Читать книгу Uriel - Tanya Carpenter - Страница 11

Оглавление

Kapitel 2

Die Stille in den Gängen der Sterbestation war friedlich. Wobei ein Mensch es wohl nicht als Stille bezeichnet hätte, denn all die lebenserhaltenden und Lebensfunktionen überwachenden Maschinen gaben unaufhörlich Töne und Geräusche von sich. Es war keine Stille für die Ohren, mehr eine für das Herz. Der Friede der anderen Seite, die alle Ängste und Zweifel vertrieb.

So viele Jahre hatte Proud vergessen, wie sich das anfühlte und auf eine ihm noch immer unerklärliche Weise tat es ihm gut, wieder seiner Bestimmung zu folgen. Vielleicht war es der Sinn, den er wieder im Leben sah, statt einfach nur in den Tag hineinzuleben. Er machte das hier gern, nicht nur als Vertretung von Kyle. Inzwischen tat er es, weil er es tun wollte und weil er wusste, dass es das Richtige war. Gerade heute brauchte er den Frieden und den Trost, den er hier fand, umso mehr. Es erdete ihn, verschaffte ihm den nötigen Halt, um nicht vor der Verantwortung davonzulaufen, die mit den Nephilim kam. Wenn er seine Aufgabe hier erfüllen konnte, dann konnte er es auch dort.

Ein Lächeln glitt über seine Züge, bei diesem Gedanken, das gleich darauf in Schwermut überging. Beth war der Grund für seinen Wandel, sie hatte ihn verändert, hatte eine Kraft in ihm entzündet, die er nie für möglich gehalten hätte. Aber gerade hing ihr Leben am seidenen Faden, und er konnte nichts weiter tun als das, was er ohnehin schon getan hatte.

Es besaß eine gewisse Ironie, dass Kyle und er derart die Rollen getauscht hatten und beide Male dieselbe Frau der Grund dafür war. Kyle war immer der glorreiche Held gewesen. Ritter in strahlender Rüstung. Der Gute, der Erlöser. Trotz der ersten Wandlung zum Schnitter, die er durchgemacht hatte. Um Beth zu retten, hatte er sich dieser Hölle ein zweites Mal hingegeben. Nur, dass er diesmal nicht so schadlos daraus hervorgegangen war. Er wurde dieses Erbe nicht mehr los. Es war zu tief in ihm. Kaum einer konnte sich dessen stärker bewusst sein als Proud. Er fühlte die Dunkelheit in seinem Cousin, denn es war dieselbe, die auch in seinem Inneren pulsierte. Nur, dass er damit besser zurechtkam, weil er sie seit Jahrhunderten kontrollierte und dennoch auslebte. Er hatte es geliebt, dieses sorglose Leben. Das skrupellose Nutzen seiner Fähigkeiten. Und jetzt? Er hatte all das eingetauscht gegen die Verantwortung, die Kyle ihm auferlegt hatte, als er zum Schnitter wurde, und auch nach seiner Rückkehr war sein Cousin offensichtlich nicht in der Lage, diese wieder zu übernehmen. Im Grunde war es Proud recht, denn mit dieser Verantwortung war automatisch auch Beth gekoppelt. Er war nicht bereit, sie wieder aufzugeben. Dafür gab es zwei Gründe. Zum einen war sie immer noch da, die Dunkelheit, und Beth war die Einzige, die es ihm ermöglichte, sie zurückzudrängen und das zu tun, was er sich entschlossen hatte, zu tun. Gleichzeitig machte nur sie dieses neue Leben erträglich für ihn. Proud fürchtete das Dunkel nicht, oder die Rückkehr dahin, o nein. Er sehnte sich sogar ein bisschen danach, wollte das sorglose Leben liebend gern zurückhaben, das er geführt hatte. Ohne Prophezeiung, ohne ständige Bedrohung und ohne dieses verdammte Pflichtgefühl, das ihm schon sein ganzes Leben lang zuwider gewesen war. Aber eines hatte sich tatsächlich geändert. Er wollte dieses Leben nicht ohne Beth. Das war der zweite Grund, warum er sie nie wieder aufgeben würde. Er liebte sie. Er liebte sie so sehr, wie er noch nie jemanden zuvor geliebt hatte. Egal, was geschah, er konnte alles ertragen, wenn sie nur an seiner Seite war.

Das Geräusch von Schritten lenkte Proud von seinen Gedanken ab. Blitzschnell verschmolz er mit den Schatten, um nicht versehentlich von der Nachtschwester gesehen zu werden, die in das Zimmer der gerade Verstorbenen eile. Aus dem Verborgenen beobachtete er die einstige Kollegin seiner großen Liebe und verspürte nicht übel Lust, ihr jetzt und hier den Hals umzudrehen. Mochte Margret auch manipuliert worden sein, trotzdem konnte er der alten Schachtel nicht verzeihen, dass sie Beth in die Hände des Feindes gegeben hatte. Ein Glück, dass Beth den Job in der Klinik inzwischen hingeschmissen hatte. Andererseits hätten sie momentan auch ernste Erklärungsnöte für die unabsehbare Dauer ihrer Abwesenheit gehabt.

Lautlos glitt Proud in das Zimmer, das Margret soeben verlassen hatte. Er blickte auf die schmale Gestalt im Krankenbett, und im selben Moment glitt die Welt von ihm ab. Es gab nur noch ihn und diesen todkranken Menschen. Wie sehr er diese Momente genoss, wo für kurze Zeit nichts anderes mehr existierte als der Übergang.

Langsam trat er näher. Es war es eine junge Frau. Erst Mitte dreißig. Mutter zweier wundervoller Kinder. Sie hätte es verdient, zu leben, aber ihr Körper war zu schwach, um sich gegen die Infektion zu wehren, die von ihr Besitz ergriffen hatte. Es gab keine Rettung mehr für sie, die Medikamente schwächten sie nur noch mehr. Ihr Körper stand kurz davor, zu kapitulieren. Alles, was er tun konnte, war ihr den Übergang erleichtern und ihr die Hoffnung zu geben, ihre Familie eines Tages wiederzusehen. In diesem Moment wurde ihm bewusst, wie sehr das auf der Kippe stand. Wenn sie scheiterten, gab es kein Jenseits mehr in dieser Form. Dann würden alle Seelen verloren sein.

Proud schloss die Augen. Daran wollte er nicht denken. Er durfte dieser Mutter nicht die Hoffnung nehmen. Das würde ihr den Übergang erschweren, und sie hatte genug gekämpft.

Behutsam nahm er auf ihrem Bett Platz und ergriff ihre Hand. Er strich ihr über die schweißnasse Stirn, konzentrierte sich auf ihre Gedanken, bis er ihren Namen hörte. Leila.

»Hallo Leila.« Seine Stimme klang fremd, hohl. Die Schleier näherten sich bereits und schufen einen Korridor um ihn und Leila. Ihre Lider flatterten, der Schweiß auf ihrer Haut ließ sie unwirklich schimmern, als wäre sie bereits ein übernatürliches Wesen, und zum Teil stimmte das wohl auch. Sie war … ätherisch. Wie ein Geist. Weil sich ihre Seele bereits aus der sterblichen Hülle löste.

Das Öffnen ihrer Augen erfolgte wie in Zeitlupe. Es kostete sie unmenschlich viel Kraft, ihr Bewusstsein an die Oberfläche zu bringen. Aber es war nötig, und instinktiv wusste sie es.

Als sich ihre Blicke trafen, fühlte Proud so viel Mitgefühl, dass es ihm den Atem raubte. Es war das erste Mal, dass er einen Menschen hinübergeleitete, der in dieser Welt noch einen derart starken Anker besaß. Ihre Kinder. Es war die größte Angst in ihrem Inneren und zugleich die größte Schuld. Das Wissen darum, sie allein zu lassen.

»Scht! Es ist okay.« Er küsste ihre Stirn und ließ seine Kraft in sie hineinfließen, um ihr den Frieden zu geben, den sie brauchte, um loszulassen. All die Zuversicht, dass sie ihre Familie nicht zurückließ, sondern bloß einen Schritt voraus ging, um auf sie zu warten. Sie würde sonst nicht loslassen, aber genau das musste sie.

»Es ist alles gut«, flüsterte er in ihr Ohr und half ihr, sich aufzurichten.

»Sie sind … kein Arzt«, flüsterte sie schwach.

Er schenkte ihr ein Grinsen. »Wie haben Sie das erraten? Ich hoffe, es war nicht die schwarze Lederjacke, die mich enttarnt hat.«

Sein Scherz zauberte ein schwaches Lächeln auf ihre Züge, das sofort wieder von Angst und Schmerz hinfortgewischt wurde.

»Scht! Du musst loslassen. Auf der anderen Seite ist Frieden, den hast du dir verdient. Hab’ keine Angst. Wir machen das zusammen. Du brauchst keine Angst zu haben.«

Ihre Augen waren riesengroß. Die Furcht und die Schuldgefühle wollten noch nicht weichen.

Proud drehte sich um, und vor ihm öffnete sich der Vorhang. Das Jenseits war zum Greifen nah. Das Licht flutete herüber und hüllte sie beide ein. Im selben Moment fühlte er, wie sich Leila entspannte. Die Gewissheit war da, dass alles in Ordnung sein würde. Wie sehr er diese Menschenfrau beneidete. Das Versprechen des Paradieses wog alles Irdische auf. Ihm würde diese Gnade niemals zuteilwerden.

»Geh!«, sagte er sanft. Ihre Seele und seine standen Seite an Seite an der Schwelle. Leila drehte sich ein letztes Mal um. Blickte auf ihre Hülle, die in wenigen Sekunden alle Lebenszeichen verlieren würde. Fühlte sie Bedauern? Nein, nicht mehr.

»Werden meine Kinder traurig sein?«

»Sie werden dich immer in ihrem Herzen tragen.«

»Ich hab’ mich nicht verabschiedet.«

»Sie wissen, dass du sie liebst. Mehr ist nicht nötig. Ihr werdet euch wiedersehen.«

Sekunden später holte der Ton der Nulllinie Proud ins Hier und Jetzt zurück. Er war aus dem Zimmer, noch ehe Schwester Margret zurückkam. Für Leila konnte sie nichts mehr tun. Das war in Ordnung. Dort, wo sie war, ging es ihr gut. Sie hatte keine Schmerzen mehr und war in Frieden gegangen.

Proud atmete tief durch und verließ die Sterbestation. Er wählte den Weg durch die Pathologie, da war um diese Zeit wenig los und das Risiko, jemandem zu begegnen, eher gering. Jedenfalls war das normalerweise so. Heute Nacht vernahm er Stimmen, die ganz offensichtlich miteinander stritten.

Fuck! Waren ihm nicht mal fünf Minuten Ruhe vergönnt? Er wollte sich gerade umdrehen und doch den Weg Richtung Hauptausgang nehmen, als er einen Namen aufschnappte.

»… wird Samuel es auch nicht aufhalten können.«

Samuel! Der Samuel? Es wäre ein zu großer Zufall, wenn jemand, der sich in dieser Klinik hier über Samuel unterhielt, jemand anderen meinte als van Vaughn.

Proud drückte sich an die Wand zum Flur und lauschte dem Gespräch, das draußen stattfand.

»Er wird trotzdem alles versuchen.«

»Das spielt keine Rolle mehr. Es ist zu viel geschehen. Man kann es nicht aufhalten. Das wird er ihm schon noch begreiflich machen. Das ist nicht unser Problem.«

Proud kannte eine der beiden Stimmen. Er versuchte, sich zu konzentrieren und dann fiel es ihm ein. Dieser Stellvertreter von Swan. Landon. Was wusste der Kerl über van Vaughn?

»Die Unterlagen sind bereits zerstört. Das Risiko ist zu groß, wir haben es nicht mehr unter Kontrolle. Bitte, Sie müssen es beenden. Wenn wir es so aussehen lassen, als wäre es erneut ein medizinisches Problem …«

Landons Gesprächspartner lachte kalt. »Haben Sie mich nicht verstanden, Landon? Niemand kann es beenden. Es ist zu spät. Wenn wir nicht tun, was er will, dann sind wir nichts als Futter oder Schlimmeres. Ich habe meine Seele nicht verkauft, um mir praktisch selbst die Kehle aufzuschlitzen.«

Es trat ein kurzes Schweigen ein. Proud überlegte, ob er es wagen konnte, aus seinem Versteck zu kommen, um einen besseren Blick zu gewinnen, aber dann hörte er, wie die beiden Männer in seine Richtung kamen.

»Ich habe Angst, Whigfield. Verstehen Sie? Das ist alles ’ne Nummer zu groß.«

Die beiden passierten Proud, ohne ihn zu bemerken. In den Augen des Chefarztes von St. John erkannte er nackte Panik. Was hatte er sich davon versprochen, mit den Uriel zu paktieren? Oder mit wem auch immer? Ewiges Leben? Unbesiegbarkeit? Die Achtung all seiner Kollegen, weil er die Geheimnisse der Medizin entschlüsselte? Echt zu viel Hollywood-Klischee.

»Eine Nummer zu groß?«, höhnte der andere Arzt, den Landon Whigfield genannt hatte. »Landon, Sie wissen überhaupt nicht, wie groß diese Sache ist. Aber das hätten Sie sich eher überlegen müssen. Wenn Sie jetzt einen Rückzieher machen, dann sind Sie nicht mehr tragbar.«

Die Schritte verstummten. Die beiden mussten in etwa auf Höhe des klinikeigenen Krematoriums angekommen sein.

»Wie meinen Sie das?« In der Stimme von Landon schwang Angst mit und eine Ahnung, die es Proud kalt über den Rücken laufen ließ.

»Dass Sie ein Risiko sind, Landon. Und er duldet keine Risiken.«

Das Nächste, was Proud hörte, war ein Keuchen, gefolgt von einem Geräusch, als wäre etwas Plumpes auf dem Boden aufschlagen. Wie ein alter Teppich, oder … ein Mensch.

Vorsichtig sah Proud um die Ecke. Landon lag auf dem Klinikflur. Aus seiner Brust ragte ein Chirurgenskalpell. Präziser Stich in die linke Herzkammer. Die Augen waren weit aufgerissen, aber leer.

Whigfield blickte sich verstohlen um, ehe er den Körper auf seine Schulter wuchtete und durch die Tür zum Krematoriumsofen verschwand. Es war nicht nötig, ihm zu folgen, Proud war auch so klar, dass man von Landon nur noch Staub und Asche finden würde.


Die ersten Sonnenstrahlen waren wie eine Erlösung. Endlich in Sicherheit. Aber Rahul konnte sich nur bedingt darüber freuen, denn die vergangene Nacht hatte seine junge Gefährtin viel gekostet. Zeyda taumelte mehr als dass sie lief. Noch so eine Tortur würde sie nicht überstehen. Sie mussten den Tag nutzen und fliehen. Weit weg. Nur wie?

Rahul hätte niemals gedacht, dass er einmal zu den Azrae gehören würde, die einen Halbengel erweckten, aber es war geschehen und seit diesem Moment waren sie auf der Flucht vor Raj, dem Grigorioberhaupt von Kalkutta, und seinem Sohn Dev, der Jagd auf alle Nephilim machte, die sich auf dem asiatischen Kontinent herumtrieben. Dass sie letzte Nacht entkommen konnten, war ein glücklicher Zufall, nicht mehr. Noch immer klebten Reste des Blutes von Rajs jüngstem Sohn an Rahuls Händen und machten ihn schier wahnsinnig. Wenn er sie nicht bald abwaschen konnte, würde die Versuchung übermächtig werden, und ihm graute vor den Folgen, die das mit sich bringen würde.

Es gab nur einen, an den er sich wenden konnte. Hoffentlich wusste der einen Weg.

Endlich standen sie vor dem kleinen Kräuterladen, hinter dessen Fassade sich so viel mehr verbarg, als die gewöhnliche Kundschaft ahnte.

Eingeweihte sprachen davon, dass der Inhaber des Ladens bereits Hunderte von Jahren alt war, und wenn man in sein runzliges Gesicht blickte, das von wirrem grauem Haar umrahmt wurde, fiel es einem nicht schwer, das zu glauben, auch wenn Rahul wusste, dass es nicht so war.

Sie gingen am Vordereingang vorbei, bogen in die Seitenstraße ein und hielten schließlich vor einer niedrigen Tür an. Rahul hob die Hand und klopfte mehrfach in einem bestimmten Rhythmus, den er vor nunmehr achtundvierzig Jahren gelernt hatte.

Es dauerte einen Moment, dann hörte man, wie im Inneren mehrere Riegel zurückgeschoben und Ketten gelöst wurden. Endlich schwang die Tür auf und der Hausherr blickte überrascht zu ihnen auf.

»Rahul!«

Veer war sein ältester Freund und das gleich im doppelten Sinn. Der grauhaarige Mann zählte inzwischen beinah neunzig Jahre, und Rahul kannte ihn, seit er ein kleiner Junge gewesen war. Alles, was er über die Nephilim wusste, hatte er von ihm erfahren. Veer war außerhalb seiner Familie, von der inzwischen dank der Grigori keiner mehr übrig war, der Einzige, der über Rahuls wahre Natur Bescheid wusste.

»Können wir reinkommen, Veer? Zeyda braucht ein wenig Ruhe.« Er deutete auf die junge Frau in seinem Arm, deren Lider flatterten. Sie war kaum noch bei Bewusstsein.

»Mir scheint, deine Freundin ist da nicht die Einzige«, antwortete Veer besorgt, ehe er beiseitetrat und Rahul mit seiner Begleiterin einließ.

Hinter dem eigentlichen Laden verbarg sich Veers bescheidene Wohnung. Dort legte Rahul Zeyda auf einem alten Diwan nieder. Es dauerte nur wenige Augenblicke, und sie war fest eingeschlafen.

»Es ist besser so. Ich kümmere mich später um sie«, murmelte Veer. Er rieb sich das von grauen Bartstoppeln übersäte Kinn, während Rahul seine Hände mit Wasser und Seife wusch, um endlich den Geruch des Grigoriblutes loszuwerden.

Anders als sonst, wirkte sein Freund angespannt. Instinktiv blickte Rahul sich um, meinte selbst ein seltsames Vibrieren in der Luft zu spüren. Etwas war anders als sonst. Stiller, obwohl der Laden um diese Uhrzeit längst geöffnet und in der Regel gut besucht war. Veer schien sich an der fehlenden Kundschaft nicht zu stören. Ja, nicht einmal verwundert zu sein. Der Alte konzentrierte sich ganz auf Rahul und lenkte seine Gedanken damit wieder ab.

»Nun erzähl, mein Freund, was ist geschehen?«

Rahul fuhr sich durch die kurzen schwarzen Haare und anschließend übers Gesicht. Voller Sorge lag sein Blick auf Zeyda, über die er kaum mehr wusste, als das, was er in sich aufgesogen hatte, während er von ihr trank. Im Schnelldurchlauf erlebte er noch einmal alles, was bei ihrer ersten Begegnung geschehen war. Diese Verbindung – das Erkennen – die unbezwingbare Sehnsucht in seinem Herzen … und in ihrem auch. Er hatte in seinem ganzen Leben noch nie von einem anderen Menschen getrunken als den Todgeweihten. Seine Seele war somit rein. Jedenfalls sagte Veer das. Aber machte ihn das zu einem der Azrae, die eine Nephilim erweckten? Oder wovon hing so was ab? Und Zeyda? Sie war allein, ohne Familie. In einem Heim aufgewachsen, wo sie heute selbst als Erzieherin arbeitete. Zufall? Oder alles vorherbestimmt? Die Antworten auf diese Fragen würden wohl noch eine Weile unbeantwortet bleiben. Vielleicht sogar für immer.

Seufzend schüttelte Rahul den Kopf, wandte sich dann Veer zu, der geduldig wartete und in der Zwischenzeit einen Tee für Rahul aufbrühte. Dankbar nahm er ihn von seinem Freund entgegen. Schon der Duft der Kräuter wirkte beruhigend, sodass er sich albern vorkam, beim Betreten dieses Misstrauen verspürt zu haben. Ausgerechnet hier.

»Sie ist eine Nephilim«, begann er leise und strich mit dem Zeigefinger liebevoll eine Strähne aus Zeydas Gesicht.

Veer nickte. Sicher war ihm die Natur von Rahuls Begleiterin längst aufgefallen.

»Ich habe es dir gesagt. Eines Tages wirst du ein Gefährte sein.«

Rahul schluckte. Ja, davon hatte sein Freund stets gesprochen. Er wusste nicht, ob er nun glücklich damit sein sollte oder nicht.

»Wir waren die ganze Nacht auf der Flucht. Die Grigori haben unsere Spur aufgenommen. Sie wollen sie töten.«

»Euch beide«, vervollständigte Veer.

Rahul zuckte mit den Achseln. »Ja, vermutlich. Irgend so ein Opferritual. Ich habe keine Ahnung von diesem Unsinn. Raj hat seinen Sohn Dev und drei seiner Brüder auf uns gehetzt. Einen von ihnen konnte ich töten. Die anderen werden erneut Jagd auf uns machen, sobald die Sonne wieder untergeht. Das steht sie keine weitere Nacht durch.« Er versank einen Moment im Anblick der rötlichen Flüssigkeit in seinem Becher. Dann hob er den Kopf und sah Veer flehend an. »Wir müssen hier weg. Weit weg, damit sie unsere Witterung verlieren. Ich muss sie irgendwie in Sicherheit bringen.«

Bedächtig nickte der Alte und betrachtete Zeyda lange und eingehend. Erneut rieb er sich über das stoppelige Gesicht. »Mhm! Vielleicht gibt es einen Weg für euch. Da sind Gerüchte. Man hört aus allen Ländern davon. Die Nephilim kehren nach Hause zurück. Nach L.A.«

Er betonte die Stadt beinah abfällig, was Rahul einen leisen Schauder über den Rücken jagte. War das nun gut oder schlecht?

»Ich denke, ihr solltet dorthin gehen. Einige haben es bereits geschafft, und sie stehen unter dem Schutz des obersten Grigori.«

»Einem Grigori?«, entfuhr es Rahul geschockt. »Das kannst du nicht ernst meinen. Das wäre ihr Tod.«

Veer schüttelte den Kopf. »Nicht alle sind gleich, Rahul. Überall gibt es jene und solche. Er wird ihr nichts tun. Es ist den Nephilim bestimmt, an den Ort ihrer Geburt zurückzukehren, um ihr Schicksal zu erfüllen. Dennoch ist auch Los Angeles nicht frei von Gefahren. Eure Chancen sind jedoch dort besser als hier. Logan, der Herr der Cherubim, hat sein Domizil in der Stadt der Engel bezogen. Es heißt, die Eine sei dort, gemeinsam mit ihrem Gefährten.«

Rahul schwirrte der Kopf. Was bedeutete das alles? Waren sie dort wirklich in Sicherheit? Oder liefen sie in Wahrheit einer noch größeren Gefahr in die Arme? Sein Instinkt flüsterte ihm zu, dass es so war.

»Mit ihrem Erwachen ist es überall gefährlich. Die Prophezeiung hat begonnen. Niemand kann sie aufhalten. Hier wird dein Mädchen einen sinnlosen Tod sterben. Am anderen Ende der Welt …« Er ließ den Satz unbeendet, sein Gesicht war sorgenschwer. »Es ist eine Chance. Die einzige, die ihr habt. Ich sehe, was ich tun kann. Aber …«, der Alte hob warnend einen Zeigefinger, »… hüte dich vor den Uriel, die sich dort versammeln. Sie sind zuweilen gefährlicher als die Grigori. Vor allem am Ursprung der Nephilim. Auch unter ihnen gibt es die, die reinen Herzens sind, nur trügt der Schein auf den ersten Blick zuweilen. In der Stunde der Wiederkehr sind sie jedoch die einzigen mit genügend Macht, die Seraphim zurückzudrängen. Die Zeit ist nah. Ich habe es gesehen bei meiner letzten Reise.«

Veer sprach von den Traumreisen, die er regelmäßig unternahm. Rahul wusste nie so recht, was er davon halten sollte, weil ihre vorgebliche Bedeutung allein von Veers Interpretationen abhing. Aber gab es eine Alternative? Im Moment wohl eher nicht.

»Warte hier«, sagte Veer. »Leg dich eine Weile schlafen, Rahul. Jetzt, am Tag, seid ihr sicher. Wenn die Nacht kommt, sehen wir weiter.«

Der Alte drückte ermutigend seine Schulter und trotz der Zweifel, die nicht schwinden wollten, spürte Rahul, wie seine Gedanken träge und seine Lider schwer wurden. Es musste etwas in dem Tee gewesen sein. Wenn er Veer nicht so bedingungslos vertrauen würde, könnte er fast denken … Der Rest der Gedanken verlor sich in schwarzem Nebel, während Rahul neben Zeyda auf den Diwan sank und in einen tiefen Schlaf fiel.


Gut eine Stunde, nachdem Landon in Rauch aufgegangen war, stieg Whigfield in seinen Wagen und startete den Motor. Proud hatte es sich im Kofferraum bequem gemacht. Ein Wink des Schicksals, dass der Arzt seinen Dienstausweis auf dem Armaturenbrett hatte liegen lassen. So was durfte man einfach nicht ignorieren. Erst recht nicht, wenn eben dieser Ausweis besagte, dass der Kerl im St. Joshua Gardens arbeitete. Eine innere Stimme sagte Proud, dass das die Gelegenheit war, mehr über Beth’ Mutter herauszubekommen. Es war ein idiotischer Gedanke, dass er sie damit aus ihrem Tiefschlaf erwecken könnte, wenn er ihr die Wahrheit über Deborah Lornham erzählte. Aber auf einen Versuch kam es an. Beth hatte immer Zweifel gehabt, was die Sache mit ihrer Mutter anging. Vielleicht wurde es Zeit, ein paar Details herauszufinden.

Nachdem der Wagen wieder gehalten hatte, wartete Proud, bis die Autotür geöffnet und wieder geschlossen wurde, zählte bis fünfzig und schob dann die Klappe des Hecks auf. Zu seiner großen Überraschung parkte der Wagen vor dem Sanatorium und nicht vor Whigfields Wohnung. Das war ja sogar noch besser als erhofft. Ihm verschlug es nur kurz die Sprache, als ihm das Schild vor dem Stellplatz ins Auge fiel. Walther Whigfield – Klinikleitung.

»Na sieh einer an. Ein Schelm, wer Böses denkt.«

Wenn einer Ungereimtheiten vertuschen konnte, dann wohl der Boss von so einer Institution.

Proud gelang es, sich lautlos ins Gebäude zu schleichen. Whigfield hatte sich irgendwo in seinen heiligen Hallen verschanzt, die Patienten waren alle auf ihren Zimmern eingesperrt und die wenigen anwesenden Schwestern und Pfleger dösten in Ermangelung sinnvoller Aufgaben vor sich hin. So leicht hatte er es selten gehabt.

Schon bei den letzten Besuchen hier hatte er sich heimlich umgesehen, daher fand er die Verwaltungsbüros relativ schnell.

»Na, dann schauen wir mal, wie sicher eure Passwörter sind.«

Er brauchte einige Anläufe. Nephilim. Höllenengel. Grigori. Garten_Eden. Okay, es waren nicht die einfallsreichsten Ideen, aber ein bisschen Spaß musste sein. Er war nun mal kein Hacker, sein Kontakt, der Swans Daten auf dem USB-Stick durchforstet hatte, war auf die Schnelle allerdings nicht zu erreichen. Proud war allerdings nicht bereit, das hier als Sackgasse zu akzeptieren.

»Na gut. Dann klassisch.«

Moderne Sicherheitssysteme forderten regelmäßig neue Kennworte. Kein Mensch konnte sich das behalten, wenn auch noch die entsprechenden Vorgaben erfolgten. Buchstaben, Zahlen, Sonderzeichen, groß, klein. Wer verlor da nicht den Überblick? Früher oder später machte sich jeder irgendwelche Notizen. Das war seine große Hoffnung, also suchte er alles ab, wozu er Zugang bekam. Unter dem Telefon wurde er schließlich fündig. Ein kleiner Aufkleber mit auf den ersten Blick sinnlosen Buchstabenreihen und fortlaufenden Ziffern. Nur zwei Minuten später hatte er Zugriff auf sämtliche Patientendaten der letzten zwanzig Jahre.

… darunter eine sehr interessante Information über Deborah Lornham.

»Was tun Sie hier? Sie sind keiner meiner Ärzte.«

Die Stimme des Sanatoriumsleiters riss Proud aus seinen Gedanken. Den Ahnungslosen zu spielen, machte vermutlich wenig Sinn. Und noch weniger Spaß.

Lässig drehte er sich auf dem Bürostuhl um und zuckte die Achseln. »Na so was, da haben Sie offenbar recht. Wissen Sie, ich habe durchaus drüber nachgedacht, aber ich finde Weiß so schrecklich deprimierend. Ist einfach nicht meine Farbe. Ich find meine Klamotten viel cooler, und sie unterstreichen meinen düsteren Charme.« Zufrieden strich er über sein schwarzes Outfit.

Whigfield warf einen Blick nach draußen in den Flur, ehe er die Tür hinter sich schloss. »Noch einmal, was machen Sie hier? Antworten Sie, oder ich rufe sofort die Polizei.«

»Ahnenforschung. Im weitesten Sinne.« Proud hob vielsagend die Brauen und konterte Whigfields düsteres Funkeln in den Augen mit einem schiefen Grinsen. »Ist ein kleines Hobby von mir«, fuhr er ungerührt fort, ehe er eine möglichst ernste Miene aufsetzte. »Wussten Sie eigentlich, dass Sie ein ernstes Problem mit unerklärlichen Frauenverlusten in Ihrem Sanatorium haben. Die sind auf einmal nicht mehr da. Von heut auf morgen. Keine Entlassung, keine Todesursache, nicht mal eine Leiche, einfach weg.« Zur Bekräftigung seiner Umschreibung schnippte er mit den Fingern.

Whigfield schien ebenfalls nicht in der Stimmung für Spielchen, daher gab er sich weder betroffen noch ahnungslos, sondern baute sich nur noch drohender vor Proud auf. Hatte der Kerl eigentlich eine Ahnung, wer ihm hier gegenübersaß? Oder verspürte er Todessehnsucht, dass er ausgerechnet einen Todesengel einzuschüchtern versuchte. Vermutlich hatte er einfach schon zu lange mit Gefallenen zu tun, um sich so was wie Angst noch leisten zu können.

»Ich weiß nicht, wer Sie sind, aber ich habe so eine Ahnung. Wie dem auch sei, es spielt keine Rolle. Verschwinden Sie und vergessen Sie ganz schnell wieder, was Sie meinen in diesem Computer gefunden zu haben. Verstanden?«

Das versprach ja richtig amüsant zu werden. Proud hatte so was schon viel zu lange vermisst, und ihm war nach ein wenig alter Bosheit.

Langsam erhob er sich und trat einen Schritt auf Whigfield zu. Er überragte den Doktor um mehr als Haupteslänge, was diesen jedoch nicht zurückweichen ließ. Proud beugte sich vor und senkte seine Stimme zu einem vertraulichen Flüstern.

»Wissen Sie, ich hab’s nicht so mit Autoritäten. Ist wohl genetisch bedingt bei mir. Also lassen wir doch diese ganze »ich-weiß-was-das-du-nicht-weiß« und »steck-deine-Nase-nicht-in-meine-Angelegenheiten« Scheiße und reden Klartext.« Für Sekunden ließ er sein Azrae-Ich hervortreten, was bedauerlicherweise ohne Effekt blieb. Vielleicht war der Kerl einfach kurzsichtig. Oder reaktionsverzögert.

Whigfield schwieg, bedeutete Proud jedoch mit einer Geste, fortzufahren.

»Ich habe Sie gesehen, Whigfield. Im St. Johns. Und ich weiß, dass Landon inzwischen vermutlich nur noch zum Blumendüngen taugt. Worüber zur Hölle haben Sie geredet? Was hat ihn zu so einem Sicherheitsrisiko gemacht, dass Sie ihn gleich in den Ofen werfen mussten?«

Auch der Klinikleiter bediente sich eines schiefen Grinsens.

»Ich denke nicht, dass Sie das etwas angeht. Auch für Sie wäre es gesünder, sich hier rauszuhalten.«

Falsche Antwort. Aber Proud hatte heute seinen guten Tag. Er war bereit, dem Doktor eine zweite Chance zu geben. »Na gut, dann sagen Sie mir, vor wem Landon solch eine Angst hatte. Ging es um Greco? Um Magnus? Oder um Lazarus?«

Er hoffte, dass einer dieser Namen dem Mediziner eine Reaktion abverlangte. Der besaß jedoch ein perfektes Pokerface. Noch immer wich das Lächeln nicht von Whigfields Gesicht. So kalt, dass es Jack the Ripper Ehre gemacht hätte. Absolut nicht zu durchschauen. Was zur Hölle fand dieser Kerl nur so komisch?

»Sie haben rein gar nichts verstanden. McLean, nehme ich an? Mir ist es egal, welcher von den beiden. Der einzige Grund, warum ich nicht schon längst den Sicherheitsdienst gerufen habe – und der hat Erfahrung mit Leuten wie Ihnen – ist, dass Sie sich bedauerlicherweise unantastbar gemacht haben. Das schützt Sie hier, wird Ihnen an anderer Stelle aber wenig nutzen. Sie wollen wissen, wer dahintersteckt? Niemand und jeder, Mr. McLean. Alles ist miteinander verbunden. Das werden Sie auch noch lernen.«

Selten jemanden gehört, der mit so vielen Worten so wenig sagte. Und diesem Arsch machte das offenbar auch noch Spaß.

»Hören Sie, ich bin nicht so der Rätselknacker, also noch mal: Lassen Sie uns Klartext reden. Was heißt, es ist alles miteinander verbunden?«

»Sie stellen zu viele Fragen. Lassen Sie es und verschwinden Sie. Sie werden früh genug erfahren, was Sie wissen müssen, der Rest geht Sie einen feuchten Dreck an.«

Auf die nette Tour kam man bei dem Kerl offenbar nicht weiter. Immerhin hatte er es versucht. Selbst Beth konnte Proud also keinen Vorwurf machen, wenn er die Sache anders regelte. Denn ja, er hatte Fragen. Und er wollte Antworten. Punkt!

Whigfield hatte keine Chance zu reagieren, als Proud ihn packte und so hart auf den Schreibtisch knallte, dass es vernehmlich knirschte, was nicht allein mit der zerbrochenen Tastatur zusammenhing, wie das schmerzhafte Keuchen des Mediziners bewies. Erneut ließ er den Azrae nach außen treten, diesmal nicht nur für einen Wimpernschlag und siehe da, so ganz furchtlos war Whigfield offenbar doch nicht.

»Sie hatten Ihre Chance, diesen Abend gemütlich ausklingen zu lassen«, knurrte Proud. »Zu schade, dass Sie die nicht genutzt haben. Ich weiß nicht, wie gut sie über uns Bescheid wissen, aber ich hätte gerade nichts gegen einen kleinen Mitternachtssnack einzuwenden, und wenn Sie diese Rolle nicht einnehmen wollen, sollten Sie mir dringend ein paar Antworten auf meine ach so lästigen Fragen geben.«

Proud spürte das Aufbegehren unter seinen Händen, das völlig sinnlos war. Er hatte sich noch nicht entschieden, ob er Whigfield hinterher töten sollte, aber vorher wollte er auf jeden Fall ein paar Informationen.

Es war fast zu einfach, in den Verstand des Mannes einzudringen, nachdem die Fronten einmal geklärt waren. Egal, mit wem er im Bunde stand, es wäre zu erwarten gewesen, dass derjenige seine Untergebenen besser schützte. Vielleicht waren Uriel aber auch einfach zu arrogant und konnten sich nicht vorstellen, dass ihnen jemand ans Bein pinkelte.

»Was ist mit den Frauen passiert?«

Die Antwort kam zögernd. Zumindest kämpfte Whigfield gegen die Manipulation an. »Sie wurden … gebraucht …«

»Wofür?«

»… Forschung … Zucht…programm.«

»Ja, das wissen wir schon. Danach hat man sie hierhergebracht. Aber warum sind sie verschwunden?«

»Zucht…programm«, wiederholte Whigfield nur.

Ein weiteres Zuchtprogramm? Mit Beth’ Mutter? Hieß das etwa …?

»Wo ist Deborah Lornham?«

Whigfield kämpfte stärker. Er schwieg. Okay, nur ein kleiner Vorgeschmack. Ein Schlückchen in Ehren sozusagen, um dem Kerl klarzumachen, wie ernst seine Lage war.

Proud unterdrückte Whigfields Aufschrei, als er ihm seine Fänge in die Kehle schlug, indem er ihm die Hand auf den Mund presste. Das Herz des Mannes raste. Mochte er sich nach außen hin cool geben, innerlich war er nicht minder in Panik wie Landon und Proud war nicht so arrogant zu glauben, dass allein er das bewirkte. Er beließ es bei wenigen Schlucken und hoffte, dass das Blut auf seinen Lippen seine düstere Wirkung noch verstärken und sein Opfer gesprächiger machen würde. Er erhöhte die Gedankenkontrolle und presste den Doktor fester auf die Tischplatte. »Wo ist sie? Wo ist Deborah Lornham?«

Der Mediziner würgte, als wollten die Worte nicht durch seine Kehle.

»Wo?«, schrie Proud.

»Tot.«

In der Stille, die auf dieses Wort folgte, konnte man die Plastiksplitter der zerborstenen Tastatur hören, die sich Millimeter für Millimeter in Whigfields Rücken bohrten. Sagte er die Wahrheit? Auf jeden Fall war sie garantiert nicht hier gestorben.

Er konnte keine Lüge in der geweiteten Iris des Arztes erkennen. Auch nicht, als er nach dem Ort ihres Todes fragte. Whigfield wusste nichts darüber. Er hatte zugelassen, dass sie geholt wurde, wie viele andere auch, und nie wieder danach gefragt, was mit ihnen geschehen war.

»Was ist mit den Frauen aus dem Klub? Diesem neuen Zuchtprogramm. Welchem Zweck diente es?«

»Eine neue Rasse. Wenn die Nephilim versagen. Oder wenn sie siegreich sind.«

Drehte der Kerl durch? Das ergab keinen Sinn. Oder vielleicht doch. Es traf Proud wie ein Blitz.

Talos.

Die Riesen der Apokalypse.

Aber das konnte nicht sein. Diese Wesen waren reine Fiktion. Allerdings hatten sie das über den Rest der Prophezeiung auch einmal gedacht.

»Wie halten wir es auf?«

Whigfield lachte höhnisch, selbst unter der Manipulation gewann er gerade seine Überheblichkeit zurück. »Sie glauben nicht wirklich, dass das noch möglich ist. Ich habe es Landon schon gesagt. Es ist längst alles vollbracht. Niemand wird sich für die Frauen interessieren, ein paar Nutten mehr oder weniger, was macht das schon? Deshalb hat er diesen Weg gewählt. Die Brut ist kurz davor.«

Zornig presste Proud die Lippen aufeinander. Er musste an den Cherub denken, der versucht hatte, es zu verhindern. Aus gutem Grund.

»Wer will diese Brut?«

Whigfield hob die Augenbrauen, als könnte er kaum glauben, dass Proud diese Frage stellte. Der Arzt lächelte freudlos. Nur beiläufig registrierte Proud, dass die Wirkung seiner Manipulation nachließ. Whigfield war stärker als gedacht.

»Haben Sie es immer noch nicht verstanden, McLean? Sie glauben, dass da zwei Fronten sind, doch in Wahrheit stehen sie nur einer gegenüber. Sie hat lediglich zwei Seiten. Sie können mich töten, aber das wird rein gar nichts ändern. Sagen Sie Samuel van Vaughn einen schönen Gruß. Er hat keine Ahnung, mit wem er sich angelegt hat.«

Das reichte. Proud hatte genug gehört. Fauchend schlug er Whigfield abermals seine Fänge in den Hals und genoss das ängstliche Flattern seines Herzens, das seinen Hochmut Lügen strafte.

Uriel

Подняться наверх