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Die Brüder als Wegbereiter

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Thomas: Waren deine Brüder Vorbilder für dich?

Uli: Ja, automatisch, klar. Ich empfand ihnen gegenüber Loyalität, wollte die Dinge so tun, wie sie es taten. Mit sechs und vierzehn Jahren Altersabstand war ich natürlich der kleine Kerl. Sie waren die Leuchttürme, die vor mir hergingen und an denen ich mich wie selbstverständlich orientierte. Wenn sie in der Gemeinde mitarbeiteten, auf Jugendfreizeiten waren, dann wollte ich das auch – so schnell wie möglich. Im Einholeifer habe ich manches gar nicht verstanden und teilweise Wörter gebraucht, die über mein Wissen hinausgingen.

In den Sechzigerjahren war ja der Atomkrieg ein großes Thema. Als ich in einem Buch das Wort »Atmosphäre« las, erzählte ich anschließend von der »Atomsphäre«, weil für mich klar war: Atom ist das Thema, worüber alle reden! »Nein, das heißt Atmosphäre!«, wurde ich aufgeklärt. Die Brüder haben mich an die Hand genommen. Man darf ihre Rolle nicht unterschätzen, sodass ich heute manchmal denke: Was macht das mit Familien, wenn Kinder keine Geschwister mehr haben, die ihnen auch Vorbild sein können?

Thomas: Wart ihr als Brüdertrio Vorzeigekinder – alle aktiv in die Gemeindearbeit der Eltern eingebunden?

Uli: Ja, aber mit Brüchen. Wir waren sehr unterschiedlich. Otto, der Älteste, hat am meisten vom Krieg und seinen Folgen miterlebt. Er war sieben Jahre alt, als er seinen Vater zurückbekam. In gewisser Weise ist sein Lebenslauf dem meines Vaters sehr ähnlich. Zuerst Zimmermann, ist er später Pastor geworden. Er ist am stärksten in einem alten System aufgewachsen, hat aber seinen Weg darin gefunden.

Dieter, mein zweitältester Bruder, litt in der Schule unter der preußischen Disziplin und verschwieg bis zur zehnten Klasse, dass er extrem kurzsichtig war – elf Dioptrien –, was dazu führte, dass er die Aufgaben an der Tafel nicht lesen konnte. Folglich war er oft im Konflikt mit Schule und Eltern. Er war für mich immer ein bisschen ein schuldbeladener Schüler, der froh war, dass er nach der zehnten Klasse gehen durfte. Dabei ist er ein ganz treuer, lieber, begeisterungsfähiger Kerl, der mich oft geschützt und an die Hand genommen hat, am Anfang auch als Babysitter. Er ist nach seiner mittelmäßigen Schulkarriere aus lauter Ungewissheit, was er werden sollte, zum Finanzamt gegangen. Danach mit Begabtenprüfung an die Universität und wurde schließlich ein hervorragender Pädagoge – genau sein Ding. Einer, der gerne unterrichtet und väterlich an die Hand nimmt. Seine Schüler liebten ihn.

Auch ich habe davon profitiert – er hat mich beschützt, gefördert und mit in die Welt hineingenommen. Er hatte eine Kunstphase, wo er Emil Nolde und die Expressionisten entdeckte. Also habe auch ich einen intensiven Zugang zur Kunst gefunden. Beide Brüder liebten unsere Küstenregion und die Schifffahrt und all das Maritime bei uns – also lernte auch ich das als wertvoll kennen. Mit Dieter bin ich heute ja weiter ganz eng durch die Arbeit mit dem Dünenhof oder sein großes Engagement in der Gemeinde unterwegs.

Ich war für beide Brüder sicher auch eine absolute Nervensäge – der kleine, freche Fips, der sich an die netten jungen Mädchen aus ihrem Jugendkreis anschmiegte und bei allen hoch im Kurs war.

Thomas: Die Orientierung an deinen Brüdern war für dich nie beengend oder bevormundend, sondern ...

Uli: ... einladend nach dem Motto: »Interessant, was macht ihr da? Aha, das ist anscheinend was Gutes, was Wichtiges!« Was sie mit einer gewissen freudigen Lässigkeit in ihr Leben genommen haben, habe ich oft mit fokussierter Leidenschaft vertieft. Heute habe ich Regalmeter voller Kunstbücher, besuche gern, wo immer ich bin, Museen. Manche meiner Hobbys kann ich auf meine Brüder zurückführen.

Thomas: Weil du sie beeindrucken wolltest?

Uli: Nein, weil ich davon fasziniert und begeistert war. Ich mache vieles nicht – aber was ich mache, da kann ich mich richtig reinbohren und entwickle ordentlich Betriebswärme. Eben ganz oder gar nicht! Das Leben ist extrem spannend, finde ich – es gibt so viele tolle Sachen! Wenn man sich reinkniet, ist so vieles interessant.

Thomas: Das ist bis heute so ...

Uli: Ja, wahrscheinlich! Ich war ziemlich gut im Kopfrechnen. In Krankheitszeiten habe ich das kleine und große Einmaleins in ein dickes Buch geschrieben, seitenlang. Oder ich habe bei meiner Oma Haselnüsse gesammelt – ich war und bin ein großer Sammler. Als ich wieder einmal asthmakrank war, habe ich meinen Sack genommen, mit einer Briefwaage von Papa jede Nuss gewogen und ins Heft eingetragen. Von 300 Nüssen fand ich so heraus, welches die schwerste war. Ich liebe Zahlen und Listen und den Durchblick durch etwas …

Thomas: Hatte das auch mit Langeweile zu tun? Oder war es ein Spiel für dich?

Uli: Ich denke mal, es war spielerische Kreativität, ich wollte mir eine Welt vorstellen. Ich hatte immer viele Ideen, was man machen könnte. Hatte Drive, das dann auch zu tun: Hütten und Höhlen bauen bei uns auf dem Gelände, irgendwas starten – gern auch mit den Brüdern zusammen.

Thomas: Da kam die Inspiration ursprünglich her.

Uli: Ja, mancher Start, mancher Horizont. Ich müsste ihnen eigentlich Danke sagen. So vieles ist durch sie in mein Leben gekommen in einer sehr zufälligen Auswahl, die sie mitbestimmt haben. Durch sie bin ich auch in die Gemeinde gekommen.

Thomas: Das bedeutete: Du kamst in die Bereiche hinein, wo du mitarbeiten konntest. Waren das vor allem Jugendstunde, Kindergottesdienst, Jungschar? Dort, wo eben die Brüder schon aktiv waren?

Uli: Genau. Und natürlich auch andere Leitende. Darüber hinaus traf man sich sonntags mit jungen Leuten, es gab Unternehmungen. Zur Eisdiele gehen, ans Wasser fahren. Eine Jungscharfahrt mit Zelt und Lagerfeuer. Richtig ist der Knoten zur Mitarbeit dann hier in Cuxhaven geplatzt. Ich war um die 13, als ich unter Wilfrid Haubeck, späterer Professor an der Theologischen Hochschule Ewersbach, Jungscharmitarbeiter wurde. Da wurde ich auf gute Weise ins Wasser geschmissen: musste Geschichten vorlesen oder erzählen, Spiele veranstalten – gut Norddeutsch: »Feudelkampf« zum Beispiel, der Klassiker. Ich habe dadurch automatisch Leiten gelernt – es war mir ja ohnehin durch die Eltern vertraut, Menschen anzuleiten.

Es ging dann immer weiter in die Jugendkreisarbeit, Teestubenarbeit, Freizeitarbeit. All das mit einem starken missionarischen Gen, das war immer sehr klar: Wir wollen Leute zu Jesus und in unsere Gemeinde einladen. Und natürlich ist jeder Christ ein Gitarrist – Dieter spielte Gitarre, also habe auch ich Gitarre gelernt. Irgendwann hatte ich einen eigenen Jugendchor – die »Wegweiser« – oder habe bei Klaus Vollmer im Vorprogramm Manfred-Siebald-mäßig zur Gitarre gesungen.

Arno (Backhaus) und Andreas (Malessa) waren tolle Vorbilder für viele von uns. Die beiden machten hochprofessionell christliche Popmusik und wurden zum großen Katalysator für die gesamte fromme Musikszene. Ich war ja nur ein ganz kleines Licht, hatte dadurch aber ein Zugangstor für mein späteres Engagement bei den großen christlichen Musikfestivals in Hamburg.

Aus diesem intensiven Engagement im Bereich der Jugendarbeit ist dann später vieles gewachsen, was mein Leben bestimmt hat. 1972 war ich erstmals Co-Leiter einer Kinderfreizeit, lernte von »Mühlchen«, unserer Gemeindehelferin Magdalene Zurmühl, ein Kinderprogramm für eine ganze Woche durchzuziehen, vorne zu stehen. Natürlich angebetet von den Teenies: Uli mit Jeans und Gitarre am Kaminfeuer.

Und dann die klassischen Silvesterfreizeiten – anfangs noch unter Otto Buchholz, unserem Jugendleiter, der Vater von Sänger und Journalist Martin Buchholz, der als kleiner Junge mit auf unseren Norwegenfreizeiten war und später mal als Volontär im Bundes-Verlag. Hui, was waren wir fromm – über den Jahreswechsel wurde grundsätzlich durchgebetet, bloß keine Raketen steigen lassen oder Spaß machen, sondern tiefe Innerlichkeit. Wir fanden das radikal und gut – schließlich waren wir ja nicht weltlich! Heute schüttele ich ein bisschen den Kopf darüber, das war schon auch eine etwas verbohrte Engführung. Kann man machen – muss man aber nicht zwanghaft um 23.55 Uhr starten …


Uli mittlere Reihe 2. v. r.


Mitarbeiter auf einer Kinderfreizeit 1972 mit Gitarre – Uli (r.) mit seinem Freund Dieter Tost (l.)

Bei solchen Freizeiten habe ich natürlich auch romantische Beziehungen geknüpft und etwa stundenlang mit der süßen Petra auf der nächtlichen Fensterbank gesessen und zarte Gespräche geführt – was für eine reizvolle neue Dimension des Lebens!

Der Ideen-Entzünder

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