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Deutsche Siedlung Moskau

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Instinktiv erwartet man, dass sich das deutsche Wesen am massivsten dort ausprägt, wo es von Feindkultur umgeben ist: im Ausland, oder noch besser, im barbarischen, im wilden Ausland. Sagen wir, in Russland. In Moskau gehören zur deutschen Botschaft der DAAD und das Goethe-Institut sowie Mitarbeiter deutscher Firmen, die hier Auslandsniederlassungen betreiben. Viele dieser freiwilligen Exildeutschen wohnen in einer der beiden deutschen Siedlungen und genießen dort das eine oder andere Privilegchen.

Zwei Wohnquader, 12 beziehungsweise 16 Stockwerke hoch, nebst deutscher Schule und deutschem Kindergarten sind von einem drei Meter hohen Zaun umgeben; ein Wachhäuschen mit einem waschechten russischen Milizionär davor, Kalaschnikow lässig in der Armbeuge, mit einem gelangweilten Gesichtsausdruck, der in den Ausbildungslagern jahrelang antrainiert wird. Hinter dem hohen Schalter noch eine Nase, die sich tief in meinen deutschen Pass steckt.

Und dann, dann bin ich in Deutschland! Da drüben, hinter dem metallenen Zaun, ist das schmierige, rutschige, verschlammte Stinkerussland und hier ein unfassbar sicheres, genau auf Kante geschnittenes, sauber gelecktes Deutschland. Nicht nur sauber, sondern rein.


♦5♦ "Gehste nun, oder bleibste hier?"

Zurzeit sind gerade Schulferien, entsprechend ausgestorben ist das beinahe ängstlich versteckte deutsche Getto. Vereinzelte Mütter schubsen ihre wehrlosen Kleinkinder auf Dreirädern mit Dirigierstange immer wieder im Kreis um die beiden Häuser herum, vorbei am Parkplatz mit den aktuellen Familienmodellen von Audi und Passat. Spätestens an den katzengesichtigen Sonnenblenden erkennt man die Herkunft der Halter.

Alfred Paczinski ist Verwalter der deutschen Schule, und dies bereits seit DDR-Zeiten. Sein Büro ist hell, freundlich, und an der Wand hängt, wie es das Klischee verlangt, eine Deutschlandkarte. Es fehlen hingegen: Bundesflagge, Schumi-Poster, Kickertabelle.

"Eigentlich dürfte ich ja gar nicht mit Ihnen reden!"

Was kommt als Nächstes? Schiebt Paczinski mir gleich einen Zettel rüber, auf dem "Wanzen!" steht? Oder wird er das Radio laut aufdrehen und mir ins Ohr flüstern? Nichts dergleichen, der Mann entpuppt sich sogar als sehr auskunftsfreudig, auch wenn er betont: "Der Chef hat wirklich strengstens untersagt, dass wir mit der Presse oder so reden!" Aber als ich später das Thema Stasi anspreche, wird er schwammig und besonders nachdrücklich ahnungslos. Den Mauerfall aber hat der Verwalter noch bestens in Erinnerung.

"Der ging ziemlich schnell, über Nacht. Es gab aber damals schon alles so, wie es heute noch hier steht. Nur wurden die Häuser nach der Wende renoviert, innen auf westlichen Standard gebracht."

Die Website der DSM erzählt die Wende, vor allem aber die Zusammenlegung der Deutschen Schule (West) mit der Deutschen Schule (Ost), so: "Im September 1990 wurden im Zuge der Wiedervereinigung beide Schulen zusammengelegt ... Damit nahm die Schule eine bedeutende Rolle bei der Zusammenführung beider deutscher Staaten ein." Hätten Sie’s gewusst oder Ihren Telefonjoker belästigen müssen?

Persönliche Beziehungen zwischen DDR-Bürgern und Sowjetbürgern wurden bis zum Schluss misstrauisch beäugt von beiden Obrigkeiten. Eine Heirat zum Beispiel war nicht gerade verboten, aber doch etwas Unerhörtes und mit einigen bürokratischen Hürden versehen. Heute ist die "Mischehe" ein recht häufiger Fall.

Allerdings "häufiger Russinnen mit deutschen Männern", wie der aktuelle Verwalter betont.

Warum sind Sie nach der Wende nicht nach Deutschland zurückgegangen?

"Wir hatten ja einen Arbeitsvertrag über fünf Jahre, und der war noch nicht abgelaufen. Zu Hause gab es ja kein Ministerium mehr, es ist ja alles zusammengebrochen. Die Auflösungszeit hatten wir hier auch, ein Jahr lang. Die ganzen Akten überarbeiten und dies und jenes ..." Was immer das heißt! "Nach dem Fall der Mauer galten ja unsere Arbeitsverträge nicht mehr."

Merke: Wenn ein Arbeitsvertrag noch nicht abgelaufen ist, aber gleichzeitig nicht mehr gilt, nennt man das marxistische Dialektik.

"Und wenn wir nach Hause gekommen wären ..., da war auch nichts mehr, meinen Betrieb gab’s ja auch nicht mehr. Da haste dich auch gefragt, gehste nun, oder bleibste hier und guckst eben, dass du hier Arbeit kriegst."

Und Paczinski hat Arbeit gekriegt. Er kannte sich geografisch aus, war mit der Mentalität vertraut, sprach die Sprache, kannte die kleinen Tricks im Umgang mit den russischen Behörden, hatte die unvermeidlichen Connections, die im Ausland doppelt so schwer wiegen, und vor allem: Er war bereit, in Russland zu leben. Und es gibt da ja das eine oder andere schlimme Vorurteil gegenüber unseren versoffenen stinkenden Russenfreunden ...

Herr Paczinski, sind wir jetzt auf deutschem Boden?

"Ja."

Gilt hier deutsches Recht?

"Ja, selbst die Straßenverkehrsordnung. Das Problem ist nur, du darfst hier keine Wohnung kaufen. Das wollen die Russen nicht."

Was macht man dann nach der Pensionierung? Hierbleiben oder heim?

"Wenn du keine Arbeitserlaubnis hast, musst du sowieso heim. Kriegst ja kein Visum, das musste ja alle zwei Jahre erneuern."

Also kann es einem passieren, dass man ein Berufsleben lang in Moskau lebt und sich dann neu "daheim", in Deutschland, zurechtfinden muss?

"Man braucht die Arbeitserlaubnis", nickt Paczinski und beschließt, mich final zu verwirren, "die Bestätigung von den deutschen und russischen Behörden, dann kriegst du den Stempel vom Wohngebiet. Oder wenn du woanders wohnst oder zur Untermiete oder schwarz oder irgendwo ..., dann auch! Dann musst du ja auch zu Hause die Steuern bezahlen, die Krankenversicherung. Aber wenn dir die Basis fehlt ..."

Erst als ich das Gespräch, das ja offiziell gar nicht stattfindet, offiziell beende, birst es aus Paczinski heraus, was diese Siedlung, was aber auch generell Moskau von zu Hause unterscheidet.

"Wenn ich hier beim Einkaufen hundert Euro hinlege, zahle ich zu Hause bloß fünfzig. Es ist alles anders. Wenn du zum Friseur gehst zum Beispiel – es ist teurer hier, gut und schön, aber auch so schmutzig! Und dann schneiden sie die Haare noch nicht mal richtig. Das ist irgendwie ein bisschen anders, ich weiß nicht, wie ... es ist ... ich weiß nicht, wie ich sagen soll: Es ist eben nicht wie zu Hause!"

Deswegen verlegt die deutsche Gemeinschaft zum Trost eine Gazette namens "Die Hauspostille", von Naturheilkunde in Moskau über die Künstlerbesuche des Atelierkreises, die kirchlichen Gemeinden bis hin zu den Terminen des Internationalen Frauenclubs Moskau.

Und wenn man draußen an die Türklinke seiner Wohnungstür eine Plastiktüte hängt, sind da am nächsten Morgen frische Brötchen drin. Deutsche Brötchen.

Die spinnen, die Deutschen

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