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München leuchtet

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1974

»Magst?«

»Na.«

Der Sepp schüttelt den Kopf.

»Weil du Bulle bist?«

Der Hias zieht tief am Joint und müht sich, den Rauch so lange wie möglich zu halten. Als er ihn durch die Nase ausstößt, hustet er, lächelt und hält ihn dem Schani hin.

Der fischt eine Ernte 23 aus der Packung. »Geh weg mit deinem Hippiescheiß.«

Die Bierflasche, die er eben noch in der Hand gehabt hat, rollt den Hang hinunter. Der Schani gibt ihr mit dem Fuß einen Schubs und öffnet sich mit dem Feuerzeug die nächste.

»Spießer.«

Der Hias lässt sich hintenüberfallen, breitet die Arme aus.

Der Poncho, den der Hias trägt, sieht aus wie der Teppich im Flur von seiner Oma, denkt der Sepp.

Der Schani und er schauen jetzt nach vorne auf die Seebühne, wo sich die Musiker die Finger in ihren Sitars verhaken, eigentlich auch ein rechter Hippiescheiß, finden sie. Der Schani mag die Hits auf Bayern drei, und der Sepp steht auf Bob Dylan.

Der Hias hat sie hierhergeschleppt, ins Theatron, und wenn man eingeladen wird, dann sagt man nicht nein, es ist außerdem sein achtzehnter Geburtstag.

»Gehma nachher noch ins Crash

Das ist typisch für den Schani, dass er bei einer Aktion schon an die nächste denkt. Immer in Bewegung, dabei ist es ein super Sommertag, die Wiese auf dem Hügel im Olympiapark ist so grün, als wär sie frisch gestrichen, die Sonne steht hoch, und das Glasdach wirft Blitze unters Volk.

Wieder schüttelt der Sepp den Kopf. Er hat dem Papa versprochen, dass er ihm nachher noch mit den Hasen hilft, auch wenn es ihm zuwider ist. Er mag die Tiere nicht, ihre weichen und immer heißen Ohren, den sanften Blick.

»Ich hau ab«, sagt der Hias.

»Jetzt? Ich denk, du willst feiern? Keine Party?«

Die Enttäuschung steht dem Schani groß auf der Stirn, er hat sich mehr erhofft von einer Feier zum achtzehnten Geburtstag. Er ist der Älteste von den dreien, bald zwanzig. Fährt einen Ford und nicht mehr seine Zündapp. Den Gesellenbrief hat er in der Tasche, er arbeitet ja schon lange und nicht wie der Sepp, der erst bei der Polizei angefangen hat.

Der Hias wiederum macht nichts Gescheites, er hilft bei seinem Vater im Getränkemarkt, und so wie es aussieht, fängt er auch nichts Größeres an mit seinem Leben, jedenfalls nicht so schnell.

Das gäb’s bei Sepp seinem Vater nicht. Nichts tun und in den Tag hineinleben. Auch nicht die langen Haare vom Hias.

»Na!«, sagt der jetzt und rollt sich auf die Seite, reißt ein Gänseblümchen aus und steckt es sich in den Mund. Er kaut darauf herum. »Nicht jetzt. Überhaupt. Fortgehen.«

Schani fällt die Kinnlade herunter. »Fort? Von hier? Ja spinnst du!«

Er streckt beide Arme aus, und der Sepp staunt über die Muckis, das kommt vom Gerüstbau, ist ja klar, wenn man jeden Tag aufbaut und abbaut.

Polizeisport ist ein Dreck dagegen.

Der Hias schaut streng. »Reg dich ab. Du musst ja nicht fortgehen, aber ich. Ich mag noch einmal was anderes sehen als die Tegernseer Landstraße und vielleicht noch die Isar oder den scheiß Stachus.«

Jetzt springt der Schani auf, sein weißes Unterhemd spannt sich über der Mordsbrust, er dreht sich um seine eigene Achse, die Bierflasche in der einen, die heruntergebrannte Ernte in der anderen Hand.

Und er brüllt.

»Siehst du des? Schau dich einmal um, du Spasti, wie super des is! Die schönste Stadt der Welt!«

Von der Wiese schauen die anderen schon her, da legt der Schani noch eins drauf und schreit lauter als die Sitars heraufklingen, hinunter zur Seebühne: »Die gottverdammt schönste Scheißstadt der Welt!«

Wie zwei Deppen schauen der Sepp und der Hias hin und her, sie sehen das, was sie immer sehen, wenn sie hier sitzen, sie sehen den Olympiapark und den Olympiasee, das Olympiastadion und den Olympiaparkplatz.

Und den BMW-Vierzylinder, der schon ganz schön super ist.

Alles neu, alles schön, München leuchtet.

Nur der Sepp sieht manchmal die Blutspuren und denkt an den Helikopter, wie er über dem Olympiadorf aufsteigt.

Er fragt sich, wie der Schani das so sagen kann, der aus Giesing selten rauskommt, vielleicht einmal bis Freising oder höchstens Garmisch, aber selbst da war er bestimmt noch nicht.

Der Sepp dagegen kennt Bibione und war einmal zum Skifahren in Südtirol.

»Ich scheiß auf die schönste Stadt der Welt.«

Jetzt wird auch der Hias patzig und verschränkt die Arme über der Teppichbrust.

Auch die zweite Flasche Bier hat der Schani ausgetrunken, blitzschnell geht das bei ihm. Er setzt sich wieder hin, wahrscheinlich brummt ihm der Schädel, von der Sonne, dem Bier und weil er sich aufgeregt hat. Ganz ernst schaut er seinen Freund an.

»Ich versteh’s nicht. Erklär’s mir. Du bist doch hier daheim.«

Auf die Erklärung ist jetzt auch der Sepp gespannt, der im Traum noch niemals daran gedacht hat, irgendwo anders hinzugehen. Er ist in München geboren, genauso wie sein Vater und seine Mutter und seine Großeltern. Davor hat die Familie einmal in Niederbayern einen Bauernhof gehabt, aber wegen der Arbeit sind sie vor hundert Jahren in die Stadt gekommen.

Und wegen der Arbeit sind sie geblieben. In München wohnt das Geld, sagt sein Vater, und auch wenn man es nicht überall sieht, vor allem nicht in Obergiesing oder der Au, weiß der Sepp, dass es stimmt. Man muss nur einmal nach Grünwald fahren oder nach Nymphenburg. Auf der Wiesn sitzen die Großkopferten im Schottenhammel zusammen, und in der Maximilianstraße fahren sie den BMW spazieren.

»Ich mag was sehen von der Welt«, sagt der Hias, reckt das Kinn nach vorne und streicht sich mit beiden Händen die langen Haare aus dem Gesicht. Zeigt hinunter zu den Sitarspielern und sagt: »Indien zum Beispiel. Das könnt ich mir schon vorstellen.«

»Geh, Schmarrn.«

»Schon. Einfach rumreisen. Der Sohn vom Weidinger Fred ist nach Afghanistan! Oder Pakistan. Stellt’s euch das vor. Mit einem Spezl und einem alten Auto. Die haben was transportiert für einen, der hat ihnen sogar die Reise bezahlt.«

»Waffen«, sagt der Schani.

»Drogen«, sagt der Sepp.

Und dann sagen sie nichts mehr. Alle drei. Sie rauchen, trinken Bier – der Schani hat für jeden was dabei – und hängen ihren Gedanken nach. Die helle Musik füllt ihre Köpfe mit Bildern, von heißem Staub und leuchtenden Gewändern. Frauen mit langen schwarzen Haaren und grimmigen Männern.

Der Hias lächelt, weil er es nicht abstellen kann.

Der Sepp weiß nicht so recht.

Aber der Schani schüttelt sich und wedelt mit der Hand herum.

»Gute Reise«, sagt er und lacht plötzlich, »meiomei. Du bist verrückt.«

Und dann lacht auch der Sepp, und der Hias kann nicht anders als sich auch kugeln, meiomei.

»Und du?«, fragt der Hias schließlich den Schani. »Was willst du? Kannst doch nicht dein Lebtag Gerüste aufbauen?«

Der Schani dreht sich auf den Bauch, schaut versonnen über die Stadt, in der jetzt die Lichter angehen, weil die Sonne langsam hinter Fürstenfeldbruck versinkt und die Alpenkette im Süden rot glühende Spitzen bekommt.

»Ich«, sagt er, »ich mach mein Glück.« Und dabei reibt er die Spitzen von Zeigefinger und Daumen aneinander.

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