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8 Casey

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Kaum bin ich zu Hause angekommen, beginne ich mit der Arbeit. Ich brauche dringend Geld und außerdem will ich einen guten Eindruck machen. In meinem Zimmer suche ich nach sämtlichen Motels in den Städten, die Mr Barbero mir genannt hat. Auf Google Earth schaue ich mir jeweils die Luftaufnahmen der Pools an.

Die meisten Motels besitzen keinen Poollifter, soweit ich das beurteilen kann. Das verwundert mich, denn immerhin ist das ein Verstoß gegen das amerikanische Gesetz zur Gleichberechtigung behinderter Personen.

Bevor ich die einzelnen Motels anrufe, suche ich nach dem Gesetz und überfliege die einzelnen Absätze. Schließlich stoße ich auf den Teil mit den Poolliftern. Und tatsächlich verlangt das Gesetz, dass jedes Unternehmen über einen Poollifter verfügen muss, sobald es einen Pool hat.

Dann suche ich die Telefonnummer des ersten Motels heraus – ein kleines, privates Motel mit ungefähr dreißig Zimmern – und rufe an. Eine Frauenstimme meldet sich.

„Guten Tag“, sage ich, „ich würde gerne bei Ihnen ein Zimmer mieten. Da ich aber in Begleitung eines Rollstuhlfahrers sein werde, wollte ich mich zunächst erkundigen, ob Sie einen Poollifter besitzen.“

„Einen was?“, fragt die Frau nach.

„Einen Poollifter. Sie wissen schon, eine Vorrichtung, mit deren Hilfe rollstuhlgebundene Menschen in den Pool gelangen können.“

„Ähm … Ich habe keine Ahnung. Bitte warten Sie einen Moment.“

Die Frau setzt mich in die Warteschleife, bis nach ein paar Minuten ein Mann das Wort ergreift: „Guten Tag, hier ist der Besitzer. Wie kann ich Ihnen helfen?“

Ich wiederhole meine Frage nach dem Poollifter.

„Wollen Sie reservieren?“, fragt er.

„Noch nicht“, antworte ich. „Ich wollte mich erst nach Ihrer Ausstattung erkundigen.“

Stille.

Ein unangenehmes Gefühl befällt mich und ich frage: „Also, haben Sie einen?“

Ich warte einen Moment. „Hallo?“, frage ich erneut und merke, dass der Mann aufgelegt hat.

Auf dem Zettel, den ich für Mr Barbero ausfülle, schreibe ich: „Hat aufgelegt, als ich fragte.“

Ein paar Minuten später versuche ich es erneut und frage die Frau, die abhebt, nach dem Namen des Besitzers. Sie gibt ihn mir und ich notiere ihn. Ob er jetzt wohl verklagt wird?

Anschließend rufe ich das zweite Motel auf meiner Liste an. Diesmal sagt die Person am Telefon: „Sehen Sie, ich weiß genau, was Sie da versuchen. Sie gehören zu einer dieser Google-Anwaltskanzleien, richtig? Wenn Sie eine Reservierung beantragen möchten, dann bitte. Wir werden dafür sorgen, dass ein Poollifter vorhanden sein wird.“

„Heißt das, dass Sie bis jetzt noch keinen haben?“, frage ich und bekomme ein mulmiges Gefühl.

„Wann würden Sie denn gerne kommen?“, will der Mann wissen. Als ich einen Moment still bin, sagt er: „Ich habe zwei Kinder im College. Haben Sie überhaupt ein Gewissen?“

Das erschüttert mich. Ich runzle die Stirn, weil ich mich für etwas verantwortlich gemacht fühle, von dem ich keine Ahnung habe. „Ja, ich … ich überprüfe doch nur …“

„Das ist kriminell!“, fährt der Mann fort. „Jawohl … ich habe einen Poollifter, okay?“

„Aber Sie sagten doch …“

„Verklagen Sie mich doch!“, brüllt er mich an. „Ich besitze einen Zehntausend-Dollar-Lifter. Verschwenden Sie ruhig Ihre Zeit mit mir, wenn Sie wollen!“

Nachdem ich aufgelegt habe, starre ich auf das Satelliten-Bild des Motels auf meinem Computer. Was war das eben? Habe ich mich in noch größere Schwierigkeiten gebracht?

Gerade als ich die Worte des Mannes notiere, ruft Claire mich an. Ich hebe ab. „Hey, Claire.“

„Liana?“, fragt sie. „Hör zu, ich weiß, dass es sehr spontan ist, aber ich frage mich, ob du mich nicht abholen könntest, damit ich ein paar Besorgungen machen kann.“

Ich werfe einen Blick auf meine Arbeit. Eigentlich könnte ich doch meinen Computer mitnehmen und die Google-Suche im Auto fortsetzen. Die Anrufe bei den Motels, die die Vorschrift nicht befolgen, werde ich einfach später nachholen.

Auf dem Weg zu Claire zieht sich mein Magen zusammen. Nachdem ich in ihre Einfahrt eingebogen bin, klingle ich sie an. Statt abzunehmen, kommt sie direkt aus dem Haus gelaufen, Butch an ihrer Seite. Zielstrebig läuft sie auf mein Auto zu, öffnet die Hintertür für Butch und setzt sich selbst zu mir nach vorne.

„Tut mir leid, dass ich mich so kurzfristig gemeldet habe“, sagt sie. „Aber du hattest dich als Fahrerin angeboten. Außerdem dachte ich, dass du etwas Geld gebrauchen könntest.“

„Stimmt“, sage ich. „Ist schon in Ordnung. Wohin soll es denn gehen?“

„Erst muss ich in den Drogeriemarkt und dann zur Bank.“

„Kein Problem“, sage ich und fahre zu der Adresse, die sie mir nennt. Vor dem Eingang halte ich an und lasse Claire und Butch aussteigen. Ich beobachte, wie sie sich an der Wand entlangtastet, bis sie bei der automatischen Schiebetür angelangt ist. Anschließend parke ich rückwärts in einer Parklücke ein, um sie beim Herauskommen nicht zu übersehen.

Claire meinte, sie würde etwa fünfzehn Minuten brauchen. Deswegen logge ich mich in dem internen WLAN des Geschäfts ein und recherchiere weiter. Diesmal finde ich sogar ein paar Motels mit einem Poollifter, dabei handelt es sich aber auch um größere Anlagen. Von den kleineren Motels hat keins einen Lifter. Ich notiere mir die Namen der Motels und ihrer Besitzer mitsamt Telefonnummer. Später werde ich sie anrufen, wenn ich weniger unruhig bin.

Als ich Claire entdecke, die aus dem Laden kommt, schließe ich meinen Laptop und öffne das Seitenfenster. „Hier bin ich“, rufe ich und Claire lässt sich von Butch zu meinem Wagen führen. Anschließend fahre ich sie zur Bank. Nachdem sie auch dort alles erledigt hat, möchte sie mich zum Mittagessen einladen.

„Sehr gern“, antworte ich, „aber nicht auf deine Kosten. Ich zahle für mich selbst.“

Claire schlägt ein kleines Café vor und bevor wir hineingehen, nehme ich unauffällig die Armschlinge ab. Während wir auf einen Tisch im hinteren Bereich des Cafés zusteuern, lasse ich meine Sonnenbrille auf. Vielleicht denken die Leute ja, dass ich auch blind bin. Ich wähle den Stuhl, der mit der Lehne zum Rest der Gäste zeigt.

„Das macht Spaß“, sagt sie. „Ich komme tagsüber nicht oft dazu, auswärts zu essen.“

Nachdem der Kellner unsere Getränke gebracht und Claire an ihrem genippt hat, fragt sie: „Und? Wie findest du es, für Billy zu arbeiten?“

„Ich bin mir noch nicht sicher“, gestehe ich und erzähle von dem Kerl am Telefon, der wissen wollte, ob ich ein Gewissen hätte. „Ehrlich gesagt habe ich ein wenig Mitleid mit dem Mann. Ich meine, irgendwie hat er mir das Gefühl gegeben, etwas falsch zu machen. Billy verklagt die Leute nicht einfach nur aufgrund dieser Informationen, oder? Ich meine, gibt er ihnen wenigstens eine Chance, die Dinge zuerst selbst zu regeln? Lässt er ihnen Zeit, um sich einen Poollifter anzuschaffen, bevor er mit dem Prozess vor der Türe steht?“

„Das sollte er wohl“, sagt Claire. „Meiner Meinung nach geht es doch vor allem darum, dass Unternehmen behindertengerecht ausgestattet werden, und nicht darum, ihnen einfach eine Klage um die Ohren zu hauen.“

„Aber Billy verklagt eine ganze Menge Leute, oder?“

„O ja, das tut er. Viele Unternehmen verstoßen gegen dieses Gesetz.“

„Also verwendet er deinen Namen, wenn er ein Unternehmen für etwas anklagt, das eine blinde Person beeinträchtigen könnte?“

„Genau. Ihm stehen mehrere Namen von Menschen mit den unterschiedlichsten Behinderungen zur Verfügung und außerdem ist er selbst auf den Rollstuhl angewiesen. Allerdings bezweifle ich, dass er jede Klage in seinem eigenen Namen verfassen kann.“

„Bekommst du wenigstens einen prozentualen Anteil der gewonnenen Prozesse?“

„Nein, bloß eine Pauschalbezahlung. Ich habe keine Ahnung, was so eine Klage einbringt, oder was Billy dadurch bekommt.“

Was bedeutet, dass Billy sich Millionen in die eigene Tasche stecken könnte. Ich atme tief ein. „Ich weiß nicht. Ich fühle mich einfach so, als würde ich etwas Unehrliches tun. Vielleicht sogar etwas Illegales.“

„Es ist nicht illegal!“ Claires Stimme klingt jetzt gereizt. „Das Gesetz ist sehr spezifisch. Wenn es illegal wäre, dann würde Billy die Prozesse nicht gewinnen.“

„Aber trotzdem tue ich so, als würde ich reservieren wollen. Ich sage, dass ich für meinen Aufenthalt einen Poollifter brauche, obwohl das nicht stimmt. Ich schiebe ihnen förmlich die Schuld in die Schuhe. Wenn ich wirklich einchecken wollte und tatsächlich behindert wäre, könnte ich solch eine Beschwerde verstehen. So aber suche und finde ich einfach nur einen Schuldigen, obwohl keiner deswegen benachteiligt ist. Und wenn sie nicht einmal die Möglichkeit bekommen, den Schaden zu beheben …“

„Ich habe nicht gesagt, dass sie diese Möglichkeit nicht bekommen. Ich habe gesagt, dass ich es nicht weiß.“

Um nicht weiterhin so anklagend zu klingen, dämpfe ich meine Stimme. „Dieser Mann hat Google-Anwaltskanzleien erwähnt. Das scheint es tatsächlich zu geben. Ich habe danach gegoogelt und tatsächlich gibt es Anwälte, die genau das tun. Sie verwenden Google Earth, um wahllos nach Unternehmen zu suchen, die gegen irgendeine Vorschrift verstoßen. Anschließend verklagen sie diese Einrichtung, ohne auch nur einen Fuß hineingesetzt zu haben. Dieser Besitzer hat Kinder im College.“

„Wow, du hast wirklich eine Menge über diesen Mann erfahren, oder?“

Ich nippe an meinem Getränk. „Ich will Menschen aus Fleisch und Blut einfach ungern ausnutzen, verstehst du?“

„Das will ich ebenso wenig. Aber wenn du es nicht magst, dann musst du es nicht tun.“

Unser Essen wird gebracht und wir warten schweigend, bis die Bedienung wieder verschwindet. Claire steckt sich eine Pommes in den Mund und sagt dann: „Vielleicht übertreibst du ein wenig. Billy und Marge sind großartig. Anspruchslose, demütige Menschen.“

„Ja“, sage ich. „Es ist nur so, dass ich ein Pärchen kannte, das eben durch solche falschen Anschuldigungen andere Leute zu Unrecht angeklagt haben. Das waren schreckliche Leute.“

„Ich verstehe. Aber das hat nichts mit Betrug zu tun. Wenn Billy sie dafür anklagt, dass sie keinen Poollifter besitzen, dann müssen sie sich nur einen Poollifter anschaffen.“

„Nicht nur … Sie müssen außerdem eine große Summe Schadensersatz aufbringen. Das könnte einige Unternehmen in den Ruin treiben.“

„Ich glaube nicht, dass Billy irgendwen in den Ruin treiben möchte. Sicher geht alles mit rechten Dingen zu.“

„Ja, bestimmt.“

Einen kurzen Moment lang starrt Claire vor sich hin. „Meiner Meinung nach hast du ein ziemlich aktives Gewissen.“

Ich lache auf. „Ja, vermutlich. Es ist nur … ich habe in letzter Zeit viel über das Christsein gelernt. Ehrlichkeit ist eine wichtige Sache. Ich will wirklich nicht, dass … du weißt schon … dass Gott böse wird oder so.“

Jetzt lacht auch Claire. „Glaub es oder nicht, aber ich will ihn auch nicht gerade wütend machen. Auch ich gehe zur Kirche.“

Obwohl ich es nicht ausspreche, glaube ich eigentlich, das Christsein nicht nur darin besteht, in die Kirche zu gehen. „Ich beschäftige mich erst seit Kurzem damit“, sage ich. „Wahrscheinlich weißt du das alles schon seit vielen Jahren. Aber ich bin immer noch in dieser Phase, in der mich alles überwältigt. Also ernsthaft … Jesus hat sich für meine Sünden kreuzigen lassen. Und dadurch kann ich jetzt gereinigt werden, zweitausend Jahre später?“

Claires Augen sind auf meine linke Schläfe gerichtet. „Ja, das ist ganz schön verrückt, was?“, fragt sie.

„Im Gottesdienst hat der Pastor darüber gesprochen, dass Jesus für uns betet. ‚Sich für uns einsetzt‘ waren, glaube ich, seine Worte. Wahrscheinlich war das der Moment, in dem ich zum ersten Mal begriffen habe, dass es Jesus wirklich gibt. Und zwar heute. Dass er lebendig ist … Weißt du?“

An ihrem Gesichtsausdruck kann ich ablesen, dass es wohl schon einige Zeit her sein muss, seit sie sich darüber Gedanken gemacht hat. Bin ich wohl zu weit gegangen? Erst überlegt Claire eine Weile, dann sagt sie: „Es ist spannend, dabei zu sein, wenn jemand den Glauben zum ersten Mal entdeckt. Für viele von uns wird er zum alten Hut.“

„Wie kann Glaube jemals alt werden?“, frage ich verwundert.

„Keine Ahnung“, antwortet sie. „Vielleicht werden wir allmählich immun.“

„Immun“, wiederhole ich. „Ja, das klingt plausibel. Du hörst es so oft, dass du anfängst es auszublenden. Wenn ich zum Glauben komme, dann will ich niemals so werden.“

„Wenn du zum Glauben kommst? Für mich hört es sich so an, als glaubst du bereits.“

Das Herz rutscht mir in die Hose und ich weiß, dass ich ihr mein Zögern nicht erklären kann. „Vermutlich befinde ich mich gerade in einer Phase, in der ich verschiedene Möglichkeiten abwäge.“

Ihr Blick wandert hinab zu ihrem Getränk. „Ich weiß, dass ich wohl als lauwarm bezeichnet werden kann. Ehrlich gesagt ist mir das bis jetzt gar nicht aufgefallen. Aber trotzdem kann ich dir einen Rat geben: Warte nicht.“

Plötzlich laufen ihre Wangen rot an und ich merke, dass sie es ernst meint. „Ernsthaft“, fährt sie fort, „wenn du so begeistert von Jesus bist, mach es fest! Dieses Gefühl kann verschwinden und kommt vielleicht nicht wieder. Für mich hört es sich so an, als würde Jesus um dich werben.“

„Er klopft an meine Tür“, sage ich, weil ich letzte Nacht darüber etwas in der Bibel gelesen habe.

„Genau. Lass ihn rein.“

Niemals hätte ich erwartet, dass dieses Mittagessen auf so ein Gespräch hinausläuft. Wir schweigen beide, während wir essen. Anschließend schneiden wir das Thema nicht wieder an. Trotzdem bleiben mir ihre Worte den ganzen Tag über im Kopf.

Nur wenn ich lebe

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