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Der neue Weg: Erst der Geist, dann die Muskeln

Total Immersion ist im Allgemeinen vor allem dafür bekannt, effizientes Schwimmen durch Technikübungen zu lehren, aber ich denke, der größte Unterschied zwischen TI und traditionellem Schwimmunterricht besteht in der Vorstellung, dass richtiges Schwimmen weniger mit Muskeln als mit dem Geist zu tun hat. Oder anders gesagt: Der TI-Methode liegt die Überzeugung zugrunde, dass Schwimmen durch »Übungen« wie im Yoga oder im Tai Chi und nicht durch »Training« vermittelt werden muss.

Meine erfolgreichsten Schüler – sowohl jene, die schneller und ausdauernder werden wollten, als auch jene, die zur Verbesserung von Gesundheit und Wohlbefinden schwimmen – haben diesen Ansatz verfolgt. Deshalb halte ich es für sinnvoll, auch in diesem Buch zunächst die geistigen Aspekte des Schwimmens zu beleuchten, bevor ich auf die körperliche Seite eingehe.

Wenn ich TI-Trainer ausbilde, lege ich immer großen Wert darauf, dass es deren höchste Verantwortung ist, nicht bloß effiziente Schwimmzüge zu vermitteln, sondern die Leidenschaft fürs Schwimmen zu entfachen. Hat man erst einmal die Passion fürs Schwimmen entwickelt, kann einem praktisch nichts mehr davon abhalten, sein volles Potenzial zu entfalten. Ich möchte in diesem Zusammenhang auf zwei vergleichsweise junge Forschungsfelder hinweisen, die aufgezeigt haben, dass Leidenschaft eine Kraft ist, die Veränderung herbeiführen kann: die Positive Psychologie und die Lehre vom Flow.

Etwa zu der Zeit, als ich Total Immersion gründete, begann der Psychologe Martin Seligman, die Charakterzüge von Menschen zu studieren, die schwere Lebensprobleme mit Erfolg meisterten. Er nannte dies »Positive Psychologie«. Seligman schrieb in seinem Buch Learned Optimism (auf Deutsch: Pessimisten küsst man nicht), dass Engagement und die bewusste Suche nach Sinn größeren Einfluss darauf nehmen, ob jemand sein Leben als befriedigend empfindet, als Geld, Familienstand, Glaube oder jeder andere Faktor.

Auch der in Ungarn geborene Psychologe Dr. Mihaly Csikszentmihalyi hat in seinem Buch Flow: The Psychology of Optimal Experience (auf Deutsch: Flow – Der Weg zum Glück) die herausragende Bedeutung der inneren Einstellung betont. Dieses Buch hatte einen tiefgreifenden Einfluss auf meine Unterrichtspraxis. Csikszentmihalyi definiert »Flow« als den Zustand des vollständigen Eintauchens (»Total Immersion«) in eine Aufgabe, die zwar sehr anspruchsvoll, aber den eigenen Fähigkeiten angemessen ist. Er beschrieb die Flow-Erfahrung wie folgt:

Ausführen einer Tätigkeit, die zutiefst befriedigend ist.
Ausgewogenes Verhältnis zwischen Anforderung und Können: Die Tätigkeit ist nicht zu einfach und nicht zu schwierig.
Intensive Konzentration auf klare Ziele.
Direktes und unmittelbares Feedback.
Das Gefühl der vollständigen Kontrolle.

In den folgenden Kapiteln möchte ich Ihnen nicht nur den effektivsten Weg zeigen, wie Sie Ihre Schwimmtechnik verbessern können, sondern auch, wie Sie so üben können, dass Sie neben verbessertem Können auch das Gefühl des Flow erfahren. Schwimmen Sie, um Flow zu erleben, und nicht, um Ausdauer und Geschwindigkeit zu trainieren. Lernen Sie, wie sich dabei Ihre Schwimmgeschwindigkeit und Ihre Ausdauer fast mühelos verbessern – denn was könnte dem Schwimmen angemessener sein als Flow?

Die richtige Einstellung

Seit 1989 haben bereits zehntausende Schwimmer TI-Kurse absolviert. Die meisten wurden nicht nur bessere Schwimmer, sondern sie zeichnen sich heute auch dadurch aus, dass sie das Schwimmen lieben und erwarten, dass sie im Wasser ein Leben lang lernen und sich verbessern können. Ich hoffe, dieses Buch führt auch Sie zu einer Haltung, wie viele dieser Schwimmer sie verinnerlicht haben:

1. Leidenschaft für das Schwimmen: Wenn Sie eine Leidenschaft für das Schwimmen haben und verstehen, dass es Ihnen einen einzigartigen Weg zu persönlichem Wachstum eröffnet, werden Sie mit einem Engagement und einer Motivation üben, die Ihre Leidenschaft weiter anfacht und immer wieder erneuert.

2. Verstehen: Im Zuge unserer Lehrerfahrung mit Tausenden von Schwimmern, die sich zuvor oft vergeblich abgemüht hatten, haben ich und meine Kollegen einfache Erklärungen und praktische Lösungen entdeckt, wie sich die weit verbreiteten Schwimmprobleme und die daraus resultierenden Frustrationserfahrungen erfolgreich bewältigen lassen. Das heißt nicht, dass es einfach wäre, gut zu schwimmen – auch nach 50 Jahren lerne ich immer noch wichtige neue Dinge hinzu. Aber zu wissen, dass man Übungen absolviert, die auf fundierten, praxiserprobten Prinzipien beruhen, ist von unschätzbarem Wert.

3. Achtsamkeit: Ein fundamentales Prinzip des TI-Programms ist Achtsamkeit in der Interaktion mit dem Wasser und bei der Wahrnehmung des Wassers. Am Anfang werden Sie darauf achten, wo sich Ihr Kopf, Ihre Glieder, der Rumpf etc. befinden. Später werden Sie sich auf Feinheiten konzentrieren – zum Beispiel auf das Geräusch, das beim Eintauchen der Hand ins Wasser entsteht, oder darauf, wie Sie die Hand halten, um das Wasser zu fassen. Meine Erfahrung ist: Wird Achtsamkeit erst einmal zur Gewohnheit, führt dies unweigerlich zum Flow-Erlebnis und zu kontinuierlicher Verbesserung.

Ermutigende Erfahrung

Da Sie sich die Zeit nehmen, dieses Buch zu lesen, gehe ich davon aus, dass Sie sich entschieden haben, das Heft selbst in die Hand zu nehmen: Sie wollen etwas dafür tun, um besser schwimmen zu lernen. Die gute Nachricht ist: Sobald Sie verstanden haben, wie es funktioniert, können Sie es selbst kontrollieren und in Eigenregie daran arbeiten. In der ersten Hälfte dieses Buch werde ich Ihnen in der Theorie erklären, wie sich der menschliche Körper im Wasser verhält, um Ihnen dann in der zweiten Hälfte Übungen für die Praxis an die Hand zu geben, die es Ihnen ermöglichen werden, Ihren Körper im Wasser intelligent und effizient einzusetzen. Ich empfehle Ihnen, dabei stets Ihren angeborenen Instinkt gegenüber Wasser skeptisch zu hinterfragen. Denn obwohl wir Menschen von Wasserlebewesen abstammen, haben wir unseren Wasserinstinkt inzwischen verloren. Aber ich versichere Ihnen: Man kann das richtige Wassergefühl gefühl mit den entsprechenden Übungen wieder erlernen. Wenn Sie sich darauf einlassen, werden Sie begeisternde Fortschritte erzielen.

Wären Sie mit dem angeborenen Wassergefühl eines Olympiasiegers gesegnet, würden Sie instinktiv verstehen, dass ein geschmeidiger, sanfter Schwimmzug viel effektiver ist als das wilde Um-sich-Schlagen, das man bei ungeübten Schwimmern oft sieht. Aber leider zeigt meine Erfahrung mittausenden Schwimmern, dass es auf hundert Menschen vielleicht nur einen gibt, der diese Gabe von Natur aus mitbringt und geschmeidig schwimmen kann, ohne dafür zunächst schlechte Gewohnheiten ablegen zu müssen. Wir anderen mühen uns mit ineffizienten Bewegungsabläufen ab, und je mehr wir einfach drauflos trainieren, desto stärker verfestigen wir diese. Genau da setzt Total Immersion an: Ich möchte Schwimmern helfen, Dinge zu tun, die sie nie von selbst tun würden, um auf diese Weise die unbeholfenen Bewegungen des »menschlichen Schwimmers« durch anmutige Bewegungen nach dem Vorbild von Fischen zu ersetzen.

Mit der Anmut eines Fisches zu schwimmen, ist eine hochkomplexe und entsprechend schwer zu erreichende Fähigkeit, bei der viele Feinheiten eine Rolle spielen.Am einfachsten kann man sie deshalb durch eine Abfolge von relativ einfachen Mini-Fertigkeiten erlernen.

Allein die Beherrschung der Grundlagen macht bereits einen großen Unterschied, und Sie sollten schon nach den ersten paar TI-Übungsstunden in der Lage sein, mit einer Leichtigkeit angenehm durchs Wasser zu gleiten, die Sie nie für möglich gehalten hätten. Haben Sie Geduld, zunächst in Ruhe die Kunst des Schwimmens zu erlernen, bevor Sie für das Schwimmen als Sport trainieren. Nehmen Sie sich die nötige Zeit, um sich in jeder Lage mit den Übungen wirklich wohl zu fühlen. Nehmen Sie sich immer genug Zeit, bis Sie eine Übung richtig beherrschen, bevor Sie zur nächsten übergehen. Sie werden schon bald mit nie zuvor erlebter Leichtigkeit schwimmen. Das ist die Grundlage, um sich nun auch den fortgeschrittenen Übungen mit Erfolg widmen zu können.

Ich habe bei Tausenden von Schwimmern beobachten können, wie sie sich auf diese Weise verbessert haben: Menschen mit ganz unterschiedlichen Ausgangsvoraussetzungen, was Alter, Kraft, Fitness oder koordinative Fähigkeiten betraf. Ich hoffe, Sie werden sich entschließen, es ihnen gleichzutun.

Schwimmen für alle

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