Читать книгу Leipziger Mörderquartett - Tatjana Böhme-Mehner - Страница 10
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ОглавлениеWenigstens saß Anna dicht an der Tür, vermutlich würden die Befrager dort anfangen. Ein Gedanke, der sich als der nächste Irrtum erwies, denn die Polizisten arbeiteten sich vom Podium nach außen. Es dauerte eine weitere Stunde, bis Anna artig ihren Ausweis zeigte und zu Protokoll gab, was sie wahrgenommen hatte – also nicht viel. Dass der unselige Steinmüller aus dem Leben geschieden war, ohne eine Chance zu bekommen, den fatalen Bratscherfehler durch eine nachfolgende musikalische Leistung zu relativieren, tat ja hier nichts zur Sache. Das würde nicht einmal Platz in einem Nachruf finden, denn in solchen Texten wurde nicht über Fehler des Verstorbenen geschrieben.
Die junge Uniformträgerin dankte – wie oft sie sich wohl an diesem Abend immer wieder dasselbe anhören musste? Am Ende interessierte sich nur noch die Versicherung dafür, falls das In-and-Out eine solche hatte. Der Club war an diesem Abend in der Gunst der Kritikerin keinesfalls gestiegen. Das ziemlich spießige Klischee von Oberflächlichkeit und Nachlässigkeit solcher Clubs, das Anna wie auch immer entwickelt hatte, wurde an diesem Abend noch verstärkt.
Bevor sie gehen durfte, stellte die Polizistin noch eine Frage – was das auf Annas Kleid sei. Der Rotwein. Den hatte Anna fast vergessen. Sie rang sich zu einer absurden Erklärung durch, weil es ihr zu dämlich erschien, zu sagen, dass ihr ein Mensch namens Habakuk C. Brausewind ohne Vorwarnung Rotwein übers Kleid gegossen hatte. Blödsinn! Niemand gab eine Vorwarnung, bevor er einem Rotwein übers Lieblingskleid schüttete. Gut, dass sie das nicht gesagt hatte!
Die Polizistin machte sich eine Notiz, während Anna ihren Schritt endlich Richtung Tür lenken konnte. Langsam leerte sich der Saal. Kraftlos schlichen die unfreiwilligen Zeugen eines bizarren Unglücks von dannen.
Da hörte Anna in ihrem Nacken deutlich den eigenen Namen. Die Stimme kam ihr bekannt vor. Eine gefühlte Ewigkeit, aber eigentlich nur knapp drei Stunden war es her, dass sie die feucht-anregende Bekanntschaft dieses Herrn gemacht hatte. Habakuk C. Brausewind – die Lautfolge entlockte Anna ein müdes Lächeln.
»Anna, ich darf doch Anna sagen? Würden Sie so freundlich sein …«
Den Rest nahm Anna nicht mehr wahr, denn gerade wurde der Metallsarg an ihnen vorbeigetragen. Das hatte sie bisher nur im Fernsehen oder auf Fotos gesehen, die die Redaktionstische anderer Ressorts zierten. Unweigerlich dachte sie an ihr Vergehen: Sie hatte die eigene Redaktion nicht informiert! Keine gute Werbung für eine Journalistin. Fragend starrte sie Habakuk an, der sich höflich zu ihr herunterbeugte.
»Ihre Karte. Wegen der Reinigung. Ich will den Schaden wiedergutmachen.«
Reflexartig zog Anna ihre Visitenkarte aus der Tasche und gab sie Habakuk – lächelnd, aber abwesend nickend. Sie wollte einfach nach Hause.