Читать книгу Die spinnen, die Deutschen - Thomas Baumann - Страница 12
Schattenparken, Radarfallen und Parkkrallen
ОглавлениеWir wissen nicht, wo das Rad erfunden wurde. Aber wir wissen wohl, wer vier davon nahm, einen Motor dranschraubte und einen Wackeldackel auf die Ablage stellte: wir selber. Als jahrhundertelanger Dreh- und Angelpunkt der europäischen Völkerwanderung wissen wir, wie man Verkehrsnetze baut. Uns verdankt die Welt die tollsten Autobahnen, die tollsten Automarken, freie Fahrt für freie Bürger und den Schmuse-Countrysong "Ticket to Heaven" in der Telefon-Warteschleife des ADAC.
Willkommen bei der mit riesigem Abstand größten Organisation Deutschlands mit sage und schreibe fünfzehn Millionen Mitgliedern. Unser größter Fußballverein, der FC Bayern München, hat lächerliche 100 000 Mitglieder, die größte Partei, SPD, bringt es ebenfalls nur auf mikroskopische 580 000, und der gewaltige Gewerkschaftsbund DGB hat mit unter acht Millionen Mitgliedern dann auch nur die Hälfte des ADAC. Die Vereinsmitglieder des ADAC zahlen mindestens einen Mitgliedsbeitrag von 44 Euro im Jahr. Bei dieser Machtfülle könnte der ADAC theoretisch morgen einen Kaiser ausrufen im einzigen Land der Welt ohne Tempobegrenzung.
Noch dazu behauptet die ADAC Motorwelt, die mit irrsinnigem Abstand vor Stern und Spiegel meistgedruckte Zeitschrift Deutschlands, sie habe 19 Millionen Leser. Laut Chefredakteur Michael Ramstetter. Entweder er lügt, oder er ist ein Träumer, oder es verhält sich wie mit Pornos: Niemand guckt sie, jeder kennt sie. Denn alle von mir befragten Personen sagten, ja, sie würden sehr wohl jeden Monat "dieses Heft" kriegen, und nein, sie würden da nie reingucken.
Das Büro der Public Relations im eineinhalbten Stockwerk des terrassenartigen Betongebäudes an der Luxemburger Straße in Köln ist groß genug, um Gäste zu empfangen, aber nicht verschwenderisch. Im Erdgeschoss dieses Gebäudes bietet sich auf großer Grundfläche ein seltsam gemischtes Bild aus Laden, Bank, Versicherung, Reisebüro. Die Atmosphäre wirkt fleißig, nicht hektisch oder chaotisch, sondern aufgeräumt und agil.
Ganz wie die aus Funk + Fernsehen bekannte Pressesprecherin Jacqueline Grünewald, deren Telefonleitung gerne durch eher allgemeine Anfragen verstopft ist: "Ist da und da Stau? Oder wie war irgendein Fußballergebnis. Oder: Ich nehm hier gerade an einem Quiz teil. Können Sie mir sagen ...? – Die Leute suchen den ADAC als Lebenshelfer."
Und deswegen gibt es in jedem Bundesland einen, nur für das üppige NRW gleich drei. Somit hat sich leider meine Lieblingsfantasie zerschlagen, eine nationale Mitgliederversammlung, bei der durch einen irren Zufall alle 15 Millionen Mitglieder mal eben vorbeischneien. Mann, was für eine Gulaschkanone!
Diese 18 Untervereine dürfen zwar keinen Gewinn machen, deren Töchter aber sehr wohl: ADAC-Schutzbrief AG, Luftrettung, Verlag (bei Amazon sind derzeit über zweitausend Buchtitel des ADAC im Angebot!), Krankenversicherung, Reisebüro, Autovermietung. Nennen Sie die Branche, kleben Sie ADAC davor – diese Töchter dürfen Gewinn machen. Und machen ihn auch.
♦9♦ Kein Problem – dafür gibt’s jetzt handliche Tempomate
Und welches Verhältnis hat der Autoclub zu Mineralölfirmen?
"Zwei verschiedene. Erstens sind wir Verbraucherschützer. Wir haben die ja nicht in dem Sinne im Griff, dass wir da direkt Einfluss nehmen können. Wir tun das ja seit Jahrzehnten und dieses Jahr auch schon x-mal, das mach ich selber ja auch. Ich steh dann vor der Kamera und sage: 'Leute, also was hier abgeht ...', weil ich mich persönlich ärgere. 'Wenn man sich die Bilanzen ansieht, warum geht ihr mit den Preisen gerade am Ferienanfang hoch?'"
Was an diesem Protest ist mehr als Symbolik?
"Ja, Sie können ja nicht mehr machen. Was sollen wir denn tun? Wir können nur verbal von außen auf solche Unternehmen einwirken, das sind freie Wirtschaftsunternehmen."
... die ein Kartell bilden ...
"Das kann ich natürlich nicht sagen. Aber es ist natürlich auch Aufgabe der Bundesregierung, sich auch da hinzustellen und ..."
Nun folgt wie zu erwarten die Klage über die hohe Spritsteuer. Tanken ist nun mal ein patriotischer Akt.
Kürzlich wurde erstmals ein Preis namens "Gelber Engel" verliehen. Die Preisträger in verschiedenen Kategorien: die Chefs von BMW, Mercedes, Toyota, DaimlerChrysler, Audi, VW, Opel und auch Mazda.
Implizit dominiert in der Öffentlichkeit das Bild, der ADAC sei ein Vertreter des Autofahrers. Ein Irrtum, denn es heißt ja Automobilclub, nicht Autofahrerclub.
"Fakt ist, wir betrachten uns als Mobilitätsbetreuer. So müssen Sie es sehen."
Nein, muss ich nicht, beschließe aber, dies Frau Grünewald zu verschweigen.
"Und wenn da so ein Preis vergeben wird, dann hat das einen Hintergrund. Dann werden da besondere Menschen geehrt oder besondere Technologien oder Ähnliches. Wenn Toyota beispielsweise die Hybridtechnologie nach vorne treibt, dann soll das ein Anreiz sein. Wir würden keine Fahrradtrainings machen, wenn wir nicht sagen würden: Es gibt auch Radfahrer. Und wir würden uns auch nicht für Fußgängerschutz einsetzen gegenüber der Automobilindustrie, wenn wir nicht sagen würden: Es gibt auch Fußgänger."
Führen fünfzehn Millionen Mitglieder nicht zwangsläufig dazu, dass man eine Partei unterstützt? Zum Beispiel die Autofahrerpartei?
"Also a) sind wir keine Partei, b) sind diese fünfzehn Millionen völlig unterschiedliche Menschen."
Bei Ihrer Größe sind Sie doch regelrecht gezwungen, Lobbyarbeit zu betreiben!
"Es gibt bestimmte Interessenlagen, wo wir uns sach- und fachkundig in die Diskussion einbringen. In vielen Fällen werden wir auch gefragt, weil wir auch ein gewisses Maß an fachlicher Kompetenz in unseren Reihen haben, Volkswirte, Ingenieure. Da werden wir auch von Regierungsseite gefragt."
Es ist Frau Grünewald, die in meine gmx-News eine Zahl einspeist wie: "Alle 28 Meter steht in Deutschland ein Verkehrsschild." Dem deutschen Volke.
Wenn Sie morgens zur Arbeit gehen, denken Sie dann daran, wie viele Millionen Menschen Sie vertreten?
"Nee, das denk ich nicht. Aber das, was ich für alle sagen kann, und das müssen Sie jetzt einfach mal so hinnehmen, ohne dass ich jetzt für mein Unternehmen schleime, aber es gab noch keinen Tag, an dem ich sagte, ich muss mich für das Unternehmen schämen. Wir alle hier haben so eine kleine Prägung auf der Stirn: Dienstleistung ist bei uns echt ein Wort. Danach wird hier auch gelebt. Das hört sich manchmal vielleicht blöd an. Aber Sie können nur mit so einer Einstellung in einem Dienstleistungsunternehmen arbeiten."
♦10♦Eine Frage der Perspektive
Dienst. Leistung. Unternehmen ... Unternehmen? Ach so! Der größte Verein des Landes hat 15 000 000 Mitglieder. Dieser Verein ist die getarnte Pforte eines Unternehmens. Und dieses Unternehmen verdient sein Geld mit Autos. Na, wenn das nicht deutsch ist!