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ОглавлениеSagres, drei Wochen später.
E-Mail von: Martty Bruce <bruce.lee.1975@yahoo.com>
an: Peter Novak <peter.novak@hotmail.com>
Datum: 25.07.2001, 12.23 Uhr WEZ
Mein lieber Freund! Ich bin heute mit dem Bus nach Lagos gefahren, das etwa zwanzig Meilen von Sagres entfernt liegt, und sitze gerade in einem Internet-Café. In Sagres gibt es so etwas ja nicht. Das ist wirklich ein ausgesprochenes Nest, das du dir da ausgesucht hast. Würde mich nicht wundern, wenn dort überhaupt niemand einen Internetanschluss hat. Aber ansonsten ist Sagres wirklich ausgesprochen nett. So was findet man bei uns die ganze Pazifikküste entlang nicht. Vielleicht kann man Sagres am ehesten noch mit Big Sur vergleichen, aber hier ist es viel wärmer. Wie in Mexiko. Warum hast du mich nicht mitgenommen beim letzten Mal? Du wolltest wohl nicht all die hübschen portugiesischen Mädchen mit mir teilen, stimmt’s? Aber dank dir bin ich nun auch hier. Und du bist in San Francisco. Also hab ich die ganzen hübschen portugiesischen Mädchen für mich allein, BUAHAHAHAAAAA!!!!
Abgesehen von den hübschen Mädchen, Sommer, Sonne, Strand und Meer, ist das hier aber auch ein ziemlich seltsames Nest. Ist dir das aufgefallen, als du hier warst? Ich weiß zwar nicht genau, was es ist, aber irgendetwas Seltsames geht vor sich. Ich spüre das an der Atmosphäre. Aber ich habe auch Fakten anzubieten. Hier also die wahrhaftig abgefahrene Scheiße:
Vor drei Wochen, das muss etwa vier oder fünf Tage gewesen sein, nachdem du zurück nach San Fran gekommen bist, wurde die Besitzerin des Cafés, in dem du das Foto entdeckt hast, auf brutale Weise in ihrem Lokal mit einer Bratpfanne erschlagen. Kannst du dir das vorstellen? Aber jetzt halte dich fest: Als sie gefunden wurde, lagen zwei Fotos auf dem Tresen: ZWEI SCHWARZ-WEISS-POLAROIDS!!! Eines zeigt sie am Tresen lehnend in die Kamera lächelnd, das andere zeigt sie in exakt gleicher Stellung (in der sie übrigens auch gefunden wurde), nur tot und mit zerschmettertem Gesicht. Das ist wirklich gruselig.
Das bedeutet jedenfalls, dass der Typ wohl noch immer hier in der Gegend ist. Vielleicht ist er tatsächlich ein Einheimischer. Ich muss sehr vorsichtig sein. Hier im Ort gibt es zwei Polizisten, aber das dürften ziemlich faule Säcke sein. Sie haben mir gesagt, dass sie nicht wüssten, wie sie den Killer ausfindig machen sollten. Sie haben überhaupt keine Anhaltspunkte und sind eigentlich nur darauf bedacht, den Fall nicht publik werden zu lassen, da sie befürchten, dass die Touristen ausbleiben würden, wenn sie wüssten, was hier passiert ist. Sie haben mir die Geschichte erzählt, weil sie mir offenbar vertrauen. Aber ich habe ihnen natürlich nichts über das Foto von den Klippen erzählt. Das würde alles noch komplizierter machen.
Ich habe auch den Platz ausfindig gemacht, an dem das erste Foto, »dein« Foto, gemacht wurde. Es wurde gleich neben den Ruinen der alten Festung geschossen. Man hat hier einen sehr schönen Ausblick auf die Bucht und die gegenüberliegenden Klippen. Morgen werde ich mir ein kleines Boot mieten und da hinüberrudern. Ich bin ehrlich gesagt etwas nervös, denn ich denke, die Chancen stehen fünfzig zu fünfzig, dass ich dort tatsächlich einen Leichnam finden werde …
Ich werde dich auf dem Laufenden halten, mein Freund. Jedenfalls werde ich das versuchen. Aber ich werde natürlich auch nicht jeden Tag rüber nach Lagos fahren. Kann also sein, dass du ein paar Tage nichts von mir hören wirst.
Ahoi,
Martty
PS: Noch etwas Amüsantes zum Abschluss: Ich bin jetzt drei Tage hier und schon zwei Mal einem alten Kerl begegnet, um die Fünfundsechzig, sehr hochgewachsen und sehr hager. Du wirst es nicht glauben, der Typ sieht genauso aus wie Bill Burroughs!! Er läuft hier herum mit einem Hut und trägt einen grauen Anzug und hat immer eine braune Aktentasche aus Leder bei sich. Das einzige, das ihn von Burroughs unterscheidet, ist, dass er einen weißen Schnurrbart trägt. Als ich ihm das zweite Mal in einer dieser schmalen Gassen begegnete, habe ich ihn angesprochen. Es stellte sich heraus, dass er aus New York ist. Er hat mir erzählt, dass er lange in London lebte und auch einige Jahre in Marokko. Stell dir das vor! Vielleicht werde ich ein Gläschen mit ihm trinken, sollte ich ihm noch einmal begegnen. Scheint irgendwie ein interessanter Mensch zu sein. Gut, das ist alles fürs Erste! Ich hoffe, dir geht’s fantastisch und die Vorbereitungen für die Ausstellung laufen auch wunderbar! Du weißt: 11. September — das wird dein großer Tag! Mach dir nicht zu viele Gedanken wegen dem »Copyright-Inhaber« deines Bildes. Sollte er tatsächlich der Killer sein, wird er niemanden darüber in Kenntnis setzen, dass du sein Foto ausstellst, würde er es erfahren. Denn dann würde jeder wissen, dass er der Mörder ist! Cheers!