Читать книгу INDOCHINA. Der lange Weg nach Dien Bien Phu - Thomas GAST - Страница 16

Tod im Reisfeld - Hieu-Tu

Оглавление

Am frühen Nachmittag des nächsten Tages sollte sich seine Vorahnung bestätigen. Per Nachricht setzte ihn das Hauptquartier davon in Kenntnis, dass ein Einsatz seiner Kompanie mehr als imminent sei. Nur eine Stunde später warteten die Paras der ersten Kompanie mit angelegten Schirmen auf ihren Einsatzbefehl, während Caillaud sich mit vor Vorfreude erhitztem Gesicht bei commandant (Major) Decorse, dem Stabschef für Operationen meldete.

»Ich nehme an, Caillaud, dass ich Ihnen nicht sagen muss, wie leid es mir tut eine Einheit der Legion gerade an Weihnachten zu stören. Aber ich denke, diese Sache, wenn auch extrem gefährlich, ist ganz nach ihrem Geschmack.«

Die beiden Männer reichten sich die Hand. Dunkle Wolken auf der Stirn, beugte sich Decorse über die Generalstabskarte. Er tippte mit dem Finger auf eine Stelle etwa 130 Kilometer südwestlich von Saigon.

»Das ist Tra-Vinh. Dort haben wir einen Außenposten, von dem wir seit Tagen keine Nachricht mehr empfangen. Wir wissen ganz einfach nicht, ob es dort noch eine Maus gibt, die am Leben ist.«

Caillaud gefiel die direkte Art des commandant. Schon nach den ersten Worten ahnte er, was in Tra-Vinh schieflief, doch das behielt er noch für sich. Decorse sprach mit schneidender Stimme fast beschwörend weiter auf Caillaud ein. »Was wir aber mit Sicherheit wissen ist, dass westlich von Tra-Vinh mindesten drei Bataillone des Vietminh einen Ort namens Hieu-Tu gerade in diesem Moment angreifen. Hieu-Tu ist sozusagen die letzte Bastion vor Tra-Vinh. Wenn Giaps Truppen den Posten einnehmen, fällt auch Tra-Vinh. Der ganze Süden läge dann als Einmarschgebiet für den Feind offen, wie eine Hure für den Freier. Sie verstehen, was ich meine?«

»Ich denke schon, mon commandant.«

Mehr sagte Caillaud nicht. Er dachte nach. Decorse hatte drei Bataillone erwähnt. Seine Kompanie hingegen war nur knapp 130 Mann stark. Der Auftrag stank, war aber genau nach seinem Geschmack.

»Hieu-Tu ist zu dieser Stunde nur über den Luftweg, siehe per Einsatzsprung erreichbar. Raten Sie mal, welche Kompanie die einzige ist, die ich sofort in das Gefecht werfen kann?«

Caillaud grinste. »Doch nicht etwa meine?«

»Gut geraten. Es gibt da aber ein Problem.« Decorse zögerte. »Genauer gesagt, es gibt mehrere Probleme.«

»Reden Sie schon«, drängte Caillaud nun ungeduldig. »Ein Problem, das man kennt, ist bekanntlich keins mehr.«

»Das hier schon«, beharrte Decorse und trat von einem Bein aufs andere. »Giap rechnet mit einer Luftlandeoperation und erwartet den Gegner bereits. Weiß der Teufel, wie es Nguyen Binh immer wieder gelingt, Informationen über unsre Vorhaben zu bekommen, aber lassen wir das. Dann wäre da noch das Wetter. Es schüttet da unten wie aus Eimern und der Wind bläst mit zweiundzwanzig Stundenkilometern. Wenn Ihre Legionäre nicht schon vom Vietminh in der Luft abgeschossen werden, brechen sie sich mit Sicherheit bei einem solchen gewagten Sprung das Genick.«

»Moment mal, mon commandant. Sie sprachen von Problemen.«

Decorse schmunzelte. »Die Luftwaffe kann Ihre Kompanie nicht unterstützen, denn die fliegen bei so einem Wetter gar nicht. Es ist ein Himmelfahrtskommando, Caillaud. Ich kann und darf Ihnen nicht befehlen, dort abzuspringen. Das wäre gegen jede Vernunft. Den Sprung durchzuführen hieße gegen sämtliche Vorschriften bezüglich des Einsatzes von Luftlandetruppen zu verstoßen.«

»Vorschriften?«, blaffte Caillaud verächtlich. »Wir befinden uns im Krieg, soviel ich weiß. «

Der Ansatz eines Lächelns spielte in den Mundwinkeln des commandants. »Trotzdem. Wenn Paris davon erfährt, rücken meine Generalsterne in weite Ferne. Es sei denn...?«

»Es sei denn, ich wäre verrückt genug, um diesen Einsatz quasi zu betteln«, lachte Caillaud wurde aber sofort wieder ernst. »Meine Männer warten nur auf den Moment, an dem ich Ihnen sage, allons y au casse pipe. Es geht wieder los.«


Douglas Dakota C-47.

Bereits eine Viertelstunde später war Caillaud umringt von seinen Zug- und Gruppenführern. Sie wollten wissen, um was es ging. Der Einsatzplan mit allen Details folgte. Nachdem sie gebrieft waren, ging alles sehr schnell. Die Motoren der sechs Dakotas spuckten. Punkt siebzehn Uhr hob die erste Maschine mit Caillaud, seiner Kompanieführungsgruppe und commandant Decorse an Bord ab. Sie flog zunächst in sicherer Höhe über Tra-Vinh hinweg und raste dann im gefährlichen Tiefflug über Hieu-Tu. Wütende MG-Salven schlugen ihr entgegen. Caillaud, der mit Decorse von der Pilotenkabine aus nach unten starrte, blieb davon völlig unbeeindruckt. Obwohl: Was er sah, konnte ihm nicht gefallen. Hieu-Tu war vom Feind total kontrolliert. Selbst bei der schlechten Sicht konnte er deutlich die Spuren frischer Kämpfe erkennen. Am Straßenrand an der nördlichen Anfahrtsstraße brannten dem Regen zum Trotz mehrere Fahrzeuge. Soldaten lagen dort, wo der Tod sie ereilt gerade hatte. Caillaud legte dem Bordfunker die Hand auf die Schulter um auf sich aufmerksam zu machen. »Haben Sie mit den Jungs am Boden Funkkontakt?«

Der Bordfunker machte ein paar vergebliche Versuche, zuckte dann aber frustriert die Schulter. »Tut mir leid.«

Als die Dakota über Hieu-Tu hinweg war, deutete Caillaud auf eine freie Fläche südöstlich von dem Ort. Es war ein Reisfeld, in dem das Wasser Meterhoch zu stehen schien. Begrenzt durch unzählige Dämme, sah die Gegend von oben aus, wie ein riesiger Swimmingpool.


die letzten Momente vor dem Sprung über Hieu-Tu.

»C'est magnifique«, sagte Caillaud schließlich. »Fantastisch. Wir springen über diesen Feldern ab. Sehr tief allerdings, keines Falls höher als 100 Meter. Je kürzer die Zeit am Schirm, desto weniger Zeit bleibt dem Vietminh, ein Tontaubenschießen zu veranstalten. Hoffen wir, dass keiner meiner Männer den Reserveschirm ziehen muss, das wär's dann nämlich.«

Der Kommandant der Flotte nickte und der Absetzleiter schrieb eifrig mit. »Ein einziger Anflug. Achse Nordost – Südwest. Alle sechs Maschinen dicht hintereinander. Hundertzweiunddreißig Mann. Absetzhöhe 100 Meter. Ist das so richtig?«

Decorse nickte und bekreuzigte sich, als die Tür sich öffnete und der Wind ihnen den Regen ins Gesicht peitschte. »Wenn das mal gut geht.«

Als der Pilot des Dakota Leitflugzeugs Sichtkontakt mit den anderen fünf Maschinen hatte, brachte er sich in die Achse und ging runter auf 100 Meter.

»Aufstehen, einhaken!« Die Fallschirmjäger des zweiten Zuges sprachen kein Wort. Jeder dachte an den imminenten Sprung. Dachte daran, was man Ihnen in Philippeville eingebläut hatte. Der Feind am Boden schien für den Moment noch unwichtig. Alles zu seiner Zeit. Karlheinz Montag konnte sich nur mit Mühe erheben. Seine Glieder waren steif, das Sprunggepäck wog schwer. Er hatte den Lastensack voll mit Gewehrgranaten und Munition. Vorsichtshalber hatte er noch eine Flasche Reisschnaps und amerikanische Zigaretten eingepackt, wer weiß ob es in Cochinchina so etwas gab.

»Fertig zum Sprung … GO!«

Leutnant de Stabenrath und sein Zugtrupp warfen sich ins Leere. Nachdem sein Schirm sich geöffnet hatte, sah Montag das Dorf direkt unter sich. Er sah Mündungsfeuer und hörte, wie Geschosse ihr Ziel bereits in der Luft trafen. Zeit, darüber nachzudenken, blieb ihm allerdings nicht, denn der Schock beim Aufprall gegen eine Hauswand raubte ihm den Atem. Der Legionär, der einige Meter neben dem Saarländer zu Boden krachte, löste sich vom Gurtzeug und war mit drei Sprüngen bei ihm.

»Alle Knochen heil?«

Noch während er sprach zerrte er seine Waffe hervor und lud durch, das Gefecht hatte begonnen. Legionäre de 1. classe Montag hatte noch deutlich die Stimme des Leutnants in den Ohren. Der Vietminh könnte überall sein! Und er wird schnell reagieren! Darüber aber, dass sie mitten in ein gefährliches Rattennest abgeworfen werden sollten, hatte keiner auch nur ein Wort verloren. In der anbrechenden Dunkelheit drangen die Vietminh von allen Seiten auf die Legionäre ein. Die ersten Schüsse aus Montags Waffe streckten zwei besonders Mutige nieder. Der Legionär, der Montag auf die Beine geholfen hatte, warf sich neben ihn in den Dreck und eröffnete ebenfalls das Feuer.

»Irgendwo links von uns ist der Zugtrupp, unser Sammelpunkt. Lass uns schnellstens von hier verschwinden.«

Während er sprach, richtete er sich halb auf.

Montag blieb liegen, zerrte den Kameraden in die Deckung zurück.

»Runter Idiot, oder willst du, dass Hieu-Tu dein Grab wird?«

Der schlanke hochgewachsene Legionär starrte ihn verblüfft an. Er verstand nicht, hatte ans Sterben gar nicht gedacht. Was er aber verstand, war, dass sich die Situation alles andere als komfortabel präsentierte. Nur nicht lebend den Viéts in die Hände fallen, das hatte man ihnen eingetrichtert. Immer und immer wieder. Es gingen genug Horrorgeschichten herum.

Schüsse fegten ununterbrochen ganz knapp über seinen Kopf hinweg, klatschen an die Mauer einen Meter hinter ihm. Ein Mörtel- und Holzsplitterregen prasselte auf ihn nieder.

»Siehst du den Brunnen etwa achtzig Schritt halblinks vor uns?«

Karlheinz Montag musste schreien, damit seine Stimme den Kampflärm übertönte. Regen und Wind rissen ihm die Worte von den Lippen. Nur vage Wortfetzen blieben übrig. Der Legionär nickte. Er trug keine Kopfbedeckung, hatte seinen Helm beim Sprung verloren. Mit einer hundert Mal geübten Geste steckte Montag eine Gewehrgranate auf seine Waffe, visierte dann den Brunnen an, schoss und lud sofort nach, ohne zunächst auf das Resultat zu achten. Inzwischen wusste wohl jeder Legionär der ersten Kompanie, dass Montag ein exzellenter Schütze war. Die Vietminh sollten das am eigenen Leibe erfahren. Die erste Granate erreichte ihr Ziel, brachte das schwere MG zum Schweigen. Ein Mann in Schwarz erhob sich hinter dem Brunnen, torkelte zwei Schritte auf die Straße und sackte dann in sich zusammen. Kaum zwei Sekunden später war das MG wiederbesetzt und ratterte von neuem los. Rechts entstand Bewegung. Montag erkannte den Ernst der Stunde sofort. Man wollte ihnen in den Rücken fallen. Schuss um Schuss feuerte er in rascher Folge in die Richtung der feindlichen Positionen. Überall in der Stadt hörte man Detonationen von Handgranaten. Montag schloss daraus, dass der ganze verdammte Zug, ja die ganze Kompanie in arger Bedrängnis war. Mit gehetztem Blick sah er sich um.

»Wir müssen hier weg.«

Ohne zu zielen schoss er auf eine Gestalt, die sich mit schnellen Sprüngen näherte. Erst beim dritten Schuss brach sie zusammen und rührte sich nicht mehr. »Hinter uns, die Mauer. Renn los, wenn ich es dir sage.«

Der Legionär nickte.

Montag lud nach. »Jetzt«, brüllte er aus Leibeskräften und begann ein mörderisches Deckungsfeuer. Der Legionär sprang auf, rannte geduckt auf die Maueröffnung zu und warf sich dahinter in Stellung.

»Na was nun, willst du selber hier etwa Wurzel schlagen?«

Montag fluchte still in sich hinein, rappelte sich auf und sprang ebenfalls los. Auf dem Weg zum Sammelpunkt stießen sie auf einen toten Unteroffizier. Er hatte den Schirm noch angelegt. Seine Waffe befand sich im Waffenbehälter unter dem Reserveschirm. Auf dem Gesicht des Toten lag ein Ausdruck großer Verwunderung. Es war ein stummer Protest, so als hätte er sagen wollen, dass alles nur ein Irrtum sei.

»Das ist sergent Meignan«, sagte Montag, kniete kurz nieder und schloss dem Toten die Augen. »War ein feiner Kerl.«

Meignan hatte das gleiche Schicksal ereilt wie zwei seiner Kameraden. Breits in der Luft wurden sie von gut gezielten Schüssen der Viéts getroffen. Für sie war der Krieg zu Ende. Für den Rest der Kompanie, die noch nicht darüber informiert war, was für Szenen sich in Hieu-Tu abspielten, war es kein Leichtes, sich nach dem Sprung zu sammeln. Wind und Regen hatten nicht nachgelassen. Auch die Nacht kam schnell. Nicht wenige waren es, die sich beim Aufprall schwer verletzt hatten. Unter Ihnen befand sich einer der Sanitäter. Er hatte sich das Rückgrat gebrochen. Anstatt im Reisfeld war er mit der gesamten Wucht seiner Ausrüstung und seines Gewichtes auf der Straße gelandet. Andere hatten mit dem Wasserstand im Reisfeld zu kämpfen, alle jedoch mit dem Wind. Sie wurden teilweise einfach davongezogen, konnten ihren Ritt auf dem Reisfeld erst bei einem Damm beenden, der für den Schirm eine natürliche Barriere darstellte. Dennoch, als die Legionäre den Kampflärm hörten, ahnten sie, dass es um das Überleben des zweiten Zuges ging. Capitaine Caillaud zögerte keine Sekunde. Den Kompanietrupp auf den Fersen, rannte er Richtung Hieu-Tu, peitschte jeden Legionär an, dem er begegnete. Ein Legionär, der unentschlossen in einem Reisfeld kniete, schrie sich die Seele aus dem Leib. »Na fein. Dort drüben liegen drei Bataillone Vietminh.« Jemand stieß ihn von hinten brutal in den Rücken, sodass er taumelte und fiel. Über sich sah er plötzlich die bedrohliche Silhouette seines Gruppenführers. »Und hier steht eine Kompanie Fallschirmjäger des 2. BEP du Arschloch und das kommt etwa aufs Selbe raus. Und nun los«, brüllte der sergent und stürmte voran. Die Legionäre schwärmten aus, verfielen in eine Art Laufschritt. Einzeln oder in Gruppen, egal welcher Zug, drängten sie ungeachtet des starken Feindfeuers mit Macht zum Dorf. Noch aus der Bewegung heraus griffen sie an. Die beginnende Nacht als einzige Deckung, sprangen sie vorwärts und es war dieses Überraschungsmoment, die Schnelligkeit und die Entschlossenheit die für Verwirrung in den Reihen des Vietminh sorgten, denn tatsächlich gelang es den Legionären ohne weitere Verluste die Toten zu bergen und die Verletzten nach hinten zu bringen. Der Zug de Stabenrath entging gerade noch so einem Massaker. Capitaine Caillaud beschloss es dabei zu belassen und die Resistenznester des Vietminh in Hieu-Tu erst am frühen Morgen anzugreifen. Und dies aus gutem Grund: Die Kämpfer der Vietminh hatten sich geschickt unter die Bevölkerung gemischt. Häuserkampf war im Allgemeinen eine Gefechtsart die sehr viele Opfer von beiden Seiten forderte, war fast schlimmer noch als der Dschungelkampf. In einem nächtlichen Häuserkampf hätte es sehr viele Tote auch auf ziviler Seite gegeben. Das war nicht im Sinn des Hauptmannes. Um zu verhindern, dass der Vietminh auf Tra-Vinh zu marschieren konnte, blockierten die Legionäre noch vor Mitternacht sämtliche Zufahrtsstraßen um Hieu-Tu.

Es war kalt, die Dunkelheit absolut. Der Regen hatte etwas nachgelassen.

In ihren Gräben zogen die Legionäre die Zeltbahnen dichter um ihre nassen Uniformen. Manche rauchten im schnell ausgehobenen Schützengraben. Man schwieg. Zehntausend Kilometer weit weg von Zuhause. Nacht und Regen. Das war eine Kombination, die selbst den Schwachen an die Nieren ging. Als es Tag wurde, war der Gegner verschwunden. Ihm war es gelungen, bei stockdunkler Nacht durch die Reihen der Legionäre zu schlüpfen. Bei der anschließenden Flucht stießen sie auf die Verstärkungskolonne der Franzosen, die sofort das Feuer eröffnete. Nguyen Binh, der Verantwortliche der Vietminh im Süden des Landes ließ bei diesen Kämpfen über 300 Männer. Die Kompanie Caillaud beklagte drei Tote. Den Unteroffizier Meignan, die Legionäre Walscher und Langmar. Es gab etliche Verletzte. Zwei davon hervorgerufen durch Schüsse und der Rest durch den Schock beim Aufprall am Boden. Die Garnison Tra-Vinh blieb unbehelligt. Von daher war die Operation ein durchschlagender Erfolg. Genießen konnten ihn die Paras jedoch kaum, dazu ließ man ihnen gar nicht die Zeit. Gerade die Toten begraben, ging es zurück nach Saigon, wo dem Bataillon im Januar 1950 neue Operationen bevorstanden.

»Wenn der adjudant uns erwischt, sind wir die ärmsten Schweine in ganz Französisch Indochina.«

Joachim Wegener wollte gar nicht darüber nachdenken.

»Karlheinz, du hast mehr Angst als Vaterlandsliebe. Wir wollen doch nur etwas Spaß haben, bevor wir wieder in die Maschine krabbeln. Wüsste auch nicht, wie der adjudant das herauskriegen soll.«

Vaterlandsliebe!

Für beide war es schwer, dieses Wort mit dem in Einklang zu bringen, was sie in dieser Zeit in Indochina durchlebten. Wegener fühlte sich vom Vaterland betrogen, während Montag es verlassen hatte, weil er eine nicht wiedergutzumachende Dummheit begangen hatte. Eine Jugendsünde. Ungern dachte er an die Zeit von damals, die ja nun gar nicht solange zurück lag. Er dachte an die Löcher in seinen Hosen und Schuhen, an Schutt und Asche und an den ständigen Hunger. Er dachte auch an die CARE-Pakete die die Amerikaner in Deutschland verteilt hatten: Rindfleisch in Kraftbrühe, Schweineschmalz, Kaffee und Aprikosen aus der Dose! Sie sättigten den Hunger aber nicht den Wolf in ihm. Den, der sagte: Almosen sind’s! Wo ist nur dein Stolz, Kamerad Schnürschuh? Zukunftsperspektiven gleich Null, dafür Schwielen an den Händen und eine ohnmächtige Wut im Bauch. Er hatte sein Dilemma erkannt, hörte vage davon, dass die Fremdenlegion über die Vergangenheit jedes Einzelnen hinwegsah und jedem eine Chance, einen Neuanfang bot.

Und jetzt?

Er fühlte sich wohl hier. Sauwohl sogar. Und er hatte sich verändert. Seine vorher blasse Gesichtsfarbe war einem tiefen Braun gewichen. Seine Bewegungen waren geschmeidig. Sein Körper, gestählt durch die langen Gewaltmärsche im Dschungel und in den Reisfeldern, war hager geworden. Er besaß kein überflüssiges Gramm Fett mehr. Die größte Veränderung aber war: Er hatte endlich ein Ziel vor Augen, hatte seinen Stolz wiedergefunden.

Er war endlich wieder er selbst. Keiner musste ihm mehr Almosen anbieten. Von einfacher Natur war Montag jemand, der sich nicht den Kopf über Ding zerbrach, die er sowieso nicht ändern konnte. Nur der Legion war er was schuldig.


Gewaltmarsch im Dschungel.

Joachim, der Noble wie alle ihn nannten und er, der stille Arbeitersohn, waren grundverschieden. Vielleicht waren sie deswegen inzwischen so dicke Freunde. In völliger Dunkelheit rannten sie auf den kaum zwei Meter hohen Drahtzaun zu, sprangen an ihm hoch und befanden sich bald darauf schon im Schatten außerhalb des Flughafens. Auf Schleichwegen liefen sie in Richtung des Dorfes, welches denselben Namen trug, wie der Flughafen. Than Son Nhut Village. In einer dunklen Gasse blieben sie völlig außer Atem stehen. Schweiß glänzte auf ihren Gesichtern.

»Es muss hier irgendwo sein «, sagte Joachim und versuchte verzweifelt sich in der Dunkelheit zu orientieren. Fünfzig Meter weiter schimmerte das gedämpfte Licht einer roten Laterne. Einige zwielichtige Gestalten gingen ein und aus. Jedes Mal, wenn die Türe aufging, drang von innen Frauengelächter ins Freie.

»Wir sind richtig. Da ist das rote Licht, wie Bach-Van es beschrieben hat. Das Restaurant ihrer Tante.«

Sie hielten kurz vor der Tür, auf der in großen Buchstaben Lai-Yun stand. Lai-Yun war ein fragwürdiges Etablissement, an dem jeder französische Offizier oder gar Unteroffizier, der was auf sich hielt, naserümpfend vorübergehen würde. Genau deshalb hatten sie den Treffpunkt hier ausgemacht. Um auf Nummer sicher zu gehen. Doan-Tang und Bach-Van warteten bereits. Sie waren aufgeregt und flüsterten beim Anblick der beiden Legionäre lachend miteinander.

»Ihr seid spät«, bemerkte Doan-Tang schließlich ernst. »Bach-Van hat bereits für euch mitbestellt. Es gibt Pho-Bo, Reis im Sud und Flusskrebse. Gefällt euch das?«

Karlheinz warf sein Képi auf den Tisch neben Bach-Van und umarmte sie.

»Gibt's auch Bier?«, fragte er lachend. »Schließlich haben wir unser Leben riskiert, um euch zu sehen. Ein paar Bier, dann euer Pho-Bo und ab in die Kiste.«

Die beiden Mädchen kicherten. Joachim warf Karlheinz einen warnenden Blick zu, doch niemand im Restaurant nahm Notiz von den deutschen Legionären. Irgendwann später am Abend, sie waren bei der Nachspeise angelangt, es gab süße Bienenwaben und in Honig eingelegten Ingwer, lachte Bach-Van plötzlich laut. »Ich muss gerade daran denken, was einige der Congaiës eurer Offiziere machen, wenn sie wütend auf sie sind. Und wütend sind sie oft.«

»Na rück schon raus damit.«

»Sie pissen in die Suppe, bevor sie aufgetischt wird.«

Joachim und Karlheinz sahen sich gegenseitig an und prusteten dann gleichzeitig los.

»Ich hoffe, ihr macht nicht das Gleiche mit uns?«

Doan-Tang schüttelte ganz bestimmt den Kopf und erhob sich anmutig.

»Lasst uns gehen.«

Sie kicherte verführerisch und steuerte auf eine Tür zu, hinter der, das wusste Joachim bereits, diverse Zimmer angrenzten. Kurz bevor der Trompeter zum Wecken blies, schlichen die beiden Legionäre wieder ins Camp zurück. Der eine, Montag, fröhlich und beschwingt. Der andere, Wegener, nachdenklich. Viel zu nachdenklich.

INDOCHINA. Der lange Weg nach Dien Bien Phu

Подняться наверх