Читать книгу Die Mondesserin - Thomas Barkhausen - Страница 7
Stilfrage
Оглавление»Lass ihn.«
»Aber er bewegt sich noch.«
»Lass ihn, der ist hin.«
»Aber... sieh doch wie sein Schuh übern Boden kratzt.«
»Lass ihm seinen Tod.«
Der Jüngere grunzte.
»Oder willst ihm vielleicht noch eine Kugel durch den Kopf jagen?«
»Warum nicht? Er bewegt sich noch.«
»Warts ab! Setz dich!« Der Mann mit der fahlen Raucherhaut schnipste sich eine Zigarette aus dem weiß-roten Soft pack zwischen die Lippen. »Lass ihm seinen Tod, ist alles, was er noch hat.«
Der Mann am Boden hörte auf mit der Schuhkante über das Linoleum zu kratzen.
»Dauert nicht mehr lang«, sagte der Ältere, er stieß den Rauch aus, er sah auf den Mann am Boden. »Siehst jetzt schaut er nur noch. So isst bei allen.«
»Wir müssen los!« sagte der Junge.
»Warts ab! Wir sind nicht im Kino. Hetz nicht! Ihr jungen Leute hetzt und hetzt, hetzt durchs Leben, hetzt von einem Kick zum andern, hetzt und hetzt und dann Issens vorbei. Grad so wie bei ihm hier. Siehst dir lieber genau an.«
Der Junge grunzte. Das war sein Lieblingsgeräusch.
»Siehst, jetzt schaut er nur. Möchte wissen, was er denkt?«
»Is mir egal! Ich will nur los.«
»Siehste wie das Gesicht spitz wird. Kann eigentlich gar nicht sein in so kurzer Zeit, aber siehst du, wie es spitz wird das Kinn, die Nase, das ganze Gesicht, als wenn ihm einer das Leben rausmeißelt, Span um Span.«
»Ich hab um acht nen Date!«
»Hübsch?«
»Ich mag sie.«
»Was Ernstes?«
»Weißt du, ich bin jetzt zweiundzwanzig. All dies Rumgemache macht mich leer. Ich mag sie.«
»Ist sie nett?«
»Ja. Wir gehen heut zu ihren Eltern, da kann ich nicht zu spät kommen.«
»Also, was Ernstes.«
»Ja.«
Der Raucher ließ die Kippe aus seinen Fingern zu Boden gleiten und drückte sie mit der Schuhsohle aus.
»Wie lange dauert‘s denn noch? Ich muss mich noch umziehn und Blumen kaufen.«
»Weiß man nie, kann aber nicht mehr lange sein. Willst einen guten Eindruck machen, heute Abend, was?«
»Hab doch gesagt, ich mag sie.«
»Wenn‘s was Ernstes ist, dann lass dir Zeit!«
»Das tu ich, ich mag sie.«
»Was für Blumen willst du denn kaufen?«
»Weiß nicht. Hab mir noch keine Gedanken gemacht. Die im Laden werden‘s schon wissen.«
»Das erste Mal bei ihren Eltern?«
»Jupp, deswegen will ich nicht zu spät kommen.«
»Versteh ich. Nimm‘s mit den Blumen nicht auf die leichte Schulter. Kauf keinen Standardstrauß, lass dir was einfallen. Geht schließlich um ihre Mutter. Blumenstrauß ist nicht gleich Blumenstrauß, das ist schließlich so was wie deine Visitenkarte.«
»Er guckt immer noch. Was meinst du damit?«
»Schau mal, hinzugehn, nen Schein auf den Tisch legen und sagen ›Mach mal!‹ zur Blumenfrau und die macht dann, das kann jeder. Du musst selber ne Idee haben. Was ist denn ihre Lieblingsfarbe? Die der Mutter, mein ich.«
»Weiß nicht.«
»Die der Tochter?«
»Weiß nicht. Rot glaub ich oder schwarz.«
»Schwarz ist keine Farbe. Schwarz is was anderes.«
»Dann wohl rot.«
»Rot is nix für Mütter.«
»Also?«
»Gelb und blau und grün von den Stengeln und Blättern und in der Mitte eine weiße Marguerite. So würd ich’s machen.«
»Ja? Gott, wie lange dauert‘s noch.«
»Ja, so würd ich’s machen.«
»Ich glaub, ich kauf Pralinen.«
»Diät. Mütter sind immer auf Diät. So wie ihre Töchter, nur dass man’s bei ihnen nicht sieht, bei den Töchtern schon. Oder ist sie schon alt?«
»Nö, nicht so alt. Noch ganz gut in Schuss. Wir ham sie mal beim Einkaufen getroffen. Nette Frau, gut in Schuss, hat nen hübsches Lächeln.«
»Also, doch Blumen, das is eben was Klassisches. Und wenn sie nen nettes Lächeln hat.«
»Hat sie.«
»Aber nimm besser doch kein gelb. Nimm was Blaues und was Rosanes und was Weißes.«
»Meinst du?«
»Wollt ihr Kinder?«
»Noch nicht drüber gesprochen. Ich denk mal ja.«
»Dann was Rosanes und was Blaues und was Weißes, damit sie sieht, dass du es ehrlich meinst.«
»Versteh ich nicht.«
»Weiß is für die Unschuld, deswegen is rot nix für Mütter. Rot is Leidenschaft und Sex, keine Sicherheit, weiß ist gut.«
»Du hast gesagt, er is gleich hin!«
»Drängel nicht!«
»Ich muss los! Du weißt warum.«
»Der ist zäh«, sagte der Raucher. »Geben wir ihm noch ne Zigarettenlänge! Okay?«
»Okay.«
Der Raucher machte sich eine neue Zigarette an.
»Er sieht uns an!«
»Das bildest du dir ein. Der sieht nirgendwo hin. Der is nicht mehr hier und noch nicht da, wo er hin soll. Der sieht niemanden an.«
»Der sieht mich an!«
»Nein. - Willste noch nen Brandy holen für ihren Vater? Sie hat doch noch nen Vater, oder?«
»Klar hat sie nen Vater, aber den kenn ich nicht.«
»Holst du sie ab?«
»Klar hol ich sie ab, dann fahrn wir weiter zu ihren Eltern.«
»Sie hat ne eigene Wohnung?«
»So ein Zimmer mit ner Kochecke und ner Dusche.«
»Dann frag sie, was ihr Vater am liebsten trinkt und dann haltet ihr noch irgendwo und bringt ihm was mit. Nix zu Teures, das könnt schleimig wirken, aber auch keinen Fusel.«
»Brandy? Da kenn ich mich nicht aus.«
»Was Spanisches, kannst auch Cognac nehmen, das is französisch.«
»Und wenn er Whisky mag?«
»Dann eben Whisky. Nimm was in der Mitte - vom Preis her.«
»Und was is mit Wein? Wenn er Wein mag?«
»Verstehste was von Wein?«
»Nö.«
»Dann biste angeschissen. Nimm Cognac. Nen schlechter Wein, auch wenn er teuer ist, damit haste verloren. Immer, wenn er dich sieht, wird er den Geschmack von dem schlechten Wein auf der Zunge haben. Das kriegste nich wieder raus. So wie das mit dem Rot bei den Blumen mit der Mutter.«
Der Junge grunzte.
»Okay, dank dir, Partner!«
»Nix zu danken!«
»Deine Zigarette is um.«
»Jup.«
»Nix gegen dich und deine Regeln, aber ich will nicht zu spät kommen.«
»Du magst sie.«
»Ich mag sie.«
Der Raucher warf die Kippe auf den Boden, er trat sie aus und schob sie mit der Fußspitze neben die erste Kippe. Er stieß sich von der Tischkante ab.
»Ich geh schon vor zum Wagen.«
»Okay.«
Er sah auf den Mann am Boden. Dann ging er durch die Küchentür in den Flur, öffnete die Wohnungstür, stieg die zwei Treppen hinab, öffnet die Haustür, wandte sich nach rechts, ging zum Wagen, öffnete die Fahrertür, ließ sich auf den Sitz gleiten und schnippte sich eine Zigarette in den Mund.