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Der erste große Konflikt
ОглавлениеThomas: Aber gab es bei deinem ältesten Bruder Otto nicht eine Absetzbewegung und auch einen Bruch mit dem Bisherigen – mit Folgen für euch als Familie?
Uli: Ja, aber das hat wieder mit dieser Grundspannung zwischen Soll und Ist des Glaubens zu tun. Otto war in den Siebzigerjahren Pastor in einer FeG hier in Norddeutschland. Er und seine Frau Margret lebten in diesem klassischen Pastorenkonflikt, Glauben als Hauptamtliche auf der Langstrecke leben zu müssen, performen zu sollen für eine Gemeinde – und selbst gleichzeitig Gott gern mehr erfahren zu wollen, verstärkt aus ihm zu leben. Sie merkten, im Umfeld, aus dem sie kamen, fand dieser Wunsch nach Mehr – mehr Gotteserfahrung, tieferer Hingabe – nicht viel Resonanz.
DIE JAHRE 1968 – 1979
Schließlich begegneten sie charismatischen Christen – die typische Geschichte eigentlich. Sie befreundeten sich, machten gute Erfahrungen, Impulse flossen in die Gemeinde, wahrscheinlich war man auch ein bisschen naiv und unklug – und schon bald wuchsen parallel Sorgen und Ängste im Ältestenkreis und Teilen der Gemeinde. Es bildete sich Gegnerschaft und das Ganze wurde zu einem Riesenthema. Es gab Krisensitzungen, es drohte Gemeindespaltung – und das in genau dem Gemeindeverbund, wo ja auch der – eher sehr nüchterne – Vater angestellter Pastor (nein, natürlich Prediger!) war.
Das brachte große Sorgen auch für meine Eltern, eine Zerreißprobe. Die ganze Entwicklung stand im Kontext der ohnehin starken Spannung zum charismatischen Aufbruch im Norden – Wolfram Kopfermann wirkte in der Hamburger Petrikirche, es gab eine große Zugspannung auf alle. Der FeG-Bund im Norden wollte all diese »charismatischen Verirrungen« wohl möglichst im Keim ersticken – und so gerieten mein Bruder und seine Frau in ein größeres Kampfszenario, in dem man vonseiten der Leitung wohl gerne entschiedene Zeichen setzen wollte: Wehret den Anfängen!
Heute sage ich: Die Verantwortlichen haben sich nicht weise benommen – vermutlich wuchs aber auch die Dimension des Konfliktes allen Seiten über den Kopf. Otto und seine Frau waren aufrichtige, engagierte Gemeindeleute, treu und loyal, keine gewieften Kirchenpolitiker. Schließlich sollten sie der ganzen Sache abschwören – aber hatten sie nicht in unserer Familie gelernt, zu dem zu stehen, was man erkannt hatte? Seinen Glauben verrät man nicht! Also standen sich zwei von Überzeugung getriebene Seiten gegenüber und es kam zu einer formellen Kündigung.
Für meine Eltern brach ein Stück Welt zusammen. Ich sehe noch vor mir, wie sie mit den beiden in großer Betroffenheit am Tisch saßen. Ich blickte damals noch kaum durch, merkte aber: Da war großer Schmerz und das lief nicht gut. Aber ich konnte nichts machen! Als Sechzehnjähriger spürte ich, dass man meinen Bruder nicht gut behandelte – und dass man aneinander vorbeiagierte. Daraus ist für mich später ein starkes Mandat gewachsen: So etwas darf unter Christen nicht passieren! Die beiden wollten ja niemanden verführen, sie hatten einfach nur Hunger nach Gott, wollten mehr! Ja, sie haben vielleicht nicht alles richtig gemacht, aber die Leitung agierte mindestens genauso unbeholfen und starr.
Hier habe ich zum ersten Mal erfahren, dass dieses System Gemeinde und Kirche, zu dem ich gehörte, auch verbohrt sein kann und Fehler macht. Das hat mir unheimlich leidgetan. Du stehst daneben und bist hilflos! In der Folge ist das fast etwas Archetypisches für mein Leben geworden: Ausgrenzung verhindern, Brücken zueinander bauen, Gefühle und Haltungen übersetzen, Missverständnisse klären, zueinander-führen, Konflikte lösen, Vertrauen investieren – das setzt sich bei mir bis heute in allen möglichen Varianten fort. Dass ich ab dem Jahr 2 000 gemeinsam mit der Evangelischen Allianz und dem AUFATMEN-Magazin zwei Begegnungsforen zwischen traditionellen und charismatischen Evangelikalen anstoßen konnte, hat wohl – rückblickend verstanden – hier eine Wurzel.
Thomas: Hat diese Sache euch als Familie auseinandergebracht?
Die drei Brüder 2011, Dieter (l.), Otto (Mitte), Uli (r.)
Uli: Das Verhältnis meiner Eltern zu meinem ältesten Bruder war danach sicher eine Zeit lang von diesem Schmerz belastet. Beide waren ja nicht auf solch eine Situation vorbereitet, waren überfordert und unbeholfen. Natürlich stand man weiter zueinander – aber man gehörte am Ende zu zwei verschiedenen Kirchenbünden. Otto fand nach einiger Zeit eine Anstellung im Baptistenbund und die beiden waren dort weitere Jahrzehnte gut als Pastorenpaar unterwegs. Ja, es war ein Schatten für beide Seiten, eine Phase der Befangenheit, die sich aber über die Jahre hinweg gegeben hat.
Es war für mich auch irgendwie seltsam: Als Jüngster war ich immer fein raus. Ich habe absolut coole, erfahrene Eltern mitgekriegt, weil sie vor mir schon für alle möglichen Krisen und Reaktionen zweimal üben konnten. Und ich habe absolut coole Geschwister gehabt, die alles schon mal gemacht hatten, was ich noch lernen musste. Jüngster sein hat Vorteile …