Читать книгу Betongold - Tanja Weber - Страница 12

6

Оглавление

Am Hauptbahnhof steigt der Smokey aus der S-Bahn. Er fährt wieder nach Hause, ohne mit dem Pollner gesprochen zu haben. Der war nicht in Berg, stattdessen waren die Kollegen vom Dezernat Wirtschaftskriminalität da, der Kayacik und seine Leute.

Der Smokey wundert sich nicht, dass sie ihn erwartet haben, so wie der Kollege gegrinst hat. Der Wolf vom Mord wird schon gewusst haben, dass der Frühpensionist kein Auge zutut, bis der Unfall von seinem Freund aufgeklärt ist, und wahrscheinlich haben sie sich in der Ettstraße schon das Maul zerrissen, nach dem Motto: Wart nur, bis der Kiffer mit seinem Russen im Gepäck daherkommt.

So zu tun, als wäre er rein zufällig in der Gegend, hat er gar nicht erst versucht. Der Kayacik hat ihn hochgenommen, ihn gefragt, ob er sich von seiner Pension einen Ruhesitz am Starnberger See leisten kann. Hat genau gewusst, dass der Smokey privat herumschnüffelt. Also hat er, Smokey, die Flucht nach vorn angetreten und den Kayacik beglückwünscht, dass er mit seiner Mannschaft bei den Ermittlungen da angekommen ist, wo er selbst auch schon steht. Sie haben hin und her geflachst, bis der Smokey den Rückzug angetreten hat, immerhin mit der Information in der Tasche, dass der Pollner nicht zu Hause ist und keiner weiß, wo er sich herumtreibt.

Während er in der U-Bahn zum Candidplatz fährt, fällt ihm ein, was der Schani ihm erzählt hat. Dass der Pollner gar nicht so blöd ist, wie er aussieht, und eine geheime Hütte in der Wildschönau besitzt, die auf dem Papier seiner Putzfrau gehört.

Jetzt aber. Wie heißt noch einmal die Putzfrau vom Pollner?

Eine Cannabiszigarette und eine Heizdeckensession später kommt der Smokey drauf. Maria Buco heißt sie und ist eine schöne Kroatin, die ihm immer schon gefallen hat. Sie hat früher einmal das Loft vom Schani sauber gemacht, der hat sie dann an den Pollner empfohlen. Wann immer er sie bei der Arbeit gesehen hat, war es dem Smokey unangenehm. Dass er dort herumhockt und die schöne Frau um ihn herumputzt.

Er war eh nur selten beim Schani und irgendwann gar nicht mehr, wegen der Maria Buco. Aber dann war die auch nicht mehr da, beim Pollner musste sie ja eine große Villa sauber halten, damit war sie voll beschäftigt. Und wahrscheinlich auch voll bezahlt.

Er müsste also die Maria Buco kontaktieren und sie nach dem Pollner fragen, aber Telefonnummer hat er keine. Die Kollegen vom Mord möchte er nicht fragen, den Polizeicomputer kann er nicht mehr nutzen, und im Telefonbuch steht sie nicht.

»Telefonbuch!«, der Moni lacht, während er ihm eine Tasse Kaffee hinstellt. »Als wenn heute noch jemand im Telefonbuch steht! Schaust halt beim Facebook.«

»Naaa!«

So weit kommt’s noch. Dass der Smokey dem Zuckerberg seine Daten hinterherträgt. Zwar hat er ein Smartphone, das schon, aber sonst hat er nix. Kein Social Media.

Aber der Moni hat schon sein Facebook offen und schneller Maria Buco eingetippt, als der Smokey bei seinem Telefon den Sicherheitscode eingeben kann.

Das kommt halt davon, wenn man Kinder hat, denkt der Smokey und wird ein bisschen sentimental, wie immer, wenn er an Kinder denkt. Zwei haben sie haben wollen, mindestens. Aber bekommen haben sie keines, es hat nicht sollen sein. Er hätte auch ein Kind adoptiert, aber für die Gabi kam Adoption nicht infrage. Sie hat gemeint, sie schafft es nicht, wo er immer nur bei der Arbeit ist und sie alles alleine managen muss. Das war das traurige Hauptgefühl von ihr: Sie muss alles alleine machen. Deshalb hat sie auch eines Tages ihre Sachen gepackt, weil wenn sie schon in der Ehe allein ist, dann kann sie auch gehen.

Jetzt ist sie beim Klausi. Auch wenn es den Smokey schmerzt, muss er zugeben: Da ist die Gabi besser aufgehoben. Der Klausi hat sein Herz auf dem rechten Fleck, auch wenn der Herrgott dafür am Gehirn gespart hat. Aber vor allem hat der Klausi einen Job, der nicht ständig wie eine schwarze Wolke über ihm schwebt so wie beim Smokey. Und er muss auch nicht mitten in der Nacht aus dem Bett aufspringen, um sich eine Familientragödie in einem Doppelhaushälftenkeller in Trudering anzuschauen. Der Klausi ist bei der Sparkasse in Bad Wiessee und bietet der Gabi verdienten Frieden, Aussicht auf die Rentenzeit und den besten Kuchen am Tegernsee im Café Krupp.

»Schau her«, sagt der Moni und hält dem Smokey sein Handy vors Gesicht.

So viele Maria Bucos gibt es, überall auf der Welt. In Schweden in Ekilstuna oder in Italien in Palermo. Und tatsächlich finden sie auch die schöne Maria Buco, die der Smokey gesucht hat.

Der Moni grinst feist, das tut er jedes Mal, wenn er zeigen kann, dass er dem Smokey technisch über ist, und der überlässt seinem Freund den kleinen Sieg.

»Was magst ihr schreiben?«

Es dauert ein bisschen, bis dem Smokey ein gescheiter Text einfällt, weil er gar nicht weiß, ob sie sich überhaupt an ihn erinnert. Und wenn sie sich an ihn erinnert, erinnert sie sich dann an ihn als Polizisten oder weiß sie gar nicht, dass er einer ist, oder gar, dass er jetzt schon lang keiner mehr ist?

Dem Moni wird’s zu dumm, er wartet nicht ab, sondern schreibt etwas, schüttelt den Kopf und holt seine Zigaretten. Dann setzen sie sich zusammen raus auf die Straße, da hat der Moni jetzt wegen dem Corona drei Tische aufgestellt.

»Was willst denn von der Maria Buco?«

»Ihr sagen, dass der Schani tot ist.«

An dem Seitenblick, den der Moni ihm rasch zuwirft, weiß der Smokey, dass er ihm nicht glaubt. Obwohl er sich ein bisserl schämt, dass er dem alten Freund nicht die ganze Wahrheit sagt, sondern nur eine halbe, bleibt er dabei.

Einerseits weil es quasi Ermittlungsgeheimnisse sind, während er andererseits gar keine Ermittlungen anstellen soll und darf, und dass er es trotzdem tut, muss der Moni erst recht nicht wissen.

Und obendrein weiß er selbst nicht, was der Grund ist, warum er die Maria Buco unbedingt aufstöbern will.

Gut fühlt sich der Smokey nicht dabei, vor dem Moni Geheimnisse zu haben, vor allem weil der in der letzten Zeit selbst recht geknickt ist. Wegen Moni’s Eck, das er andauernd auf- und zusperren muss, auf und zu, immer im Wechsel. Dass der Moni mit dem Eck nichts verdient, ist kein Geheimnis, wie der das mit der Pacht stemmt, traut sich der Smokey gar nicht fragen. Und mit dem Corona ist es nicht grad leichter geworden. Eigentlich unmöglich, nur mit dem Eck zu überleben.

Über so etwas reden sie nicht, sie reden eigentlich eh nichts, aber mehr, weil sie beide das Gefühl haben, dass es keine Worte braucht, um sich beieinander zu fühlen.

Manchmal aber fragt der Smokey sich, ob er den Moni eigentlich richtig kennt. In sich hineinschauen lässt der sich nicht.

Den Schani, den hat er schon besser gekannt, der hat ja eher eine Logorrhö gehabt.

Der Moni ist mehr ein Schweigemönch.

Der Smokey genauso, dafür haben ihre Frauen das Doppelte geredet. Die Monique und die Gabi waren im Dauergespräch. Und jetzt, wo sie nicht mehr da sind, reden ihre Männer noch weniger miteinander.

Wo er an die Frauen denkt, gesellt sich in seinen Gedanken zu den beiden Abwesenden eine dritte hinzu, die Maria Buco.

Vielleicht, so denkt er, möchte er einfach nur einmal ihre Stimme hören.

»Jetzt lass halt dem Schani seinen Frieden.«

So tief inhaliert der Moni an seiner Marlboro, dass es dem Smokey beim Zuschauen in der Lunge zwickt. Er hat den Verdacht, dass der Moni sich seit sieben Jahren bemüht, auf einen Lungenkrebs hinzurauchen. Damit er wieder mit der Monique zusammen sein kann.

»Hast du schon was gehört«, fragt der Moni, »von deinen Kollegen? Was passiert ist?«

Der Smokey schüttelt den Kopf und schaut weiter auf die Tegernseer Landstraße. Auf den Tchibo schräg gegenüber. Auf den Verkehr. Und weil er schon so lange hier wohnt und immer wieder an der Tegernseer Landstraße sitzt und auf den Verkehr schaut, mit oder ohne den Moni, mit oder ohne den Schani, rauschen die Autos und LKWs an ihm vorbei, ohne dass er den Lärm hört oder ihn die Abgase stören. Wie er hier sitzt, mit einem Kaffee und einem Freund, nimmt der Verkehr seine Gedanken und Sorgen mit, ein Verkehrsfluss eben, ganz so, als wenn man auf die Isar schaut und ist vollkommen leer im Kopf.

Halt nur halb so schön.

Aber von der Wirkung her fast genauso.

Und da geht ihm auf, dass er nicht ganz gescheit ist, wie er sich mit den Gedanken um den Tod vom Schani abplagt, wo er einfach nur den Wolf anrufen und fragen kann, wie es mit den Ermittlungen steht.

»Hast recht«, sagt er, während der Moni schon die dritte Marlboro wegatmet, »ich frag einmal die Kollegen.«

Der Moni nickt.

Als sein Telefon am Abend klingelt und ihm eine unbekannte Nummer angezeigt wird, hat der Smokey die Sache mit der Maria Buco beinahe schon vergessen. Aber als er sich meldet und dann ihre Stimme hört, schleicht sich ein Lächeln in sein Gesicht, die Gabi hätte deppert dazu gesagt, dabei liegt die nächste Cannabiszigarette noch unangetastet vor ihm auf dem Tisch.

»Sie wollten mich sprechen?«, fragt die Maria Buco in den Hörer, und der Smokey wundert sich kurz, dass sie astrein Deutsch spricht, ohne Dialekt. Er hat einen slawischen Akzent erwartet, nur weil sie eine Kroatin ist. Dabei haut der Kayacik von der Wirtschaft ein astreines Oberbairisch raus, und der Aslan von der Shisha Bar spricht schöner Hochdeutsch als der Oberbürgermeister.

Da der Smokey vor Überrumpelung nicht sofort geantwortet hat, spricht die Maria Buco einfach weiter. Eine Stimme so schön wie der gelbe Löwenzahn in der Pflasterritze.

»Geht es um den Herrn Schanninger? Das tut mir so furchtbar leid.«

Endlich hat er sich gefangen. »Ja«, sagt er, »ich wollte Sie eigentlich nur darüber in Kenntnis setzen.«

Am anderen Ende der Leitung bleibt es still, und als die Maria Buco wieder etwas sagt, dämmert dem Smokey, dass es naiv von ihm war, davon auszugehen, dass sie nichts vom Tod vom Schani weiß. Ist schon gut, dass er den Dienst an den Nagel gehängt hat, findet er, vielleicht ist er wirklich nicht mehr auf Zack. Das Alter, der Bechterew und dann noch das Cannabis. Sein Gehirn fährt nur noch mit dreißig km/h durch die Gegend.

»Die Polizei hat doch gleich mit mir Kontakt aufgenommen. Und mich alles Mögliche gefragt.«

»Freilich, entschuldigen Sie, das hätte ich mir ja denken können.«

»Das war alles? Sollte ich Sie deshalb anrufen?«

»Sind Sie denn noch beim Herrn Pollner angestellt?« Der Smokey hat sich für die Flucht nach vorne entschieden, mit seinem Herumgeeiere macht er keine gute Figur.

Jetzt seufzt die Maria Buco, und sie seufzt so schön, mit einem leichten Herzen, sodass es gar nicht depressiv nach unten geht, sondern der Seufzer den Smokey von seinem Balkon trägt, in den Abendhimmel hinein, der sich wegen dem Föhnwetter schon wieder herrlich rosa färbt. Er schaut hinaus über die Dächer, schwebt auf einer schönen kroatischen Seufzerwolke und lauscht der Maria Buco, die jetzt ganz von selbst ins Erzählen kommt. Wie wenn man den Stopfen aus dem Ventil vom Schwimmflügel genommen hat, bloß dass bei der Maria Buco keine lauwarme Luft herauskommt. Er erfährt, dass sie schon lange nicht mehr beim Pollner putzt, weil dort alles den Bach heruntergegangen ist. Die Umgangsformen vom Pollner haben proportional zu seiner Liquidität abgenommen, und ein hilfsbereiter Geist nach dem anderen hat bei dem ehemals reichen Erben aus Berg hingeschmissen. Irgendwann auch die Maria Buco, da ist ihrem Ehemann nämlich der Kragen geplatzt, weil der Pollner nicht mehr bezahlt und sich dazu schlecht benommen hat.

»Das tut mir wirklich leid«, sagt der Smokey und meint es, wie er es sagt. »Das habe ich nicht gewusst.«

»Ja, woher auch«, antwortet die Maria Buco sehr nett, »Sie haben doch nichts mit dem Herrn Pollner zu tun gehabt. Und der Herr Schanninger war immer sehr korrekt.«

Wieder ein Punkt für den Schani auf der Karmaliste, wundert sich der Smokey. Als wenn der sein Arschlochgesicht nur im Geschäft gezeigt hat.

»Ich glaube«, sagt die Maria Buco, und tatsächlich hört der Smokey nun ein leichtes Zittern ihrer schönen Stimme, »ich glaube, die meisten Leute wissen gar nicht, dass der Herr Schanninger auch ein guter Mensch war.«

Manchmal, denkt der Smokey, manchmal. Er hätte gerne etwas Netteres über seinen alten Freund gedacht, aber da muss man schon korrekt sein.

Betongold

Подняться наверх