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Der Schani war schon immer für das Unerwartete gut, und obwohl der Smokey gedacht hat, man könne ihn in diesem Leben nicht mehr überraschen, hat der Schani es geschafft, dort unten in der Baugrube.

Dass der Smokey doch noch einmal staunt.

Ausgerechnet Obergiesing, denkt er, dass sich der Schani ausgerechnet Obergiesing zum Sterben aussucht, das hätte er nicht gedacht. Vielmehr hat er auf Mallorca oder die Malediven oder wenigstens Ischgl getippt.

Ausgesucht ist der falsche Begriff. Es sieht von hier oben eher aus, als hätte der Tod den Schani eiskalt erwischt.

Zum Glück liegt er unten in der Grube, und er hängt nicht oben irgendwo an einem Baugerüst. Denn herunterschauen, das geht für den Smokey einwandfrei, er tut den ganzen Tag nichts anderes, aber hinaufschauen, das ist schon schwieriger.

Wegen seinem Bechterew.

Es gibt keinen Zweifel, dass es der Schani ist dort unten, dazu braucht man kein ehemaliger Mordermittler sein. Sogar die Frau Wiese hat das erkannt, deshalb hat sie ihn auch geholt, anstatt in der Wache anzurufen.

Für die Frau Wiese wie für alle Alten aus dem Viertel ist er eben immer noch der Polizist. Josef Frey, genannt Smokey. Früher Sepp.

Seit fünf Jahren ist er nicht mehr dabei. Vorzeitiger Ruhestand. Aber wann immer was ist, und wenn nur einer im Rossmann einen Ratzefummel geklaut hat oder sie sich in der Shisha Bar streiten, wird er gerufen, der Smokey.

Vielleicht liegt’s daran, dass sich bei ihm nicht viel verändert hat. Er wohnt immer noch in der Herzogstandstraße. Da, wo er aufgewachsen ist. In der Wohnung seiner Eltern. Natürlich hat er nicht sechsundsechzig Jahre da gewohnt, zwischenzeitlich war er schon ausgezogen. Die erste eigene Wohnung war in der Watzmannstraße, direkt ums Eck. Eine schöne Wohnung, und manchmal, bevor er in die Arbeit gefahren ist, hat er beim Semmelnholen den Franz getroffen, der in der Zugspitzstraße gewohnt hat. Gegrüßt hat er ihn allerdings nicht. Der Smokey ist nachtragend, er hat dem Franz immer übel genommen, dass er zum FC Bayern gegangen ist anstatt zu den Löwen, wie er es vorgehabt hat. Nur weil ihm der König eine Watschn gegeben hat.

Der König watscht den Kaiser, schöner geht’s nicht.

Der Vater hat ihm die Watzmannstraßenwohnung besorgt, als er die Ausbildung abgeschlossen hat. Der Bua braucht was Eigenes, so war das damals. Ohne eigene Wohnung keine eigene Familie, schon klar. Und der Papa war in der Genossenschaft, da war es kein Problem, dass der Sohn auch eine Genossenschaftswohnung bekommt, keine zwei Monate haben sie darauf gewartet.

Ein Jahr später ist die Gabi bei ihm eingezogen.

Mit der nächsten Gehaltsstufe haben sie sich vergrößert, weil man das so gemacht hat und weil man es konnte.

Heut geht das nimmer.

Oder nur, wenn man einer wie der Schani ist, immer flüssig und eine dicke Rolle Bargeld in der Hosentasche, mit einem Gummi zusammengebunden. Von den Albanern hat er sich das abgeguckt, von denen er seine Autos gekauft hat. Es hat dem Schani imponiert, dieses Lässige, einen getunten Golf bar aus der Tasche zahlen. Am Daumen lecken und die Scheine auf den Tisch blättern.

Aber so war es nur am Anfang, später ist der Schani mit einem neuen Maserati direkt aus dem Autohaus gefahren, oben aus dem Verdeck haben die Mädels herausgeschaut und Schampus aus der Flasche gesoffen.

Damals hat der Schani schon längst nicht mehr bei den Albanern gekauft, versteht sich. Ab einem gewissen Punkt mussten es Neuwagen sein, die ganz dicken Kisten.

Aber die Sache mit dem Geldbündel ist ihm geblieben, denkt der Smokey, und jetzt bohrt sich ein Gefühl durch seinen Panzer, den er sich zugelegt hat, seit die Gabi weg ist.

Sein alter Freund da unten.

Das Geldbündel steckt auch jetzt noch in der hinteren rechten Hosentasche, der Smokey kann die Beule genau sehen. Kein Raubmord also.

Aber es ist nicht mehr sein Job, sich darüber den Kopf zu zerbrechen, der Smokey ist erleichtert, er ist kein Mordermittler mehr. Gleich kommen die Kollegen und übernehmen hier, er hat ja die Durchwahl zur Mordkommission und sofort den Wolf angerufen.

Neben dem Gefühl für den alten toten Freund klopft das schlechte Gewissen an, wenn er an die Kollegen denkt.

Denn als die Frau Wiese ihn aus dem Bett geklingelt hat, ist er erst einmal hin und hat selbst einen Blick auf die Situation geworfen, ob das wirklich der Schani ist und ob sie sich nicht täuscht. Sie ist über neunzig und sieht nicht mehr gut. Und dunkel ist es auch gewesen. Da wollte er schon selbst erst einmal die Lage checken, bevor er Alarm auslöst.

Aber sie hat schon recht gehabt, genauso wie sie vor zwei Monaten recht gehabt hat, wo das Haus mitten in der Nacht abgerissen worden ist. Damals hat er es auch nicht geglaubt, da hat sie ihn genauso aus dem Bett geklingelt.

Seitdem ist da die Baulücke. Es ist die Baulücke vom Schani, der das Haus abgerissen hat, obwohl er es bestreitet und behauptet, er war es nicht.

Aber der Smokey weiß genauso gut wie alle anderen, dass sein Freund mitten in der Nacht mit dem Bagger gekommen ist und das Haus abgerissen hat. Er hat sein Elternhaus – oder eigentlich Mutterhaus – dem Erdboden gleichgemacht und in das Herz von Giesing ein Loch gerissen. Weil er den Hals nicht vollbekommen hat.

Jetzt ist da also eine leere Stelle, so leer wie die Stelle, an der der Schani eigentlich selbst ein Herz hätte haben sollen.

Das war schon immer sein Problem, nur dass er das Problem jetzt gelöst hat, weil er mit seinem Dickschädel in einer Baugrube liegt, eine Wunde am Hinterkopf, die gar nicht gut aussieht.

Und oben heraus schauen die Cowboystiefel aus silbernem Schlangenleder, an denen jeder Depp erkennt, dass der schlimmste Immobilienhai von München ein böses Ende genommen hat.

»Und«, sagt der Wolf, als er neben ihm steht, »Fall gelöst?«

»Martin Schanninger. Siebenundsechzig Jahre. Immobilieninvestor, kinderlos, nicht verheiratet.«

»Alle Achtung.«

Der Wolf pfeift anerkennend, aber natürlich ist das ein Witz, denn auch er weiß genau, um wen es sich bei dem Toten handelt. Und obendrein, dass sein Vorgänger mit dem Schanninger seit Kindertagen befreundet war.

Oder lange befreundet war und zuletzt nicht mehr so sehr, man weiß es nicht.

Die beiden Männer, der Ex-Mordermittler und der Jetzt-Mordermittler, schauen den Leuten vom ED zu, wie sie den Fundort sichern und einen Bogen um die Leiche machen, bis der Arzt kommt und mit seinem Koffer und Schutzanzug herunterklettert und der Erste ist, der den Toten anfasst und dann nickt, alles klar, Tod bestätigt. Todesursache vermutlich Schädelfraktur, Genaueres erfahren Sie nach der Untersuchung, Todeszeitpunkt, hm, ja, mal Temperatur messen, also ich würde sagen, nicht länger als vier Stunden her. Fremdeinwirken nicht ausgeschlossen.

So genau kann der Smokey die Worte, hier, wo er steht, nicht hören, selbstverständlich, aber nach fünfzig Jahren bei der Polizei, da weiß man halt, wie der Hase läuft.

Smokey dreht sich um, die leere Herzstelle vom Martin Schanninger ist jetzt ein Tatort, vermutlich auch ein Fundort, aber die Wortklauberei ist wurscht, weil: Er, der Smokey, ist draußen.

»War eh klar, oder?« Der Moni zapft ihm eine Halbe, der Schaum läuft über die Tätowierung zwischen Daumen und Zeigefinger.

»Wieso eh klar? Siebenundsechzig ist kein Alter zum Sterben.«

Das Bier steht vor ihm, goldgelb und weiß. Der Schaum rinnt noch immer aus dem Glas und sabbert den Bierfilz voll. Der Moni meint’s zu gut mit ihm. Ein Freund ist ein Freund.

»Wie man halt so sagt: ein Leben auf der Überholspur.«

»Selber«, erwidert der Smokey und nimmt den ersten Schluck. Es ist halb neun in der Früh, eigentlich hätte Moni’s Eck noch zu, aber weil sie Freunde sind, der Smokey, der Schani und der Moni, gibt es eine Halbe für beide.

Für die beiden, die übrig geblieben sind. Und sie trinken auf den Dritten in der Baugrube, der jetzt nicht mehr bei ihnen sein kann.

Natürlich heißt der Moni nicht Moni, er ist ja keine Frau. Genauso wie der Smokey nicht Smokey heißt, er ist ja keine Band. Und der Schani? Ja mei.

Der Moni hat seinen Spitznamen nur daher, weil seine Kneipe so heißt: Moni’s Eck. Die hat er damals für seine Frau, die Monique, gepachtet. Und sie natürlich nach ihr benannt, aus Liebe. Die Monique lebt nicht mehr, die Leute aus dem Viertel gehen aber noch immer in Moni’s Eck. Früher hieß es, man geht zur Moni, heute sagt man eben, man geht zum Moni. Klingt ja auch besser als: Man geht zum Matthias Hinterkammer. Wie er richtig heißt.

Zum Frühstück ein Bier, ja wo sind wir denn. Einerseits. Aber andererseits stirbt nicht jeden Tag ein Mensch, mit dem man sechzig Jahre seines Lebens verbracht hat.

Außerdem ist der Smokey endlich nicht mehr Frührentner, sondern mit sechsundsechzig staatlich anerkannter Vollzeitrentner, da darf es schon einmal ein bissl mehr sein. Zumindest für den Smokey, als Beamter mit einer satten Pension. Der Moni, ein Wirt, der beim Corona nur noch selten Wirt sein darf, der wird immer arbeiten. Arbeiten müssen, bis er in die Grube kippt, aber das will der Smokey jetzt nicht sagen.

In der Grube liegt ja schon der Schani.

»Wer sagt’s der Lizzy?«

Der Moni stellt die Frage, aber die Antwort kennt er ebenso wie der Smokey, der genau weiß, dass er der Elisabeth Schanninger sagen muss, dass ihr Sohn gestorben ist.

Aber besser er als die Polizei, also trinkt er die Halbe recht schnell und fühlt sich bereit. Er sagt dem Moni ciao und servus, tritt durch die Tür auf die Tegernseer Landstraße hinaus, wo ihn die Sonne blendet und ihm der Verkehr gleich was auf die Ohren gibt. Schiebt die Pilotenbrille auf die Nase und biegt ums Eck in die Gietlstraße. Widersteht der Versuchung, den Kollegen auf die Finger zu schauen, aber ein Blick hinein in die Baulücke ist erlaubt. Der Leichenwagen ist schon fort, die Flatterbänder neu, und vor lauter Schaulustigen kann er sonst nichts sehen. Aber passt schon, schaut er eben wieder hinunter auf das Pflaster. Wo er jeden Stein kennt und jeden Löwenzahn, der sich durch den Asphalt schiebt.

Linker Hand erhebt sich die Heilig-Kreuz-Kirche, die in der Münchner Morgensonne gar so göttlich leuchtet. Die Kirche kann man so wenig verfehlen wie den Nockherberg oder das Sechzgerstadion, in Giesing kann man sich nicht verlaufen, auch nicht nach dem Starkbieranstich.

Liegt es am Bier, oder liegt es am Tod vom Schani, aber der Bechterew, der fette Russe, drückt ihn heute besonders schwer.

Das Sankt Alfonsheim ist ein gemütliches Heim mit einem schönen Innenhof, direkt am Berg gelegen. Der Schani wollte seine Mama in eine Seniorenresidenz am Chiemsee bringen, aber sie hat sich mit Händen und Füßen gewehrt. Doch nicht aus Giesing raus auf ihre alten Tage!

Die Elisabeth Schanninger ist im Viertel geboren, sie war eine von ganz unten, und als sie schwanger war, hat jeder gewusst, was passiert ist. Ein Amiflitscherl, so hat man sie genannt. Amerikaner gab’s im Viertel schließlich genug, hier war die große Kaserne und die Siedlung, in der sie gewohnt haben. Aber die Lizzy hat sich immer ausgeschwiegen, wer der Vater von ihrem Bubi war, stattdessen hat sie hart gearbeitet, als Wäscherin, und gut für ihren Jungen gesorgt, den sie immer lieb gehabt hat. Irgendwann hat keiner mehr über sie geredet, die Zeiten haben sich geändert, und der Schani ist reich geworden und hat das halbe Viertel gekauft, die Häuser von der Neuen Heimat und noch so einiges, was keiner haben wollte, nach dem sich heute aber alle die zehn Finger schlecken.

Nein, eine noble Seniorenresidenz wäre nicht das Richtige für sie gewesen, findet der Smokey, als er durch die Gänge geht. Ruhig ist es, riecht nach Putzmittel und Linoleum, die Sohlen seiner Sneakers quietschen, und er denkt, dass es ihm hier auch gefallen würde, im Sankt Alfonsheim.

Mal sehen, wie lange er noch durchhält.

Er klopft höflich an die Zimmertür, obwohl es eigentlich nicht nötig ist, weil die Lizzy nicht mehr viel mitbekommt und sich mit ihrer Demenz eh über jeden freut, der hereinkommt. Sie ist vierundneunzig, ihr Geist hat es schon hinübergeschafft in das Gelobte Land, jetzt muss nur noch der Körper hinterher.

»Servus, Lizzy«, sagt er leise, und sie dreht den Kopf. Es ist ein kleiner Kopf in einem großen Kissen, ein bisschen weißer Flaum obendrauf und sonst alles Falten.

Sie lächelt und schaut ihn an.

Der Smokey setzt sich zu ihr ans Bett und nimmt ihre Hand, ihre federleichte Hand aus Seidenpapier, und er weiß nicht, wie er es ihr sagen soll. Obwohl sie es ohnehin nicht versteht, aber weiß man’s?

»Der Bubi«, sagt die Lizzy und kommt ihm zuvor. Sie legt ihre Hand auf die Wange vom Smokey, der sich jetzt sehr zusammennehmen muss, dass er nicht flennt.

Betongold

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