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7.

Ich betrete das Hotelzimmer, meinen Rollkoffer ziehe ich wie einen Hund hinter mir her. Es gibt zwei Betten. Eines ist leer. Auf dem anderen sitzt Steven de Jongh – er ist bei der Rheinland-Pfalz-Rundfahrt mein Teamkollege und Zimmergenosse. Ich sage ihm hallo. Er nickt mir zu. Dann schaltet er den Fernseher um, auf einen Pay-TV-Sender – ich sehe nacktes, pumpendes Fleisch und höre es stöhnen. Steven nimmt zwei Handtücher, wirft mir eines zu und sagt: »Erst mal einen runterholen.«

Ich weiß nicht, was ich sagen soll. Ich stehe da, die Jacke noch an, meinen Koffer in der Hand. Es ist das erste Mal, dass ich mit dem Profiteam bei einem Etappenrennen an den Start gehen werde. Es ist das erste Mal, dass ich eine ganze Woche lang mit den großen Jungs zusammenlebe. Ich kenne Steven kaum: eigentlich nur aus dem Fernsehen. Sie haben mich mit ihm zusammen aufs Zimmer gelegt, weil er erfahren ist und wie ich aus Nordholland stammt. Das schaffe eine Verbindung, hieß es. Er soll mir erzählen, wie es ist, ein Profi zu sein. Bisher hatte ich schließlich nur im Kinderbecken brilliert; erst das Profi-Peloton wäre wie Schwimmen im Tiefen. Und Fahrer wie Steven sollen meine Schwimmlehrer sein. Ich schaue zu ihm auf. Das erste Mal, dass ich zusammen mit ihm auf einem Zimmer untergebracht sein würde, hatte ich mir irgendwie anders vorgestellt. Ich dachte, ich würde einen Handschlag bekommen, kein Handtuch.

Ich stelle meinen Koffer ab, ziehe meine Hose runter und setze mich aufs Bett. Und ich versuche, mich auf das nackte Fleisch und das Stöhnen zu konzentrieren. Wenn dies ein Test ist, möchte ich nicht durchfallen. Ich mache mit.

Was muss, das muss.

Ein paar Tage später bekomme ich abends nach einer Etappe meine erste Injektion vom Teamarzt. Geert Leinders heißt der Mann, ein Belgier. Er arbeitet seit Jahren für Rabobank. Er ist ein kluger, zurückhaltender Mann, der mir in aller Ruhe erklärt, was er mir injizieren wird. Actovegin, ein Kälberblut-Extrakt. Es steht nicht auf der Dopingliste. Es enthält Aminosäuren zur Regeneration. Leinders fragt mich, ob ich seine Ausführungen verstanden habe. »Klar«, sage ich. Ehrlich gesagt finde ich es schon heftig, so eine Spritze im Arm zu haben. Es fühlt sich sehr professionell an.

Das Rennen selbst empfinde ich seltsamerweise nicht als sonderlich anders als in der U23. Es gibt mehr starke Fahrer, aber ich werde auch nicht aus den Schuhen gefahren. Im Gegenteil. Auf der zweiten Etappe setzen wir uns an einem Anstieg mit sechs Mann ab. Mein Teamkollege Erik Dekker ist auch mit dabei. Er sagt mir, dass ich mich auf die Bergpunkte konzentrieren solle: »Dann kannst du vielleicht das Bergtrikot übernehmen.« Doch von der Bergwertung will ich gar nichts wissen. Was soll ich mit dem Bergtrikot der Rheinland-Pfalz-Rundfahrt? Das Einzige, was mich interessiert, ist, diese Etappe zu gewinnen. Und so sprinte ich erst gar nicht mit um die Bergpunkte. Ungefähr zehn Kilometer vor dem Ziel greife ich an. Niemand reagiert – oder niemand kann mehr reagieren; das ist auch möglich. Kurz vor dem Ziel schaue ich mich um: Die Straße, soweit ich sie überblicken kann, ist leer. Ich strecke meine Arme in die Höhe. Aber ich bin nicht euphorisch. Ebenso wenig bin ich überrascht. Ich bin so daran gewöhnt, zu gewinnen, dass es sich ganz normal anfühlt. Abends, am Essenstisch, wird mein Sieg gefeiert. Nicht wirklich überschwänglich, nur ein paar Flaschen Wein, mehr nicht. Erst im Nachhinein wird mir klar, welch besonderes Ereignis dies war, ein junger Fahrer, der gleich in seinem ersten Etappenrennen als stagaire eine Etappe gewinnt. Aber in diesem Moment bin ich noch nicht so weit. Wenn andere mir sagen, dass es etwas Außergewöhnliches ist, zucke ich nur mit den Schultern.

Nach der letzten Etappe der Rheinland-Pfalz-Rundfahrt, bei der ich noch mal Zweiter werde, reise ich mit den Profis weiter zur Coppa Sabatini – einem italienischen Vorbereitungsrennen für die WM. In den Tagen vor dem Rennen teile ich mir ein Zimmer mit Michael Rasmussen. Ein seltsamer Kauz. Er sagt kaum ein Wort und ist den ganzen Tag am liebsten für sich allein. Und er isst fast nichts. Ich kann seine Knochen durch sein T-Shirt hindurchschimmern sehen. Ein paar Tage vor dem Rennen drehen wir eine Trainingsrunde über den Monte Serra. Es ist sehr heiß, aber Rasmussen fährt mit Beinlingen und zwei Jacken übereinander. Er müsse sich »ordentlich einschwitzen«, sagt er. Was das bedeutet, weiß ich zu diesem Zeitpunkt noch nicht.

Bei der Coppa Sabatini fahre ich einem Peloton voller großer Stars. Jan Ullrich, Francesco Casagrande, Franco Pellizotti, Stefano Garzelli, Michael Boogerd – sie alle bereiten sich hier auf die Weltmeisterschaften vor, die eine Woche später in Verona stattfinden. Ullrich gewinnt, ich werde Sechster. Ich würde am liebsten gleich eine Woche später im WM-Rennen der Profis Revanche nehmen, doch ich starte in der U23, weil ich unbedingt Weltmeister werden will. Aber das werde ich nicht. Das Zeitfahren beende ich auf Platz zwei, hinter Janez Brajkovic (und vor Vincenzo Nibali). Es ist die größte Enttäuschung meiner Karriere – weil ich nicht damit gerechnet habe, dass ich auch einmal nicht gewinnen könnte. Bei der Siegerehrung muss ich mich beherrschen, um die Silbermedaille nicht einfach wegzuwerfen. Und als ich ins Hotel zurückkomme, sitze ich minutenlang weinend auf der Bettkante. Ein paar Tage später, im Straßenrennen, werde ich schon wieder Zweiter. Es ist wie verhext. Aber im Finale bin ich einfach zu spät dran, um den zuvor ausgerissenen Weißrussen Kanstanzin Siuzou noch einzuholen.

Am Abend ziehe ich mit meinen Teamkollegen und meiner Schwester los – sie ist nach Verona gekommen, um mich anzufeuern. Ich bin frustriert, und ich möchte meine zweiten Plätze im Alkohol ertränken. Es gibt eine Party in einer Disco in Verona, zu der viele Radrennfahrer gehen. Es wird eine Menge getrunken und getanzt: Für viele Fahrer ist die Saison vorüber. Mario Cipollini kommt auf mich zu. Er kennt mich. Er sagt mir, dass ich das Zeug habe, ein großer Star zu werden. Dann fängt er an zu erzählen, wie gut er selbst früher war. Ich fühle, dass ich dazugehöre. Dass ich mir einen Namen im Radsport mache. Das schmeichelt meinem Ego. Ich merke, wie viel mir Status bedeutet. Dass ich anerkannt werden möchte und dass ich erkannt werden möchte. Dass ich von den bedeutenden Männern dieses Sports ernst genommen werden möchte. Ich habe in diesem Jahr meine ersten Profi-Siege eingefahren und mir meine erste Injektion setzen lassen. Hier, in dieser Discothek, ist es, als würde ich nun definitiv in eine andere Welt hinüberwechseln. Meine Zeit bei den kleinen Fischen ist vorbei, ich bin meine letzte WM in der U23 gefahren, es wartet ein anderes Peloton mit einem ganz anderen Sittenkodex auf mich.

Spät in der Nacht laufe ich Elisa Basso über den Weg. Sie ist die Schwester von Ivan Basso, aber sie ist komplett anders als er. Ivan ist ein sanfter Junge mit Bambi-Augen, Elisa ist ein Vamp. Sie ist immer auf der Jagd. Sie hat eine Beziehung mit Eddy Mazzoleni, der in diesem Jahr für Saeco fährt. Aber sie treibt es mit jedem, höre ich später. Das ist mir egal. Sie ist schön, sie ist älter als ich, sie ist bei dieser WM eine der Hostessen bei den Siegerehrungen. Ich bin auch vorher schon mit einigen Frauen ins Bett gestiegen, aber sie ist die Bestätigung meines Status. Ich fühle mich geschmeichelt, dass sie mich will. Sie nimmt meine Hand und zieht mich nach draußen, ohne etwas zu sagen. Sie hält ein Taxi an. Wir fahren in ihr Hotel. Dort angekommen, führt sie mich zu ihrem Hotelzimmer, direkt in ihr Bett.

Thomas Dekker

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