Читать книгу Leipziger Mörderquartett - Tatjana Böhme-Mehner - Страница 5

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Tok-tok-tok-tok und dann ein permanentes heftiges Rütteln, das in den ganzen Körper hineinströmte. Anna liebte das Gefühl des Hochdruckreinigers in ihrer Hand, das sich fortsetzen würde, weit über diesen Moment hinaus in die geordneten Klänge des Abends. Während die Wassertropfen vor der schon recht westlich stehenden Sonne einen Miniaturregenbogen bildeten, malte sie kleine Kreise auf den fleckigen Terrassenboden … Hier ein Smiley, dort … Was immer es war, es machte Anna Spaß. Selbstvergessen verbrachte sie mehr Zeit mit der Reinigung der winzigen Dachterrasse, ihrem Refugium über der Stadt, als es im Entferntesten nötig gewesen wäre. Hätte sie jemand beobachtet bei dieser eigenwilligen Putzaktion, hätte der wohl gemeint, dass sie tief in ein sehr kompliziertes Gedankenkonstrukt versunken war. Doch im Gegenteil: Anna genoss es, gar nichts zu denken. Sie wollte nichts weiter, als mit der Vibration des Hochdruckreinigers sich selbst zu spüren.

Ohnehin würde sie gleich wieder in jene feinsinnige Welt eindringen müssen, die eigentlich die ihre war. Während andere sich dem Klang in seiner Flüchtigkeit hingaben, analysierte sie das Erlebnis mit ihrem geistigen Ohr, fragte sich, was das Wesentliche, das Besondere dieses Abends, dieser Aufführung war, um es am nächsten Tag kurz und prägnant in ansprechende Worte zu fassen, die bestenfalls ihren journalistisch-ästhe­tischen Eigenwert entfalteten.

Anna war gern die Musikkritikerin des »Täglichen Anzeigers«, der letzten verbliebenen großen Tageszeitung der Stadt, auch wenn sie sich ab und an nach der Chance und der damit verbundenen Anerkennung einer großen Geschichte sehnte – nach einer Enthüllungsstory, wie sie sich die Reporterkollegen aus den Ressorts »Politik« oder »Wirtschaft« durchaus erhoffen konnten. Selbst im Sport standen die Chancen größer, dort konnte man auf einen dubiosen Wettskandal oder wenigstens eine Dopingenthüllung stoßen. Doch in der Kultur und noch dazu in der Musik, besonders der klassischen – Annas Domäne –, konnte man bestenfalls schiefe Töne und wackelnde Metren anprangern. Zwar machte man sich damit nicht unbedingt Freunde, aber im Wesentlichen hatte man seine Ruhe – manchmal mehr als gut war. Doch auch das war im Prinzip okay für Anna. Nur heute irgendwie nicht. Es war der erste heiße Samstag des Jahres, und der Abend versprach lau und angenehm zu werden. Was gäbe es also Besseres, als auf der dann sauberen Terrasse zu sitzen und mit einem Glas Wein und einem Buch den unstrukturierten Klängen des Abends über Leipzig zu lauschen, zu erleben, wie das Klanggewaber der Südvorstadt allmählich abebbte, und anschließend in den Sonntag hinein­zuschlafen?

Aber daraus wurde leider nichts – Anna musste ins Konzert, wie meistens. Sie liebte Musik, sonst hätte sie einen anderen Beruf ergriffen. Trotzdem – wie es war, sich ohne Zwang und aus freien Stücken auf ein Musikereignis vorzubereiten, hatte sie fast schon vergessen. Wenigstens war das, was sie heute erwartete, ein angenehmes und noch dazu überschaubares Programm: Brahms, Mozart und noch mal Brahms. Ein mehr als anständiger Streichquartettabend mit dem Kleistenes-Quartett – musikalische Philosophie, kein Lärm und keine Bravo-grölenden Klassikgroupies. Zwar keine Weltklasse, doch eines der besseren von hier. Kein Grund also, sich in der Pause wegzusehnen und jenen verzweifelt hinterherzuschauen, die sich die Jacke an der Garderobe holten und in die Nacht verschwanden – meist zu zweit.

Mit etwas Glück konnte sie um halb elf wieder zurück sein. Bestimmt wäre es auch dann noch nicht zu kalt für ein halbes Stündchen hier oben über der Stadt. Sie würde dann zwar bereits – das war ein Automatismus, der mit dem Beruf einherging – darüber grübeln, was sie am Morgen zu Papier, besser gesagt zu Bildschirm bringen konnte, aber dennoch hätte sie ein bisschen was von diesem lauen Samstagabend.

Leipziger Mörderquartett

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