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9.

Es ist eine Fleischbeschau. Die Mädchen kommen, um sich vorzustellen, eine nach der anderen. Sie haben Namen, die klingen, als wären sie direkt aus einem Porno-Film übernommen worden. Sie tragen High Heels und Röcke so kurz, dass man sich nicht bücken muss, um darunter zu schauen. Unsere Geilheit hallt wider in der Tiefe ihrer Dekolletés.

Wir sitzen mit einer Handvoll Radrennfahrer an der Bar, wir trinken Bier und Cocktails und wir besprechen, wer welches Mädchen nimmt. Ich finde es spannend, fühle mich aber zugleich ein wenig verlegen und unbehaglich. Es ist das erste Mal, dass ich ins Bordell gehe. Der Club heißt Sauna Diana; er liegt in der Nähe des Hotels, in dem wir für das erste Trainingslager des Winters untergebracht sind. Es ist Anfang Dezember 2004 – nicht mehr lange hin und ich starte in meine erste Saison als Radprofi. Ein Trainingslager mit den Profis von Rabobank ist etwas anderes als ein Trainingslager mit den Junioren oder der U23 von Rabobank, stelle ich fest. Ich hatte gedacht, alles wäre seriöser, aber genau das Gegenteil ist der Fall. Es geht hier um mehr als Radfahren allein.

Ein Trainingslager mit den Profis besteht aus zwei Teilen. Tagsüber brettern wir mit dem Mountainbike über schlammige Waldwege, abends wird gesoffen. In den Jahren zuvor hatte ich die Regel, dass ich zwischen dem 1. Januar und dem 1. Oktober nicht einen Tropfen Alkohol anrührte, mit Ausnahme der Feier nach der niederländischen Landesmeisterschaft – höchstens in den Wintermonaten zog ich ein paar Mal los. Und bestimmt nicht, wenn am nächsten Tag ein hartes Training anstand. Aber bei den Profis steht während des Trainingslagers beim Essen Wein auf dem Tisch, und jeden Abend wird in einer Bar gesoffen. Die Fahrer ziehen um die Häuser und niemand stört sich daran. Es gehört anscheinend dazu. Mir kommt gar nicht erst der Gedanke, vielleicht nein zu sagen, als Michael Boogerd mich fragt, ob ich mit in den Puff komme. Ich fühle mich geehrt, dass ich mitdarf. Und so sitzen wir ein wenig später zu fünft im Auto, auf dem Weg zur Sauna Diana. Am Eingang schütteln uns die Besitzer, die Brüder Simons, die Hand. Sie kennen jeden mit Namen.

Das Mädchen, das ich auswähle, ist eigentlich eher eine Frau. Sie ist vielleicht vierzig, blond, und sie ist nett zu mir. In dem Moment sehe ich keine tiefere Bedeutung darin, dass ich eine Frau aussuche, die zwanzig Jahre älter ist als ich, aber im Nachhinein erscheint es logisch: Ich stehe auf ältere Frauen. Wir schwimmen zunächst für eine halbe Stunde, dann gehen wir auf ihr Zimmer. Als wir fertig sind, gehe ich nach unten. In der Bar warten die anderen Fahrer schon auf mich. Wir zahlen und fahren zurück zum Hotel. Am nächsten Morgen brettern wir wieder mit dem Mountainbike über schlammige Waldwege.

Der Winter vor meiner ersten Profi-Saison ist eine einzige Serie von Trainingslagern. Zwischen den Trainingslagern mit dem Team fliege ich auf eigene Faust nach Mallorca. Ich trainiere mir den Buckel krumm, jeden Tag aufs Neue. Ich absolviere Trainingswochen von 35 oder 40 Stunden im Sattel. Ich brenne vor Ehrgeiz, ich will mich vom allerersten Rennen an beweisen.

In den Trainingslagern mit Rabobank in Spanien bin ich einer der Besten. Bei den Tests am Col de Rates hänge ich alle anderen ab. Aber ich will mich auch abends und nachts nicht lumpen lassen: Wenn gesoffen wird, bin ich dabei. Ich lebe von einem Extrem ins andere; aber ich merke, dass ich beim Alkohol nicht ganz so extrem bin wie beim Radfahren. Ich trinke jetzt auch mal einen Wein, aber in der Regel ziehe ich süße Mixgetränke vor. Wir gehen in zwielichtige spanische Bars – im Sommer platzen solche Läden aus allen Nähten, die Leute hängen einander so eng auf der Pelle wie Sardinen in der Konservenbüchse, aber im Winter verirren sich nur wenige Menschen hierher: einige Radrennfahrer in Trainingsanzügen und ein paar Betrunkene. Wir kippen uns einen hinter die Binde, wir lallen dummes Zeug, wir werden auf die Straße gesetzt, weil wir uns daneben benehmen, wir kotzen an Bushaltestellen und stolpern schwankend zurück zum Hotel. Im Training aber wird knüppelhart gefahren, vor allem von den Fahrern, die am meisten trinken. Niemand will den anderen in etwas nachstehen; wie hart du im Nehmen bist, wird daran gemessen, wie schnell du fährst und wie viel du verträgst. Selbst mit einem heftigen Kater stehst du um Punkt zehn Uhr bereit, startklar fürs Training. Niemand kommt zu spät. Außer Óscar Freire. Aber der kommt gewohnheitsmäßig immer und überall zu spät.

Eines Nachmittags nach dem Training gehe ich über den Hotelflur, als ich plötzlich ein Poltern hinter mir höre. Ich drehe mich um und sehe ein paar Teamkollegen auf mich zustürmen. Wer genau es ist, kann ich nicht sehen, sie haben sich Unterhosen und Nylonstrümpfe über die Köpfe gezogen. Der Dünnste von allen, den ich auch mit Unterhose über dem Kopf sofort als Michael Rasmussen erkenne, hat ein Haarschneidegerät in den Händen. Ich weiß genau, was sie vorhaben – die Geschichten über die Initiation neuer Profis habe ich schon zu Genüge gehört. Aber ich will meine langen Haare nicht verlieren. Ich versuche zu entkommen, aber sie sind zu viele. Sie packen mich und ziehen mich in eines der Zimmer. Jemand ruft: »Thomas, hör auf dich zu wehren, das gehört dazu!« Aber ich schlage und trete um mich. Sie werden mich nicht kahl scheren. No fucking way. Ich werde immer wilder und wilder; es gelingt ihnen nicht, mich ruhig zu bekommen. Nach ein paar Minuten geben sie es auf.

Marc Wauters zieht sich den Strumpf vom Kopf. Er sitzt hechelnd am Rand des Bettes und meint: »Wenn du die Initiation nicht über dich ergehen lassen willst, wie willst du dann von uns verlangen, dass wir demnächst für dich vorne im Wind arbeiten?« Ich sage: »Das hat nichts miteinander zu tun. Ihr werdet von Rabobank bezahlt, um für mich vorne im Wind zu arbeiten.«

In diesem Jahr wird niemand mit dem üblichen Ritual initiiert. Ich nicht, und die anderen Neoprofis auch nicht.

Thomas Dekker

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