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Saigon im Jahr des Tigers

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Beginn des Jahres des Tigers. Camp Petrus Ky.

Adjudant Coste musterte den Neuen im schlecht gebügelten Kampfanzug mit Wohlgefallen. Er konnte sehr gut zwischen einem guten Legionär und einem faulen Ei unterscheiden. Der hier, hatte alles, was man brauchte, um schnell nach oben zu kommen, Schneid, Intellekt und einen offenen Blick der von Mumm in den Knochen sprach. Nur mit dem Bügeleisen hatte er offensichtlich ein Problem.


Foto Wikimedia

Coste stand auf und sah zum Fenster hinaus.

»Ein Weihnachten, wie ich es mir immer schon wünschte, steht vor der Tür. Alle Kompanien sind hier zum Feiern, was will man mehr?«

Offiziell war das 2. BEP am 27. Dezember geschlossen in Than Son Nhut gruppiert. Die Männer des Bataillons waren inzwischen im höchsten Grade kampferprobt, die Moral gut. Das Bataillon bekam nach und nach seine eigentliche Fallschirmjägerseele, die sich durch ein unglaubliches Zusammengehörigkeitsgefühl bemerkbar machte. Legionär? Prinzipiell schon ein hervorragender Soldat. Fallschirmjäger der Legion? Dafür gab es noch keine Worte! Der Ruf eilte dieser jungen Einheit weit voraus und der Stab der französischen Armee zögerte nicht, sich ihrer Fähigkeiten zu bedienen. Adjudant Costes Stimme glich feinem Glockenspiel. Doch mit einem Blick auf Joachim Wegener wurde sie zum Donnergrollen.

»Welche hirnverbrannten Idioten haben dir denn beigebracht wie man einen Anzug bügelt?«

»Caporal Burns von der CP-3, mon adjudant.«

»Burns? Nie gehört! Das war bestimmt einer von der Heilsarmee, denn ein caporal der Legion würde dir in den Arsch treten, damit du es richtigmachst. Und nun pass auf mein Junge.«

Er trat vor Joachim Wegener und versetzte ihm einen gemeinen Schlag in den Bauch, sodass dieser vorneüber zusammenklappte.

»Regel Nummer eins. Wenn du in einer Minute mit dem Hauptmann sprichst, dann bleib in Grundstellung und muck nicht rum. Sonst muck ich und zwar dir genau auf die Schnauze, verstanden?«

Wegener richtete sich mühsam auf und nahm erneut Grundstellung an. »Verstanden, mon adjudant.«

Der bullige adjudant lächelte. »Wir verstehen uns blind. Bevor ich's vergesse, gebe dir drei Tage Knast für den miserablen Anzug, wir wollen doch keine falschen Sitten einreißen lassen, nicht? Und nun wart mal schön.«

Er winkte dem Soldaten zu, der vor seinem Büro wartete.

»Du bist doch der caporal vom Neuen?«

»Ja, mon adjudant.«

»Gut. Wie sieht dein Abendprogramm aus? Foyer? Ein Mädchen, ein paar Flaschen Bier?«

Der caporal war auf der Hut. »Ich verstehe nicht.«

Coste verabreichte ihm eine schallende Ohrfeige. »Damit du das nächste Mal weißt, wie du mir die Neuen zum Rapport antanzen lässt. Und nun verschwinde, bevor ich es mir anders überlege.«

Er nickte Wegener zu. »Das war Regel Nummer zwei. Den Blauen keinen Mist erzählen.« Er nickte zur Tür, die ins Büro des Hauptmanns führte. »Du darfst.«

Wegener klopfte an der Tür seines zukünftigen Kompaniechefs und wartete solange, bis eine markige Stimme von drinnen ihn hereinbat. Wie zig Mal vor dem Spiegel geübt, präsentierte sich Wegener indem er seinen Dienstgrad, Namen, seine Dienstzeit und die Einheit in einem runterrasselte.

»Wie war der Name?«

»Wegener Joachim, mon capitaine.«

Der dralle Hauptmann hob seinen Blick und sah Wegener zum ersten Mal direkt an.

»Deutscher, wie ich sehe. Hast du gedient?«

»Wehrmacht, Jägerdivision Aufklärungs-Abteilung.«

»Stalingrad, hm?« Caillaud nickte unbeeindruckt.

Ohne auf eine Antwort zu warten stand er auf und reichte Wegener die Hand. »Du gehörst ab heute dem Zug von Leutnant de Stabenrath an. Melde dich unverzüglich bei ihm. Wegtreten.«

Anm. d. A: Robert Caillauds Werdegang ist es wert, an dieser Stelle ausführlicher erwähnt zu werden. Der junge Caillaud oder ´le soldat de l’insolite`, der ´Soldat des Ungewöhnlichen` wie man ihn auch nannte, war eine eindrucksvolle, robuste Erscheinung. Hinter dem verschlossenen Gesicht mit der hohen Stirn verbarg sich ein Chef, der kein Risiko scheute, ja der gar dem Teufel ins offene Maul springen würde. Sein Draufgängertum und sein Faible für alles Neue und Ungewöhnliche waren damals schon legendär. Mit zwanzig, wir schreiben das Jahr 1941, trat er der Militärschule Saint-Cyr bei und wurde im Anschluss Partisan der Résistance Auvergne, bekämpfte als solcher die deutschen Besatzungstruppen in Frankreich wo und wann immer sich die Gelegenheit dazu bot. Als junger Leutnant rief er ein Aufklärungszug auf Jeep ins Leben, was damals durchaus ungewöhnlich war. Eines Tages, er bekämpfte mit seiner Einheit die deutsche Wehrmacht im Elsass, fand er sich Seite an Seite nebst Fremdenlegionären wieder. Sein Entschluss stand fest: Er wollte einer von ihnen werden! In den Jahren 1946 bis 1948 diente er als junger Zugführer im 2. REI in Indochina. Genau auf diese Soldaten seines alten Zuges griff er zurück, als es Oktober 1948 hieß, er würde die erste Kompanie des 2. BEP, dessen erster Soldat er selber war, anführen. In der Nacht vom 05. auf den 06. April 1954, im Rahmen seines dritten Indochina Aufenthalts sprang Monsieur 2. BEP, wie man ihn inzwischen nannte, als Stellvertreter Bigeards (über den ich später im Text noch ausführlich berichte) über Dien Bien Phu ab und teilte dort das Schicksal tausender Kameraden. Erst im September kehrt er aus der Gefangenschaft zurück. Der Krieg hat ihn jedoch schneller wieder als ihm lieb ist. 1957, als ´commandant en second` in den Reihen des 2. régiment étranger de parachutistes macht er durch waghalsige Einsätze auf sich aufmerksam. Caillaud war es, der dem Regiment ab 1963, als chef de corps (Regimentskommandeur) dieses Mal, die Kommando-Seele einhauchte. Kommandant der école des troupes aéroportées wird er ´Vater der Freifaller` und macht im Alter von 52 den Lehrgang Chute opérationnelle avec ouverture à haute altitude (HAHO - High Altitude-High Opening). 1975 avanciert er zum General, gründet die Amicale des anciens légionnaires parachutiste und verabschiedet sich zu seinem ´letzten Sprung` am 30. September 1995.

25. Dezember, 1949. Weihnachten ist der Legion heilig. An diesem Abend wird gefeiert. Die Männer, angefangen vom Obersten bis zum einfachen Legionär, besinnen sich. Ein kurzer Gedanke an die Vergangenheit ... et puis a la Gloire. Buvons. Auf unseren Ruhm. Trinken wir. Das Gestern ist fern. Es hat kein Gesicht, liegt im Schatten der auf Hochtouren laufenden Maschinen. Man trinkt. Auf den Heiligen Michel, den Schutzpatron der Paras der Legion. Und man kreiert, baute eine Krippe. Eine Weihnachtskrippe aus Pappmaschee, Winterlandschaften in Miniatur mitten im Dschungel. In einer Ecke der von Kerzen erhellten Bar steht ein Weihnachtsbaum.


Die Legionäre hatten ihn streng nach dem Motto Systeme-D (Trick 17) organisiert und mit Girlanden aus Silberpapier behangen. Ein Schweizer caporal-chef spielt auf der Mundharmonika Stille Nacht, Heilige Nacht. Man singt Argonnerwald um Mitternacht, man singt Piaf, frohe Weihnachten, Kamerad. Giovanni erzählt davon, wie ein sizilianischer Zuhälter seine Tochter zuerst entführt, zum Drogenkonsum und dann zur Prostitution gezwungen hatte. Seine kleine Giorgia. Seine Prinzessin, seine Wahrheit, seine Moral und seine Zukunft. Sie hatte sich das Leben genommen. Weil sie nicht mehr konnte, keinen Ausweg mehr fand. Weil sie es nicht gewagt hatte, ihrem Papa, den sie über alles liebte, all die schmutzigen Sachen zu erzählen, die geschehen waren. Giovanni, bis dahin ein höherer akkurater Bankangestellter in Firenze, erfuhr davon aus der Zeitung. Noch am selben Morgen fuhr er zur Bank. Er war ziemlich still. Er hatte keine Tränen, spürte nur eine immense Leere. Montags Blick hing an Giovannis Lippen, aber er drängte ihn nicht. Was Giovanni vor der Legion alles getrieben hatte, ging ihm nichts an, wie überhaupt niemand Fragen über die Vergangenheit eines Legionärs stellte. Das war ein ungeschriebenes Gesetz.

»Lass gut sein, Kumpel.« Er legte Giovanni den Arm auf die Schulter. »Trink lieber noch einen.«

Giovanni schob resolut den Arm von sich. Er wollte reden.

»Es waren Leute von der Mafia, die mein Kind getötet haben«, sagte er mit blecherner Stimme. Es war das erste Mal, dass er überhaupt mit jemandem darüber sprach. Erst als minutenlang kein Wort fiel, merkte Montag, dass Giovanni lautlos weinte. Seine Augen waren stumpf, glanzlos, leer.

»Aber ich hatte auch so meine Beziehungen. Am nächsten Nachmittag wusste ich alles. Wie der Mann, der meine Tochter auf dem Gewissen hatte, aussah, wie er hieß und wo er sich üblicherweise aufhält.«

Giovanni sah Montags ungläubigen Blick, wischte sich die Tränen aus dem Gesicht und sprach weiter. »Sie trafen sich jeden Abend immer um dieselbe Uhrzeit in einem kleinen Straßen-Café am Ende der Via Laura. Das Café liegt wie eine Insel in der Mitte der Straße, weil da eine Abzweigung ist. Als ich wusste, dass alle da waren, stieg ich in den Tanklaster den ich tags zuvor gemopst hatte und raste damit die Via Laura runter, immer schneller, immer schneller. Ich sprang erst aus dem Führerhaus, als ich die vor Entsetzen weit aufgerissenen Augen des Mannes sah, der Giorgia auf dem Gewissen hatte. Meine kleine Giorgia. Tja… alle gingen davon aus, dass ich auch mit ums Leben kam, verbrannt wie Giorgias Mörder im Benzin-Flammeninferno. Und nun sitz ich neben dir und mir geht es blendend.«

Montag nickte, legte noch mal seinen Arm um Giovanni, der diese Geste nun ohne Widerstand zuließ.

»Mensch, und du sagst das Wort Mafia kommt von...?«

»Mazzini Autorizza Furti Incenti Avvelenamenti«, erwiderte Giovanni. »Mazzini befiehlt Raub, Brandstiftung und Giftmorde. Und alles nur, weil irgendein alter geiler Bock ein blutjunges Mädchen im Bett haben wollte. Es ist zum kotzen, manchmal, das Leben.«

Sie schwiegen eine Weile. Montag war gerade mal 21 Jahre alt und hatte nie wirklich eine Freundin gehabt. Nur Emilie, einen Jugendschwarm. Eine flüchtige Berührung, ein scheuer Kuss, eine Liebeserklärung ohne Morgen. Alles, was er von der fleischlichen Liebe kannte, beschränkte sich auf einen Bordellbesuch in Saarbrücken an seinem neunzehnten Geburtstag. Die Kumpels vom Fußballverein hatten zusammengelegt und den schüchternen Karlheinz in die Hände einer professionellen Gespielin gegeben. Na ja, hier war das anders. Bei der Legion lernt man schnell, wo der Hase im Pfeffer liegt und wie man am besten eine Herzensdame findet.

»Lass uns darauf trinken, aber ich sag dir eins, Giovanni. Hier sind wir gut aufgehoben. Die Legion ist wie eine neue Familie. Kein Blick zurück, Prost. Noch ne Runde.«

Der Barmann der Kompanie schüttelte den Kopf. »Kein Alkohol ab zwölf. Befehl vom Hauptmann.«

Für Hauptmann Caillaud war Weihnachten ein wichtiges Datum. Noch wichtiger aber erschien ihm, was sich im Lande gerade zusammenbraute. Seine Kompanie sollte ab dem 26. Dezember die schnelle Eingreiftruppe sein, bereit, sofort ins Gefecht geschickt zu werden. Er hatte da so eine Vorahnung und er würde einen Teufel tun, seine Intuition zu ignorieren, die ihm sagte, dass es nun Zeit sei, seine Männer daran zu erinnern, warum sie zu einer Elitetruppe gehörten.

INDOCHINA. Der lange Weg nach Dien Bien Phu

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