Читать книгу Leipziger Mörderquartett - Tatjana Böhme-Mehner - Страница 6

2

Оглавление

Der Wasserstrahl spritzte auf ihre nackten Füße. Sie hatte den kleinen Vorsprung getroffen, der einstmals den Schornsteinschacht verborgen hatte, als das Haus noch mit Kohle geheizt worden war. Schmerzhaft und erfrischend zugleich brannte das versprühte Wasser auf der nackten Haut. Stundenlang könnte Anna so weitermachen. Doch wenn sie jetzt nicht aufhörte, kam sie unweigerlich zu spät.

Die Reinigungsmaschine provisorisch beiseite geräumt – regnen würde es gewiss nicht –, die Treppe hinunter ins Dunkel der kleinen Wohnung. Sie wollte unbedingt eine Fußmatte vor die Terrassentür legen – ein Schwur, den sie jedes Mal nach derartigen Reinigungsaktionen leistete, wenn sie die feuchten Drecktapsen auf der hellen Holztreppe sah. Wieder konnte sie ein wahrhaft böses Ausrutschen gerade noch verhindern, das sie unweigerlich in den Wäschekorb hätte stürzen lassen. Aus diesem starrten sie jene Teile gnadenlos an, die sie seit mindestens einer Woche bügeln wollte. Anna hatte sich den Wäschekorb selbst in den Weg gestellt, um sich zu dieser verhassten Aktivität zu zwingen. Bisher ohne Erfolg. Es war lediglich eine neue Unfallquelle in der winzigen Dachgeschosswohnung entstanden, die sie der Terrasse wegen nicht aufgeben wollte. Eine weitere Gefahr für Leib und Leben.

Im Moment rief ihr der Wäschekorb aber ein ganz anderes Problem ins Bewusstsein: Was sollte sie anziehen? Nicht, dass sie nicht genug Kleider im Schrank hängen hatte. Allen Berufsklischees zum Trotz legte die Musikkritikerin Anna Schneider durchaus Wert auf ihr Äußeres. Doch man konnte nicht mit allem überall hingehen. Und gerade für heute hätte sie den schwarzen Leinenanzug gebraucht, der ganz oben auf dem Wäschekorb lag. Absolut logisch und auch alternativlos für das In-and-Out mit seinem Vintage-Mobi­liar und den improvisierten Stuhlreihen, die sie unter der Hand als »versifft« beschreiben würde. Welcher Geisteskranke kam eigentlich auf die Idee, ein solches Programm in einem Club wie dem In-and-Out zu spielen? Akustisch daneben und unbequem. Dabei war die Veranstaltung Teil einer Abonnementreihe des Gewandhauses und hätte in den Kammermusiksaal, den Mendelssohnsaal, gehört, benannt nach einem der vielen Sockelheiligen dieser Musikstadt. Was manchmal in den Köpfen von Programmmachern vorging? Ärgerlich, aber nicht ärgerlich genug, um daraus die ersehnte Geschichte zu machen.

Langsam verflog bei Anna das letzte Fünkchen Lust auf den Konzertabend. Wenn sie den Anzug jetzt noch bügelte, wäre sie gnadenlos zu spät. Ausgeschlossen in ihrem Job und bei dem Programm. Keine Verhandlungsmasse mit dem Schrank … Mit dem beigen Kassettenkleid würde sie komplett overdressed sein im düsteren Ambiente des In-and-Out. Wenigstens widersprach das Material nicht ganz dem alternativen Charakter der Location. Sie blieb beim Leinen und wusste, dass sie die Entscheidung bereuen würde, während sie sich insgeheim eingestand, dass es keine wirkliche Entscheidungsmöglichkeit gab.

Leipziger Mörderquartett

Подняться наверх