Читать книгу Die spinnen, die Deutschen - Thomas Baumann - Страница 9

Dass man für seine Religion eine Steuer an den Staat zahlt, die Kirchensteuer, ist ebenso plemplem wie die Sitte, einem Bewerbungsschreiben ein Passfoto beizulegen. Ein Verein ist einzutragen, wird dann zum e. V. und macht dann eine Steuererklärung. Erklären Sie das mal einem amerikanischen Baseballfan.

Beim Finanzamt zahlen unverheiratete Paare höhere Steuern als verheiratete, beim Arbeitsamt aber werden sie wie Verheiratete behandelt. Sollten Sie in Hessen leben, fragen Sie mal Ihren Landtagsabgeordneten, wieso in Ihrem Bundesland noch immer die Todesstrafe in der Verfassung steht. Womöglich fürchtet da jemand die bürokratischen Hürde, wenn er sie abschaffen will.

Die Einführung eines bundesweiten Handy-TVs verzögert sich, weil wir es hierbei mit 15 verschiedenen Landesmedienanstalten zu tun haben, die 15 verschiedene Lizenzauflagen erlassen. Und wenn Sie das für unübertrefflich idiotisch halten, dann bedenken Sie, dass Sie mit den Nebenkosten Ihrer Wohnung oder Ihres Hauses Abwasserkosten bezahlen, und das ist kein Witz: Sie und ich bezahlen Geld für den Regen, der vom Himmel fällt.

Kaum jemand hat noch Lust, die Versuche aus der Politik zu zählen, die eigene Bürokratie einzudämmen, alte Gesetze wegzuwerfen und neue unsinnige zu verhindern. Der letzte Versuch entstand 2006 nach holländischem Modell und sollte "Nationaler Normenkontrollrat" heißen, mit dem Ziel, jedes Gesetz vor der Verabschiedung darauf zu prüfen, was es eigentlich bringt. Gesetzesfolgenabschätzung (GFA) heißt das offiziell. Wie wäre es, jeden Politiker, der so ein Gesetz vorschlägt, in einem amtlich geprüften Klärschlammbecken rückstandsfrei und unbürokratisch zu entsorgen?

Das Organigramm des Bundespresseamts zählt 33 Referate auf, die in vier Obergruppen aufgeteilt werden: ➢ In Berlin angesiedelte Referate ➢ In Bonn angesiedelte Referate ➢ In Bonn angesiedelte Referate, deren Aufgaben teilweise in Berlin wahrgenommen werden ➢ In Berlin angesiedelte Referate, deren Aufgaben teilweise in Bonn wahrgenommen werden

Allemal bedeutet Bürokratie, zusammengesetzt aus französisch bureau und griechisch kratos, dass hier jemand vom Schreibtisch aus regiert. Und dies erkannte als Erster kein Geringerer als Napoleon: "Die Kanone hat den Feudalismus getötet, die Tinte wird die moderne Gesellschaft töten."

Und der Schriftsteller Robert Anton Wilson befand selbstkritisch: "Menschen markieren ihre Territorien durch Tintenexkremente auf Papier." Exkremente? Ach, scheiß drauf ... riskieren wir die Operation am offenen Herzen!

Schließlich ist der Irrtum verbreitet, ausufernden Papierkram hätten alleine Behörden zu verantworten. Sie halten den Gegenbeweis in der Hand.

Was Sie jetzt in der Hand halten, ist ein Buch, das es früher einmal in einer auf Papier gedruckten Version gegeben hat. Verzeihen Sie bitte die Profanität, aber ich stellte mir folgende Frage: Wenn Sie von den pro Jahr hierzulande hergestellten 10 538 000 000 Kilo Papier ein paar Hundert Gramm in der Hand halten in Form dieses einen Buches, wie viel zusätzliches Papier war für die Bürokratie notwendig, dieses durch seine ISBN eindeutig identifizierbare Buch legal zu erzeugen?

Zunächst einmal muss der Buchverlag Mitglied sein im altehrwürdigen Börsenverein des Deutschen Buchhandels, denn dieser führt das Verzeichnis Lieferbarer Bücher. Dann ist er berechtigt, für ein einzelnes Buch eine ISBN-Nummer zu beziehen. Die EAN-Nummer über dem Strichcode enthält den Preis, sie ist seit Januar 2007 13-stellig, war vorher 10-stellig. Das VLB ermittelt die EAN aus der ISBN, Begründung: Sie ist aus ihr abgeleitet. Klar?

Die erste ISBN-Ziffer steht für den Sprachraum, 3 in diesem Fall für Deutsch, 0 hieße Englisch. Die folgende Zahl ist die Verlagskennziffer, die nächste Zahl bezeichnet die Titelnummer. So, und jetzt konzentrieren: Die letzte Zahl, die Prüfziffer für die gesamte ISBN-Nummer, entsteht, indem die Nummernteile mit 9 beziehungsweise 8, 7 und so weiter multipliziert werden, das Gesamtergebnis hieraus wird dann durch 9 geteilt, und das ist dann die Prüfziffer ... Na, also, noch einfacher kann ich’s wirklich nicht erklären.

Der Preis ist gebunden, das heißt, jeder muss den Preis, den sich der Verlag ausgedacht hat, bezahlen. Auch wenn Sie zehn Bücher auf einmal kaufen, darf sie Ihnen der Buchhändler nicht billiger geben. Die Buchpreisbindung hat zu Rechtsstreiten mit Österreich und Griechenland geführt, wo – EU-Recht! – das Gegenteil Gesetz ist.

Damit aber ein Buch überhaupt ein Buch ist, muss es einen Inhalt haben, insofern ist etwa das Werk "Alles, was der Kölner über Düsseldorf wissen muss", das ausschließlich leere Seiten enthält, keinesfalls ein Buch, sondern ein Dingsbums, ein Partygag, ein Pupskissen mit Seiten drin. Dies bedeutet Höchststrafe, denn Pupskissen kriegen keine ISBN-Nummern und werden mit 19 Prozent besteuert und nicht mit 7 Prozent wie das Kulturgut Buch.

Die Schriftgröße ist nicht geregelt, man darf also auch ein Buch herstellen, dessen Schrift für das menschliche Auge nur Fliegendreck ist, ja, es muss sogar überhaupt keine Wörter enthalten, noch nicht mal Buchstaben. Sie können ein Buch verlegen, auf das Sie außen "Bilder aus meiner Abstellkammer" schreiben, und nur Bilder aus der Abstellkammer Ihres Nachbarn abdrucken. Natürlich um den Leser zu irritieren und eine Katharsis zu erzeugen.

Verboten ist ein Buch, wenn es jemandes Privatsphäre verletzt und dieser Jemand von einem Gericht recht bekommt, so geschehen bei Maxim Billers Roman "Esra". In der Regel funktioniert der Gehorsam aber vorauseilend. Der Emons-Verlag zum Beispiel lässt die stadtpolitischen Fälle der Figur "Kommissar Löhr" vorher von der Stadt Köln prüfen, um einer Indizierung vorzubeugen.

Wenn der Verlag alles mit den Papierlieferanten, Druckereien, Groß- und Kleinbuchhändlern organisiert und mit einem Autor einen Vertrag abgeschlossen hat, welcher möglicherweise sein Manuskript irgendwann abgegeben hat, mangelt der Verlag das Buchmanuskript durch verschiedene Phasen eines Lektorats, dann eventuell durch ein Korrektorat. Es wird eine Pressemappe erstellt, Vertriebsunterlagen, Auftragsformulare und eine Vorschauseite für das Verlagsprogramm.

In einem Vertrag mit mir steht, dass ich selbst als Autor, von lateinisch auto = selbst, der Verfasser des selbst geschriebenen Werks bin. Und noch viele andere Dinge, die ich jetzt nicht sagen darf, sonst setzt sich die Rechtsabteilung des Verlags in Gang, und das würde erst richtig viel Papier erzeugen.

Gesamtergebnis: Die Anzahl der Seiten Papier, die ein Autor volltippt, muss mit dem Faktor 4 bis 5 multipliziert werden, und dann hat man einen etwaigen Überblick über das Papier, das bei dem Produkt "Buch" erzeugt wird, und vielleicht wundern Sie sich, dass das Verzeichnis Lieferbarer Bücher (VLB) nur 55 Bücher kennt, in denen das Wort "Bürokratie" vorkommt.

Und ein Letztes: Die Website www.buerokratie.de bietet zum Kauf einen aktuellen Dachdeckerkalender "mit 54-seitigem Tabellenanhang zur Bedachungstechnik", zweifellos für den ganz formlosen, unbürokratischen Dachschaden.