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Guck – daaa war’n wir!

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Auf einer Urlaubspostkarte den Westzipfel von Kreta einkringeln kann jeder. Aber wieso besucht niemand die Extrempunkte unseres Landes? Gibt es dort nichts zu sehen? Kann man sie nur per Hubschrauber erreichen? Oder steht da überall nur "Erika’s Wurst’s Imbiss’s"?

Der östlichste Punkt der Bundesrepublik Deutschland besteht laut Internetabbildung aus einer Steinplatte, neben der ein Rentner sitzt. Der Punkt liegt etwa zehn Kilometer nördlich von Görlitz. Sie wissen, Görlitz, wo unser "Leader" Michael Ballack herstammt.

Görlitz wurde 1945 durchtrennt, der Teil jenseits der Neiße polnisch, nun heißt das deutsche Görlitz auf Polnisch Zgorzelec, und das polnische Zgorzelec heißt deutsch Görlitz. Normal.

Für Sammler halb toter Sprachen ist die Gegend Pflicht, denn Sorbisch – allen Ernstes unterteilt in Obersorbisch und Niedersorbisch – ist im Grunde nur ein kräftiger polnischer Dialekt. Und jetzt, wo ich das schreibe, weiß ich, wo man mich dereinst aufknüpfen wird.

Man muss wirklich sehr entschlossen an diesen östlichsten Punkt des Landes reisen wollen, zumal an einem so heißen sonnigen Tag. Denn die Privatbahn, die ab Cottbus verkehrt, also dort, wo die Bundesbahn kapituliert hat, "hält überall", und hier gibt es massenweise Überalls.

Im kühlen Hauptbahnhof Görlitz empfängt mich frontal ein Informationsstand, der reichhaltig mit Faltblättern ausstaffiert ist. Die zwei quaddeligen jungen scheinarbeitslosen Damen tun sich schwer mit Deutsch, beherrschen aber fließend Hardcore-Sächsisch. "Dor Büs fäard do vonne, de Koddn gibt’s do drieebn." Und "do drieebn" hadert eine Kundin damit, dass nicht nur an diesem Schalter, sondern im gesamten Bahnhofsbereich niemand in der Lage ist, ihr auf einen 50-Euro-Schein herauszugeben. Das nennt man investitionsfeindliches Klima.


♦6♦ Lau- und Ruhesitz

Mir druckt der freundliche Schalterbedienstete einen Plan aus, auf dem steht, dass ich mit einem Bus hinfahren muss und eine Stunde später mit demselben Bus wieder zurück. Ich spüre seine Skepsis, als ich den östlichsten Punkt erwähne, wage aber aus Scham nicht nachzufragen, was mich dort erwartet.

Bis der Bus fährt, bleibt noch fast eine Stunde, und ich schlendere durch die Innenstadt von Görlitz, wo einen schon am Eingang der Fußgängerzone leer stehende Läden angähnen, ein Leitmotiv in dieser Stadt. Liegen so viele Läden brach, weil irgendjemand mal zu viele Ladengeschäfte gebaut hat?

Im wunderschönen historischen Karstadt sind im engeren Sinne keine Kunden, denn die anwesende Handvoll Gestalten schlendern nur so herum, wie in einem Museum. Selbst auf dem Platz an der Frauenkirche daneben ist es so ruhig, dass auch bei strahlendstem Sonnenschein ein bleierner Suizidgroove entsteht. Ich bin froh, als mein "Östlichster-Punkt"-Bus fährt, der sich als sehr komfortabler, topmoderner Reisebus entpuppt. Kaum haben wir die Vororte von Görlitz hinter uns gelassen und kurven durch einige Dörfer, da piepst mir das wechselnde Handynetz fröhlich die Mitteilung zu: "Willkommen bei Plus GSM in Polen!" Ich bete, dass jetzt niemand anruft. Bitte nicht bevor es ein europäisches Roaminggebührengesetz gibt.

Befremdend ist die Idee der Busgesellschaft, eine Haltestelle "Lodenau, ehemalige Schule" zu taufen. Erstens fragt man sich, was sich denn Schlimmes heute dort befindet, dass man es nicht benennen will – "Lodenau, topaktuelles Discount-Bordell"? Zweitens macht dieses Beispiel hoffentlich nicht Schule bei ehemaligen Fabriken, ehemaligen Parteizentralen und ehemaligen Zentren für Ehemaligen-Treffen von Ehemaligen-Ehen-Instituten?

Das Ostklischee Nr. 1 knacken der Busfahrer und eine Seniorin, die sich die ganze Strecke über sehr ausführlich unterhalten, genau genommen motzen sie über einen gemeinsamen Bekannten, weil dieser zu oft über alles Mögliche motzt. Hiermit ist Metamotzmotz geboren. Den Begriff darf gerne ein Flip-Flop-Designer aus Berlin-Mitte als Labelnamen ausborgen, aber nach Gebrauch bitte wieder zurückgeben!

Ich steige aus in der Gemeinde Neißeaue, zwischen den Örtchen Deschka und Zentendorf, und genau hier in der Niederschlesischen Oberlausitz liegt er, der einzigartige östlichste Punkt Deutschlands.

Ich atme tief durch und stehe im – Nichts. Nüschte. Nix und niente.

Ich hatte befürchtet, eine Art Event-Volksfest vorzufinden in der Art wie: "Komm zum West-Light-Meeting, Motto: The Feast from the East. Hol dir für 28 € das Zertifikat 'Herr/Frau ... ist am ... da gewesen!'"

Schlimmer ist die Realität: Vor mir macht sich eine "Ferieninsel" breit, ein Künstlerprojekt, alles ökologisch, aus Holz, selbst angemalt und kinderfreundlich: Der Eingang ist eine "Trollpforte", Siebziger-Jahre-Mief, wie er aus ultraliberalen Berliner Kinderläden stank. Und das alles "bewusst".


♦7♦Östlichster Parkplatz Deutschlands. Hätten Sie’s gewusst?

Ich stakse um das eingezäunte Gelände herum durch den Wald, vorbei an Bäumen, deren Stämme von Kindern beziehungsweise deren Sozialarbeitern nach Indianersitte mit schwarz-weißen Streifen angepinselt wurden. Nach wenigen Minuten gelange ich an den Waldrand und blicke plötzlich auf ein Kornfeld, suche vergeblich die Neiße, sehe erschrocken auf die Uhr, werde dabei fast von einer Wespe gestochen, verteidige mich erfolgreich und muss sofort umkehren, sonst verpasse ich den letzten Bus zurück in die Stadt. Wie sinnlos.

Falls der östlichste Punkt, dieser mystische Ort wider Erwarten doch existiert, ja sogar ein Geheimtipp ist mit blauem Sonnenuntergang und einem Grenzstein aus Marzipan, dann soll es so bleiben. In Görlitz steht ja auch ein Meridianstein. Aber wenn ich mir den jetzt noch ansehe, verpasse ich den Zug nach Dresden. Und, sorry Görlitz, du bist zwar bemerkenswert hübsch und ruhig, aber um mit dir eine Nacht zu verbringen, bist du mir doch ein bisschen zu hübsch und zu ruhig.

Die spinnen, die Deutschen

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