Читать книгу Uriel - Tanya Carpenter - Страница 13

Оглавление

Kapitel 4

Angespannt ließ Proud den Blick durch den Raum schweifen. Samuel van Vaughn hatte ihnen zwar gesagt, dass die Nephilim ihren Weg zurück nach L.A. finden würden, sobald sie erweckt wurden, aber Hölle noch mal, es war nie die Rede davon gewesen, dass sie sich alle in seinem Wohnzimmer tummeln mussten. Wann hatte sich dieses Gerücht verbreitet, dass er ihr Retter sein würde? Ihre Anlaufstelle? Wie kamen sie nur darauf, dass er Antworten auf alle Fragen hatte, die mit dieser Scheißprophezeiung in Verbindung standen?

Gerade nach letzter Nacht konnte er das überhaupt nicht brauchen. Eine Mütze voll Schlaf wäre ihm lieber gewesen. Oder zumindest ein paar Stunden Ruhe zum Nachdenken. Die Situation überforderte ihn maßlos und er hätte demjenigen, der dafür verantwortlich war, liebend gern in den Arsch getreten. Vermutlich dieser Eloy. Der hatte schließlich schon Haley und Ethan zu ihm geschickt. Oder war Kyle der Grund dafür? Immerhin hatte er vorgehabt, die gefundenen Nephilim zu Proud zu schicken, aber außer Lydia war es bei keiner dazu gekommen. Kesha zählte nicht.

Natürlich trug auch die Tatsache, dass nach dem Vorfall im Sadeshia die Vereinigten Staaten und speziell Los Angeles ein relativ sicherer Ort zu sein schien, dazu bei, die Nephilim hierherzuführen. Überall sonst auf der Welt machten die Grigori gerade gezielt Jagd, und das, wie man hörte, sogar relativ erfolgreich. Proud war nicht zart besaitet, aber was sie über die Ereignisse hörten, ließ auch ihn schaudern. Das war einfach … unmenschlich. Aber wer hatte je behauptet, dass die Gefallenen menschlich seien?

Diese Treibjagden waren jedoch weniger der Grund, dass die Nephilim an seine Haustür klopften, als leite er ein verdammtes Asyl für Halbengel. Das hatte andere Hintergründe, die ihnen ebenfalls gerüchteweise mehr und mehr zu Ohren kamen. Es nervte Proud gewaltig, dass er sich sozusagen den Ruf eines Heilsbringers und Beschützers für alle Nephilim dieses Planeten erworben hatte. Wobei er noch nicht einmal verstehen konnte, was ihn überhaupt dazu machte. Die Rolle gefiel ihm nicht, sie fühlte sich nicht gut an, passte nicht zu ihm. Sie engte ihn ein. Der strahlende Held ohne jeden Makel, das war immer Kyles Part gewesen, doch dank seines Schnittererbes war der nun raus. Er hatte sich damit disqualifiziert, auch nach seiner Heilung ein potenzielles Risiko für die Halbengel zu sein. Trotzdem rechtfertigte das nicht, Proud die Scheiße ungefragt auf’s Auge zu drücken. Am meisten ärgerte es ihn, dass Kyle dies auch noch mit einer gewissen Genugtuung betrachtete, sich darüber hinaus aber dezent zurückhielt.

Hilfe suchend sah Proud zu Logan, der mit ernster Miene am Fensterrahmen lehnte, die muskulösen Arme vor der Brust verschränkt. Die Sorge in den Augen des Gestaltwandlers jagte Proud einen weiteren Schauder über den Rücken. Die entstellende Narbe ließ sein Gesicht noch düsterer erscheinen als üblich. Die Lage war ernst. Sehr ernst. Natürlich stand es außer Frage, dass sie die Halbengel und ihre Azrae-Gefährten beschützen würden. Sie brauchten sie, sie saßen alle im selben Boot und diese Flüchtlinge waren so erschreckend ahnungslos. Jemand musste ihnen erklären, wie die Dinge standen, was auf sie zukam und welche Rolle ihnen zugedacht war. Aber gerade hatte Proud einfach keinen Kopf für diese Dinge. Nicht, solange Beth ein Stockwerk über ihnen im Koma lag und es noch immer in den Sternen stand, ob sie jemals wieder erwachte. Ein Umstand, für den er die Schuld trug, wie Kyle nicht müde wurde, ihm vor Augen zu führen.

Eine Möglichkeit war natürlich, die Nephilim bei Samuel unterzubringen, wie es wohl auch dessen ursprünglicher Plan gewesen war, doch Proud behagte die Vorstellung nicht, dem Grigori die gesamte Kontrolle über die Mädchen zu überlassen. So weit ging sein Vertrauen längst nicht.

Logan erwiderte seinen Blick und nickte kaum merklich. Sie verstanden einander inzwischen ohne Worte. Im Moment erfüllte der Cherub die Bedeutung des Wortes Freund besser als jeder andere. Kommentarlos holte er sein Mobiltelefon aus der Hosentasche und wandte sich ab, während er eine Nummer eintippte. Gleich darauf hörte man ihn leise mit einem seiner Leute reden, damit zwei weitere Verstecke vorbereitet und die beiden neuen Pärchen abgeholt wurden. Dankbar schloss Proud die Augen. Als er sie wieder öffnete, stand Logan vor ihm und klopfte ihm ermutigend auf die Schulter.

»In einer Stunde holen meine Leute die vier ab. Mach dir keinen Kopf, ich kümmere mich um alles.«

»Danke, Mann«, sagte Proud und umfasste Logans beachtlichen Bizeps.

Als er die Flüchtlinge noch einmal betrachtete, verspürte er Mitleid, denn gerade die Mädchen waren ziemlich fertig mit den Nerven. Sie hatten eine Menge durchgemacht und das Ausmaß dessen, in was sie hineingeraten waren, jagte ihnen eine Höllenangst ein. Er erinnerte sich, dass es bei Beth ähnlich gewesen war. Gott, war das wirklich erst ein Jahr her?

Mit den Neuankömmlingen waren es inzwischen elf Paare, die sie vor den Grigori und vor allem vor den Uriel versteckten. Nur fünf davon trugen wie Beth und Kesha das Wassersymbol. Bei allen anderen zeigte sich bisher gar keins, was auch immer das heißen mochte. Natürlich wäre ein anderes Symbol kein Grund gewesen, die Frauen ihrem Schicksal zu überlassen, aber irgendwann würden Logan die Verstecke ausgehen. Was dann?

Proud schenkte den beiden verängstigen Nephilim ein, wie er hoffte, aufmunterndes Lächeln und reichte ihren Azrae-Gefährten die Hand zum Abschied. Er musste erst mal hier raus. Klar war es eine Flucht, auch wenn er das vor keinem außer sich selbst zugeben würde. Hier drin würde er jedenfalls ersticken unter der Last der Verantwortung. Er kam sich einerseits schäbig vor, sie Logan aufzubürden, andererseits funktionierten sie schließlich schon eine ganze Weile recht gut als Team, und der Werwolf ließ nicht im Geringsten erkennen, dass es ihn störte.

Beim Hinausgehen wies Proud Gilles an, ihren Gästen eine kleine Stärkung zu servieren. Dienstbeflissen verschwand der Butler daraufhin in der Küche. Auf den alten Haudegen war eben Verlass.

Beth war unruhig, als Proud ihr Zimmer betrat. Mit schweißbedeckter Stirn, gequält von Fieberträumen und wirres Zeug redend, in einer Sprache, die er nicht verstand.

Er setzte sich zu ihr aufs Bett und nahm ihre Hand. Erschreckend, wie kalt ihre Haut sich anfühlte. Als ob sie jeden Tag ein bisschen mehr starb.

Nein! Daran will ich nicht einmal denken!

So lange ihr Herz schlug, gab es auch Hoffnung. Sie würde wieder gesund werden, sie musste einfach.

Aber was, wenn es einfach zu spät gewesen war? Der Gedanke war die Hölle, darum drängte er ihn entschlossen zurück.

»Hörst du mich, meine schlafende Schöne? Ich warte auf dich. Wir alle tun das. Ich weiß, du kommst zurück, und dann werden wir gemeinsam diesem Lazarus und allen anderen Idioten, die sich diese Scheiße ausgedacht haben, so was von den Arsch aufreißen.«

Zumindest umschrieb das grob seinen Plan. An den Details arbeitete er noch. Wenn ihm all die anderen Sorgen und Probleme denn die Zeit dazu ließen.

Er musste zugeben, es gab vieles, was sie nicht wussten. Er war ein Wagnis eingegangen mit dieser Wandlung, weil Beth ihm ein solches wert war. Das war sie immer gewesen. Schon als er es ihr das erste Mal angeboten hatte, war es ihm ernst gewesen. Als Ausweg – aber auch, um sie niemals zu verlieren. Er hatte sie immer geliebt. Mehr als er sich anfangs selbst eingestehen wollte. Wenn er dafür also den Preis bezahlte, dann sollte es eben so sein. Nur sie durfte nicht dafür bluten. Bei Gott, aber sie hatte bereits geblutet. Vielleicht zu sehr …

Um Beth zu beruhigen, erzählte Proud ihr von Deborah und was er in St. Joshua herausgefunden hatte. Sie reagierte nicht im Geringsten darauf. Aber warum auch, ihre Mutter war tot, es hatte sich nichts geändert. Das Wo, Wie und Wann spielte wohl keine allzu große Rolle. Womöglich war sie sogar gerade bei ihr. Der Gedanke machte ihm Angst, weil sie dann vielleicht auf der anderen Seite bleiben wollte. Er schüttelte ihn ab, denn es war unerträglich für ihn, diese Möglichkeit in Betracht zu ziehen.

Wieder gärten Schuldgefühle in Proud, weil er sich allzu bewusst war, dass er ihr das angetan hatte. Da bedurfte es der vorwurfsvollen Blicke von Kyle nicht einmal, mit denen dieser seit ihrer Rückkehr nicht geizte.

»Wir hätten das niemals tun dürfen«, ließ sich Kyle von der Tür her vernehmen, als hätten Prouds Gedanken ihn buchstäblich hierherbefohlen.

Proud presste die Lippen aufeinander, verfluchte seinen Vetter im Stillen, dass er ihre Zweisamkeit störte. Der Gedanke, dass er sich zu Beth ans Bett schlich, wenn er sich unbeobachtet glaubte, machte Proud wütend. Besonderes da er wieder an der Tür innehielt, als hielte ihn eine unsichtbare Wand davon ab, näherzukommen.

»Wer sollte es denn ahnden wollen?«, antwortete Proud bissig. »Bisher ist noch kein Seraphim hier aufgetaucht, um sein Flammenschwert zu schwingen.« Er drehte sich um und starrte Kyle finster an. »Du hast doch sowieso nichts zu befürchten. Schließlich hast du ja nichts getan.« Seine Stimme glich einem Knurren. »Welch ein Glück für dich. Wenn die Racheengel mich doch noch richten, hast du wieder freie Bahn.« Kyle öffnete den Mund, um etwas zu erwidern, aber Proud hob abwehrend die Hand und kam ihm zuvor. »Tu nicht so, als wärst du nicht glücklich darüber, dass sie noch am Leben ist. Ich wollte dich sehen, wenn sie wirklich dort am Genfer See gestorben wäre.«

Kyle antwortete nicht, aber sein Schlucken und die Sehnsucht in seinem Blick sprachen Bände. Standen im Widerspruch dazu, dass er zwei Schritte zurückwich, als fürchte er sich vor der Anziehungskraft, die Beth auch in diesem Zustand noch auf ihn ausübte. Auf sie beide.

Am liebsten hätte Proud ihm all das vor die Füße geknallt, was er letzte Nacht von Gilles erfahren hatte, aber das würde im Moment nichts ändern und Kyle womöglich auch noch warnen.

»Die Nephilim sind weg, das wollte ich dir eigentlich nur sagen. Logans Leute haben sie eben abgeholt. Du kannst also wieder runterkommen.«

Mit einem Seufzer erhob er sich vom Bett und ging an Kyle vorbei aus dem Zimmer. Man hätte fast den Eindruck gewinnen können, er versuchte, vor ihm zu fliehen und ganz abwegig war diese Überlegung nicht. Bedauerlicherweise waren solche Versuche völlig sinnlos, denn Kyle benahm sich seit ihrer Rückkehr mit Vorliebe wie ein Guhl – wie ein wandelndes Gewissen, das sich in Prouds Nacken festbeißen und ihn quälen wollte. War das Kalkül?

Die Treppenstufen hinabzuschreiten fühlte sich für Proud an, als läge Blei in seinen Gliedern. Kyle folgte ihm langsam. Sie teilten dieselbe Schwermut, auch wenn dies die Sache keineswegs besser machte.

Gilles hantierte schon wieder in der Küche und bereitete die nächste Mahlzeit vor. Sehr gut. Er brauchte ein verspätetes Frühstück oder vorgezogenes Mittagessen. Ganz egal. Und Kaffee! Viel Kaffee! Sonst würde er diesen Tag nicht überstehen.

Im Kaminzimmer saßen Lloyd und Logan beisammen und redeten über die neuen Nephilim, die nun sicher in ihren Verstecken untergebracht waren, und über alles andere, was seit ihrer Rückkehr geschehen war.

Die Gegenwart der Uriel hier in der Stadt, die wie das Auge eines Hurrican über ihnen lauerte. Die verschwundenen Frauen, deren wahre Bedeutung er lieber nicht herausgefunden hätte. Zumal er sich damit auseinandersetzen musste, wie viel er den anderen erzählen wollte. Die toten Grigori-Oberhäupter und der Aufruhr innerhalb der Familien. Und zuletzt die Kleine, die bei Beth in Genf gewesen und deren Spur sie nicht mehr hatten finden können. Es schnürte Proud das Herz zusammen, wenn er an dieses Kind dachte und was es womöglich gerade durchmachte. Hoffentlich war sie entkommen und hatte irgendwo Zuflucht gefunden.

Kyle hatte sie erkannt, ihr Name war Heather. Er war dem Mädchen in seiner Zeit als Schnitter begegnet. Im selben Waisenhaus, in dem Beth großgeworden war. Das konnte kein Zufall sein. Proud versuchte, sich ihr Gesicht in Erinnerung zu rufen, aber er hatte in jener Nacht keine Zeit dafür gehabt, sich mit diesem Kind zu befassen. Zu groß war seine Sorge um Beth gewesen. Dennoch genügte das wenige, was er gesehen hatte, um diese bohrende Frage in ihm zu schüren, die er nicht an die Oberfläche kommen lassen wollte, weil damit alles nur noch schlimmer werden würde.

Kesha leistete Lloyd und Logan Gesellschaft. Alle drei machten ein ernstes Gesicht. Auch sie sorgten sich um Beth – mit jedem Tag, an dem sie nicht erwachte, ein bisschen mehr. Über ihnen allen schwebte eine düstere Stimmung, ein Gefühl der Hoffnungslosigkeit und der Verzweiflung. Ihm ging es dabei nur um Beth allein, den anderen auch um die Prophezeiung. Sie waren sich einig gewesen, dass Beth unendlich wichtig dafür war, doch wie die Dinge standen, war sie für die Erfüllung ihrer ursprünglichen Aufgabe verloren – egal ob sie lebte oder starb. Sie war … keine Nephilim mehr. Aber da war eine Gewissheit in Prouds Innerem, die ihm sagte, dass genau das ebenfalls Teil des Plans gewesen war. Vielleicht sogar notwendig. Er wusste nicht, ob ihn das beruhigen oder sorgen sollte, weil er eine Ahnung hatte, um wessen Plan es sich dabei wohl handeln mochte. Wieder dachte er an den Eintrag über Deborah Lornham, den er gestern gesehen hatte. Seine Kehle wurde eng.

Er räusperte sich, ging zur Kaffeemaschine und goss sich eine große Tasse voll ein. Danach ließ er sich erschöpft auf einen der freien Stühle fallen. Kyle, der ihm auf den Fuß folgte, tigerte stattdessen unruhig durch den Raum. Er fand keine Ruhe mehr, seit sie zurückgekehrt waren, und wie Lloyd vermutete, lag dies nicht allein an Beth’ Zustand, sondern auch an den Entzugserscheinungen. Das Elixier, das Lillith ihnen gegeben hatte, wirkte nur bedingt. Es klärte seinen Verstand, es gab ihm die Kontrolle zurück, doch die körperlichen Leiden und die nervliche Anspannung konnte es nicht heilen. Im Gegenteil, Proud hatte das Gefühl, dass es wieder schlimmer wurde. Er hatte Angst, dass sie Kyle verloren, und vor den Folgen, die das mit sich brachte. Schließlich kannte sein Vetter all ihre Schwachstellen. Wenn dieser Greco es drauf anlegte …

»Und was tun wir jetzt? Es sind inzwischen fast vier Wochen«, brachte Kyle anklagend hervor. »Wir können sie doch nicht ewig einfach so liegen lassen und hoffen, dass ihr Dornröschenschlaf von selbst vergeht. Ein Kuss hat ja wohl nichts gebracht.«

Bei seinen letzten Worten funkelte er Proud zornig an. Am liebsten hätte er ihn nicht mehr in Beth’ Nähe gesehen, aber er wusste, dass es nichts gab, was er dagegen unternehmen konnte. Gott, wie war es nur so weit gekommen zwischen ihnen? Ihm lag auf der Zunge, dass er ja einen seiner beiden neuen Uriel-Freunde fragen könnte, schluckte es stattdessen hinunter, nur um im nächsten Moment beinah daran zu ersticken.

»Wenn es überhaupt noch irgendeine Hoffnung gibt«, fuhr Kyle fort, »dann durch die Uriel und ihre Strigoi. Ich bin sicher, ich könnte …«

»Nur über meine Leiche«, fuhr Proud ihm grollend in die Parade. Keiner dieser Höllenengel würde die Hand an sein Mädchen legen.

»Führe mich bloß nicht in Versuchung«, konterte Kyle sofort.

»Hey, Jungs! Jungs!«, ging Logan dazwischen und hob abwehrend die Hände. Er warf einen Blick zu Kesha, die kaum merklich nickte. »Ich stimme Proud zu, und ich denke, im Grunde deines Herzens tust du es auch, Kyle. Greco und Prue haben sich disqualifiziert. Inzwischen dürftest du erkannt haben, dass ihre Hilfe einen zu hohen Preis hat und dass sie niemals ehrlich und uneigennützig etwas geben. Glaub’ mir, ich weiß genau, wovon ich rede.«

Kyle presste die Lippen aufeinander, bis nicht mehr als zwei weiße Striche übrig blieben. Er sah es nach der Aktion am Genfer See zweifellos ebenso, und sie waren sich einig gewesen, dass es besser wäre, wenn Greco Beth für tot hielt. Nur an wen sonst sollten sie sich wenden? Magnus kam genauso wenig infrage, ungeachtet dessen, ob er Kyle tatsächlich eine geheime Botschaft geschickt hatte oder nicht. Er hatte sie bisher nicht offen verraten oder übervorteilt, trotzdem traute Proud ihm so wenig wie jedem anderen Uriel auf dieser Welt. Den ominösen Unbekannten, der Beth und das kleine Mädchen aus dem Schweizer Anwesen hatte fortbringen wollen, eingeschlossen. Außerdem hielt sogar Logan nicht viel von Magnus, was für Proud ein Grund mehr war, diesen Uriel nicht noch einmal an Beth heranzulassen. Er hatte in Venedig gleich so ein komisches Gefühl gehabt bei dem Kerl, und sein Instinkt trog ihn selten. Außerdem hatte Whigfield von zwei Seiten derselben Medaille gesprochen. Greco und Magnus? Die zwei schienen sich bis aufs Blut zu hassen, aber vielleicht waren sie auch einfach nur gute Schauspieler und führten sie ganz gezielt in die Irre. Das würde dann sogar zu der ominösen Nachricht an Kyle passen. Fuck, was war das nur für ein Sumpf von Intrigen?

»Vielleicht«, erhob Logan erneut das Wort, »wäre die Grundidee hinter Kyles Vorschlag aber tatsächlich eine passable Lösung. Wir brauchen keinen Uriel, nur die Strigoi.«

»Das kommt ja wohl aufs Selbe raus«, maulte Proud und seine Stimme troff vor Zynismus.

»Nicht unbedingt«, warf Logan ein. »Ich kenne da jemanden, der uns womöglich hilft, ohne dass die Uriel davon erfahren.«

»Du redest doch nicht schon wieder von Lillith?« Ungläubig hob Proud die Augenbrauen. »Ihr Gegenmittel für Kyle war nicht gerade das, was ich erfolgreich nenne.«

Logan zuckte die Achseln. »Immerhin ist er hier, nicht wahr, Kyle?«

Wortlos wandte sich Prouds Cousin um. Er kannte seine Unzulänglichkeit – es musste die Hölle für ihn sein. Genau wie Proud fürchtete er Beth’ Aufwachen ebenso wie er es herbeisehnte, denn es würde die Entscheidung bringen, wer von ihnen an ihre Seite gehörte. Und zu welchem Preis.

Verdammt, was regst du dich darüber auf. Sie hat dich gewählt, Kumpel. Es war dein Name auf ihren Lippen. Dir galt ihr letzter Blick. Ich bin nur das Arschloch, das die Drecksarbeit macht, damit niemand sonst seine Seele beschmutzen muss.

Mit funkelndem Blick drehte sich Kyle zu Proud um. »Meine Seele ist weiß Gott nicht mehr rein, du Bastard. Oder glaubst du, der Schnitter ist ohne Folgen geblieben? Also pass auf, was du denkst und was du mir vorwirfst. Du hast ihr schließlich ordentlich den Kopf verdreht, als ich es nicht verhindern konnte.«

Verdammt, er musste vorsichtiger werden, wenn Kyle anfing, in seinen Gedanken herumzuschnüffeln. Das hatte ihm gerade noch gefehlt. Er wollte zu einer passenden Retourkutsche ansetzen, kam aber nicht mehr dazu.

»Stopp!« Es war Keshas Stimme, die den Raum erschütterte wie ein Donnerschlag. »Ihr seid beide verrückt. Als ob es darauf ankäme.«

Ihre Hitzigkeit überraschte alle. Sogar Lloyd zeigte für Sekunden einen Anflug von Verwunderung, ehe er schmunzelnd das Gesicht abwandte. Wer wenn nicht sie hatte das Recht, Kyle in diesem Punkt zurechtzustutzen?

»Denkt ihr beiden auch mal eine Sekunde daran, was Beth vielleicht gerade durchmacht? Ganz abgesehen davon, dass sie allein das Recht hat, zu entscheiden, wer von euch an ihrer Seite sein soll, wenn der Tag kommt. Im Moment sollten wir jedenfalls nichts unversucht lassen, um sie zurückzuholen. So lange könntet ihr euren Egotrip mal zurückstellen.«

Betreten senkte Kyle den Blick, und Proud tat es ihm nach. Kesha hatte recht, verdammt noch mal. Sie benahmen sich wie zwei eifersüchtige Highschool-Jungs.

Ein bisschen wunderte es Proud schon, dass sich Kesha plötzlich so für Beth einsetzte. Er hatte die Beziehung zwischen den beiden Halbschwestern bisher eher angespannt empfunden, aber vielleicht mussten sie sich auch erst aneinander gewöhnen. Keshas Mutter Valerie war sicher nicht unschuldig daran, dass sich der Blickwinkel der jungen, kämpferischen Nephilim veränderte.

»Also gut, Logan«, sagte er. »Dann hol sie her, deine Strigoi. Auch wenn Lillith sicher zu den Letzten auf diesem Planeten gehört, denen ich mein Vertrauen schenke. Ich werde ihr also auf die Finger schauen, wenn sie sich um Beth kümmert.«

Logan nickte. In seinen Augen blitzte es flüchtig auf. Wäre Proud paranoid veranlagt gewesen, hätte er es als Drohung auffassen können. Allerdings war es lächerlich, dass ein Cherub eine Strigoi unter seinen Schutz stellte. Die brauchten alles, aber nicht die Verteidigung durch einen Schutzengel. Mit ihren Zaubersprüchen dürften sie ihnen allen weit überlegen sein, und genau dieser Umstand sorgte Proud. Weniger in Bezug auf Lillith, das musste er zugeben, als vielmehr wegen der Strigoi von Greco. Sie war in der Schweiz entkommen. Ihr war es gelungen, Kyle mehrfach unter ihren Einfluss zu bekommen. Wenn ihr das erneut gelang … Er wusste nicht, ob sie seinen Vetter ein weiteres Mal zurückgewinnen konnten. Noch weniger wollte er sich ausmalen, was geschah, wenn Kyle ihr verriet, was Beth wirklich widerfahren war. Oder wusste sie es längst? Genau wie Greco? Und Magnus?

Uriel

Подняться наверх