Читать книгу Uriel - Tanya Carpenter - Страница 16
ОглавлениеKapitel 7
Weitere drei Nephilim-Paare waren in den vergangenen Tagen bei ihnen eingetroffen und von Logan in sichere Verstecke gebracht worden. Am liebsten hätte Proud das Eingangstor zu ihrem Grundstück verriegelt, auch wenn er wusste, dass diese Gedanken keineswegs fair waren. Schon gar nicht in Anbetracht von Kayden und seinen Speichelleckern.
Vor gut einer Stunde war nun wieder ein Paar bei ihnen aufgetaucht. Sie kamen aus Portugal. Die Nephilim, Ava, war erschreckend jung und so voller Angst, dass ihre aufgerissenen Augen ihr Gesicht dominierten wie in diesen Manga-Comics. Mit stockender Stimme hatte sie davon erzählt, wie sie und Laos, ihr Azrae-Gefährte, verfolgt worden waren. Ein Dutzend Grigori hatte sie gezielt vor sich hergetrieben bis zu den leer stehenden Lagerräumen eines einstigen Logistikunternehmens. Es war ihnen gelungen, sich auf dem Gelände zu verstecken und später zu fliehen, doch da waren noch andere Nephilim und Azrae gewesen. Die Schreie derer, die gefangen worden waren, würde Ava wohl nie vergessen.
Das Mädchen betete Proud geradezu an und war vor ihm auf die Knie gesunken, kaum dass er seinen Namen genannt hatte. Er wusste nicht, wie er auf so etwas reagieren sollte, und als Logan endlich eintraf, um sie abzuholen, ergriff er die Flucht und verkündete entschlossen, dass er keine weiteren Audienzen gewähren würde.
»Ich bin nicht ihr verdammter König oder Guru, Mann«, zischte er Logan zu, der nur ratlos die Achseln zuckte.
»Sie glauben, dass du weißt, was zu tun ist. Vermutlich weißt du sogar mehr als die meisten.«
Er spielte damit auf das literarische Erbe an, das bedauerlicherweise tatsächlich belegte, dass sich Prouds Familie eingehend mit der Prophezeiung beschäftigt hatte. Na gut, sie wollten einen Weisen? Es sollte ihm ja keiner nachsagen, dass er nicht sein Bestes getan hatte. Damit gab es zumindest eine Ausrede, warum er künftig nicht mehr Teil des Empfangskomitees sein konnte.
Schnaubend und ohne Ava und ihren Gefährten Laos auch nur noch eines Blickes zu würdigen, zog sich Proud in die Bibliothek zurück, wo nach wie vor jede Menge Folianten darauf warteten, durchforstet und analysiert zu werden. Den Job machte ja sonst keiner.
Ihm rauchte der Kopf und es gab vieles, was er nicht verstand oder was ihn verwirrte. Aber es lenkte ihn ab, und es fühlte sich einfach gut an, etwas Sinnvolles zu tun und dabei nicht in eine Rolle gepresst zu werden, in die er nicht hineinpasste. Von Leuten, die er überhaupt nicht kannte und auch nicht näher kennenlernen wollte.
»Du hasst deine neue Rolle als Heilsbringer, was?«
Proud war so vertieft gewesen, dass er Kyle nicht hatte kommen hören. Die Stimme seines Cousins troff vor Gift. Lässig lehnte er mit verschränkten Armen im Türrahmen, seine Miene eine Mischung aus Spott, Vorwurf und Düsternis.
»Ich bin – kein Heilsbringer«, antwortete Proud so ruhig wie möglich, entlockte Kyle damit aber bloß ein hämisches Lachen.
»Tja, das scheinen viele definitiv anders zu sehen. Die Nephilim. Magnus’ Strigoi. Logan.«
Proud presste die Lippen zusammen und schloss für einen Moment die Augen, um tief durchzuatmen. Es brachte nichts, sich von Kyle provozieren zu lassen, zumal der gerade einfach nicht er selbst war.
»Die Nephilim suchen Zuflucht, weil man sie verfolgt. L.A. ist weitestgehend sicher. Es mag ihnen zwar nicht klar sein, aber das hat nichts mit mir zu tun, sondern mit van Vaughn. Und mit Logan. Er ist es schließlich, der ihnen den nötigen Schutz verschafft. Ich denke kaum, dass er mich als Heiland sieht. Er weiß, wir machen unseren Job in dieser Sache, wobei meiner eben nicht mehr darin bestehen wird, imaginäre Willkommensfähnchen zu schwenken.« Er verzog die Lippen zu einem gequält-zynischen Lächeln. »Was Lillith angeht …« Er seufzte. »Reden wir nicht von ihr.« Sie sah garantiert keinen strahlenden Helden in ihm. Zumindest darin waren er und sie sich einig.
Kyle stieß sich ab und kam auf ihn zu, bis er direkt vor dem kleinen Sekretär stand. Dort stützte er erst die eine, dann die andere Hand auf dem glatt polierten Holz ab und beugte sich so weit vor, dass sein Gesicht nur noch Millimeter von Prouds entfernt war.
»Mir machst du nichts vor. Du weißt so gut wie ich, dass das erst der Anfang deiner Strafe ist. Und weißt du was? Meiner Meinung nach ist sie mehr als verdient.«
Verblüfft und zornig zugleich runzelte Proud die Stirn. Drehte Kyle völlig durch? »Strafe? Wofür?« Er war zwar ganz sicher kein Unschuldsengel und hatte in seinem Leben eine Menge Sünden begangen, doch von denen sprach Kyle wohl eher nicht.
»Du hast – eine Nephilim verwandelt!«, flüsterte Kyle mit vor Zorn bebender Stimme. Ein Wunder, dass er nicht meine Nephilim sagte. »Du glaubst ja wohl nicht ernsthaft, dass das nicht bemerkt wurde. Oder noch lange ungesühnt bleibt. Es ist ein Sakrileg. Die Seraphim werden nicht darüber hinwegsehen. Wenn wir deswegen scheitern, trägst du die Schuld daran. Du wirst uns alle mit dir in die Hölle reißen.«
Proud wusste nicht, ob er lachen oder vor Fassungslosigkeit den Kopf schütteln sollte. Er blickte Kyle lange in die Augen, versuchte, zu ergründen, was in ihm vorging. Nicht zuletzt, weil auch immer noch die leise Furcht da war, dass all dieses seltsame Verhalten in Greco und seiner Strigoi gründete – oder auch in Magnus – und Kyle ihnen längst weit mehr entglitten war, als sie ahnten. Was, wenn er dem Feind womöglich ständig Bericht erstattete? Aber in Kyles Augen war nichts, was darauf hinwies. Da war nur Angst und Verzweiflung und Hoffnungslosigkeit. Ein in die Ecke gedrängtes Tier, das um sich biss. Fast hätte Proud Mitleid haben können, doch am Ende siegte die Wut, weil Kyle ihn missbrauchte, um ein Ventil für all das zu haben. Es war nicht seine Schuld, dass es so weit gekommen war. Nicht seine allein.
»Du bist verrückt, Kyle«, zischte er. »Das eine hat mit dem anderen rein gar nichts zu tun. Davon mal abgesehen, ich habe nicht eine Nephilim verwandelt, ich habe Beth verwandelt, um zu verhindern, dass sie stirbt. Du warst ja zu feige dazu. Toller Liebesbeweis, sie lieber sterben zu lassen, als mögliche Konsequenzen dafür in Kauf zu nehmen, dass sie zumindest überlebt.«
»Überlebt?«, echote Kyle. »Nennst du das etwa Leben? Sie ist ein verdammter Zombie! Das ist kein Leben, das ist eine Tortur. Der du sie ausgesetzt hast. Ein langsames, siechendes Sterben. Findest du wirklich, dass sie das verdient hat? Wir wissen doch gar nicht, ob sie je wieder aufwacht.«
Tausend Antworten gingen Proud durch den Kopf, die alle bereits gesagt worden waren. Sie änderten nichts. Was geschehen war, war geschehen. Jetzt konnten sie nur noch warten.
»Sie atmet, ihr Herz schlägt und sie träumt. Also lebt sie«, antwortete er gepresst. »Wenn du erwartest, dass ich mich hierfür entschuldige oder es bereue, vergiss es. Ich weiß, dass es richtig war. Sie wird es schaffen. Weil sie stark ist.«
»Sie hätte das nie gewollt.«
»Ach ja?«, schoss Proud nun zurück, weil er Kyles Gejammer so lächerlich fand. »Redest du dir das ein, damit du dich nicht schuldig fühlen musst, weil du den Schwanz eingezogen hast?«
Blitzschnell erhob Kyle drohend seine Faust. Schmerz und Wut verzerrten seine Miene, doch der Schlag in Prouds Gesicht blieb aus. Er ließ sich davon so oder so nicht einschüchtern und zuckte nicht einmal mit der Wimper. Er wusste genau, worum es hier in Wahrheit ging.
»Ich habe Beth das Leben gerettet«, betonte Proud gefährlich leise. »Mehrfach! Während du sie einfach hättest sterben lassen.«
Es bereitete ihm keine Freude, Salz in Kyles Wunde zu streuen, aber er würde sich von ihm nicht zum Sündenbock machen lassen. Wenn ihn Selbstvorwürfe zerfraßen, weil er gezögert hatte, war das sein Problem. Wenn er nun fürchtete, Beth könnte sich von ihm abwenden, sobald sie wieder erwachte, musste er das mit sich ausmachen. Er hatte einfach eine Minute zu lange gezögert, dafür konnte Proud nichts. Niemals hätte er zugelassen, dass Beth dafür die Konsequenz tragen musste.
»Rede nicht so mit mir«, fuhr Kyle ihn an, wobei Proud nicht sicher war, ob sein Cousin seine Worte oder seine Gedanken meinte. »Wag es nicht.« Tränen schimmerten in seinen Augen. »Du weißt, ich liebe sie und würde alles für sie tun. Das habe ich bewiesen, oder denkst du, es macht mir Spaß, den Schnitterfluch noch immer nicht loszusein? Ihn vermutlich nie wieder loszuwerden?«
»Hast du deshalb Kontakt zu Magnus aufgenommen?« Die Frage war heraus, ehe Proud sie zurückhalten konnte. Ein Schatten glitt über Kyles Gesicht. Er zögerte mit der Antwort eine Sekunde zu lang.
»Ich habe mit Magnus nichts zu schaffen.«
Lügner, dachte Proud, sprach es jedoch nicht aus. Betroffen presste Kyle die Lippen aufeinander und funkelte ihn zornig an. Erstaunlicherweise fand Proud nichts in seinem Blick, was tatsächlich auf eine Lüge hindeutete. Kein Flackern, keine Unsicherheit. Der Vorwurf verletzte ihn, nicht mehr und nicht weniger. Sollte es doch bloß ein Missverständnis sein? Aber das Risiko war einfach zu groß, also blieb er auf der Hut.
Es kratzte Proud nicht die Bohne, ob Kyle ihn hasste oder nicht, er war zu müde, um sich darüber Gedanken zu machen.
»Selbst wenn sie wieder erwacht, und losgelöst von der Bedrohung durch die Seraphim«, wechselte Kyle das Thema, was verdächtig nach Ablenkung klang, »ich bleibe dabei, Proud, was du getan hast, war falsch. Du hast Beth damit zu einer Hölle verdammt, die sie freiwillig nie gewählt hätte. Denn eines hast du in deiner heroischen Rettungsaktion nicht bedacht. Die Folgen, die es für sie hat. Sie ist jetzt ein Azrae. Das bedeutet, sie wird Blut trinken müssen. Menschliches Blut. Du weißt, was das bedeutet. Für uns, die wir so geboren werden. Der lange, stetige Prozess. Diese Gnade hat sie nicht. Sie wird dort hineingeworfen, ohne Halt, ohne Kontrolle, egal, welche Opfer sie wählt. Sie hat dem Rausch nichts entgegenzusetzen und auch nicht dem Sog der Gegenwelt. Ich kenne sie. Ich kenne sie vielleicht besser als du. Das wird sie nicht überstehen.«
Proud schluckte. Diese Tatsache hatte er tatsächlich wohlweislich in den Hintergrund gedrängt, als er Beth sein Blut gegeben hatte, weil es seine Entschlossenheit womöglich geschwächt, wertvolle Sekunden und Beth somit ihr Leben gekostet hätte.
»Sie ist stark!«, sagte er so entschieden, als müsste er sich selbst davon überzeugen. »Sie schafft das.«
Kyle lachte höhnisch. »Sicher? Oder versuchst du nur gerade, deine Schuld kleinzureden? Sie ist nicht als Azrae geboren. Sie wird damit nicht umgehen können. Mit dem Hunger, der Gier. Es wird sie verzehren. Und mit dem ersten Tod, den sie einem Menschen bringt, wird sie an ihrer neuen Natur zerbrechen. Dafür trägst du die Verantwortung. Dieser Tod wird grausamer sein, als wenn sie in Genf gestorben wäre.«
»Ich werde ihr Halt sein«, knurrte Proud entschlossen. »Wenn sie mich braucht, bei jedem Schritt, den sie macht, werde ich an ihrer Seite sein. Sie wird nicht scheitern. Sie kann ihre neue Natur annehmen. Vielleicht kennst du sie doch nicht so gut, wie du glaubst. Ihr Mitgefühl für die Hoffnungslosen auf der Sterbestation war immer grenzenlos. Vielleicht ist es sogar ein Geschenk, dass sie ihnen den Übergang schenken kann, wo sie zuvor kaum fähig war, ihre Leiden zu lindern, bis der Augenblick endlich gekommen ist.«
Kyle schüttelte angewidert den Kopf. »Dir ist wohl keine Ausrede zu schäbig, um zu rechtfertigen, dass du sie aus purem Egoismus nicht loslassen konntest, obwohl es die bessere Entscheidung gewesen wäre.«
Proud holte tief Luft, er stand kurz vorm Explodieren, weil er diesen Müll einfach nicht mehr hören wollte und sie Wichtigeres zu tun hatten, als über Dinge zu lamentieren, die sowieso nicht mehr zu ändern waren.
»Ich weiß nicht, was dein Problem ist, Kyle. Ob du den Scheiß glaubst, den du von dir gibst, oder ob du bloß eine Rechtfertigung suchst. Aber noch einmal vor die Wahl gestellt, würde ich wieder so handeln und Beth mein Blut geben. Weißt du, warum? Weil ich ganz genau weiß, dass Beth leben und kämpfen will. Dass sie längst begriffen hatte, wie viel von ihr abhängt und nicht der Typ ist, der vor so einer Verantwortung einfach davonläuft.«
»Ich wollte nicht, dass sie stirbt«, erklärte Kyle mit einer Stimme wie Sandpapier, in der auch eine Art Rechtfertigung mitschwang, warum er nicht gehandelt, Proud aber letztlich auch nicht aufgehalten hatte. »Trotzdem hätte sie niemals ein Azrae werden dürfen. Das können die Seraphim nicht ungesühnt lassen.«
Proud schnaubte verächtlich. »Und jetzt? Pisst du dir ins Hemd, weil ich gegen himmlische Gebote verstoßen habe? Na ein Glück für dich, dass ich mal wieder die Rolle des bösen Buben übernommen habe, der die Regeln missachtet. Soviel zu deiner Theorie des Heilsbringers. Die erfülle ich demnach wohl eher nicht. Wie schön, dass deine Weste dabei rein bleibt. Vielleicht macht man dich ja zum General, wenn die letzte Schlacht losgeht. Oder sie verleihen dir im Himmel einen Orden, wenn du ihnen meine Verfehlung bis ins Detail schilderst. Achte nur darauf, dabei ausreichend zu betonen, wie groß dein Opfer war, trotz deiner unendlichen Liebe ihren Tod in Kauf zu nehmen.«
Er hatte die Worte kaum ausgesprochen, als Kyle ihm nun doch die Faust gegen den Kiefer rammte. So hart, dass Proud mitsamt dem Stuhl nach hinten fiel. Mit einem Satz überwand sein Cousin den Tisch und schien ihn buchstäblich in den Boden stampfen zu wollen, aber er war schnell genug wieder auf den Beinen und konterte den Angriff, indem er Kyle am Arm packte und ihn einmal quer durch den Raum schleuderte. Krachend landete er im deckenhohen Bücherregal und blieb keuchend am Boden liegen.
»Hör auf!«, brüllte Proud. »Wir stehen auf derselben Seite, verdammt noch mal. Glaubst du, ich wüsste nicht, wie sehr du leidest? Denkst du, es kümmert mich nicht? Ich lebe jeden Tag in der Angst davor, dich für immer an diesen Dreckskerl Greco zu verlieren. Oder jetzt an Magnus. Oder wer weiß, wer sonst noch versucht, jemanden von uns zu manipulieren und uns dann gegeneinander auszuspielen. Verdammt, Kyle, du und Beth, ihr bedeutet mir beide mehr als mein eigenes Leben, und ich tue, was immer ich für nötig erachte, damit wir alle heil aus der Sache rauskommen. Wenn ich dafür in der Hölle brenne, von mir aus. Ich hab’ diese verdammte Prophezeiung nicht gewollt und auch nicht die Rolle, die ich nun offenbar darin einnehmen soll. Aber weißt du was? Allmählich begreife ich, wie wichtig dieser Kampf ist. Wie wichtig er für Beth ist. Ich scheiß drauf, was sie ist, und erst recht auf das, was in den Schriften steht und gegen welche Gesetze ich damit womöglich verstoßen habe. Hauptsache, sie lebt. Der Rest ist mir egal. Sie ist mir jedes Opfer wert und wenn ich tausend Jahre dafür leiden muss. Was auch immer da auf uns zurollt, wir können es nicht aufhalten, aber wir werden das verdammt noch mal gemeinsam durchstehen, also reiß dich zusammen und hör auf, den Moralapostel zu spielen oder in Selbstmitleid zu versinken.«
Entgegen seinem Willen hatte er sich regelrecht in Rage geredet, während Kyle sich langsam wieder auf die Füße rappelte und ihn anstarrte wie ein geprügelter Hund. Wut und Scham wechselten auf seinen Zügen, aber tief in Kyles Augen stand vor allem eines: Hilflosigkeit. Und die war es letztlich, die Proud wieder milder stimmte. Er rieb sich mit der Hand übers Gesicht, wobei die Stelle, an der Kyles Faust ihn getroffen hatte, unangenehm pochte. Es fiel ihm nicht leicht, sich innerlich zur Ruhe zu zwingen, aber wenn sie weiter aufeinander losgingen, half das niemandem. Am wenigsten Beth.
»Hör zu, diese verdammte Prophezeiung ist auch nur von irgendwem geschrieben worden, der irgendwas erreichen wollte, Kyle. Die sind alle genauso verlogen wie weltliche Politiker. Uriel, Seraphim, Grigori, vermutlich sogar die Cherubim und unseresgleichen. Jeder hofft auf seine eigenen Ziele. Wir hängen da drin, und ich bin entschlossen, dass wir auch wieder da rauskommen. Aber dazu müssen wir zusammenhalten.«
Er drehte sich um und ging zur Bar, um sich und Kyle einen Drink einzuschenken. Immer noch sichtlich verbittert, nahm sein Cousin das Glas zumindest entgegen.
»Ich weiß, wir lieben sie nun mal beide«, sagte Proud. Es gab keinen Grund, das Offensichtliche zu leugnen. »Das mag uns zu Rivalen machen, aber ich bin ganz sicher nicht dein Feind. Begreif das endlich. Die Wahl trifft sie allein, wenn sie wieder aufwacht. Egal, wie die ausfällt, ich werde zu ihr stehen bis zum bitteren Ende. Ich denke, das siehst du genauso. Wir haben uns das nicht ausgesucht, aber Fakt ist, dass wir nicht zurück können. Du und ich, wir sind an Beth gebunden. Vielleicht macht gerade das ihre Einzigartigkeit in dieser Sache aus, und so sehr wir es uns auch wünschen, wir können nicht vor der Verantwortung davonlaufen, die uns auferlegt wurde. Aber wir haben wie Wahl, ob wir uns dabei von irgendwem benutzen lassen, oder ob wir selbst entscheiden, was wir tun. Also was ist? Kann ich auf dich zählen, Kumpel?«
Er hob Kyle sein Glas entgegen und wartete. Nach kurzem Zögern gab sein Cousin endlich nach und stieß mit ihm an. »Für Beth.«
Proud nickte. »Für Beth.«
Synchron kippten sie den Drink hinunter.
Einen Moment breitete sich Stille zwischen ihnen aus. Ein Nachfühlen, ob der Friede echt oder nur gespielt war – von beiden Seiten.
»Es stimmt«, sagte Kyle schließlich, den Blick fest auf den Boden gerichtet. »Magnus hat mir eine Nachricht zukommen lassen.«
Proud nickte, auch wenn Kyle es nicht sehen konnte, und wartete, ob sein Vetter noch ins Detail gehen würde.
»Ich hab’ sie verbrannt. Ich denke, das spricht für sich, oder nicht?«
Tat es das? Bei dem alten Kyle ja, bei dem Mann, der vor ihm stand … Proud wusste es nicht. Was er wusste war nur, dass sich gerade ein sehr fragiler Friede zwischen ihnen bildete, den sie dringend brauchten, wenn sie das hier überstehen wollten. Also schob er seine Zweifel beiseite und nahm Kyle wortlos in den Arm, der die Geste ebenso stumm erwiderte.