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Kunst – Ars Chtritt

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Kunst ist, wenn sie jemand kennt. Die zurzeit 5000 verschiedenen kostenlosen Postkarten der Agentur "Edgar" kennt jeder, allerdings konnte man sie in der Zeit nach ihrer Einführung Anfang der 90er-Jahre auch noch wirklich benutzen. Erstens weil sie tatsächlich Kunst zeigten, die man gerne verschickt hat, und zweitens keine mit Werbetext zugemüllten Rückseiten hatten. Reale Müllkunst.

Garantiert nicht zu finden in einem der 4000 Museen, die es in Deutschland gibt. Garantiert nicht zu unterscheiden nach dem diabolischen Unterscheidungsprinzip E und U, das tatsächlich auch heute noch Anwendung findet, wenn sich Kulturmacher um öffentliches Geld schlagen.

Kunst in Deutschland heißt aber auch: die längste Oper – Meistersinger von Nürnberg, ungeschnitten gut fünf Stunden –, das älteste Symphonieorchester der Welt, das Leipziger Gewandhausorchester, seit 1743. Der größte Chor hatte mit Fischer nichts zu tun und sang 1937 in Breslau, welches Lied, ist mir leider nicht bekannt, und dafür gibt’s posthum den längsten Applaus, nämlich im pfälzischen Frankenthal im Jahre 2002, als eine muffige Bluesrocktruppe namens Grabowsky satte eineinhalb Stunden lang beklatscht wurde, bis sie sich doch noch zu einer Zugabe entschloss.

Sie merken schon, Musik ist hierzulande eine bräsige Angelegenheit, wenden wir uns einer deutschen Urstärke zu, der Literatur. Wir haben Lesezirkel. Haben Sie im Ausland schon mal Lesezirkel gesehen? In England gibt es zwar sogenannte "reader’s circles", dies sind aber gemischte Lese- und Kochrunden, in denen man sich quasi zu Büchern verabredet, um sich gemeinsam über sie austauschen zu können.

Hierzulande sind Lesezirkel Ansammlungen von mehrere Wochen alten Trash-Zeitschriften, durch die künstlich die angeblichen Leserzahlen hochgelogen werden, um höhere Anzeigenpreise verlangen zu können.

Und außerdem gratulieren wir dem Hauptverband der Bahn-Landwirtschaft zum geradezu musikalischen Titel seines Vereinsfachblatts: "Eisenbahn-Landwirt – Fachblatt der Kleingärtner im Hauptverband der Bahn-Landwirtschaft e.V.".

Kennen Sie die Katzenjammer Kids? Hans und Fritz, sagt Ihnen wirklich gar nichts? Sonderbar eigentlich, dabei ist das der älteste noch existierende Comic der Welt. Seit 1897 wird er im New York Journal veröffentlicht und fällt dadurch auf, dass die beiden Helden mit kräftigem deutschem Akzent englisch sprechen. Und sonst? Sonst nichts, nur dass ihr Schöpfer Rudolph Dirks einfach Max & Moritz gestohlen hat.

"Asterix und die Goten" (1963) meint natürlich uns. Bei Uderzo/Goscinny tragen wir Wehrmachtshelme, überfallen auf Kommando gleichzeitig römische Soldaten, werden auch als Barbaren bezeichnet. Wir verbreiten überall Angst und Schrecken, außer natürlich bei den Galliern. Wenn wir fluchen, ist in den Sprechblasen allerlei Eckiges zu sehen, Runen, Hakenkreuze, und selbst der typische Totenschädel trägt einen kantigen Wehrmachtshelm. Beim Marschieren singen wir Marschlieder, wir essen Kohl, sind grausam und lachen darüber, haben den Adler als Symbol und führen vor allem jahrhundertelang Krieg gegeneinander. Nur ein Comic? Wenn ich überlege, was ich aus Asterix über Korsika weiß, obwohl ich nie dort war, fragt sich, was Korsen ihrerseits über mich denken ...

Ach, sprechen wir doch einfach von erfreulicheren Dingen: von unserer ungebremsten Leselust. Aber wissen Sie, was wir eigentlich lesen? Wenn Sie Buchliebhaber fragen, richten sich diese meist nach der Spiegel-Bestsellerliste. Profis wie etwa Verleger oder Buchhändler richten sich hingegen nach dem Börsenblatt, dort wird wöchentlich die Bestsellerliste eines wirklichen Marktforschungsinstituts abgedruckt, das uns auch die Musik-Charts und TV-Zuschauerquoten errechnet.

Ich habe einfach mal eine beliebige Kalenderwoche genommen und die Top 20 beider Listen nebeneinandergelegt, und das Ergebnis ist so überraschend wie das Blutbild von Aliens: Im Bereich Belletristik überschneiden sich nur fünfzehn von zwanzig Titeln, beim Sachbuch wird es noch extremer, da sind gerade mal zwölf Bücher in beiden Listen vertreten. Der Grund? Die eine Liste nimmt Bücher wie den ADAC-Camping-Atlas oder die Flötenfibel mit auf, die andere Liste nicht, dafür aber den Duden. Die eine sagt, dieses Buch ist gebunden, die andere sagt, von wegen, für uns ist das ein Taschenbuch. Und so weiter und endlos fort.

Zwar wird in einer anderen Kunstgattung gerade mal halb so viel Geld gemacht wie im Verlagswesen, aber dafür meint jeder, mitreden zu können, wenn es ums – Fernsehen geht. Wenn Deutschland sich auf dem größten TV-Markt der Welt, also in China, präsentiert, dann zeigt man als Erfolgsformate "Derrick", "Kommissar Rex", "Richterin Barbara Salesch" und "Wohnen nach Wunsch" mit Frollein Meiklokjes.

Ist die deutsche Sprache, die überall synchronisiert werden muss, die Ursache? Die Unbekanntheit deutscher Schauspieler? Der generelle kreative Aderlass vor 45, die Massen an Drehbuchschreibern, Schauspielern und Regisseuren, die nach Hollywood flüchteten, die Hollywood erst zur größten Filmschmiede der Welt machten? Ja, das alles auch. Aber am drastischsten ist die unternehmerische Feigheit deutscher TV- und Filmemacher, unter denen ein Sturkopf wie Eichinger, der bereit war, zwanzig Jahre lang um einen traumhaften Stoff wie "Das Parfüm" zu kämpfen, eine einsame Ausnahme darstellt. Mitleidlos urteilt Wolfgang Wilke, Chef der Miramedia TV-Produktion: "Deutsche Produzenten möchten sich selbst verwirklichen. Amerikaner möchten ihre Filme verkaufen."

Sowenig deutsche Investoren heimischen Machern vertrauen, einzig weil sie nicht fähig sind, Drehbücher zu lesen, umso halsbrecherischer versenken sie ihr Geld in fragwürdige Filmprojekte in Hollywood auf Nimmerwiedersehen, woraus der Begriff "Stupid German Money" resultiert. Es gibt doch einen großen Unterschied zwischen Wagemut und Dummheit.

Was bei uns gewagt ist? Bei uns ist gewagt, wenn am Silvesterabend in einem Dritten Programm die schweizerdeutsche Version von "Dinner for One" läuft (eine Produktion des NDR)!

Die spinnen, die Deutschen

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