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Die Wende der 1970er-Jahre
ОглавлениеStaatsbürger sein, hiess in der Schweiz bis 1971, ein Mann zu sein. Der Ausschluss der Frauen vom aktiven und passiven Wahlrecht auf Bundesebene hatte aber Auswirkungen, die über den politischen Bereich hinausgingen.16
Bis Anfang der 1970er-Jahre konzentrierten sich die Forderungen der Frauenbewegung in erster Linie auf das Frauenstimmrecht. Dies führte dazu, dass sich die Entwicklung anderer Regulierungen, die die Geschlechterbeziehungen betrafen, etwa in der Sozialgesetzgebung, verzögerten.17 Insbesondere bei der Teilnahme am Arbeitsmarkt erhöhen diese Verzögerungen die Hindernisse für Frauen. Auch bei der Unterstützung der Mütter war die Schweizer Gesetzgebung besonders stark im Rückstand, die Mutterschaftsversicherung trat erst 2005 in Kraft – 60 Jahre, nachdem das entsprechende Prinzip in der Bundesverfassung verankert worden war.
Die Ausdehnung des «allgemeinen» Stimmrechts auf die Frauen 1971 stellte die Weichen für ihren künftigen Zugang zu Machtpositionen in der Gesellschaft. Denn selbst wenn diese Verfassungsänderung keine direkte Wirkung auf den wirtschaftlichen Bereich hatte, begünstigte der Eintritt der Frauen in die Politik doch eine gewisse Öffnung in den Unternehmen. So veränderte sich die Präsenz von Frauen in den 110 grössten Unternehmen ab den 1980er-Jahren deutlich: Zum einen waren sie zahlreicher vertreten. Auch wenn dieser zahlenmässige Anstieg von einem bescheidenen Niveau ausging (fünf Frauen im Jahr 1957), so sind die 20 weiblichen Verwaltungsrätinnen und Direktorinnen 1980 für die Schweiz beachtenswert. Zweitens veränderte sich ihr Profil: Zwar waren einige dieser Frauen immer noch Firmenerbinnen – so sass beispielsweise die 1926 geborene Hortense Anda-Bührle im Verwaltungsrat von Oerlikon-Bührle. Die Mehrheit der Frauen jedoch gelangte an die Spitze von Unternehmen, die sich nicht in Familienbesitz befanden. Häufig hatten sich diese Verwaltungsrätinnen des neuen Typs in der politischen Arena einen Namen als Frauenrechtlerinnen gemacht und sich für einen (bürgerlichen) Feminismus engagiert.
In der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts öffnete sich die Welt der Grossunternehmen langsam auch für Frauen. Diese Öffnung war allerdings stark vom Fortwirken gewisser Geschlechterstereotypen geprägt: Von den 20 1980 erfassten Frauen waren 13 im «weiblich» konnotierten, dem (Haushalts-)Konsum verbundenen Sektor der Grossverteiler tätig. Allein dem Verwaltungsrat der Migros gehörten fünf Frauen an. Die Migros war damit das einzige Unternehmen, dessen Strategieorgan mehr als ein weibliches Mitglied hatte. Die übrigen Frauen verteilten sich auf die Verwaltungsräte von Coop, Grand Passage, Innovation, Jelmoli und andere im Detailhandel tätige Unternehmen. Gänzlich fehlten in den berücksichtigten Stichjahren Frauen übrigens in den Branchen Versicherungen, Lebensmittel, Bau, Energie, Uhren und Transport.
Eine Kombination von Faktoren führte dazu, dass Frauen bis in die 1980er-Jahre von Machtpositionen in Schweizer Grossunternehmen ausgegrenzt wurden: die geschlechtsspezifische Arbeitsteilung, das Kooptationssystem und die Bedeutung der Militärkarriere. In eigentümlicher Weise begünstigte der Familienkapitalismus – in dieser Ära die vorherrschende Logik der Corporate Governance – in den Grossfirmen zugleich den Aus- und den Einschluss der Frauen. Einerseits bevorteilte ein patriarchalisches System die männlichen Familienmitglieder in den Familienbetrieben. Umgekehrt stammten die wenigen Verwaltungsrätinnen vor 1970 ausschliesslich aus den Besitzerfamilien. Das Frauenstimm- und Wahlrecht war ein wichtiger Wendepunkt. Seine Einführung 1971 brach das Monopol der Männer auf Führungspositionen in der Wirtschaft und ermöglichte es einer Handvoll Pionierinnen, die gläserne Decke zu durchbrechen. Trotzdem blieb in der Wirtschaft der Widerstand gegen eine Feminisierung der Machtpositionen stärker und hartnäckiger als in der Politik. Tatsächlich verlief das Vorrücken von Frauen in Führungspositionen der Grossbetriebe ab den 1970er-Jahren deutlich langsamer als im Parlament (Kapitel 9).