Читать книгу Nur wenn ich lebe - Terri Blackstock - Страница 12
7 Dylan
ОглавлениеMeine Nachforschungen verlaufen im Sand. Ich kann nichts Neues über den Tod von Mr Brauer herausfinden. Und so warte ich bis zum Tag nach der Beerdigung, um seinem Wohnhaus einen Besuch abzustatten.
Drei Autos parken in der Einfahrt. Vermutlich ist jemand zu Hause. Ich stelle meinen Wagen an der Straße ab und hoffe inständig, dass Keegan und Rollins nicht zufällig vorbeikommen und ihn entdecken. Es wäre auch nicht besonders gut, wenn Mrs Brauer ihnen von meinem Besuch erzählen würde. Aber das ist unwahrscheinlich, vor allem, wenn sie den Verdacht hegt, dass die beiden etwas mit dem Mord zu tun haben.
Wieder überlege ich, ob ich mich nicht auf dem Holzweg befinde. Es könnte sich ja auch um einen zufälligen Überfall gehandelt haben. Einen Drogendeal oder etwas anderes, das absolut nichts mit dem Polizeipräsidium zu tun hat. Aber mein Bauchgefühl sagt mir etwas anderes.
Ich klopfe an die Tür. Nach kurzer Zeit öffnet ein Mädchen, aber nur einen Spaltbreit, ohne die Sicherheitskette zu lösen. „Ja?“, fragt sie.
Die Polizeimarke zeige ich ihr nicht. Alles, was mit der Polizei zu tun hat, könnte sie zu sehr erschrecken. „Hallo, mein Name ist Dylan Roberts. Ich bin Privatermittler. Könnte ich wohl ein Wort mit Mrs Brauer wechseln?“, frage ich.
Das Mädchen studiert mein Gesicht genau. „Sie hat der Polizei bereits alles gesagt, was sie weiß.“
„Das weiß ich, aber ich stehe nicht in Verbindung mit der Polizei. Ich komme eher von einer anderen Richtung.“ Mit gesenkter Stimme fahre ich fort: „Zurzeit arbeite ich an einem anderen Fall, der große Ähnlichkeit mit diesem hier aufweist. Es ist wirklich wichtig, dass ich mit Mrs Brauer sprechen kann.“
Stirnrunzelnd sieht sie mich an und sagt dann mit hochgezogenen Augenbrauen: „Warten Sie kurz.“
Die Tür fällt ins Schloss. Ich stehe auf der Veranda und warte. Hoffentlich ruft sie nicht die Polizei an, um sich nach mir zu erkundigen.
Ein paar Minuten später kommt eine ältere Dame an die Tür und löst die Kette. Sie hat rote Flecken auf den Wangen und tiefe Furchen ziehen sich über ihre Stirn. Misstrauisch sieht sie mich an. „Was wollen Sie?“
„Wäre es möglich, unter vier Augen mit Ihnen zu sprechen?“, frage ich leise. „Ich arbeite gerade an einem Fall, der mich zu der Erkenntnis geführt hat, dass bei der örtlichen Polizei einige korrupte Polizisten sind. Ich möchte herausfinden, ob Ihr Mann ihnen vielleicht in die Quere kam.“
Die Dame tritt einen Schritt nach draußen. Ihr Blick wandert nach allen Seiten, als wolle sie sicher sein, dass niemand ihr Haus beobachtet. Schließlich sagt sie: „Kommen Sie rein.“
Mrs Brauer schließt rasch die Tür hinter mir. Dann wendet sie sich an das Mädchen, vermutlich ihre Tochter. „Sieh nach dem Essen im Ofen“, sagt sie mit deutschem Akzent. „Ich muss mit dem Herrn allein reden.“ Im hellen Licht der Glühbirne scheint das Mädchen bereits im College-Alter zu sein. Es verschwindet in der Küche. Mit einer Geste weist Mrs Brauer mir einen Stuhl zu und ich setze mich. Sie selbst nimmt auf dem nebenstehenden Sofa Platz.
„Haben Sie mit der Polizei gesprochen?“, frage ich.
„Ja. Aber nicht über das, was davor geschehen ist. Ich kann keinem Polizisten mehr vertrauen.“
„Warum erzählen Sie mir nicht, was geschehen ist?“
Stillschweigend sieht sie mich an und überlegt. Dann sprudeln die Worte nur so aus ihr heraus: „Jeden Morgen geht er zwischen sechs und halb sieben zur Arbeit, um einige Dinge vorzubereiten, bevor die ersten Angestellten eintreffen. Immer lässt er die Tür dabei verschlossen. Deswegen bin ich überzeugt, dass er die Person gekannt haben muss. Sonst hätte er sie wohl nicht hereingelassen.“
„War das Schloss beschädigt? Gab es Anzeichen dafür, dass jemand gewaltsam eingedrungen ist?“
Kopfschüttelnd meint sie: „Wer auch immer es war, er muss durch die entriegelte Tür gekommen sein. Mein Mann hätte sie nicht einfach für irgendwen geöffnet. Nicht für einen Fremden.“
„Mrs Brauer, können Sie mir verraten, ob Sie in finanziellen Schwierigkeiten stecken?“
„Ja, wir hatten Probleme.“ Tränen sammeln sich in ihren Augen. „Deswegen konnten wir sie nicht bezahlen.“
„Wen bezahlen?“, hake ich nach.
„Die Polizisten“, antwortet sie, steht auf und läuft zur Zimmertür. Sie späht in die Küche, um sicherzustellen, dass ihre Tochter nicht lauscht. Anschließend kommt sie zurück und ihre Stimme wird noch leiser. „Jeden Monat sind sie gekommen und haben Geld von uns verlangt. Tausende Dollar Beschützungsgeld, meinten sie. Aber wir hatten das Geld nicht. Das Geschäft lief nicht, unsere Tochter war auf dem College und deswegen konnte mein Mann nicht zahlen. Sie haben ihn gewarnt, dass er mit Konsequenzen zu rechnen hätte.“
„Wann hat er ihnen gesagt, dass er nicht würde zahlen können?“
„Vor zwei Tagen“, sagt sie und ihre Augen nehmen einen panischen Ausdruck an. „Er kam sehr besorgt nach Hause. Die ganze Nacht konnte er nicht schlafen. Er wollte, dass ich aus der Stadt verschwinde, aber ich wollte nicht gehen. Ich wollte ihn nicht allein lassen. Er war überzeugt davon, dass sie ein Exempel an ihm statuieren würden. Zwar hatte er ihnen gesagt, dass er nur etwas Zeit bräuchte, aber das hatte er nun schon zum zweiten Mal in Folge gesagt. Zwei Wochen vorher waren sie auch da gewesen, um das Geld abzuholen. Da er kein Geld hatte, erlaubten sie ihm diese Gnadenfrist. Er hatte wirklich Angst. Er versuchte sogar eine zweite Hypothek auf unser Haus aufzunehmen, aber sein Antrag wurde abgelehnt. Wir waren nicht kreditwürdig.“
„Hat er Ihnen jemals die Namen der Polizisten genannt?“
Mit der Hand reibt sie sich über ihre Stirn. „Ja. Ein Detective Keegans und ein anderer Mann namens Rollins. Sie kommen nie in Polizeiuniform, sondern in Zivil. Es ist grausam, was sie den Unternehmen antun. Wir alle haben Probleme, genug Essen auf unseren Tisch zu bekommen und dann nehmen sie uns noch das Wenige, das uns als Rücklage dienen sollte. Und jetzt haben sie diesen Mord begangen, um alle anderen Geschäfte zu warnen. Jeder Ladenbesitzer in unserer Umgebung weiß, wer es getan hat. Aber niemand würde etwas sagen, weil sie alle viel zu viel Angst haben.“
Schließlich brechen alle Dämme und Mrs Brauer muss aufstehen, um sich ein Taschentuch zu holen. Sie knüllt es zusammen und wischt sich die Tränen vom Gesicht. „Können Sie irgendetwas tun, um sie aufzuhalten? So etwas sollte nicht geschehen. Wir sind hier in Amerika.“
„Ich werde tun, was ich kann. Vielleicht brauche ich dafür aber Ihre Zeugenaussage“, sage ich. „Ihr Ehemann ist nicht das erste Opfer dieses Verbrecherzirkels. Ich habe fast schon genug Beweise, um sie dem Staatsanwalt zu übergeben. Allerdings brauche ich Ihre Hilfe. Sind Sie bereit auszusagen?“
Zögernd sieht sie mich an und hebt dann ihr Kinn: „Ja, das würde ich. Wenn ich dafür sorgen kann, dass diesem verbrecherischen Pack das Handwerk gelegt wird, dann sage ich aus.“
„Mrs Brauer, gibt es einen sicheren Ort, an dem Sie die nächsten Wochen verbringen könnten? Ich bin sehr um Ihre Sicherheit besorgt.“
„Ich habe mir bereits Gedanken gemacht“, antwortet sie. „Ich werde die Stadt verlassen. Vor allem will ich meine Tochter von alldem fernhalten. Ich will ihr nicht zu viel verraten, weil ich nicht weiß, ob sie den Mund halten kann. Sonst werden sie auch sie umbringen.“
„Das ist eine gute Idee. Irgendein Ort, an dem niemand nach Ihnen suchen würde. Nur so lange, bis die Verbrecher entlarvt sind.“
Ihr Blick wandert auf den Boden und sie scheint zu überlegen, wohin sie gehen könnte. „Also gut“, sagt sie. „Wollen Sie wissen, wohin ich gehe?“
„Muss ich nicht“, erwidere ich, damit sie sich sicher fühlt. „Aber es wäre gut, mit Ihnen in Kontakt zu bleiben, falls ich Sie brauche. Geben Sie mir am besten eine Telefonnummer oder so.“
Nickend wendet sie sich einem kleinen Schreibtisch in der Ecke des Raumes zu und schreibt eine Nummer auf einen Klebezettel, den sie mir reicht. „Das ist meine Handynummer. Meinen Sie, man könnte mich damit aufspüren?“
„Vielleicht“, sage ich. „Es wäre keine schlechte Idee, sich ein weiteres Handy zuzulegen. Für alle Fälle. Mit einer anderen Nummer. Sie könnten sich bei Walmart ein Wegwerfhandy besorgen, oder in einem Drogeriegeschäft.“ Dann streiche ich die Nummer durch, die sie mir aufgeschrieben hat, und schreibe meine eigene geheime Nummer darunter. „Sobald Sie sich eins besorgt haben, schreiben Sie mir Ihre Nummer per SMS. Das sollte sicherer sein. Kaufen Sie im Laden auch eine SIM-Karte mit Freiminuten. Aktivieren Sie sie auf keinen Fall mit Ihrer Kreditkarte.“
Mrs Brauer fasst sich an den Kopf und zupft an ihrem Pony, als würden ihre Schläfen unangenehm pochen. „Ich hätte darauf bestehen sollen, dass er die Stadt verlässt. Ich hätte ihn nicht zur Arbeit gehen lassen dürfen …“
„Diese Männer sind gnadenlos. Sie sind brutal. Ich rate Ihnen, sich mit niemandem aus dem Polizeidepartment mehr zu unterhalten.“
„Ich weiß. Wie sollte ich auch nur einem von ihnen noch vertrauen? Ich hätte auch Ihnen misstraut, hätten Sie nicht mit dem Thema angefangen.“
„Verhalten Sie sich einfach ruhig. Es ist sehr wichtig, dass keiner von ihnen ahnt, dass wir ihnen auf die Schliche gekommen sind.“
Plötzlich läuft ihr Gesicht rot an und die Adern an ihren Schläfen treten hervor. „Wir hätten einfach zahlen sollen. Selbst wenn wir dann unsere Hypothek oder das Schulgeld nicht hätten zahlen können. Ich wäre lieber pleite, als dass mein Ehemann tot ist“, sagt sie.
„Mrs Brauer, tun Sie sich das nicht an. Nichts davon ist Ihre Schuld.“ Ich stehe auf und lasse meine Hände in die Hosentaschen gleiten. „Es tut mir so leid, Mrs Brauer. Ich kann mir kaum vorstellen, wie hart das alles für Sie sein muss. Aber ich werde alles in meiner Macht Stehende tun, um Ihnen zu helfen.“
Sie begleitet mich zur Tür und wartet dort, während ich auf die Veranda hinaustrete. „Halten Sie durch!“, sage ich.
Während ich auf mein Auto zugehe, spreche ich ein stilles Gebet für Mrs Brauer, ihre Tochter und jede Person, die ihnen etwas bedeutet. Ich bete dafür, dass Gott sie bewahrt und Keegan sie nicht zu fassen bekommt.
Bevor ich den Wagen starte, werfe ich einen Blick zurück auf das Haus. Der Rasen ist gemäht, das Haus scheint gut gepflegt zu sein. Ohne Zweifel leben hart arbeitende Menschen darin, die etwas Besseres verdienen als das hier. Und jetzt ist ein liebender Ehemann tot, weil diese Verrückten ihre Position missbrauchen, die ihre Dienstmarke ihnen verleiht.
Das kann ich einfach nicht zulassen. Diese Bürger müssen ihrer Polizei vertrauen können. Und wenn es das Letzte ist, was ich tun werde, ich will auf jeden Fall dafür sorgen, dass den Brauers Gerechtigkeit widerfährt.