Читать книгу Leipziger Mörderquartett - Tatjana Böhme-Mehner - Страница 12

8

Оглавление

Waschbär-Cola … Anna stand vor der nächsten Herausforderung. Welche Gläser benutzte man für eine Edel-Cola? Sie sollte sich, weiß der Himmel, schwerer wiegende Gedanken machen als die Frage danach, worin sie am besten ein Hipster-Gesöff kredenzen sollte. Immerhin musste sie in spätestens zwei Stunden einen Text liefern, den sie noch nicht einmal angefangen hatte. Bei einer »gewöhnlichen« Konzertkritik wäre das kein Problem, da hätte sie locker Zeit für drei Gläser Waschbär-Cola. Aber hier ging es um keine gewöhnliche Konzertkritik. Es gab einen Toten, noch dazu einen bizarr verstümmelten: Thorsten Steinmüller, Bratscher vom Kleistenes-Quartett.

Anstatt den Text endgültig in Angriff zu nehmen oder wenigstens Kramer anzurufen, holte Anna die schicken Longdrink-Gläser aus dem Schrank, die sie sich letztens sinnloserweise im Designer-Möbelhaus geleistet hatte, stellte Zitrone und Eiswürfelschale aufs Tablett und ging ins Wohn-Arbeitszimmer zurück, in dessen Mitte Habakuk C. Brausewind immer noch etwas unbeholfen stand. Das machte Anna nicht unbedingt mutiger. Sie winkte in Richtung eines der Plüschsessel – die Minicouch war mit diversen CDs und Büchern belegt, die sie nach und nach besprechen wollte – und stellte das Tablett umständlich auf dem Couchtisch ab. Habakuk öffnete sehr sorgsam die Cola-Flasche, was die Szene nicht weniger absurd erscheinen ließ. Anna setzte sich auf die Kante des anderen Plüschsessels und schaufelte sich viel zu viel Eis ins Longdrink-Glas. Habakuk tat es ihr allerdings gleich, dann goss er die Cola auf.

Bis hierhin verlief ihre Begegnung nahezu ohne Worte, dem Charakter des gestern gemeinsam Erlebten entsprechend. Habakuk ergriff als Erster das Wort und traf zielgenau einen wunden Punkt. »Haben Sie sich elegant aus der Affäre ziehen können?«

»Aus welcher Affäre?«

»Na, als normales Konzert werden Sie den gestrigen Abend kaum abhandeln wollen.«

Anna spürte, wie sich die gesamte, über den Vormittag angestaute Frustration in Aggression transformierte und beinahe dem arglos ihr in die Augen schauenden Habakuk wie ein gigantischer verbaler Vulkanausbruch ins Gesicht gesprudelt wäre. Sie hatte keine Ahnung, wie es ihr gelang, die rhetorische Lava hinunterzuwürgen und ihm lediglich ein spitzes »Ach was? Wie kommen Sie denn darauf?« zurückzuschmettern, das als zickig hätte interpretiert werden können.

Auch davon ließ sich ihr Gegenüber nicht beirren und deutete mit einer beschwichtigenden Geste sein Bedauern an, bevor er – dieser Habakuk war ganz schön hartnäckig, das beeindruckte Anna – den Faden wieder aufnahm. Er sei jedenfalls sehr gespannt, morgen ihre Sicht auf die Sache zu lesen.

Nun brach es mit entwaffnender Ehrlichkeit und leicht sarkastisch aus ihr heraus: »Wenn ich diese Sicht jemals finde, und sie zu diesem Zeitpunkt noch jemand drucken will.«

Die Verblüffung und Verlegenheit war jetzt deutlich auf Habakuks Seite. »Was, Sie haben noch nicht …? Verzeihen Sie, ich hätte nicht so voreilig … Dann will ich nichts gesagt haben. Es war keinesfalls … Ich wollte sie unter gar keinen Umständen beeinflussen. Ich hätte nicht so früh … Soll ich später wiederkommen?«

Angesichts des Entschuldigungsgestammels gewann Anna allmählich ihre Souveränität zurück. Außerdem: Was meinte er mit »beeinflussen«? Wodurch hätte er sie denn beeinflussen sollen? Waschbär-Cola war zwar überteuert, galt aber nicht einmal im Ansatz als bewusstseinserweiternde Droge. Trotzdem nahm Anna einen großen Schluck des süßen, durch das viele Eis völlig verwässerten Getränks.

Ihre Neugier war geweckt, obwohl sie nicht glaubte, dass ausgerechnet dieser Habakuk, den es rein zufällig in ihr Leben gespült hatte, im wahrsten Sinne des Wortes, der sich obendrein Heinz nannte und der ausgerechnet Bratscher war, dass er einen Beitrag für ihren Text leisten konnte. Einen Beitrag, der ihr nicht nur den Text rettete, sondern ihr womöglich zur Story ihres Lebens verhalf. Nein, das glaubte sie nicht. Aber zumindest weckte Habakuks konspirative Beschwichtigung ihr voyeuristisches Interesse. Brausewind zögerte, ihr etwas mitzuteilen. Es würde keinesfalls schaden, dieses Etwas anzuhören, unterhaltsam wäre es allemal. Auf eine halbe Stunde kam es auch nicht mehr an. Und Kramer konnte sie jetzt sogar sagen, sie recherchiere in Experten­kreisen. Wäre nur blöd, wenn der dann wissen wollte, um wen es sich bei diesen Experten handelte. Um den Bratscher Habakuk C. Brausewind – Kramer würde meinen, sie veräppelte ihn. Doch das war inzwischen relativ wurscht.

Ob es am Zuckergehalt des Getränks lag oder doch an der Neugier darauf, was Habakuk mitzuteilen hatte? Annas Lebensgeister waren jedenfalls samt und sonders präsent und brachten sie dazu, Habakuk zu beschwichtigen. Egal, was sie jetzt hören werde, sie werde sich keinesfalls beeinflussen lassen. Außerdem sei noch nicht entschieden, ob sie darüber schreiben werde. Immerhin – da habe er völlig recht – könne man hierüber keine gewöhnliche Konzertkritik schreiben. Der Gedanke, dass die Story inzwischen gar nicht mehr ihre Story sein könnte, kam Anna erst in diesem Moment. Er gefiel ihr noch weniger als alles bisher Gedachte. Er setzte weitere Kämpferenergien frei, die das Nahziel verfolgten, zu erfahren, was Habakuk wusste. An dessen Integrität zweifelte sie aus einem merkwürdigen Selbsterhaltungstrieb heraus längst nicht mehr.

Leipziger Mörderquartett

Подняться наверх