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Wie ein langer Zug einen Schwimmer schneller macht

Bereits mehrere Jahre lang hatte ich das Ausnahmetalent Aaron Peirsol bei Jugendwettkämpfen in Südkalifornien genau beobachtet. 1998 schrieb mir dann Ted Isbell (Aaron war zu diesem Zeitpunkt 14 Jahre alt) folgende E-Mail: »Ich hatte oft Gelegenheit, Aaron beim Schwimmen zuzuschauen, weil er in der gleichen Altersgruppe wie mein Sohn schwamm. Obwohl Aaron immer der schnellste Schwimmer war, schwamm er durchweg mit weniger Zügen als alle anderen. Ich habe mit meinen Fingern einen Ring gebildet und hindurch geschaut, um ihn von den anderen Schwimmern abzugrenzen. Er schien so spielend ruhig zu schwimmen, dass es nicht einmal so aussah, als sei es für ihn ein Wettkampf. Ich wechselte zum nächsten Schwimmer, und dieser schien viel stärker zu kämpfen. Als ich die Hand wegnahm, war ich überrascht, wie viel Vorsprung Aaron in der kurzen Zeit gewonnen hatte.«

2002 brach Peirsol im Alter von 17 Jahren den Weltrekord über 200 Meter Rücken. Zwölf Jahre später hält er immer noch die Weltrekorde über 100 und 200 Meter Rücken. Im Schwimmen sind zwölf Jahre eine ungewöhnlich lange Zeit, um einen Weltrekord zu halten. Peirsol blieb von 2002 bis 2010 an der Spitze der Weltrangliste im Rückenschwimmen. Er gewann 2004 und 2008 fünf olympische Goldmedaillen, was ihn zu einem der herausragenden Schwimmer aller Zeiten machte.

Während der letzten 60 Jahre hat fast jeder Schwimmer, der die Weltranglisten in seiner Lage wirklich dominierte (vom Australier Murray Rose, dem besten Langstreckenschwimmer in den 1950ern, bis hin zu Michael Phelps und dem Chinesen Sun Yang in den letzten Jahren), sich auch dadurch ausgezeichnet, dass er atemberaubend schnell schwamm, aber den Eindruck erweckte, dass er weit weniger Aufwand dafür treiben musste als seine Konkurrenten.

Ich war lange überzeugt, dass es angeborenes Talent sein musste. Aber inzwischen habe ich viele durchschnittliche Schwimmer gesehen – einschließlich einiger, die vorher kaum eine einzige Länge schwimmen konnten –, die es geschafft haben, genauso geschmeidig und entspannt zu schwimmen wie die Eliteschwimmer, wenn auch etwas langsamer.

Sobald Sie das Geheimnis des effizienten Schwimmens verstanden und verinnerlicht haben, können auch Sie die nötigen Bewegungsabläufe bewusst üben, und ich verspreche Ihnen: Es dauert nicht lange, bis Sie viel besser schwimmen werden als zuvor. Wahrscheinlich werden Sie nicht so schnell schwimmen wie Aaron Peirsol, aber Sie werden Ihr individuelles Potenzial voll ausschöpfen.

Der Schlüssel liegt in dem, was Ted Isbell aufgefallen war, als er Peirsol bei Jugendwettkämpfen beobachtete: ein längerer Schwimmzug. Die große Bedeutung der Zuglänge ist schon lange bekannt, und trotzdem versuchen die meisten Schwimmer immer noch, zum Erfolg zu kommen, indem sie »Kilometer fressen«. Unglücklicherweise führen längere Trainingseinheiten und eine höhere Trainingsintensität bei all jenen unter uns, denen nicht das Ausnahmetalent der Eliteschwimmer in die Wiege gelegt wurde, nur dazu, dass die Züge kürzer und die Zeiten langsamer werden. Oder anders gesagt: Harte Arbeit, die nachlässig ausgeführt wird, verhindert fast zwangsläufig, dass man Fortschritte macht.

Der menschliche Instinkt im Wasser erweist sich als der bei weitem hinderlichste Faktor. Wenn wir schneller schwimmen wollen, denken wir zuerst daran, mit den Armen schneller zu ziehen. Wenn man jedoch nicht mit dem Talent eines Aaron Peirsol gesegnet ist, ist das nur ein sicheres Rezept, um mehr Energie zu verschwenden und schneller zu ermüden – und sicherlich nicht, um bessere Zeiten zu erreichen.

Zuglänge: Das Markenzeichen der Sieger

Warum wissen wir, dass die Zuglänge wichtig ist? Bei jeder seriösen Untersuchung von Wettkampfresultaten – sei es auf Anfängerniveau oder bei nationalen Meisterschaften – hat sich immer wieder ein Erfolgsfaktor mit großer Konstanz als entscheidend erwiesen: Die schnelleren Schwimmer brauchen weniger Züge als die langsameren Schwimmer. Gleichzeitig gibt es keine einzige Studie, die je eine bessere aerobe Kapazität oder größere Trainingsumfänge als Schlüssel zu schnelleren Schwimmzeiten nachgewiesen hätte.

Wie wichtig ist die Kraft? Obwohl viele Athleten viele Stunden im Kraftraum mit Gewichtheben verbringen oder in jedem Training mit Paddles sowie anderen Widerstand erzeugenden Geräten schwimmen, haben Forscher immer wieder festgestellt, dass Weltmeister und Olympiasieger weniger Zugkraft aufwenden als ihre weniger erfolgreichen Konkurrenten. Sie brauchen nicht so viel Kraft, um schneller zu schwimmen, weil ihre Bewegungsabläufe und ihre Wasserlage so geschmeidig und stromlinienförmig sind.

Das bedeutet nicht, dass Fitness unwichtig wäre. Wenn man über lange Distanzen mit hoher Geschwindigkeit unterwegs ist, muss man fit sein, um einen langen effizienten Zug aufrechtzuerhalten. Bei Olympischen Spielen ist praktisch jeder Athlet, der sich qualifiziert hat, auf dem Höhepunkt seiner Fitness. Aber im Rennen ist praktisch immer der effizientere Schwimmzug das entscheidende Kriterium für den Sieg.

Eine kurze Anleitung zur Verbesserung der Zuglänge

Die Zuglänge ist im Schwimmsport vermutlich eine der am wenigsten verstandenen Variablen. Definiert ist die Zuglänge (ZL) als die Distanz, die mit einem Schwimmzug zurückgelegt wird. Der zweite Faktor, der in diesem Zusammenhang entscheidend ist, ist die Anzahl der Züge pro Länge (ZpL). Die beiden Größen stehen in einem reziprok proportionalen Verhältnis: Wenn die ZL größer wird, nimmt die ZpL entsprechend ab.

Wenn Schwimmer begreifen, dass eine große Zuglänge wichtig ist, versuchen Sie zunächst instinktiv, diese zu verlängern, indem sie mit den Händen weiter nach hinten ziehen. Damit jedoch können Sie Ihre Zuglänge praktisch nichtverbessern – vielmehr sorgen Sie lediglich dafür, dass Ihre Armmuskeln schneller ermüden. Halten Sie sich immer vor Augen: Die Zuglänge hat nichts damit zu tun, wie weit man die Hand nach hinten zieht, sondern hängt letztlich nur davon ab, wie weit sich der Körper während eines jeden Armzugs im Wasser vorwärtsbewegt. Was Sie also während eines Armzugs tun, um den Widerstand zu reduzieren, hat einen viel größeren Einfluss auf die Zuglänge als die Art und Weise, wie Sie mit der Hand ziehen.

Wenn Sie zum Beispiel effizient Brust schwimmen, gleiten Sie während 80 Prozent des Zugzyklus stromlinienförmig knapp unter der Wasseroberfläche voran. Wie stromlinienförmig der Körper dabei gehalten wird, ist viel wichtiger als die Details des Armzugs.

Weniger Widerstand statt mehr Vortrieb

Um die Zuglänge zu vergrößern, ist es weitaus bedeutsamer, den Wasserwiderstand effektiv zu reduzieren, als den Vortrieb zu erhöhen. Das gilt insbesondere für nicht so geübte Schwimmer: Bei ihnen wird 90 Prozent der Zuglänge dadurch bestimmt, wie erfolgreich sie Widerstand vermeiden, und nur 10 Prozent durch die Vortriebskraft. Seit ich Total Immersion gründete, habe ich ein Vierteljahrhundert lang selbst unermüdlich an meiner Effizienz gearbeitet. Von 1989 bis 2001 habe ich mich dabei ausschließlich der Reduzierung des Wasserwiderstands gewidmet, und ich war während dieser kompletten Zeitspanne in der Lage, kontinuierlich kleine Fortschritte zu machen.

Es liegt auf der Hand, dass ein langer Schwimmzug weniger Energie verbraucht als ein kurzer Schwimmzug. Im Wasser aber ist die Effizienz der Züge aus drei Gründen ganz besonders wichtig:

1. Eine hohe Zugfrequenz (und somit eine kleinere ZL) erhöht den Energiebedarf dramatisch. Wenn Sie die Zugfrequenz verdoppeln, so vervierfacht sich der Wasserwiderstand.

2. Mit einer höheren Zugfrequenz und der damit verbundenen höheren Herzfrequenz können Sie die Technik nicht sauber aufrechterhalten. Wenn sich die Herzfrequenz erhöht, geht das zumeist auf Kosten des Stils, und das kostet Energie.

3. Mit höherer Zugfrequenz verursachen Sie mehr Turbulenzen und bewegen viel Wasser, was aber Ihren Körper nicht schneller durchs Wasser bewegt.

Wie man mit der Zuglänge Rennen gewinnt

Wenn es Ihnen gelingt, mit langen Zügen zu schwimmen, stehen Ihnen in Wettkämpfen Optionen offen, die ein ineffizienter Schwimmer nicht besitzt. Das offenbart sich speziell gegen Ende eines Rennens, wenn alle müde werden. Dann werden Unterschiede in der Effizienz entscheidend. Eine Untersuchung aller Rennen für die Olympiaqualifikation in den USA seit 1976 (mit mehr als 9.000 einzelnen Läufen) ergab, dass die erfolgreichen Schwimmer jeweils mit einem leichten Vorteil in der Zuglänge begannen und dass dieser Unterschied dann auf der letzten Länge nochmals wesentlich zunahm. Wenn die Topschwimmer der Welt bei internationalen Wettkämpfen zusammenkommen, werden die Medaillen meist in der zweiten Rennhälfte vergeben. Auf den letzten Längen tendieren alle Schwimmer dazu, die Zugfrequenz zu erhöhen, und handeln sich dafür Einbußen in der Zuglänge ein. Praktisch alle Rennen werden dann von jenen Schwimmern gewonnen, denen es gelingt, eine gute Zuglänge länger aufrechtzuerhalten, und nicht von jenen, die am schnellsten ziehen.

Ein Vorteil dieser Strategie ist, dass man mit einer größeren Zuglänge zu Beginn des Rennens mit einer niedrigeren Herzfrequenz schwimmen kann. Die weniger effizienten Schwimmer müssen von Beginn an härter arbeiten, um zu verhindern, dass sie hinter die effizienteren Schwimmer zurückfallen, die auf der Nebenbahn geschmeidig vorausgleiten. Und da sowohl die Herz- als auch die Zugfrequenz eines Athleten nach oben limitiert ist, haben die effizienteren Schwimmer mehr Spielraum und können beides nochmals steigern, wenn es im Rennen zur Sache geht.

Wenn Sie selbst bereits Wettkämpfe geschwommen sind, kennen Sie vermutlich das unangenehme Gefühl, wenn Ihnen die Konkurrenten gegen Ende des Rennens davonschwammen – und Sie haben sicher gedacht, dass Sie härter trainieren müssen. Ich selbst habe viele Jahre damit verbracht, extrem hart zu trainieren, und wurde trotzdem von den Konkurrenten abgehängt. Erst viel später gelang es mir, den Spieß umzudrehen. Dafür musste ich aber erst lernen, dass es viel mehr bringt, die Anzahl der Züge pro Länge systematisch zu reduzieren, anstatt die Trainingsumfänge und -belastungen zu steigern.

Von 1996 bis 1999 trainierte ich die Sprinter der Militärakademie USMA West Point mit dieser Strategie – weniger Wasserwiderstand und längere Züge anstelle von höherem Trainingsumfang mit höherem Puls. Jeder Schwimmer, der bei mir trainierte, erreichte nun bessere Zeiten als je zuvor, und das Team feierte in diesen Jahren deutlich mehr Erfolge als davor oder danach.

Wenn auch Sie das Gefühl der Hilflosigkeit in Wettkämpfen überwinden wollen, sollten Sie so schwimmen, wie es die Weltmeister tun. Beginnen Sie das Rennen mit einer Zugzahl in der unteren Hälfte Ihres persönlichen Effizienzbereichs (mehr dazu in Kapitel 5). Erhöhen Sie dann die Zahl um einen Zug (pro Länge) im mittleren Teil und um einen oder zwei weitere Züge gegen Ende der Distanz. So können Sie die Rennen selbst kontrollieren. Dies erreichen Sie, indem Sie sich schon im Training auf die Verringerung der ZpL konzentrieren.

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