Читать книгу Vampire Blues 1 - Thomas Barkhausen - Страница 20
GELB
ОглавлениеDas Gelb erschlug ihn, kreischte ihm entgegen wie Teenager auf einem Pop-Konzert kurz vorm Einnässen, so dass er sich irrationalerweise Ohrenproppen für die Augen wünschte. Wow. Here she comes. All dressed up in leather. She is gone break your heart into... Shiny, shiny …
Rahil trug einen eng anliegenden Overall aus gelbem Leder, der sie besser kleidete als das Tier, dem es vorher gehört hatte. Die Haare streichholzkurz, struppig-stachelig, Igelkopf, und fluoreszierend gelb, die Lippen dottergelb und leicht befeuchtet, als erwarteten sie den Geliebten. Ihre Sonnenbrille mit den gelben Gläsern und Bügeln lag auf dem Tisch neben ihrem Futon, harrend wie der Schlagring in der Tasche des Zuhälters.
Rahil lächelte und hielt ihm die Hand hin. Nestor sah über ihre Schulter hinein in den Raum, dann trat er ein, nahm ihre Hand nicht, was sie überhaupt nicht zu irritieren schien.
Auf dem Ultramonitor an der Wand gegenüber, erblickte er ein Bild vom legendären Ermittler. Sein Kopf drehte sich gerade in einer Gitternetzlinien-Animation um 360 Grad. Der Text daneben, Arial 12, schwarz, lakonisch.
„NESTOR, Elite-Zodiak. Erste Generation. Letztverbliebend. Erscheinungsbild: menschlich, männlich, 46 Jahre. Typus: Analytiker. Daher Erscheinungsbild: nicht jung. Kognitiv höchstentwickeltes Exemplar mit tolerierbaren Fehlfunktionen, die sich im Laufe seiner Dienstzeit einschlichen, dazu: leicht adipös, (Danke fürs Kompliment! dachte Nestor.) chronische Gastritis, Schlafstörungen. Physiologisch leicht- bis mittelgradig lädiert, dagegen emotional extrem stabil.
Genetisches Datum 2060. Funktion: Ermittler, Z4, Sondereinheit. Terminierungsberechtigt. Verfügt über Erinnerung. Trotz seines zurückliegenden Herstellungsdatums aufgrund seiner Erfahrung bisher als Einziger noch nicht ‚rückgestellt‘. Unbegrenzte Lebensdauer. Keine MD-Sicherung.“
Leicht verfettet, schönen Dank! Das Ergebnis seiner Schwäche für synthetische Schokoriegel mit Haselnussfüllung, die seinem angegriffenen Magen nicht gut bekamen.
Rahil rieb mit dem Daumen über die Remote und ließ den Kopf im Monitor schneller auf der vertikalen Achse rotieren, bis sich die Gesichtszüge auflösten und sein Bild nur noch ein verwischter rotierender Ball war.
„Lassen Sie das! Davon wird mir schwindelig.“, brummte Nestor.
Rahil hielt den Ball an. „Unbegrenzte Lebensdauer?“
Nestor nickte.
„Einen Drink?“
Nestor sah in ihr dotterlippiges Grinsen und bleckte die Zähne: „Limonensaft?“
Rahil lachte. „Man hat mir gesagt, dass Sie mürrisch sind. Ich glaube, sie gestatten jedem ihrer Sonderexemplare einige Freiheiten. Was heißt MD-Sicherung?“
„Das ist nichts von Bedeutung. Was wissen Sie noch?“
„Nicht viel, außer dass Sie der Beste sind, der Einzige.
Obwohl …“
„Obwohl was?“
„Obwohl Sie keiner neuen…“
„Obwohl ich was? Keiner neuen Reihe entsprungen bin. Obwohl ich alt bin. Nicht so schnell, nicht so stark, nicht so kampf-effizient wie Sie?“
„Ich - ich wollte Sie nicht beleidigen. Ich muss wohl etwas mehr darauf achten, was ich sage.“
„Ich bin nicht beleidigt. Ich weiß, was eine Beleidigung ist, aber woher wissen Sie das?“
„Emotionaler Freiraum. Ich kann - äh - fühlen, genau wie Sie. Vielleicht nicht so vieles wie Sie, vielleicht nicht so intensiv wie Sie. Ich stehe erst am Anfang, aber ich kann - empfinden. Sie sind der Prototyp.“
„Ich bin was?“
„Alle höchstentwickelten Reihen bauen auf den Erfahrungen mit Ihnen auf. Sie sind der Einzige, der nicht zurückgestellt wurde. Hat Sie das nie gewundert? Sie sind der Vorläufer aller Nachgebor-„
„Nachgeborenen wollten Sie sagen. Aber wir werden nicht geboren. Außer Sie möchten ein Reagenzglas oder einen Computer als mütterlichen Uterus bezeichnen.“
„Aller Nachkommenden. Sie verfügen nicht über die physischen Eigenschaften der nachfolgenden Reihen. Sie sind der Prototyp, Sie waren der Erste, der mit Erinnerungsvermögen ausgestattet worden ist. Nicht einfach mit Erinnerungen, virtuellen, künstlichen, erdachten, die man Ihnen eingepflanzt hat. Nein, Sie haben das Vermögen alles Neue, das Ihnen begegnet, abzuspeichern, Ihr Verhalten zu modifizieren, mit jeder neu gemachten Erfahrung. Sie können emotionale Strukturen nachvollziehen, Sie können - fühlen. Ich meine, richtig fühlen.“
„Und Sie können das auch. Und sind physisch effizienter als ich. Dann werde ich ja wohl bald in den ‚Ruhestand’ versetzt.“
„Verstehen Sie nicht? Sie sind der Einzige. Keiner aus den Baureihen mit höchster Autonomie ist übrig. Alle hatten - Fehler. Sie wurden alle…“
„Zurückgestellt“, Nestor grinste ein sardonisches Grinsen, breit, Honig und Cherries und Rosinen.
„Sie sind der Einzige, der sich kontinuierlich weiterentwickelt hat und weiterentwickelt, aus sich selbst heraus. Alle Nachfolgenden hatten - „
„Fehler. Sie erwähnten das bereits. Und Sie?“
„Ich bewundere Sie. Ich muss noch vieles lernen. Darum bin hier, bei Ihnen, darum haben sie mich zu Ihnen geschickt.“
„Was müssen Sie noch lernen?“
„Die Verarbeitung der Erfahrungen, die Vernetzung der emotionalen Struktur mit der logischen Struktur, mit der operationalen Struktur. Ich muss noch viel lernen. Ich muss - es noch lernen…“
„Was?“ Er verstand. „Richtig zu fühlen.“
Rahil nickte zaghaft. „Sie haben mir nur ein emotionales Grundinventar mitgegeben. Hunger, Durst, Sex etc.“
„Das ist Ihre Grundausstattung? Essen, Trinken, Sex. Haben Sie nicht auch noch eine Sonderausstattung mitbekommen? Laserkanone im kleinen Finger, Rotorblätter im Ohrläppchen, Phosphorflammenwerfer im Anus, oder etwas Ähnliches?“
„Sie machen sich lustig über mich, oder? Ich glaube, das letzte war sogar, wie nennen es Damen, völlig degoutant.“
„Degoutant - nicht schlecht!“
Er sah sie an. Ihr struppiges gelbes Haar. Den gelben Lidschatten.
Er lächelte. „Nur ein wenig degoutant.“
„Sie haben mir nur einige Grundinformationen zu Humor und Ironie einprogrammiert. Sie hielten es für nicht so bedeutsam.“
„Sie haben sehr viele Informationen über sich.“
„Sie wollten es so. Es erleichtert den Weg hin zu einer höheren Autonomie. Ich bin selbstreflexiv.“
Nestor grinste: „Schönes Wort. Wie die menschliche Literatur im ausgehenden 20. Jahrhundert. Selbstreflektiv. Szondi, Gott hab ihn selig.“
„War das wieder -?“
„Ironie. Sie lernen schnell.“
Rahil setzte sich auf den einzigen Stuhl im Raum, ein Retro aus Kunststoff. Nestor stand, er sah sie an, Höflichkeit hatten sie ihr offensichtlich nicht einprogrammiert, was allerdings auch wenig geholfen hätte bei nur einem Stuhl. Sie kreuzte die Beine, breitbeinig und burschikos wie ein Mann, den linken Knöchel auf dem rechten Knie.
„Meine Emotionen und deren Vernetzungen müssen vertieft werden, dürfen aber nicht außer Kontrolle geraten, deshalb muss ich regelmäßig zum Test.“
„Und deshalb sind Sie bei mir. Ich soll Ihnen bei der Vertiefung helfen, guter, alter Schlickbuddeler. Ich bin Ihr Kindermädchen. - Schöner Schlamassel!“
Rahil lächelte.
„Hoppla, ein Lächeln.“
„Das konnte ich schon vorher. Allen Zodiaks ist Freundlichkeit gegenüber Vorgesetzten eingepflanzt. Außerdem bin ich genauso gut Ihr Kindermädchen wie Sie meines.“
„Sie sollen auf mich aufpassen? Bisher bin ich gut ohne Aufpasser ausgekommen.“
Rahil zuckte die Schultern, sie wechselte das Thema: „Haben Sie schon viele terminiert?“
Nestor schüttelte den Kopf. „Ein Eifersuchtsdrama. Einen Päderasten. Einen Serienmörder. Und so weiter. - Aber das ist nicht unsere primäre Aufgabe.“
„Was sind dann unsere Aufgaben?“
Sie nahm die gelbe Brille vom Tisch und drehte sie zwischen den Fingern. Mit - selbstverständlich - gelb lackierten Nägeln, dachte Nestor.
„Sie wollen doch wohl nicht nachts eine Sonnenbrille aufsetzen, oder?“
Rahil grinste. Ihre Zähne waren nicht gelb. Immerhin etwas. „Nun?“
„Extern: Widerstandsgruppen in der ‚Zone‘. Sonnenkrieger. Intern: Vergehen gegen Anordnungen des Konventes. Mord. Vergewaltigung. Blutige Orgien, hauptsächlich jüngere Leute. Die Älteren von ihnen sehen das nicht gern.“
Nestor nestelte umständlich in den Taschen seines Jacketts, er fand, was er suchte, reichte ihr die Marke mit dem dreigezackten roten Blitz, sie war an einem roten Band befestigt.
„Hiermit haben Sie unlimitierten Zugriff auf alle Daten. Keine Tür bleibt Ihnen verschlossen. Willkommen im Club. - Ein gelbes Band dafür müssen Sie sich selber besorgen.“
„Machen zwei schon einen Club? Und war es vorher nicht einsam?“
Nestor grunzte: „Da sind noch ein paar in meinem Team, aber keine Ermittler wie Sie.“
Rahil hängte sich die Marke mit dem roten Band um den Hals. „Gibt es die auch in Gelb?“
„Nur das Band, die Marke, fürchte ich, nicht.“
Nestor sah sie an. Sie verzog keine Miene, er reichte ihr das Armband mit dem Multimeter.
„Dies ist Ihr M-Meter. Spezialausfertigung. Alle Kommunikationsformen. Alle Aufnahmeformen. Integrierte Hologramm-Kamera. SDH also Still Digital Hologramm und MDH, Moving Digital Hologramm. Holo-Fotos und -Sequenzen bis 500 frames. Das sind zwanzig Sekunden, genug für eine umfassende Tatortaufnahme. Tele. Fernglas. Nachtsichtgerät. Wärmebildkamera. Und noch ein paar andere Spielereien. Ich habe bestimmt ein paar vergessen. Sie wissen, ich bin alt, ich bin vergesslich. Kein junges Ding wie Sie. Die genaue Betriebsanleitung finden Sie im Bedienermenü auf ihrem MM.“
Rahil schob sich das Armband über das Handgelenk. „Ich habe die Files gelesen. - Gibt es Morddrohungen von Seiten der Sonnenkrieger?“
Nestor nickte. Sein MM vibrierte. Er sah auf die Botschaft hinab. In seine Stirn kerbte sich eine Falte. Er sah auf, sah in Augen unter gelbem Lidschatten. Es war zu früh, viel zu früh, aber es ließ sich nicht ändern. Jetzt nicht mehr. Sie hatten ihren ersten Auftrag. Viel früher als ihm lieb war.
„Sind sie ernst zu nehmen?“
„Was?“
„Die Drohungen?“
„Wir haben zwei.“
„Drohungen?“
„Tote.“