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Freundeskreis

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Thomas: Mir fällt auf, wie werteorientiert das alles war: Mädchen, Liebe, aber auch deine Rolle in der Jugendarbeit. Oder idealorientiert? Eine solche Steilheit kenne ich aus meiner eigenen Jugendzeit nicht. Waren alle in deinem Gemeindeumkreis so? Oder waren du und deine Brüder vielleicht als Pastorenkinder stärker engagiert als andere? Wart ihr die treibenden Kräfte? Die Macher, die mehr investierten als alle anderen?

Uli: Ja, sicher. Man hatte ja diesen Startvorteil als Pastorenkind, wusste um Stolz und Wohlwollen der Eltern, wenn auch unausgesprochen. Man war angedockt im Gemeindesystem, hatte offene Türen. Gleichzeitig waren die Eltern wahrscheinlich saufroh, dass ihre Kinder auf einem guten Weg waren und man sie für alles mögliche Gute einsetzen konnte. Musik, Spiele, Organisation, Um- oder Neubau des Gemeindehauses: Wir waren dabei, alles war willkommen! Gemeinde war unser Ding, unser System. Deswegen bin ich manchmal heute noch ein bisschen unbeholfen und gesellschaftsfremd – das war eben nicht unser System.

Ich war höchst identifiziert und sicher auch Vorbild für andere. Habe dann bald tolle Freunde gefunden – Manfred Pagel, meinen besten Jugendfreund, heute geistlicher Leiter des Dünenhofes. Wir haben viele Freizeiten zusammen gemacht, gemeinsam im Zelt gelegen, Bücher gelesen, Pläne entwickelt. Dazu kam Renate Schaper, Lehrerin und Älteste in der FeG Cuxhaven und gute Freundin aus unserer Gemeinschaft. Gemeinsam bauten wir einen tollen Teenkreis mit wilden Ideen und wirklich vielen Leuten auf. Waren sehr missionarisch, sehr engagiert. Ganz offen, breit, unkonventionell – und dennoch ein bisschen eng und überevangelikal. Wir waren wohl deutlich ungeduldiger, als Jesus es gewesen wäre. Aus heutiger Sicht würde ich sagen: Wir hätten missionarisch gesehen vieles nachhaltiger gestalten können, wenn bei uns ein paar kluge, fromme Landeskirchler dabei gewesen wären. Ich meine Leute, die ein ganz ähnliches Feuer, aber ein etwas weiteres Herz als wir und ein etwas gesellschaftsmittigeres Bild des Glaubens gehabt hätten.

Thomas: Wie meinst du das?

Uli: Wir haben wirklich viele erreicht, haben Leute aus unseren Klassen eingeladen, waren oft 50 Leute oder mehr – viele von außen. Das Tragische aber war, dass viele nach ein paar Jahren wieder weg waren. Die Gemeinde konnte sie oft nicht halten. Die dabeiblieben, waren Teil dieses hochidealistischen, sehr engagierten, viel Zugehörigkeit bietenden, aber auch manchmal ein bisschen schwarz-weißen Systems. Wer dazugehören wollte, musste Teil davon sein, sich engagieren und letztlich auch in gewisser Weise ein vorbildliches Leben führen: kein Rumgeknutsche, kein Rauchen, keine Tändelei, vernünftiges Verhalten.

Wer nicht aus einer vorgeprägten Gemeindefamilie kam, die so ein Wertesystem mittrug, hatte es nicht leicht. Wir haben Menschen zwar Nestwärme gegeben, aber sie konnten in vielem nicht so mitgehen – und wir waren dann manchmal zu ungeduldig und verloren das Interesse, wenn sie diese heiße Identifikation nicht mehr aufbringen konnten. Heute würde ich sagen: Wir hätten ihnen mit viel mehr Liebe nachgehen müssen. Wir hätten die Türen und Herzen weiter machen müssen. Wir haben das damals nicht erkannt – und wurden wohl auch ein bisschen alleingelassen.

Thomas: Hast du in all diesen Zeiten auch mal richtig pubertiert? Dich aufgelehnt gegen die Eltern, gegen die Gemeinde? Mal gesagt: »Ach, ich will den Quatsch nicht mehr mitmachen«? Oder warst du rundweg angepasst?

Uli: Das frage ich mich manchmal. Klar gab es kritische Phasen. Aber irgendwie waren wir immer sehr engagiert, haben für irgendwas gekämpft – zum Teil natürlich auch in Abgrenzung zur vorhergehenden Generation. Aber man ließ uns ja den Raum dafür! Auflehnung gegen die Eltern gab es höchstens mal bei Einzelthemen.

Etwas, das meine Frau Christel sehr erstaunt hat, als sie in unsere Familie kam: Am eggersschen Mittagstisch wurde heftigst diskutiert: über Vaters Predigt. Über die Gemeinde. Wie Gemeindearbeit sein müsste. Da schlugen die hellen Flammen, weil wir als Kinder die Dinge oft anders sahen. Ich selbst war oft besonders radikal, stärker noch als mein Bruder Dieter, der immer etwas milder und eben älter war. Es gab also durchaus Zoff und Auseinandersetzung und Kampf um den richtigen Weg, aber nicht in Abgrenzung zu den Eltern – unser gemeinsames Arbeitsgebiet lag ja da draußen in der Gemeinde. Und man fühlte sich von ihnen immer geliebt, gewollt, gebraucht.

Natürlich gab es Abnabelungsprozesse bei Stilfragen oder bei Musik, aber die Eltern ließen mir sehr viel Liebesleine, sie hatten ja schon zweimal geübt … Und man wusste, was sie nicht gut fanden: Rauchen, Trinken, zu Weltliches. Aber vermutlich waren wir auch einfach ein Glücksfall für ein Pastorenehepaar in seinen letzten Dienstjahren: Wir als »Jugendbrigade« ergänzten ihren Dienst – ein tolles Komplettangebot für die Gemeinde!

Thomas: Das heißt, es gab für dich keine Glaubensbrüche an der Schwelle zum Erwachsenwerden, keine Verunsicherung, kein »Ach, will ich das wirklich?«.

Uli: Dazu waren wir wohl zu engagiert. Klar, ich habe mich immer mit Fragen und Zweifeln herumgeschlagen – Glauben ist nicht Wissen. Aber eine größere Krise kam erst später beim Tod unseres ersten Kindes. Wenn man sich so identifiziert, dann blendet man größere Fragen wohl aus. Wir waren zum Eigenen immer solidarisch und hatten das Bewusstsein: Damit tun wir dem System etwas Gutes.

Der Ideen-Entzünder

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