ein Plumpsklo hineinbauen soll statt dem Badezimmer oder wie oder was. So ist es eine ganze Zeit lang gegangen, der Schani hat sich mit der Stadt gestritten, und der Lizzy war es wurscht.

Und auf einmal war Ruhe.

Aber so eine seltsame Ruhe, das hat der Smokey schon immer gedacht, mit dieser Ruhe stimmt was nicht.

Auch der Moni hat gesagt, da ist etwas faul.

Vor allem weil der Schani nicht mit ihnen geredet hat. Sonst hatte er immer eine ganz große Klappe, jeden Schmarrn hat er seinen alten Freunden erzählt, aber als es um das Häusl ging: kein Wort.

Als seine Mama nicht mehr allein bleiben konnte, weil sie nicht mehr gewusst hat, ob sie den Herd angemacht hat oder dass sie in der Nacht um drei nicht im Nachthemd zum Einkaufen gehen soll, und der Schani sie zähneknirschend ins Sankt Alfonsheim verfrachtet hat, stand das Häusl leer.

Was schon komisch war, weil der Schani jeden Quadratzentimeter zu Geld gemacht hat, jede Absteige hat der vermietet, für ein Heidengeld. In die Häuser am Stadtrand, die alten Absteigen, wo der Schimmel sich durch die Decken gefressen hat und kein Klo mehr funktioniert, hat er Bulgaren reingequetscht, ihnen Miete abgeknöpft, dafür hätten die in ein Hotel am Bahnhof gehen können, wenn sie es nur gewusst hätten. Regelmäßig hat er Bußgeld zahlen müssen, aber das war ihm völlig gleich.

Das Bußgeld haben quasi die Bulgaren für ihn bezahlt.

Also einen Leerstand, das gab es nicht im Imperium vom Martin Schanninger.

Der Smokey und der Moni haben sich gewundert, aber vom Schani kein Wort.

Stattdessen ist er mitten in der Nacht mit einem Bagger angerückt und hat das Häusl von seiner Mama zu Klump gehauen.

Dann ging der Rummel aber richtig los. Die Zeitungen haben berichtet, und der Oberbürgermeister hat vorbeigeschaut und hat mit den aufgebrachten Anwohnern gesprochen. Anzeigen hat es gehagelt, die Polizei hat ermittelt, und mit Bußgeldbescheiden war die Sache dieses Mal nicht aus dem Weg geräumt.

Und was hat der Schani gemacht?

Er hat rotzfrech behauptet, er war es nicht. Dabei hat man sehen können, wie der Bagger angekommen ist und ein Loch in das kleine Häusl gerissen hat.

Aber es war dunkel, keiner hat kapiert, was los war, und niemand hat Fotos gemacht.

Aber wehe, es darennt sich einer auf der Autobahn! Sekunden später ist er die Internetsensation.

Zwei Monate ist das her, und der Smokey hat den Überblick verloren, wie die Sache mit der Strafanzeige gegen den Schani ausgegangen ist. Wenn es überhaupt schon ausgegangen ist, vielleicht ist der Tod vom Schani in der Baugrube erst der Schlusspunkt unter der Geschichte.

»Also, liebe Frau Wiese. Vielleicht fällt es Ihnen ja noch ein, warum Sie mich mitten in der Nacht angerufen haben«, sagt der Smokey und setzt sein Erbschleichergesicht auf.

Er schwitzt jetzt schon sehr, der Kaffee dringt aus jeder Pore, besonders da, wo sein schwarzer Anzug zwickt. Unter den Achseln und im Schritt. Es ist seine Beerdigungsuniform. Er hat sie sich vor zwanzig Jahren gekauft, als er seinen Papa unter die Erde gebracht hat. Zwanzig Jahre, da war er noch um einige Kilos und einen Bechterew leichter. Sein Oberkörper war damals aufrecht, jetzt krümmt er sich um sechzig Grad nach unten, was dem Anzug nicht gut bekommt.

Immer wenn er ihn getragen hat – tragen musste –, hat er sich gefragt, ob es lohnt, den Anzug umzuschneidern. Aber bei jeder neuen Beerdigung würde er noch ein bisschen krummer sein, er müsste also vor jeder traurigen Gelegenheit zum Schneider gehen. Der Hashemi, der seine Schneiderei beim Smokey ums Eck hat, ist ein Künstler, der könnte ihm bestimmt die passende Biegung auf den Leib schneidern. Doch immer wenn eine Beerdigung ansteht, denkt der Smokey sich, dass es die letzte ist, bevor er selbst ins Gras beißen muss, und für das eine Mal passt es schon noch. Dann geht er mit dem entsetzlich zwickenden Anzug hin und ärgert sich.

Frau Wiese gießt ihm noch einen Kaffee in die Tasse. Der Smokey bringt es nicht übers Herz abzulehnen, stattdessen schaut er noch ein bissl netter.

»Ja, wegen dem Streit!«, sagt die Frau Wiese, schüttelt missbilligend den Kopf, weil der Herr Frey entweder nicht richtig zuhört oder schwer von Begriff ist.

»Dem Streit?«

»Ich hab doch gesagt, gesehen habe ich nichts – aber gehört!« Als wäre ihr ein schöner Scherz gelungen, schaut die Frau Wiese recht verschmitzt.

Jetzt trinkt der Smokey doch einen Schluck von dem Kaffee, was einen veritablen Schweißausbruch zur Folge hat.

Ein Streit, soso. Jetzt wird’s interessant.

Betongold

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